Interviewer Bias: Falsche Beurteilung der Bewerbung

Personaler sind auch nur Menschen und machen Fehler. Der Interviewer Bias ist dabei besonders gefährlich, denn er führt regelmäßig zu verzerrten Ergebnissen und einer falschen Beurteilung von Bewerbung und Bewerbern. Auf welche Denkfehler Interviewer immer wieder hereinfallen – und was Bewerber gegen den Interviewer Bias tun können…

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Was ist der Interviewer Bias?

Beim Interviewer Bias (auch „Interviewer-Fehler“, „Interviewereffekt“ oder „Versuchsleitereffekt“) handelt es sich um eine kognitive Verzerrung. Er beschreibt unterschiedliche Wahrnehmungsfehler und mentale Abkürzungen bei Interviewern beziehungsweise Personalentscheidern oder Recruitern im Bewerbungsgespräch.

Der Effekt tritt meist unbewusst auf. Dabei lässt sich der Interviewer durch bestimmte Merkmale oder Verhaltensweisen seines Gegenübers in seinem Urteil beeinflussen – positiv wie negativ. Zum Beispiel durch:

  • Geschlecht oder Alter
  • Aussehen oder Hautfarbe
  • Auftreten oder Sprechweise
  • Formulierungen oder Fragen

Oft spielen bei der Bewerberauswahl klassische Vorurteile eine ausschlaggebende Rolle. Die Voreingenommenheit verfälscht das Ergebnis zusätzlich. Ganz ausschließen lässt sich der Interviewer Bias (englisch: „cognitive illusions“ oder „cognitive bias“) daher nie. Zumindest hilft es aber, die potenziellen Denkfehler und Fallstricke zu kennen, die Interviewer aufs Glatteis führen können.

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Welche Interviewer Bias Arten gibt es?

Das Vorstellungsgespräch ist eines der wichtigsten Intstrumente bei der Personalauswahl. Dabei stehen Personalverantwortlichen unterschiedliche Methoden und Interview-Arten zur Verfügung. Zum Beispiel:

Trotz der Bandbreite professioneller Auswahlprozesse kommt es im persönlichen Gespräch regelmäßig zu gefährlichen Illusionen und falschen Beurteilungen beziehungsweise Entscheidungen. Im Folgenden stellen wir Ihnen die häufigsten Wahrnehmungsfehler und unbewussten („Unconscious Biases“) kognitiven Verzerrungen beim Interviewer Bias vor.

Achtung: Hier wirkt der Interviewer Bias

  1. Halo-Effekt

    Der Halo-Effekt (auch „Heiligenschein-Effekt“) wurde von Edward Lee Thorndike entdeckt und beschreibt einen Interviewer Bias, bei dem einzelne Eigenschaften einer Person so dominant wirken, dass sie einen überstrahlenden Gesamteindruck erzeugen. Glänzt eine Bewerberin beispielsweise durch ausgesprochen gute Manieren und Eloquenz, wird sie sofort als kompetenter wahrgenommen. Dasselbe passiert bei körperlicher Attraktivität mit Sympathie.

  2. Horn-Effekt

    Der Horn-Effekt (auch „Teufelshörner-Effekt“) ist das Gegenstück zum Halo-Effekt. Hierbei reicht oft schon eine einzige negative Eigenschaft, ein falsches Wort oder verpatzter erster Eindruck – und dem Bewerber werden auch in anderen Bereichen Defizite unterstellt. Wer beispielsweise besonders dick ist, wird vor allem über seinen Körperumfang wahrgenommen – und steht damit sofort im Generalverdacht maßlos, faul oder willensschwach zu sein.

  3. Rosenthal-Effekt

    Beim Rosenthal-Effekt (auch „Pygmalion-Effekt„) handelt es sich um einen Erwartungs-Bias, eine Art selbsterfüllende Prophezeiung. Liest der Interviewer etwa im Lebenslauf, dass der Kandidat an einer renommierten Elite-Uni studiert hat, hält er ihn für intelligenter oder traut ihm mehr zu. Effekt: Der Bewerber erhält einen Vertrauensbonus.

  4. Ankereffekt

    Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Er „ankert“ alle weiteren Beurteilungen, weil die diesen Eindruck entweder bestätigen – oder mühsam und langsam widerlegen müssen. Kleidung, Begrüßung, Händedruck, Blickkontakt, Smalltalk – all das prägt – und schürt entsprechende Erwartungen bei Personalern. Der Ankereffekt wirkt natürlich auch bei Gehaltsvorstellungen und Gehaltsverhandlung.

  5. Bestätigungsfehler (Confirmation Bias)

    Beim Confirmation Bias handelt es sich um eine der stärken Formen des Interviewer Bias: Der Personaler hört vor allem, was in sein Weltbild passt. Selbst die besten Argumente und cleversten Begründungen – etwa zu Lücken im Lebenslauf – verhallen. Der Interviewer will nur seine erste Einschätzung aus den Bewerbungsunterlagen bestätigt sehen.

  6. Similarity Bias

    Wir alle neigen dazu, andere Menschen positiver zu bewerten, je ähnlicher sie uns sind. Ein vergleichbarer Werdegang, derselbe Geburtsort, gleiche Interessen und Hobbys – all diese Gemeinsamkeiten erzeugen Sympathie und Vertrauen. Natürlich sagen sie über die Eignung des Kandidaten so viel aus wie lange Nasen über Potenz.

  7. Stereotypisierung

    Jeder Mensch hegt seine Stereotypen. Klischees gehören ebenfalls zu unserem Weltbild. Dahinter verbergen sich Annahmen über bestimmte Personengruppen: Männer, Frauen, Alte, Junge, Hell- und Dunkelhäutige, Behinderte… Diese Vorurteile prägen unbewusst das Verhalten in Interviews. So wird bei Frauen häufiger das technische Verständnis hinterfragt; bei Älteren deren Lernwilligkeit.

  8. Affektheuristik

    Nicht wenige Personaler treffen Ihre Entscheidung am Ende nach Bauchgefühl. Sie vertrauen ihrer Intuition und Menschenkenntnis mehr als objektiven Auswahlkriterien. Die eigentliche Entscheidung für oder gegen einen Bewerber wird also „aus dem Affekt“ heraus getroffen – ohne sie zuvor zu validieren.

  9. Overconfidence Bias

    Dieser Interviewer Bias beeinflusst nicht nur die Urteilsfähigkeit. Er macht alle vorherigen noch schlimmer: Der Personaler überschätzt dabei seine eigenen Fähigkeiten – aber kolossal. Der Overconfidence-Effekt ist eng verwandt mit dem Dunning-Kruger-Effekt, bei dem Betroffene das Ausmaß der eigenen Inkompetenz nicht erkennen (wollen). Wer jetzt alle genannten Biases für sich abstreitet, gehört schon dazu.

Tipps für Interviewer: Was tun gegen Voreingenommenheit?

Die Mehrheit der Interviewer geht den Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehlern unbeabsichtigt auf den Leim. Oft auch aus Unwissenheit. Um die Voreingenommenheit der Interviewer zu reduzieren, helfen folgende Tipps:

  • Kriterien
    Definieren Sie vorab relevante Auswahlkriterien und ein klares Anforderungsprofil.
  • Standards
    Strukturieren Sie Ablauf und Fragenkatalog, stellen Sie jedem Bewerber die gleichen relevanten Fragen.
  • Anleitung
    Schulen und trainieren Sie vorab alle beteiligten Interviewer. Zur Professionalität gehört gründliche Vorbereitung.
  • Team
    Führen Sie das Interview nie alleine, sorgen Sie mindestens für eine zweite Meinung.
  • Auswertung
    Protokollieren Sie das Interview und notieren Sie, welche Kriterien erfüllt wurden. Bleiben Sie bei der Bewertung fair und vertrauen Sie nicht allein dem Gedächtnis oder Bauch.

Generell: Setzen Sie auf mehr Diversity in Ihren Teams und der Belegschaft. Vielfalt reduziert automatisch die Voreingenommenheit und eine zu gleiche Auswahl.


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Tipps für Bewerber: Den Interviewer Bias nutzen

Die Tatsache, dass sich Personaler vom Interviewer Bias beeinflussen lassen, sagt noch nichts über dessen Folgen oder Nachteile aus. Bewerber können davon ebenso profitieren. Nutzen Sie also die Macht der Psychologie dahinter und setzen Sie diese gezielt im Bewerbungsgespräch ein:

  • Nutzen Sie den ersten Eindruck

    Überlassen Sie nichts dem Zufall: Seien Sie pünktlich, recherchieren Sie vorab den passenden Dresscode, trainieren Sie Körpersprache und Körperhaltung, überlegen Sie sich gute Eisbrecher und Gesprächseinstiege zum Kennenlernen. Und betonen Sie mittels Komplimenten erste Gemeinsamkeiten. So nutzen Sie bereits Ankereffekt, Halo-Effekt und Similarity Bias zu Ihren Gunsten.

  • Betonen Sie positive Eigenschaften

    Klingt banal, aber beginnen Sie das Gespräch immer mit positiven Selbstaussagen. Niemals mit: „Entschuldigung, ich bin ein bisschen nervös.“ Oder: „Ich möchte, ja nicht prahlen, aber…“ Der Grund: Unser Gehirn kann kein „nicht“ denken: Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten! Woran denken Sie? Genau. Indem Sie negativ einsteigen, ankern Sie Ihr Gegenüber auf diese Eigenschaften. Drehen Sie den Spieß herum und stärken Sie Ihre Stärken, indem Sie diese hervorheben – natürlich mit Fingerspitzengefühl.

  • Beweisen Sie Gruppenzugehörigkeit

    Sie erinnern sich: Wir beurteilen Menschen positiver, die uns ähnlich sind. Oder unserer eigenen Gruppe. Das Unternehmen ist so eine Gruppe. Spielen Sie also mit dem sogenannten Ingroup Bias und suggerieren Sie subtil Zugehörigkeit. Zum Beispiel, indem Sie ein Accessoire (Tuch, Krawatte) in Logo-Farben des potenziellen Arbeitgebers anziehen. Oder bestimmte Vokabeln und Fachausdrücke (von der Unternehmenshomepage) einfließen lassen. Effekt: Sie sehen so aus wie Mitarbeiter, sprechen wie Mitarbeiter? Dann müssen Sie auch ein guter Mitarbeiter sein!


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