Tattoo und Piercing im Bewerbungsgespräch: Geht das?

Tattoos und Piercings sind längst gesellschaftsfähig. Trotzdem sind Bewerber immer wieder verunsichert, ob sie diese in der Bewerbung beziehungsweise im Bewerbungsgespräch zeigen sollten. Ob ein Tattoo an Hand oder Arm, Nasenstecker, Lippenring oder Zungenpiercing – grundsätzlich hat jeder das Recht auf seinen eigenen Stil. Das gehört zur freiheitlichen Demokratie wie das Salz zur Suppe. Trotzdem kann sichtbarer Körperschmuck im Vorstellungsgespräch zum Problem werden, denn er transportiert Botschaften…

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Tätowierungen: Aufmerksamkeit erregen, Botschaften senden

Menschen tätowieren sich schon seit mehr als 5000 Jahren. Sogar der Mann aus dem Eis der Alpen – Ötzi – trägt noch immer sichtbare Tattoos an seinem mumifizierten Körper. Dabei dienen die Tätowierungen unterschiedlichen Zwecken:

  • Sie markieren uns, sind persönlicher Ausdruck.
  • Sie transportieren Botschaften (von provokant bis inspirierend).
  • Sie dienen der Erinnerung.
  • Sie sollen (übersinnliche) Kraft verleihen.
  • Sie signalisieren (Stammes-)Zugehörigkeit.
  • Sie senden erotische Signale.
  • Sie sollen attraktiv machen.
  • Sie zeigen Selbstbewusstsein.
  • Sie steigern das Selbstwertgefühl.

Vor allem sichtbare und kaum zu verbergende Tätowierungen erfüllen mehrere dieser Zwecke. Sie sollen bewusst Aufmerksamkeit erregen und zu dem Betrachter sprechen – wie der Sticker an einem Auto oder Motto-T-Shirts. Manche Tattoos sind sogar eine Form der passiven Aggression. Nicht selten sagt die Tätowierung subtil: „Sieh her, ich bin außergewöhnlich, einzigartig. Ich habe keine Angst davor, dass du mich und meinen Körper ansiehst!“

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Arbeitsrecht: Ist Körperschmuck im Job okay?

Juristisch ist die Sache eindeutig: Grundsätzlich sind Tattoos und Piercings Privatsache. Sie unterliegen dem Persönlichkeitsrecht und können individuell und selbstbestimmt gewählt werden – wie der Kleidungsstil auch. Allerdings endet das Recht des Arbeitnehmers auf einen eigenen Stil dort, wo der Arbeitgeber ein „begründetes Interesse“ daran hat, auf diesen Einfluss zu nehmen.

Bedeutet: Verlangt der Arbeitgeber ein ordentlichen Erscheinungsbild oder einen Dresscode, weil die Arbeitnehmer zum Beispiel regelmäßig Kundenkontakt haben, darf er in das Persönlichkeitsrecht der Angestellten eingreifen. In dem Fall können Chefs beispielsweise verlangen, dass die Haare stets sauber und nicht fettig sind oder dass die männlichen Kollegen glatt rasiert sind oder einen gepflegten und nicht wild wuchernden Bart tragen.

Darf der Arbeitgeber Tattoo und Piercing verbieten?

Der Arbeitgeber kann ebenso festlegen, dass Tattoos und Piercings nicht sichtbar getragen werden (falls das möglich ist). Wer beispielsweise ein Tattoo am Unterarm trägt, kann zum Tragen von Langarmhemden angehalten werden. Es gibt sogar Berufe, in denen das Tragen von Körperschmuck und Piercings aus Sicherheitsgründen verboten ist:

  • Mechaniker
    Wer in einer Werkstatt arbeitet, darf am Arbeitsplatz keine Ketten, Ringe oder Piercings tragen. Zu gefährlich – sie könnten irgendwo hängen bleiben.
  • Berufssportler
    Bei bestimmten Sportarten stellen Piercings ein zusätzliches Verletzungsrisiko dar. Sie müssen vorher abgenommen werden.
  • Ärzte, Pflegefachkräfte
    Auch in medizinischen und Pflege-Berufen können Piercings verboten sein, wenn sie gegen Hygienevorschriften verstoßen. Das kann das Tragen von Ringen oder Ohrsteckern einschließen, wenn diese (beim Umbetten oder Baden) ein Verletzungsrisiko darstellen.

Für Arbeitnehmer heißt das: Solange Kleidung und Körperschmuck die Arbeitsleistung nicht oder nur unerheblich beeinflussen, den Arbeitnehmer nicht gefährden und Kunden nicht stören, darf einem der Arbeitgeber nicht an die Haut gehen. Es überwiegt das Persönlichkeitsrecht. Erst wer es damit übertreibt und als Edelmetallbörse oder Kunstobjekt durchgehen könnte, muss mit Einschränkungen rechnen.

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Tattoo und Piercing im Vorstellungsgespräch: Was geht?

Da zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Arbeitsverhältnis besteht, kann das Tragen von Piercings oder Tattoos nicht verboten sein. Das Persönlichkeitsrecht bleibt unberührt. Wer sich für eine Ausbildung oder einen Arbeitsplatz bewirbt und seinen Körperschmuck sichtbar zur Schau stellt, muss aber davon ausgehen, dass dieser bemerkt, vielleicht sogar im Vorstellungsgespräch angesprochen wird.

Allerdings reagieren Personaler recht unterschiedlich darauf. Klar, wer selber Tattoos oder Piercings trägt, ist meist toleranter als ohne. Zugleich gibt es Unterschiede – je nach Branche oder Beruf…

Banken und Versicherungen

Gerade in konservativen Berufen und überall dort, wo viel Kundenkontakt herrscht, können Piercings und Tattoos zum Problem werden. In Banken, Anwaltskanzleien oder im Einzelhandel zum Beispiel sind sie mehrheitlich verpönt. Zumindest die auffälligen. Gegen einen Ohrring wird kaum jemand etwas sagen. Aber ein Lippen- oder Augenbrauenstecker sowie ein deutliches Tribal am Hals kann dazu führen, dass Personaler Bewerber ablehnen – auch wenn sie das offiziell nie so begründen.

Kreativbranche und künstlerische Berufe

Anders sieht es mit Tattoos und Piercings in kreativen oder Medien-Berufen aus. Schon der Dresscode im Vorstellungsgespräch unterscheidet sich hier deutlich. Fleshtunnel oder Plugs kommen bei Grafikdesignern, Mediengestaltern oder im Friseurhandwerk häufiger vor. Wer als Freelancer tätig ist, hat sogar noch mehr Freiheiten. Allerdings sollten Sie überlegen, bei der Neukundenakquise – zumindest anfangs – dezenter aufzutreten.

Öffentlicher Dienst

Im öffentlichen Dienst gelten – auch wegen der Kunden- beziehungsweise Bürgernähe – strengere Auflagen. Wer beispielsweise Polizist werden will, kann wegen seiner Tätowierungen oder Piercings abgelehnt werden. Begründung: Polizeibeamte müssten in ihrer Funktion stets Neutralität wahren und repräsentierten in der Öffentlichkeit die gesamte Polizei. Deshalb sei Körperschmuck als Zeichen der Individualität nicht erwünscht. Es kommt allerdings immer auf Lage, Art und Umfang des Körperschmucks an.

Unterschieden wird zwischen sichtbaren und nicht sichtbaren Tätowierungen, Piercings, Skarifikationen oder Implantaten. Zudem ist die Ausbildung für die Polizei Ländersache. Daher variieren die Bestimmungen von Bundesland zu Bundesland. Rein ästhetische Erwägungen dürfen aber keine Rolle spielen (OVG 4 S. 52.18).

Wichtige Auswahlkriterien im öffentlichen Dienst sind regelmäßig:

  • Verfassungsfeindlich
    Der Körperschmuck darf kein Kennzeichen (zum Beispiel Symbole, Fahnen, Parolen) verfassungsfeindlicher Organisationen sein oder mit diesen verwechselt werden.
  • Extremistisch
    Tattoos dürfen nicht rechts- oder linksradikal oder allgemein extremistischer Natur sein.
  • Sexistisch
    Schmuck oder Tätowierungen dürfen nicht sexistisch oder frauenfeindlich, entwürdigend oder diskriminierend, Gewalt verherrlichend oder die Menschenwürde verletzend sein. Die Darstellung der halbnackten Göttin Diana wurde etwa als sexistisch eingestuft – Bewerber abgelehnt (Az. 58 Ga 4429/18).
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Bewerbungsgespräch: Zwischen Authentizität und Anpassung

Im Bewerbungsgespräch geht es in erster Linie um die fachliche Eignung eines Bewerbers: Bringt er oder sie alle erforderlichen Qualifikationen und einschlägige Berufserfahrungen mit? Passen Bewerbungsschreiben und Lebenslauf zusammen, stimmen die Angaben?

Daran scheitern allerdings nur wenige Bewerber, die es ins Jobinterview geschafft haben. Was Personaler jetzt noch mehr interessiert, ist die sprichwörtliche „Chemie“. Passen die Kandidaten mit Ihrer Persönlichkeit in das bestehende Team und zur Unternehmenskultur? Und genau hierbei können Tattoos und Piercings eine falsche Botschaft senden und die Bewerbungschancen reduzieren.

Wie weit bin ich bereit, mich anzupassen?

Jedes Bewerbungsgespräch ist eine Art Lackmustest, ob beide Seiten zueinander passen. Er stellt Bewerber aber auch vor ein Dilemma:

  1. Authentizität
    Bewerber sollen sich nicht verstellen, verkleiden, schauspielern, sondern authentisch sein. Nur so wissen beide, ob die Zusammenarbeit funktionieren kann.
  2. Anpassung
    Gleichzeitig geht es um den Cultural Fit – also, ob Kandidaten in eine bestehende Organisation hineinpassen. Das gelingt selten auf Anhieb. Daher müssen Bewerber gleichzeitig die Bereitschaft mitbringen und signalisieren, sich herrschenden Gepflogenheiten anzupassen. Jedenfalls erhöht das die Jobchancen dramatisch.

Deshalb muss sich jeder Kandidat, jede Bewerberin individuell fragen:

  • Wie wichtig ist mir mein Körperschmuck?
  • Kann ich meine Individualität nur darüber ausdrücken?
  • Sind Piercing oder Tattoo wesentlicher Ausdruck meiner Persönlichkeit?
  • Kann ich im Jobinterview authentisch sein auch ohne sichtbaren Schmuck?
  • Wie sehr bin ich bereit, mich für meinen Traumjob einzuschränken?
  • Kann ich während der Arbeitszeit auf meine Piercings verzichten?
  • Lassen sich die Tätowierungen im Job ohne Einschränkungen verbergen?

Nicht zuletzt müssen Sie sich fragen, ob es nicht vielleicht cleverer ist, die Diskussion über Körperschmuck auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben – dann, wenn Sie den Job schon haben und der Arbeitgeber die eigenen Leistungen kennt und genug Vertrauen hat. Strategisch kann es sinnvoller sein, seine Tattoos zum Bewerbungsgespräch zu verstecken und sichtbare Piercings vorübergehend rauszunehmen.

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Sind Tattoo und Piercing ein Kündigungsgrund?

Sofern von den Tattoos und Piercings eine Geschäftsschädigung sowie ein Sicherheits- oder Hygienerisiko ausgeht, kann der Arbeitgeber deren Entfernung oder zumindest Bedeckung verlangen. Das gilt umso mehr, falls der Körperschmuck eindeutig rassistisch, sexistisch oder anderweitig diskriminierend bis kriminell ist. Ignorieren Arbeitnehmer diese Anweisung kann das zunächst eine Ermahnung und Abmahnung zur Folge haben, im Wiederholungsfall auch die Kündigung.

Das gilt umso mehr, wenn Sie sich bei bestehendem Arbeitsvertrag und nachweislicher Kenntnis der Unternehmensrichtlinien, bewusst ein sichtbares Tattoo stechen lassen, das dagegen vertößt. Hier kann sogar eine fristlose Kündigung möglich sein, weil Sie bewusst gegen Dienstanordnungen gehandelt haben. Ein schwerer Vertrauensbruch.

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[Bildnachweis: Laura Reyero by Shutterstock.com]