Wahrnehmungsfehler: Diese sollten Sie kennen und vermeiden
Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Das gilt besonders für Wahrnehmungsfehler. Wenn Sie die Fallstricke kennen und wissen, wo Ihr Gehirn Ihnen einen Streich spielen möchte, können Sie entsprechend reagieren und den Denkfehler umgehen. Die Liste der Wahrnehmungsfehler, mit denen Sie unterbewusst konfrontiert werden, ist lang. Unsere große Übersicht zeigt die wichtigsten und häufigsten Wahrnehmungsfehler – zusätzlich geben wir Tipps, wie Sie die Denkfallen umgehen…
1. Der Confirmation Bias
Der Confirmation Bias (auch Bestätigungsfehler genannt) besagt, dass Menschen immer dazu neigen, die eigenen Meinungen und Erwartungen zu bestätigen. Dieser Wahrnehmungsfehler beeinflusst unterbewusst die Auswahl und Interpretation von Informationen. Heißt: Sie nehmen vor allem Dinge wahr, die zu Ihren vorgefertigten Ansichten passen. Wer glaubt, dass Flugzeuge nicht sicher sind, wird vermehrt Berichte von Flugzeugabstürzen und technischen Problemen finden. Die zigtausend Flüge, die täglich einwandfrei verlaufen, werden ignoriert.
Die Gefahr des Confirmation Bias liegt im fehlenden Blick über den Tellerrand. Auch Vorurteile werden so gefestigt. Sie können sich nicht entwickeln oder dazulernen. Gegen diesen Wahrnehmungsfehler hilft vor allem ehrliche und kritische Selbstreflexion. Hinterfragen Sie Ihre Ansichten und wie Sie Informationen bewerten.
2. Der Halo-Effekt
Durch den Halo-Effekt (auch Heiligenschein-Effekt oder Überstrahlungseffekt) wird der Wahrnehmungsfehler bezeichnet, wenn einzelne positive Eigenschaften so stark wahrgenommen werden, dass andere (negative) Merkmale nicht bemerkt werden. Gut gekleidete Menschen gelten sofort als eloquent oder intelligent, wer attraktiv ist, wird auch als besonders sympathisch wahrgenommen. Es werden Schlüsse gezogen, die sich aus einem Aspekt eigentlich nicht ableiten lassen. So kann ein falsches Bild einer Person entstehen.
Das passiert auch im Job, wenn aus einem Erfolg der Eindruck eines wichtigen Leistungsträgers entsteht – dabei kann die gute Leistung eine absolute Ausnahme sein. Um diesen Wahrnehmungsfehler zu vermeiden, sollten Sie Eigenschaften voneinander isolieren und einzeln beurteilen.
3. Der Horn-Effekt
Das Gegenteil zum Halo-Effekt ist der sogenannte Horn-Effekt (auch Teufelshorn-Effekt oder Devil Effect). Durch diesen werden einzelne negative Eindrücke verallgemeinert und führen zu einem insgesamt schlechteren Eindruck einer anderen Person. So kann beispielsweise im Vorstellungsgespräch ein einziger (auffälliger) Negativaspekt reichen, um viele andere positive Punkte zu überschatten. Ein weiteres Beispiel sind Tippfehler im Anschreiben. Mit dem Inhalt zu überzeugen, ist fast unmöglich, wenn der Eindruck durch Tippfehler getrübt wird.
Das Ergebnis beim Horn-Effekt ist somit ebenfalls eine verzerrte und oft falsche Einschätzung. Wie beim Halo-Effekt müssen Sie die Verallgemeinerung stoppen. Bewerten Sie nicht nur anhand einer Eigenschaft, sondern achten Sie bewusst auf die vielen anderen Charaktereigenschaften einer Person.
4. Der Mitläufer-Effekt
Den Mitläufer-Effekt hat jeder schon einmal beobachtet. Menschen neigen dazu, sich der Meinung einer großen oder für sie wichtigen Gruppe anzupassen. So entstehen beispielsweise Trends, wenn bekannte Musiker die Kleidung einer bestimmten Marke tragen. Auch der Freundeskreis hat großen Einfluss darauf, was man selbst gut findet. Selbst Wahlen können beeinflusst werden, wenn die Prognosen der möglichen Gewinner veröffentlicht werden. Manche Wähler neigen dann dazu, den Kandidaten zu wählen, der in den Umfragen vorne liegt.
Die großen Nachteile: Sie vertreten keine eigene Meinung und sind leicht manipulierbar. Auch treffen Sie keine eigenen Entscheidungen, sondern machen nur nach, was andere vorgeben. Den Wahrnehmungsfehler überwinden Sie, indem Sie ehrlich und selbstkritisch reflektieren: Ist das wirklich meine Meinung? Finde ICH das wirklich gut – oder sage ich das nur, weil mein Umfeld es gut findet?
5. Der Primär-Effekt
Hinter dem Primär-Effekt (auch Primacy-Effect) verbirgt sich der Wahrnehmungsfehler, dass der Mensch frühere Informationen besser erinnert und höher bewertet als später erhaltene Informationen. Das bekannteste Beispiel: Der erste Eindruck, den wir von anderen haben, hält sehr lange und prägt das gesamte Bild. Der Primär-Effekt wirkt zusammen mit dem oben genannten Confirmation-Bias. Alles, was wir nach dem ersten Eindruck erfahren, wird so interpretiert, dass es die vorherrschende Meinung bestätigt.
Damit geben Sie anderen keine Chance, einen schlechten ersten Eindruck auszugleichen oder einen anfänglichen Fehler gutzumachen. Um den Primär-Effekt zu umgehen, müssen Sie aktiv Ihre erste Einschätzung hinterfragen und Menschen neu beurteilen.
6. Der Rezenz-Effekt
Erstaunlicherweise gibt es auch das genaue Gegenteil zum Primär-Effekt: den sogenannten Rezenz-Effekt (oder Recency-Effect). Einige Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die zuletzt erlangten – also aktuellsten – Informationen über eine Person oder Sache am besten erinnert und am stärksten bewertet werden. Die Meinung wird somit maßgeblich vom ersten, aber auch vom letzten Eindruck geprägt. Das kann ein Vorteil sein, birgt aber auch das Risiko, dass mit dem letzten Eindruck ein zuvor positiven Eindruck versauen.
Das Gegenmittel ist dasselbe wie beim Primär-Effekt. Hinterfragen Sie Ihre Einschätzung kritisch und überlegen Sie, welche Priorität Sie den einzelnen Eindrücken zumessen. Oft ertappen Sie sich dabei, dass das letzte Verhalten eines anderen Ihre gesamte Meinung beeinflusst.
7. Der Current-Moment-Bias
Der Current-Moment-Bias zeigt, dass Menschen weit weniger rational denken und handeln, als sie sich selbst gerne eingestehen. Der Effekt besagt, dass Menschen immer auf die direkte Belohnung aus sind. Daher auch der Begriff „Current Moment“, also aktueller Moment. Wir verzichten auf einen weit größeren, Nutzen, auf den wir noch eine Zeit warten müssen. Für einen sofortigen Nutzen akzeptieren wir hingegen den späteren Frust und die Reue.
Der Klassiker des Current-Moment-Bias: Sie können in der Diät die Finger nicht von der Schokolade lassen oder entscheiden sich spontan für eine größere Anschaffung, die Sie sich eigentlich kaum leisten können. Um nicht in die Falle zu tappen, kann eine Regel helfen: Je wichtiger die Entscheidung, desto länger sollten Sie sich Zeit nehmen, um darüber nachzudenken.
8. Der Framing-Effekt
Der Framing-Effekt demonstriert, wie leicht die Wahrnehmung eines Menschen beeinflusst werden kann. Laut Effekt entscheidet vor allem der Rahmen (aus dem Englischen: frame), wie eine Information verpackt wird, wie der Empfänger darauf reagiert. Ein beliebtes Beispiel für den Framing-Effekt: Ihr Arzt verspricht Ihnen Heilungschancen von 90 Prozent – Sie sind beruhigt und erleichtert. Würde der Arzt hingegen sagen, dass 10 Prozent der Patienten sterben, würden Sie in Panik verfallen.
Es ist dieselbe Information, aber durch den Framing-Effekt wird sie völlig unterschiedlich aufgefasst. Den Effekt können Sie nutzen, wenn Sie selbst Zahlen präsentieren und eine bestimmte Wirkung hervorrufen wollen. Gleichzeitig müssen Sie sich den Wahrnehmungsfehler jedes Mal in Erinnerung rufen, wenn Sie selbst mit Statistiken konfrontiert werden. So fallen Sie nicht so leicht darauf herein.
9. Der Klebeeffekt
Der Klebe-Effekt (auch Status-Quo-Effekt) kann erklären, warum Ihre Karriere stagniert und Sie einfach nicht aufsteigen. Das Phänomen stammt aus der Psychologie und erklärt, dass Mitarbeiter, die schon lange auf einer Position arbeiten, eine immer geringere Chance auf eine Beförderung haben. Mit steigender Berufserfahrung auf derselben Position sinkt die Chance auf einen Aufstieg – die Betroffenen kleben regelrecht an ihrer Stelle fest.
Ursache sind die vorherigen Beurteilungen und Entscheidungen, an denen Personaler festhalten. Sie wurden beim letzten Mal nicht befördert? Dann hatte es sicherlich einen guten Grund und Sie werden erneut übergangen. Die Entscheidung wird nicht hinterfragt und neu getroffen, sondern übernommen. Überwinden können Sie den Klebe-Effekt durch Eigeninitiative. Bringen Sie Ihren Aufstiegswunsch aktiv vor und zeigen Sie, welche Leistungen und Argumente dafür sprechen.
10. Der Projection-Bias
Hinter dem Projection-Bias steht die verbreitete Annahme, dass die eigenen Meinungen und Einstellungen mit denen der Mehrheit identisch sind. Wir projizieren unsere Denkweisen und glauben, dass alle damit übereinstimmen. Das wirkt arrogant, führt dazu, dass eigene Denkweisen nicht kritisch hinterfragt werden und kann zu Konflikten führen.
Gegen den Projection-Bias hilft aufrichtiges Interesse an den Ansichten Ihrer Mitmenschen. Erklären Sie Ihre Meinung nicht zur allgemeingültigen Wahrheit, sondern fragen Sie Ihren Gesprächspartner, was dieser wirklich denkt. Vielleicht bekommen Sie Zustimmung – vielleicht bekommen Sie aber auch einen anderen Standpunkt und damit eine neue Perspektive.
11. Der Hierarchie-Effekt
Haben Sie es einmal auf der Karriereleiter weiter nach oben geschafft, profitieren Sie vom Hierarchie-Effekt. Laut diesem Wahrnehmungsfehler werden Führungskräfte und alle, die in der Unternehmenshierarchie weiter oben stehen, für besonders gut und kompetent gehalten. Diese Einschätzung erfolgt ohne jegliche weitere Information und auch ohne die jeweilige Person überhaupt zu kennen.
Aus der Position leiten wir ab, dass der- oder diejenige gut sein muss und den Aufstieg verdient hat. Mit der Realität hat das nicht immer etwas zu tun. Ebenso unfair ist es anderen Mitarbeitern gegenüber, die schlechter bewertet werden, ohne die tatsächliche Leistung zu berücksichtigen. Hier hilft nur eins: Machen Sie sich ein echtes Bild, statt nur auf die Hierarchieebene zu schauen.
12. Der Similar-to-me-Effekt
Wir umgeben uns gerne mit Menschen, die uns ähnlich sind. Dahinter steht der Similar-to-me-Effekt. Je ähnlicher uns jemand ist, desto sympathischer finden wir die Person auf Anhieb. Dabei reichen anfangs schon einige Gemeinsamkeiten aus, um sofort auf einer Wellenlänge zu sein. Gleicher Kleidungsstil, gleicher Musikgeschmack, denselben Studiengang gemacht, einen ähnlichen Humor – all das verbindet innerhalb kürzester Zeit und ohne die andere Person wirklich zu kennen. Auch, wenn jemand unsere Körperhaltung spiegelt, entsteht Verbundenheit.
Der Effekt kann hilfreich sein, um neue Kontakte zu knüpfen, macht Sie aber auch hochgradig manipulierbar. Wer Sie ausnutzen möchte, braucht nur ein paar Gemeinsamkeiten vorzuspielen. Schon empfinden Sie Sympathie und sind bereit, dem anderen zuzustimmen. Um das Risiko zu minimieren, sollten Sie nichts überstürzen, sondern neue Kontakte erst besser kennenlernen.
13. Der Pygmalion-Effekt
Der Pygmalion-Effekt ist ein psychologisches Phänomen und steht für die enorme Wirkung des Selbstglaubens. Zusammengefasst besagt er: Je mehr Sie von sich überzeugt sind, desto mehr können Sie tatsächlich schaffen und erreichen. Es ist eine Form der selbsterfüllenden Prophezeiung.
Allerdings funktioniert das auch bei anderen und mit einer negativen Einstellung. Hält eine Führungskraft einen Mitarbeiter für inkompetent, wird dieser tatsächlich schlechtere Leistungen bringen. Betroffene übernehmen die negativen Einschätzungen und verhalten sich entsprechend. Sie müssen Ihr Bild von anderen hinterfragen und Ihr Umfeld besser bewerten, um den Pygmalion-Effekt zu überwinden.
14. Der Hindsight-Bias
Haben Sie schon einmal gedacht: Ich hab es doch vorher gewusst…? Dann sind Sie vielleicht Opfer des Hindsight-Bias geworden. Dieser Wahrnehmungsfehler sorgt dafür, dass wir nicht aus unseren Fehlern lernen. Stattdessen behaupten wir im Nachhinein, dass wir schon lange geahnt haben, dass es genauso kommen wird. Beispiel: Sie arbeiten an einem Projekt, das kurz vor Schluss scheitert; oder Sie halten Aktien, deren Wert plötzlich in den Keller stürzt. Statt aus den Fehlern zu lernen, reden Sie sich ein, es vorher gewusst zu haben.
Sie haben aber nichts unternommen, um zu verhindern, dass es passiert. Offensichtlich wussten Sie es also doch nicht. Sie reden sich den eigenen Patzer nur schön. Stoppen Sie den Wahrnehmungsfehler, gestehen Sie sich Ihre Fehler ein und lernen Sie für die Zukunft daraus.
15. Der Benjamin-Franklin-Effekt
Wir mögen Menschen, die uns helfen? Vielleicht, doch noch stärker gilt laut dem Benjamin-Franklin-Effekt: Wir finden Menschen besonders sympathisch, denen wir selbst einen Gefallen getan haben. Sie helfen einem Kollegen im Job? Dann finden Sie den Mitarbeiter im Anschluss gleich netter.
Der psychologische Grund: Wir rechtfertigen das eigene Verhalten, um eine kognitive Dissonanz zu bewältigen. Da wir dem anderen nicht helfen müssten, es aber trotzdem tun, erklären wir die Hilfsbereitschaft mit Sympathie und empfinden diese auch gleich.
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