Bedeutung: Was ist mit Ad-hominem-Angriff gemeint?
Der Begriff Ad-hominem-Angriff bezeichnet eine Taktik während eines Streits oder einer Diskussion. Er geht auf das lateinische Argumentum ad hominem zurück, auf Deutsch etwa: „Beweisrede gegen den Menschen“, „Beweisführung (bezogen) auf den Menschen“.
Auffälligstes Merkmal dieser Argumentationsweise ist, dass der Argumentierende nicht auf den Sachverhalt eingeht, sondern stattdessen den Menschen an sich angreift. Vorläufiges Ziel des Ad-hominem-Angriffs ist, den Gegner zu diskreditieren, ihn in Verruf zu bringen. Daher existiert für diese Form des Ad-hominem-Angriffs mitunter die Bezeichnung Argumentum ad personam. Durch die beschädigte Reputation erscheint der Mensch als Ganzes plötzlich fragwürdig und damit auch seine Argumentation. So erreicht der Angreifer sein eigentliches Ziel, nämlich die Diskussion für sich zu entscheiden.
Aufbau eines Ad-hominem-Angriffs
Der Ad-hominem-Angriff ist im Prinzip immer gleich aufgebaut:
- Person 1 sagt ABC.
- Person 2 sagt über Person 1, dass sie dumm / hässlich / inkompetent / gefährlich sei.
- Das Argument ABC von Person 1 ist somit null und nichtig. Person 2 hat „gewonnen“.
Das funktioniert natürlich nur, wenn potenzielle Zuhörer oder Diskussionsteilnehmer auf diese Taktik hereinfallen. Denn selbst wenn die Vorwürfe zu Person 1 alle zutreffen, haben sie mit der zuvor getätigten Aussage nichts zu tun. Ein Ad-hominem-Argument kann also bezogen auf die Person wahr sein – und ist dennoch ein Trugschluss.
Die Stichhaltigkeit einer Aussage steht schließlich für sich und ist nicht abhängig von demjenigen, der sie vorträgt. Das gilt sogar, wenn derjenige sonst als Lügner bekannt ist: Zwar sollte man seine Aussage überprüfen. Grundsätzlich muss sie aber nicht falsch sein.
5 verschiedene Arten von Ad-hominem-Angriffen
Meinungsverschiedenheiten sind so alt wie die Menschheit. Schon in der Antike bedienten sich berühmte Philosophen verschiedener rhetorischer Mittel, um andere zu überzeugen. Im Laufe der Zeit haben verschiedene Philosophen sich mit dem Argumentum ad hominem beschäftigt. So lassen sich verschiedene Formen unterscheiden:
1. Missbräuchliches Ad-hominem
Häufig ist der direkte Ad-hominem-Angriff missbräuchlich, da er das Gegenüber einfach auf persönlicher Ebene beleidigt. Oft konnte der Kontrahent bis dahin nicht mit Argumenten überzeugen, nun nimmt der Frust darüber Überhand. Der kanadische Theoretiker Douglas Neil Walton differenziert beim missbräuchlichen Ad-hominem-Argument zwischen fünf weiteren Unterformen. Diese sind jeweils abhängig von der eigentlichen Persönlichkeit und Fähigkeit des Kontrahenten, ein gültiges Gegenargument zu liefern.
Beispiel
„Weil Herr / Frau eine krumme Nase und wirre Haare hat, kann die getätigte Aussage nicht stimmen!“
2. Tu quoque
Bedeutet übersetzt: „Du auch“. Nur weil Person A beispielsweise nicht immer konsequent den Müll trennt, darf sie dennoch Umweltverschmutzung anprangern. Anders ausgedrückt: Zwei Fehler machen kein Recht. Bei diesem Ad-hominem-Angriff greift der Kontrahent jemand anderen wegen ähnlicher Vergehen an. Dieses Ablenkungsmanöver kommt bei scheinbaren Widersprüchen vor.
Beispiel
Die rauchende Mutter ermahnt ihre Kinder, nicht mit dem Rauchen zu beginnen, weil es gesundheitsschädlich sei. Daraufhin antworten die Kinder: „Aber du rauchst doch auch?!“
3. Performatives Ad-hominem
Das performative oder umständliche Ad-hominem-Argument lehnt eine bestimmte Haltung ab. Dazu stellt der Kontrahent die Motive der Person infrage, die diese unterstützt. Oft stützt sich dieser Ad-hominem-Angriff auf den Widerspruch zwischen Verhalten einer Person einerseits und deren Aussage andererseits.
Beispiel
Eine Umweltaktivistin spricht sich gegen Flüge aus, aber fliegt selbst. Klimaleugner machen ihr dies zum Vorwurf. Es handelt sich um einen unberechtigten Ad-hominem-Angriff, da die Umweltaktivistin a) mit ihrem Hinweis auf die Klimaschädlichkeit wissenschaftlich korrekt liegt b) nur Fernstreckenflüge zu einer Klimakonferenz (höheres Ziel) nutzt, sich aber vor allem gegen Interkontinentalflüge ausspricht.
4. Genetisches Ad-hominem
Hier greift der Kontrahent die Ursprünge eines Sachverhalts oder Arguments an. Eine inhaltliche Auseinandersetzung vermeidet er, indem er auf bestehende – meist negative – Sichtweisen aufmerksam macht.
Beispiel
Ein stadtbekannter Neo-Nazi klagt den örtlichen Bauern der Tierquälerei an. Ein Ad-hominem-Angriff wäre nun, wenn der Bauer dem Neo-Nazi im Streit seine politische Gesinnung vorwirft, ohne auf die eigentliche Anklage einzugehen: Er spricht ihm damit das Recht ab, sich zur Tierhaltung äußern zu dürfen.
5. Brunnenvergiftung
Als Brunnenvergiftung bezeichnet man einen Ad-hominem-Angriff, bei dem jemand präventiv einen anderen diskreditiert, noch bevor dieser die Chance hatte, seine Position darzulegen. Die Brunnenvergiftung ist somit häufig eine Unterstellung.
Beispiel
„Bevor Herr Müller gleich seine Ausführungen zum Flughafenausbau darlegt, möchte ich kurz auf die damit verbunden Steuererhöhungen eingehen, die er Ihnen, verehrtes Publikum, verschweigen will.“
Wirkungsweise beim Ad-hominem-Angriff
Der Ad-hominem-Angriff ist immer ein personenbezogenes Argument. Vom Standpunkt der Rhetorik aus betrachtet ist es ein Scheinargument. Denn inhaltlich findet keine Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Thema statt. Die Philosophie sieht das Argumentum ad hominem sogar als logischen Fehlschluss, da der Sprecher weder auf das vorherige Argument selbst eingeht noch es argumentativ entkräftet. Sein Ad-hominem-Angriff gaukelt Relevanz vor, indem es auf persönliche Merkmale (Aussehen, Charakter, Eigenschaften) abzielt. Somit ist seine Argumentation sowohl formal als auch inhaltlich falsch.
Wird das Gegenüber angegriffen, gerät es automatisch in eine Verteidigungsposition: Statt sich mit dem ursprünglichen Thema weiter auseinandersetzen zu können, muss es auf einmal zur eigenen Person beziehungsweise zum Angriff Stellung nehmen. Oft sind Ad-hominem-Angriffe unfair und polemisch. Sie unterstellen mangelndes Wissen und entwerten das Gegenüber. So haben sie schnell den Charakter einer Beleidigung und können leicht zur Konflikteskalation beitragen.
Red Herring: Argumentum ad hominem lenkt ab
Beim Ad-hominem-Angriff handelt es sich um ein Ablenkungsmanöver, das im Englischen auch als Red Herring („roter Hering“) bekannt ist. So bezeichnet der amerikanische Philosoph T. Edward Damer den Versuch eines Diskussionsteilnehmers, seine eigentlich schwächere Position zu vertuschen, indem er die Aufmerksamkeit auf eine Nebensächlichkeit lenkt. Die Bezeichnung geht auf eine Praxis bei der Jagd zurück: Mit einem stark riechenden roten Hering ließen sich Jagdhunde gezielt von der Fährte weglocken und in die Irre führen.
Beispiele für ein Ad-hominem-Argument
Ein Ad-hominem-Angriff rückt für die eigentliche Diskussion irrelevante Aspekte – beispielsweise Äußerlichkeiten oder Ticks – in den Vordergrund. Ein Ad-hominem-Argument wäre zum Beispiel folgendes:
- „XY kann keine Ahnung von diesem Bereich haben, da er bereits bei Projekt ABC in der anderen Abteilung versagt hat.“
- „Sich über Massentierhaltung beschweren, aber selbst Fleisch essen.“
- „Person B weiß gar nicht, was echte Liebe ist – schließlich ist sie schwul!“
- „Sie haben nicht Medizin studiert, also können Ihre Aussagen zur Virologie nur Unsinn sein.“
Bloß weil aber eine Qualifikation fehlt, ist die zuvor vorgetragene Aussage nicht zwangsläufig weniger stichhaltig. Selbst wenn sich andere Aussagen in der Vergangenheit als falsch erwiesen haben, kann diese eine völlig korrekt sein. Auch widersprüchliches Verhalten einer Person hat nichts mit dem eigentlichen Argument zu tun: Sobald jemand beispielsweise den Gegner der Massentierhaltung des Widerspruchs bezichtigt, führt er einen Ad-hominem-Angriff aus. Denn für den eigentlichen Inhalt ist dieser Hinweis irrelevant.
Tipps: So wehren Sie sich
Einen Ad-hominem-Angriff als solchen zu entlarven, ist eine Herausforderung. Häufig tappen Angegriffene in die Falle, dass sie darauf eingehen und sich verteidigen – ein Fehler! Vom französischen Maximilien de Robespierre stammt das Zitat: „Wer sich verteidigt, klagt sich an.“ Und genau das passiert, wenn Sie sich verteidigen: Irgendetwas von dem unberechtigten Vorwurf bleibt – zumindest in der Erinnerung der Zuhörer – hängen. Und diese beginnen sich zu fragen, ob nicht doch etwas dran sein könnte. Inhaltlich ist deren Aufmerksamkeit nun bei einer ganz anderen Sache.
Stattdessen sollten Sie folgendermaßen reagieren:
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Ruhe bewahren
Oft ist die Situation von starken Gefühlen geprägt – weshalb auch der Kontrahent die Sachebene verlässt. Emotionen können aber den Verstand vernebeln. Daher erst einmal tief durchatmen und die Ruhe bewahren, bevor Sie antworten.
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Taktik benennen
Den Zuhörern oder anderen Außenstehenden mag es nicht aufgefallen sein, aber das Ad-hominem-Argument ist ein mieser Trick: In Wirklichkeit fehlen Ihrem Kontrahenten sachliche Argumente. Deshalb muss er auf persönlicher Ebene angreifen. Benennen Sie genau das, erklären Sie die Taktik und den erwünschten Effekt.
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Thema betonen
Lenken Sie zurück auf das eigentliche Thema. Was auch immer der Angreifer vorgetragen hat: Betonen Sie, dass der Inhalt Ihrer Aussage das Thema ist und nicht irgendwelche Nebenbaustellen. Fordern Sie eine sachliche Auseinandersetzung damit.
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Konter entgegnen
Je nach Kaliber des Gegners zahlt es sich aus, wenn Sie mit Schlagfertigkeit kontern. Das gelingt beispielsweise durch Umdeutung (absichtlich etwas zu seinen eigenen Gunsten falsch verstehen) oder Ironie.
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Angriff ignorieren
Inmitten einer Präsentation kann es unter Umständen sinnvoll sein, einen Ad-hominem-Angriff geflissentlich zu ignorieren. Beispielsweise um nicht den Faden zu verlieren oder eine Diskussion nicht abzuwürgen. Das kann auf Ihr Konto und Ihre Persönlichkeit einzahlen, da Sie sich nicht auf das Niveau des Angreifers begeben.
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Angriff bestätigen
Umgekehrt können Sie den Ad-hominem-Angriff (vorgeblich) bestätigen, indem Sie beispielsweise erwidern: „Mir ist klar, dass Sie diese Angelegenheit so verstehen. Das tut hier aber nichts zur Sache, daher komme ich auf das eigentliche Thema zurück.“
Vorgehen auf Beteiligte abstimmen
Ad-hominem-Angriffe kommen immer wieder auf der politischen Bühne vor, aber auch im Privatleben und im Arbeitsalltag. Grundsätzlich gelten die obigen Tipps für alle Bereiche, in denen Menschen aufeinandertreffen. Je nachdem kann es aber sinnvoll sein, etwas mehr Fingerspitzengefühl beim Gegner walten zu lassen. Dann nämlich, wenn Sie dieser Person häufiger begegnen werden oder eine weitere Zusammenarbeit planen.
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