Warum alle Menschen die Guten hassen
„Die meiste Zeit mögen wir die Helfer, die Guten. Wir mögen es, wenn die bösen Jungs ihre Strafe bekommen, und wenn die, die nicht mithelfen, bestraft werden“, sagt Psychologie-Professor Pat Barclay von der University of Guelph in Kanda. „Aber manchmal sind es auch die Helfer, die bestraft werden. Die Leute hassen die wirklich Guten.“
Der Groll auf die Gutmenschen – im Englischen nennt man das auch Do-gooder Derogation. Die Gutmenschen schlecht machen, so könnte man das übersetzen. Gutmensch ist hier aber weniger ein politischer Kampfbegriff, sondern eine Umschreibung für den Nice Guy. Hilfsbereit, nett, leistungsstark und leistungswillig.
Das Phänomen ist länder- und kulturübergreifend. Und es gab es schon immer. Selbst in Jäger-und-Sammler-Kulturen sollen die besten Jäger mitunter davon abgehalten worden sein, die Gruppe zu dominieren. „In vielen dieser Gesellschaften verteidigen die Menschen ihren Status als Gleichwertige, indem sie jemanden zu Fall bringen, der möglicherweise über alle anderen herrschen könnte“, sagt Barclay.
Interessant aber: Heute ist dieses Verhalten in Gesellschaften, in denen Zivilgesellschaft und Rechtsstaatlichkeit schwach ausgeprägt sind, häufiger anzutreffen.
In einer Untersuchung verglich die Uni Nottingham das Verhalten der Menschen in 16 Städten auf der ganzen Welt. In autoritären oder konservativen Regionen war der Groll auf die Guten deutlich stärker ausgeprägt: in Maskat im Oman, Riad in Saudi-Arabien, Dnipro in der Ukraine, Minsk, Istanbul, aber auch in Seoul und Athen. Die Guten und Gerechten mussten hier stets mit der Rache der bösen Buben rechnen, mit der Folge, dass die Kooperation untereinander immer stärker abnahm.
In anderen Städten entlud sich der Hass auf die Do-Gooders nicht so stark, vor allem im Westen: Boston, Melbourne, Nottingham, St. Gallen, Zürich, Bonn, Kopenhagen und Chengdu in China. Die faulen Äpfel fügten sich gewissermaßen, ordneten sich unter, akzeptierten ihre Stellung. Die Kooperationsbereitschaft blieb dadurch auf einem relativ hohen Niveau.
Wie Menschen mit den Guten umgehen
Das alles erklärt aber nur bedingt, warum wir die Guten hassen. Sie sind doch eigentlich ein Segen, leisten viel, helfen viel, bringen der Allgemeinheit Vorteile.
Die einfache Antwort lautet: Die Guten lassen den Rest schlecht aussehen. Der Streber in der Schule wertet die Leistungen der Mittelmäßigen indirekt ab. Der Workaholic, der täglich zwei Überstunden schiebt, degradiert seinen Kollegen, der „nur“ zwei Überstunden pro Woche einlegt, zum Faulpelz.
Der direkte Vergleich ist, was zählt. Das kennt man auch aus anderen Zusammenhängen. Darum gibt es in Deutschland so viele Menschen, die in Armut leben. Viele Hartz IV-Bezieher sind tatsächlich arm – solange man sie mit ihren Mitbürgern vergleicht. Vergleicht man sie mit dem Rest der Welt, sind sie es nicht mehr.
Ein ganz normaler junger Mann wäre unter Knackis der Tugendbolzen schlechthin. Steckt man ihn in ein Priesterseminar, mutiert er womöglich blitzschnell zum schwarzen Schaf. Ein Umweltaktivist würde im Ölkonzern jeden nerven, bei Greenpeace aber nur einer von vielen sein.
Für all die, die im Vergleich mit den Tugendhaften abfallen, gibt es nun zwei Optionen:
- Sie können ihre Bemühungen verstärken, um zu den Guten aufzuschließen und mitzuhalten.
- Oder sie können die Guten von ihrem Sockel stoßen.
Variante 1 ist mühsam und anstrengend, Variante 2 schon deutlich bequemer. Schließlich gibt es viele Mittel und Wege, um den Wohlmeinenden gepflegt in die Parade zu fahren.
Man könnte sie diskreditieren, indem man ihnen unredliche Motive unterstellt. „Das tust du ja nur, weil du dir Vorteile erhoffst!“ Oder sie als Heuchler attackieren. „Jaja, immer schön den Tierschützer spielen und kein Fleisch essen, aber dafür Lederschuhe tragen!“
Oder aber, man bestraft sie auf banale und zutiefst menschliche Art und Weise, durch persönliche Angriffe und Beleidigungen, Abwertungen, Lästereien und sonstige Gemeinheiten.
Warum sich Hass auf die Guten auszahlt
Und jetzt der springende Punkt: Das funktionert blendend!
In einem Experiment ließen Pat Barclay und sein Team mehrere Probanden ein Wirtschaftsspiel spielen, das in der Wissenschaft als Öffentliche-Güter-Spiel bekannt ist. Die Teilnehmer konnten dabei Geld für ein öffentliches Gut spenden, das allen zugute kam, oder das Geld für sich behalten. Und sie konnten andere Mitspieler durch eine Zahlung bestrafen.
Später wurde ein Beobachter ausgewählt, der einsehen konnte, wie viel jeder für das Gemeinwohl spendete. Er sollte daraufhin einen Partner für eine andere, attraktive Aufgabe auswählen. Die Folge: Alle in der Gruppe verhielten sich nun spendabler und kooperativer, immerhin wollten sie zum Teamkamerad auserkoren werden.
Und: Die größten Unterstützer des Gemeinwohls erhielten nun wesentlich mehr Strafen von ihren Mitspielern als zuvor. Denn soziale Vergleiche waren nun, da es einen direkten Wettbewerb untereinander gab, umso wichtiger geworden. Es hagelte nun fünfmal mehr Abstrafungen für die Redlichen als vorher.
Und überaus wirksam waren sie auch noch. Sie ließen die Guten tatsächlich schlecht aussehen, hatten maßgeblichen Einfluss auf die Wahl des Beobachters. Der Hass auf die Guten, er hatte gesiegt.
Warum die Guten letztlich doch gewinnen
Sollten wir also – zu unserem eigenen Besten – das Gutsein gut sein lassen? Nein.
Teamfähigkeit und Kooperationsvermögen sind Tugenden, die in jeder Stellenanzeige abgefragt werden. Wer sich als Ego-Zocker entpuppt, bekommt früher oder später Schwierigkeiten. Das sind keine Phrasen. Sogar Footballspieler profitieren von guten Charakterzügen.
Zum Beispiel Jugendspieler in den USA, die vor der NFL-Draft stehen, bei der die Profi-Teams die besten Nachwuchsspieler des Landes reihum auswählen. Schon ein paar Presseartikel, in denen ihre gute Arbeitsmoral, ihr ehrenamtliches Engagement oder ihre Mentorenschaft für einen Mitspieler hervorgehoben werden, genügen, um einem Jungspund Gehaltsvorteile von über 100.000 Dollar allein im ersten Profi-Jahr zu bescheren. Das hatte die University of Central Florida 2016 ausgerechnet.
NFL-Manager lieben die Guten. Von den Bösen gibt es einfach schon viel zu viele…
Wie wir die Guten beschimpfen
Hassen wir die Guten überhaupt? Ja, tun wir. Schon unsere Sprache entlarvt uns. So viele abwertende Bezeichnungen für Menschen, die doch eigentlich nur das Beste wollen. Beispiele gefällig?
- Moralprediger
- Gutmensch
- Biedermann
- Moralapostel
- Tugendbold
- Weltverbesserer
- Streber
- Ehrgeizling
- Karrierist
- Musterknabe
- Musterschüler
- Schwiegermuttertraum
Zur Beruhigung sei aber gesagt: Uncharmante Bezeichnungen für die Bösen gibt es noch wesentlich mehr…
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