Selbstgespräche führen 96 Prozent der Menschen tun es
Die meisten Menschen führen Selbstgespräche, sogar täglich. Das ist normal. Nur ist es meist ein stummer, innerer Dialog mit dem Ich. Das beginnt schon in der Kindheit: Zwischen 2-4 Jahren reden Kinder regelmäßig (leise) mit sich und verbalisieren die Erlebnisse des Tages. Ab dem 5. Lebensjahr etwa verlagert sich der lautstarke Autolog immer mehr nach innen und wird schließlich nur noch gedacht.
Auch Erwachsene hingegen sprechen ab und an hörbar mit sich – laut Forschung rund 96 Prozent der Erwachsenen. Das tun wir aber meist nur, wenn wir uns unbeobachtet fühlen. Also im Auto, unter der Dusche, auf dem Klo. In der Regel schimpfen wir dann, wenn wir uns über andere oder uns selbst ärgern.
Selbstgespräche sind ein Ventil
Keine schlechte Idee! Denn Selbstgespräche – ob nun im Kopf oder lautstark verbalisiert – fungieren als eine Art Ventil: Wut, Trauer und Frust fressen sich dann weniger in uns hinein, unklare Gedanken und Gefühle werden in Worte gefasst und sortiert, Entscheidungen schließlich erleichtert. Und nicht zuletzt merken wir uns Gehörtes oft besser als Gedachtes.
Die Kehrseite: Solche Selbstaussagen prägen unser Selbstbild. Überwiegen negative Gefühle und Gedanken und kreisen diese um das eigene Versagen, können sie uns unsicher, unzufrieden oder gar bitter machen. Negative Gedanken manifestieren sich irgendwann auch im Alltag als eine Art selbsterfüllende Prophezeiung. Oder als verzerrtes Weltbild.
Führen Selbstgespräche zur Depression?
Die lautstarken Gedanken und Selbstgespräche können sogar Hinweise auf eine psychische Erkrankung, wie zum Beispiel Schizophrenie geben. Als starkes Symptom werten Psychologen zum Beispiel, wenn Menschen ständig dieselben Sätze wiederholen, laut vor sich hin murmeln oder an öffentlichen Orten (etwa in der U-Bahn oder in Wartezimmern) zu sich selbst sprechen. Also Selbstgespräche mit nicht anwesenden Personen führen oder ihr Umfeld kommentieren als wäre es gar nicht da.
Solche unkontrollierten Selbstgespräche können ein Zeichen von Einsamkeit sein, aber eben auch ein Indiz für eine veritable Psychose. Auch bei Demenzkranken und Patienten mit schweren Depressionen kommen derlei Gedankenartikulationen vor. Alarmiert sollten Betroffene sein, wenn sie anfangen, fremde Stimmen zu hören und mit ihnen zu sprechen. Aber genau genommen sind das auch keine Selbstgespräche mehr…
Mehr Erfolg durch Selbstgespräche?
Dass Selbstgespräche ganz real zu besseren Ergebnissen führen, konnten schon mehrere Studien zeigen. So ließen etwa die Psychologen Dietrich Dörner von der Universität Bamberg und Ralph Reimann von der Universität Wien ihre Probanden mehrere komplizierte Konstruktions-Aufgaben lösen. Ergebnis: Wer dabei mit sich selbst sprach, sah das Problem klarer, identifizierte Lösungen und strukturierte diese dabei.
Auch Konflikte lassen sich durch Selbstgespräche lösen. Das bestätigt die Leipziger Sportpsychologin Dorothee Alfermann. Sie ist überzeugt, dass Worte „motivieren, beruhigen oder aktivieren“ können. Das beobachtete sie beispielsweise regelmäßig bei Sportlern, die sich durch die Selbstgespräche vor einem Wettkampf mental rüsten. Auch Autofahrer könnten sich auf diese Weise in einem Stau beruhigen oder ihre Anspannung lösen.
Wie wirken Selbstgespräche?
Der Autolog baut uns nicht nur auf, entspannt und steigert die Konzentration. Selbstgespräche haben gleich mehrere Funktionen, wie die Psychologen Gary Lupyan und Daniel Swingley von der Universität Wisconsin-Madison in ihren Studien bestätigen konnten. Selbstgespräche können demnach…
- die eigene Leistungsfähigkeit steigern.
- Ablenkungen und Störgeräusche ausblenden.
- helfen, Probleme schneller und besser zu lösen.
- Stress abbauen.
- Aggressionen reduzieren.
- für einen differenzierteren Blick sorgen.
Selbstgespräche führen – ein Zeichen von Intelligenz?
- „Denken ist ein Selbstgespräch der Seele.“ (Plato)
- „Es ist eines meiner größten Vergnügen oft und lange mit mir Gespräche zu führen.“ (Oscar Wilde)
- „Man führt nicht mehr genug Selbstgespräche heutzutage. Man hat wohl Angst, sich selbst die Meinung zu sagen.“ (Jean Giraudoux)
- „Das Selbstgespräch ist eines der wichtigsten Werkzeuge, mit dem wir unser Verhalten steuern.“ (Dolores Albarracin)
- „Ein Gebet ist immer auch ein Selbstgespräch, da will man nicht lügen oder rumschleimen, man muss da Tacheles reden.“ (Dieter Bohlen)
Selbstgespräche führen – aber nur mit einem Trick!
Die vielschichtigen Wirkungen der Selbstgespräche konnte auch der Psychologe Thomas Brinthaupt in Studien belegen. Allerdings wirken diese vor allem mit einem Trick…
Die meisten Menschen sprechen mit sich selbst in der Ich-Form. Also zum Beispiel: „Ich bin gerade total gestresst. Oder: „Ich schaffe das schon!“ Wesentlich klüger und wirkungsvoller sei es aber von sich dabei in der 3. Person zu sprechen. Beispiel: „(Eigener Name) ist total gestresst. Aber (eigener Name) schafft das schon!“
Das klingt, zugegeben, für die meisten ziemlich durchgeknallt und nach jemandem mit einem gewaltigen Dachschaden. Die Studien aber zeigen: Wer mit sich selbst in der dritten Person sprach, bleibt deutlich entspannter, merkt sich Dinge besser und tritt sogar souveräner vor Publikum auf.
Psychologische Distanz zu sich selbst
Was bei diesem Selbstgespräche-Trick hilft, ist die psychologische Distanz zu sich selbst. Durch Verwendung der 3. Person entfernten Sie sich mental aus Ihrer Lage und operieren gedanklich als ihr eigener Ratgeber oder Mentor.
Die Technik ist schon aus dem NLP, dem Neurolinguistischen Programmieren, bekannt und kann nachweislich helfen, Stress abzubauen. Wenn Sie also das nächste Mal vor einer herausfordernden Aufgabe stehen, führen Sie vorher ruhig ein paar Selbstgespräche – in dritter Person. Und vielleicht nicht unbedingt laut.
Self-Talk-Scale: Werkzeug des Denkens
Selbstgespräche sind ein „Werkzeug des Denkens“, sagt Brinthaupt. Sie fördern die Selbstkontrolle und sorgen für Klarheit und Klärung. Von Brinthaupt stammt auch die sogenannte Self-Talk-Scale – die Selbstgespräche-Skala, die die vier Dimensionen beziehungsweise Funktionen des Ich-Bezugs anzeigt:
In einer Meta-Studie kamen der Wissenschaftler und seine Kollegen zu der Erkenntnis, dass die Art der Selbstgespräche stark von der Persönlichkeit des Einzelnen abhänge:
- Wer zum Beispiel häufig zu Selbstkritik und zu sozialer Bewertung („Was wohl die anderen dazu denken?“) neigt, verfüge über ein geringes Selbstvertrauen und profitiere kaum von den Selbstgesprächen.
- Wer sich hingegen im Ich-Dialog eher bestätigt und führt, bei dem handele sich meist um selbstbewusste Charaktere, die auch neue Herausforderungen gut meistern. Ihnen diene die „Autoverbalisation“ vor allem dazu, die momentane Stimmung zu heben oder negative Erlebnisse zu neutralisieren.
Selbstgespräche als Gedächtnistraining
Insbesondere Ältere sollten regelmäßig Selbstgespräche führen, raten Wissenschaftler. Mit zunehmendem Alter lasse das Kurzzeitgedächtnis nach. Wer aber mit sich selbst redet, könne dem entgegenwirken. Der „Merkeffekt“ sei ein anderer wenn man laut mit sich redet statt alles nur in Gedanken durchzuspielen, sagt etwa der Psychiater und Psychotherapeut Dirk Wedekind von der Universität Göttingen.
Schon im Jahr 2007 veröffentlichten Forscher um den Psychologen Adam Winsler von der George Mason Universität Fairfax in Virginia eine Untersuchung, die zeigte, dass Menschen Rätsel besser und schneller lösen, wenn sie dabei mit sich selbst sprechen.
Das Verbalisieren helfe sogar dabei, sich besser zu konzentrieren, vor allem wenn die Gedanken laut ausgesprochen werden. Zum Beispiel um sich einen Weg einzuprägen: „Erst bin ich an der Bäckerei vorbei, dann rechts abgebogen, an der Tankstelle wieder links…“ In den meisten Fällen löst sich so der Knoten im Kopf.
Wie Sie bessere Selbstgespräche führen
Damit Sie das Potenzial des Monologs mit dem Ich voll ausschöpfen, haben wir hier noch ein paar Grundregeln für Selbstgespräche zusammengestellt:
-
Keine negativen Aussagen
Gedanken haben enorme Macht. Der innere Dialog prägt unser Handeln und unsere Gefühle angeblich bis zu 95 Prozent. Und schon der Talmud warnt: „Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.“ Vermeiden Sie also negative Aussagen, wie „Das schaffst du wieder nicht!“ oder „Dafür bist du einfach zu blöd!“ oder „Der tag fängt ja schon gut an…“. Formulieren Sie lieber positive Sätze wie: „Von jetzt an kann es nur noch besser werden.“
-
Nicht pauschalieren
„Das ist ja mal wieder typisch für dich!“ – „Nie bringst du eine Sache zu Ende!“ – „Ständig ignorieren mich die Kollegen!“ – Solche Pauschalierungen sind nicht nur faktisch falsch, sie wirken auch desaströs. Effektiver lassen sich Minderwertigkeitskomplexe kaum erzeugen. Schlagen Sie sich solche Gedanken sofort und kategorisch aus dem Kopf.
-
Seien Sie ehrlich zu sich
Das bedeutet nicht schonungslose bis zerstörerische Selbstkasteiung, sondern eine ehrliche Analyse Ihrer Schwächen und Misserfolge. Nur so können Sie daraus lernen, was Sie das nächste Mal besser machen werden. Auch das sollten Sie anschließend möglichst konkret formulieren und aussprechen.
-
Wägen Sie ab
Wenn Sie sich schon Zeit für sich nehmen, dann gründlich: Diskutieren Sie ruhig sämtliche Vor- und Nachteile einer Entscheidung, die Ihnen in den Sinn kommen und wägen Sie diese ab. Hauptsache, Sie treffen hinterher auch eine Entscheidung. Andernfalls vergrößern Sie das Hindernis, das vor Ihnen liegt, nur.
Was andere dazu gelesen haben