Der Anchor-Effekt verändert den gefühlten Wert
Kennen Sie den Anchor-Effekt? Auf deutsch auch: Anker-Effekt. Lassen Sie mich diesen Psychoeffekt anhand eines Beispiels demonstrieren. Mithilfe der simplen Frage:
In welchem Alter starb Mahatma Gandhi?
Ich gehe mal davon aus, dass die meisten von Ihnen den Asketen und Revolutionär Mahatma, oder genauer: Mohandas Karamchand Gandhi kennen.
Allerdings würde nun ich einen Teil von Ihnen fragen:
Starb Gandhi vor oder nach seinem 9. Lebensjahr?
Die zweite Hälfte würde ich wiederum fragen:
Starb Gandhi vor oder nach seinem 140. Lebensjahr?
Selbst wenn Sie nicht wissen wie alt Gandhi wirklich wurde (er starb im Alter von 78 Jahren bei einem Attentat), sind die Fragen offensichtlich ziemlich idiotisch:
- Erstens wird ein Revolutionär mit Sicherheit älter als 9 Jahre geworden sein.
- Umgekehrt sind nur wenige Menschen 140 Jahre alt geworden (Methusalem vielleicht).
Also was sollen diese Fragen?
Und genau an der Stelle kommt der Anchor-Effekt ins Spiel..
Fritz Strack und Thomas Mussweiler haben den Effekt mit dieser und anderen Fragen untersucht („Explaining the enigmatic anchoring effect: Mechanisms of selective accessibility“). Als sie die Probanden anschließend fragten, was sie glauben, wie alt Gandhi wirklich wurde, dann antworteten diese so:
- Die erste Gruppe (vorher gefragt: älter als 9) schätzte das Alter im Schnitt auf 50 Jahre.
- Die zweite Gruppe (vorher gefragt: jünger als 140) schätzte das Alter im Schnitt auf 67 Jahre.
Zwar beides falsch – aber ein enormer Unterschied! Voilà, der Anchor-Effekt. Mit einer simplen (und dämlichen) Frage, verändert sich unsere gesamte Einschätzung, ja sogar das Gefühl für einen Wert!
Anchor-Effekt: Unser Gehirn sucht nach Fixpunkten
Von dem Verhaltensökonomen Dan Ariely wiederum stammt das folgende Experiment: Er versteigerte Weinflaschen.
Zuvor allerdings ließ er seine Probanden die letzten beiden Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer auf einen Zettel schreiben und fragte sie, ob Sie bereit wären, den Wein zu diesem Preis zu kaufen.
Man sollte meinen, dass dieser völlig willkürliche Preis keinerlei Effekte hat. Hatte er aber:
- Studenten mit einer kleinen Endziffer waren bereit im Schnitt 8,64 Dollar für den Rebsaft zu bezahlen.
- Wer hingegen zuvor eine große Zahl notiert hatte, gab für den Wein im Schnitt 27,91 Dollar aus.
Um den Wert einer Sache bemessen zu können, sucht unser Gehirn nach Vergleichswerten. Findet es diese nicht, reicht ihm zur Not auch eine völlig aus der Luft gegriffene Zahl als Bezugspunkt.
Dass das so ist, bewiesen auch die Psychologen Clayton R. Critcher und Thomas Gilovich: Gäste eines Restaurants mit dem Namen „Studio 97“ gaben darin durchschnittlich 8 Dollar mehr aus als die Gäste des Restaurants namens „Studio 17“.
Was lässt sich gegen den Anchor-Effekt tun?
Alle Beispiele und Experimente stellen natürlich wissentliche Manipulationen dar. Aber eben auch besonders effektive gegen die nur wenig hilft. Immobilienhändler, Autoverkäufer, überhaupt Händler setzen regelmäßig auf die subtile Kraft dieses Entscheidungsdeffekts.
Ihn zu kennen, ist schon mal ein guter Ansatz, dem Anchor- beziehungsweise Anker-Effekt künftig seltener auf den Leim zu gehen.
Was auch hilft: Expertentum.
Wer sich mit einer Sache auskennt und weiß, was ein bestimmtes Produkt wert ist oder eine Dienstleistung üblicherweise kosten darf, kann mit solchen Anker-Fragen kaum manipuliert werden.
Eine dritte Alternative ist, noch mehr Vergleichsangebote und damit Zahlen einzuholen. So relativiert sich die Wirkung des anfänglichen Ankers.
Oder aber Sie setzen zur Gegenwehr an und nutzen Ihrerseits den Anker-Effekt – zum Beispiel bei der nächsten Gehaltsverhandlung.
Laut einer Untersuchung von Todd Thorsteinson von der Universität von Idaho, hat die bei Gehaltsverhandlungen anfangs genannte Zahl (das sogenannte Eröffnungsgebot) – egal, wie irrwitzig sie ist – enormen Einfluss auf das später vereinbarte Gehalt.
Oder kurz: Willst du viel, verlange viel!