Zeitgefühl: Darum vergeht die Zeit im Alter schneller

Unser Zeitgefühl ist relativ. Das erkannte schon Albert Einstein und sinnierte dazu humorvoll: „Wenn man 2 Stunden mit einem Mädchen zusammensitzt, meint man, es wäre eine Minute. Sitzt man aber eine Minute auf einem heißen Ofen, meint man, es wären 2 Stunden.“ Unser Zeitgefühl hängt nicht nur davon ab, was wir tun. Mit steigendem Alter haben viele Menschen das Gefühl, die Zeit würde schneller vergehen. „Stimmt!“, sagen Wissenschaftler und haben auch eine Erklärung, warum sich die Zeitwahrnehmung im Alter verändert…

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Zeitgefühl: Zeit ist nicht immer gleich

Zeit ist eine messbare und konstante Einheit. Eine Sekunde ist eine Sekunde, ein Tag ist ein Tag. Daran ist nicht zu rütteln. Wie diese Zeit individuell empfunden wird, das ist unser Zeitgefühl (auch: Zeitwahrnehmung) – und darin können große Unterschiede bestehen.

Auch umgangssprachlich zeigt sich das unterschiedliche Zeitgefühl in Redewendungen wie: „Kinder, wie die Zeit vergeht!“ Die Zeit vergeht „wie im Fluge“ oder „Ich habe das Gefühl, die Zeit würde stillstehen.“ In einer Warteschlange zum Beispiel.

Zeitfaktoren und Zeitgefühl

Das persönliche Zeitempfinden ist launisch und hängt von zahlreichen Faktoren ab, die wir aber zum Teil beeinflussen können:

  • Tätigkeit: Was mache ich?
  • Stimmung: Wie fühle ich mich?
  • Umfeld: Mit wem bin ich zusammen?

Sogar ob wir erholt und ausgeschlafen oder erschöpft sind, beeinflusst die Zeitwahrnehmung. Das kann zum Beispiel jede(r) auf der Arbeit und an sich beobachten: Sind wir topfit, gut gelaunt und haben nette Kollegen, vergeht die Arbeit wie im Flow. In allen anderen Fällen ziehen sich die Stunden wie Kaugummi unter einer Schuhsohle.

Tatsächliche und empfundene Zeit

Wissenschaftler unterscheiden heute zwischen tatsächlicher Zeit und empfundener Zeit. Zwar ticken die Uhren für jeden gleich schnell, allerdings fühlt sich das für die Menschen verschieden an. Besonders mit steigendem Alter wird dieser Effekt bemerkt.

Die Jugend schien endlos zu sein. Ein Jahr war eine Ewigkeit. Rückblickend waren die Zeiträume der jungen Jahre viel länger. Im Alter dagegen ziehen die Jahre nur so ins Land: Gerade noch haben wir den 50. Geburtstag gefeiert, da wird schon der 60. geplant. Weshalb viele fragen:

Wo ist nur die Zeit geblieben?

Kann ich die Zeit anhalten?

Die Frage ist natürlich metaphorisch gemeint. Aber es gibt Momente, in denen wir uns wünschen, die Zeit würde stillstehen. Weil das Zeitgefühl eng mit dem Körpergefühl verknüpft ist, gibt es hierfür zwei Tricks: Erleben Sie den Moment intensiv und mit allen Sinnen (siehe: Achtsamkeit) – und machen Sie davon eine mentale Momentaufnahme. Speichern Sie möglichst viele Sinneseindrücke davon, sodass Sie diese immer wieder abrufen können.


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Doppler-Effekt: Warum wirkt die Zukunft näher?

Ereignisse, die in der Zukunft liegen, kommen uns näher vor, als jene aus der Vergangenheit. Eugene Caruso von der Universität von Chicago nennt das den „zeitlichen Dopplereffekt“ – nicht zu verwechseln mit dem akustischen Dopplereffekt aus der Physik. Der beschreibt das Phänomen, dass das Martinshorn auf einem Rettungswagen höher klingt, wenn der Krankenwagen auf einen zufährt und tiefer, wenn er von einem wegfährt.

Mit der subjektiven Wahrnehmung von Zeit ist aber genauso: Was vor uns liegt, wirkt kurz; was hinter uns liegt, lange her. Wir bewerten Vergangenheit und Zukunft ungleich. In der Studie kam den Teilnehmer zum Beispiel der bevorstehende Valentinstag sehr nahe vor – eine Woche danach war er schon „eine lange Zeit“ her…

Das erklärt zum Beispiel auch, warum uns der vergangene Urlaub so schnell so weit weg erscheint oder warum wir am Mittwoch schon das Gefühl haben, die Woche ist so gut wie rum. Dabei ist das künftige Wochenende am Mittwoch genauso weit entfernt, wie das vergangene.

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TIPP: Von dem zeitlichen Doppler-Effekt können Sie sogar profitieren. Falls Ihnen die Deadline gefühlt viel zu nahe und drängend erscheint, korrigieren Sie Ihre Wahrnehmung: Oft bleibt noch genug Zeit. Statt also in hektischen Aktionismus zu verfallen und Fehler zu machen, bleiben Sie ruhig, strukturiert und organisiert.

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Warum vergeht die Zeit im Alter schneller?

Das Zeitgefühl verändert sich mit steigendem Alter und vergeht gefühlt schneller. Das ist inzwischen wissenschaftlich durch zahlreiche Studien belegt. Aber warum? Dazu gibt es inzwischen zwei Erklärungen:

1. Reizverarbeitung

Die erste stammt von Adrian Bejan, Professor an der Duke Universität. Er erklärt die verkürzte Wahrnehmung der Zeit im Alter durch eine veränderte Reizverarbeitung: In der Kindheit, Jugend und im jungen Erwachsenenalter erfasst und verarbeitet das Gehirn mehr Eindrücke in kurzer Zeit, es wird eine Vielzahl „mentaler Bilder“ erzeugt. Die hohe Anzahl der Eindrücke verlängert die Zeitwahrnehmung.

Mit dem Alter werden weniger Reize verarbeitet, das Gehirn wird langsamer, die fluide Intelligenz nimmt ab, und ein Zeitraum scheint schneller zu vergehen. Es besteht ein umgekehrt proportionales Verhältnis zwischen Reizverarbeitung und empfundener Zeit.

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2. Erinnerungen

Ähnliche argumentiert der deutsche Psychologe Marc Wittmann. Er sieht aber vor allem die Erinnerungen als Ursache für das schnellere Zeitgefühl im Alter. Neue Erfahrungen und Dinge, die wir zum ersten Mal erleben, brennen sich tief ins Gedächtnis ein, samt Details.

Das betrifft vor allem alle „ersten Male“ – und davon gibt es in der Jugend zahlreiche: erster Schultag, erste Liebe, erster Kuss, erste Ausbildung, erster Job, erste Wohnung, erstes Kind, … Je höher das Alter, desto weniger wird wirklich Neues erlebt. Die Erinnerungen sind weniger einprägsam und größere Zeitabschnitte werden zusammengefasst oder ganz aus dem Gedächtnis gelöscht. Rückblickend wirken die jungen Jahre dadurch länger als die Jahre im Alter.

Welche Rolle spielt das Glückshormon Dopamin?

Versuche mit Ratten zeigen dass das Glückshormon Dopamin unser Zeitempfindung ebenfalls beeinflusst. Erleben wir etwas Schönes oder eine tiefe Befriedigung, wird Dopamin ausgeschüttet – und die Zeit scheint nur so zu verfliegen. Forscher glauben daher heute, dass das Hormon den Takt unserer inneren Uhr mitbestimmt (Dopamin-Uhr-Hypothese).


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Kann ich mein Zeitgefühl verändern?

Auch Routinen tragen dazu bei, dass die Zeit im Alter schneller vergeht. Alles schon mal dagewesen, wir beherrschen Abläufe und Alltag. Und genau an diesem Punkt können Sie ansetzen, um Ihr Zeitgefühl zu verlangsamen!

Der einfachste Weg: Brechen Sie aus dem Alltag und der Komfortzone aus. Schaffen Sie neue, starke Erinnerungen, die langfristig im Gedächtnis bleiben, und sorgen Sie auch im Alter für mentale Abwechslung, tiefe Eindrücke, neue Erfahrungen und erste Male. Zum Beispiel:

  • Neue Sprache lernen
  • Andere Länder bereisen
  • Fremde Städte kennenlernen
  • Anderes Hobby suchen
  • Neue Menschen kennenlernen
  • Wohnung neu einrichten

Was kann ich tun, damit mir die Lebenszeit nicht davonrennt?

Zusätzlich kann es helfen, wenn Sie im Alter Ihr Gehirn auf Trab halten und so die Reizverarbeitung steigern. Geben Sie dem Denkapparat etwas zu tun – mit Gehirnjogging, Brainteasern oder neuen Hobbys und Freunden, die Sie auch mal herausfordern dürfen…

Sie wissen doch: Erst Stillstand ist der Tod!


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