Was ist Lernen durch Erfahrung?
Lernen durch Erfahrung (auch: erfahrungsbasiertes Lernen) ist ein didaktisches Modell und geht davon aus, dass Wissen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen erst durch praktische Auseinandersetzung – also eigenes Tun, Erleben oder Ausprobieren – erworben werden.
Nach diesem Konzept nehmen Menschen Informationen nicht passiv durch Zuhören oder Lesen auf, sondern müssen aktiv lernen durch Erfahrungen. Synonym wird auch von Erfahrungslernen, Lernen durch Handeln oder Learning by Doing gesprochen.
Lernen durch Erfahrung: 4 Schritte nach Kolb
Das Gehirn verarbeitet Erlebnisse intensiver, wenn mehrere Sinne gleichzeitig beteiligt sind. Beim praktischen Handeln entstehen starke neuronale Verknüpfungen, die Informationen besser im Langzeitgedächtnis verankern.
Ausprobieren alleine reicht aber noch nicht für Lernen durch Erfahrung. Der US-amerikanische Bildungstheoretiker David Kolb entwickelte ein Modell aus vier notwendigen Schritten für erfahrungsbasiertes Lernen:
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Konkrete Erfahrung
Der erste Schritt im erfahrungsbasierten Lernen ist die konkrete und selbstgemachte Erfahrung. Sie probieren etwas Neues aus und nutzen dafür Ihr bisher vorhandenes Wissen und Ihre aktuellen Kenntnisse.
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Beobachtung und Reflexion
Sie beobachten die gemachte Erfahrung und denken über Ihr Handeln sowie das Ergebnis nach. Bei dieser Reflexion hinterfragen Sie das Erlebte, suchen nach möglichen Ursachen und betrachten verschiedene Perspektiven.
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Abstrakte Konzeptualisierung
Im dritten Schritt kommt es zum tatsächlichen Lernen durch Erfahrung. Sie verallgemeinern die Beobachtungen sowie Erfahrungen und können diese dann auch auf andere Bereiche anwenden. Durch Ihr Handeln und Reflektieren leiten Sie Regeln, Muster oder Theorien ab.
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Aktives Experimentieren
Zum Abschluss des erfahrungsbasierten Lernzyklus setzen Sie das neue Wissen in die Praxis um. So stellen Sie direkt fest, ob die gewonnenen Erkenntnisse stimmen und Sie diese anwenden können. Gleichzeitig ist dieses Experimentieren eine neue konkrete Erfahrung – und kann damit Ausgangspunkt für einen weiteren Lernzyklus sein.
Einfaches Beispiel für die Phasen
Sie probieren zum ersten Mal ein neues Rezept für Pizza aus, doch das Essen schmeckt nicht. Auf der Suche nach dem Problem probieren Sie alle Bestandteile des Essens und fragen auch Ihren Partner zu seiner Meinung.
Dabei erkennen Sie, dass Sie zu viel Hefe in den Teig gegeben haben und der Pizzaboden zu dick war und sie nicht lange genug gebacken hat. Mit diesen Erkenntnissen machen Sie sich gleich an einen neuen Versuch – und machen eine hervorragende Pizza!
Lernen durch Erfahrung: Grundlagen nach Dewey
Hinter dem erfahrungsbasierten Lernen steht die sogenannte Pädagogik des Pragmatismus nach John Dewey. Zentraler Gedanke dieser Lerntheorie: Lernen und der Aufbau von Wissen braucht eine aktive und reflexive Auseinandersetzung mit Erlebnissen.
Lernprozesse entstehen demnach durch Probleme oder Herausforderungen, deren Bewältigung und die intensive Beschäftigung mit diesen Vorgängen.
Beispiele: Wo funktioniert Lernen durch Erfahrung?
Ganz praktisch zeigt sich Lernen durch Erfahrung bei der kindlichen Entwicklung. Laufen, Sprechen oder soziale Regeln – Kinder erlernen fast alles durch eigenständiges Ausprobieren, Scheitern und erneutes Versuchen.
Das gilt aber nicht nur in den ersten Lebensjahren. Auch Erwachsene können in nahezu allen Bereichen durch erfahrungsbasiertes Lernen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten ausbauen. Typische Beispiele:
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Sprache lernen
Sie können endlos Vokabeln lernen und Grammatik pauken, wollen Sie eine Sprache wirklich lernen, müssen Sie diese sprechen. Es braucht aktive Kommunikation und Gespräche mit Muttersprachlern.
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Berufserfahrung
Aus gutem Grund gibt es in Deutschland das duale Ausbildungssystem, das zum Großteil auf praktisches Lernen im Betrieb setzt. Auch ein Praktikum oder Training on the Job sind effizientere Maßnahmen als reine Theorie.
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Sport
Die Regeln können Sie theoretisch verstehen, alles andere lernen Sie nur durch Erfahrung. Ganz egal, ob beim Fußball, Radfahren, Schwimmen oder Tanzen: Sie müssen Sportarten und Bewegungen immer wieder selbst üben, bis Sie diese beherrschen.
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Sozialkompetenz
Durch bloße Erklärungen können Sie nicht lernen und verstehen, wie Sie Konflikte lösen, im Team arbeiten oder Ihre Meinung vertreten. Es braucht das Lernen durch Erfahrung und reale Interaktion mit anderen Menschen.
Sie können das Prinzip auf nahezu alle anderen Bereiche übertragen – oder mit theoretischem Lernen kombinieren. Für Mathematik braucht es zum Beispiel erst theoretisches Wissen. Verstehen Sie Rechenarten oder Formeln noch nicht, können Sie diese auch nicht ausprobieren.
Im zweiten Schritt müssen Sie die Theorie selbst an Aufgaben ausprobieren. Erst dadurch entsteht tieferes Verständnis und Sie können das Wissen auch künftig abrufen.
Lernen durch Erfahrung: Vor- und Nachteile
Erfahrungsbasiertes Lernen ist ein zentrales Konzept zur Wissensaneignung und hat viele Vorteile. Auf der andere Seite stehen aber auch Nachteile und Herausforderungen. Wir stellen beide gegenüber:
Vorteile
- Praxisnähe
Sie lernen direkt in der Praxis und setzen Wissen um. - Verankerung
Erfahrungen und Erlebnisse bleiben stärker im Gedächtnis. Kenntnisse sind besser verankert. - Selbstwirksamkeit
Lernen durch Erfahrung steigert das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. - Motivation
Erfahrungsbasiertes Lernen macht mehr Spaß als Theorie und sorgt für mehr Motivation.
Nachteile
- Zeitaufwand
Lernen durch Erfahrung braucht viel Zeit, Wiederholung und Geduld. - Struktur
Ein Mangel an Struktur verhindert den Lerneffekt und sorgt eher für Chaos. - Fehlschlüsse
Kommt es zu falschen Verallgemeinerungen und Erkenntnissen aus den Beobachtungen, ziehen Sie die falschen Schlüsse. - Frust
Ausprobieren und dabei Scheitern kann zu großem Frust führen.
Lernen durch Erfahrung: 5 Tipps
Sie wollen Lernen durch Erfahrung ausprobieren? Dann haben wir zum Abschluss die besten Tipps für effektives Lernen zusammengestellt, mit denen Sie das Konzept umsetzen und neue Fähigkeiten direkt in der Praxis lernen:
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Trauen Sie sich
Wichtige Voraussetzung: Haben Sie den Mut, die Dinge wirklich selbst zu testen und umzusetzen. Der Gedanke „Aber ich kann es noch nicht so gut…“ darf Ihnen nicht im Weg stehen. Dazu zählt auch: Haben Sie keine Angst vor möglichen Fehlern, sondern lernen Sie daraus.
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Denken Sie an die Reflexion
Erfahrungsbasiertes Lernen funktioniert nur durch die Reflexion Ihres Handelns. Planen Sie dafür ausreichend Zeit ein und stellen Sie sich selbst die richtigen Fragen: Was ist gut oder schlecht gelaufen? Welche Gründe können Sie identifizieren? Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
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Holen Sie sich Feedback
Nutzen Sie nicht nur Ihre eigene, sondern auch die Erfahrung anderer Menschen. Bitten Sie um Feedback, eine neue Perspektive oder Ergänzungen zu Ihren Erkenntnissen.
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Setzen Sie sich realistische Ziele
Sie können durch Erfahrung vieles lernen, müssen dabei aber realistisch bleiben: „Ich baue jetzt eine Rakete für das Raumfahrtprogramm“ – aus solch einem Versuch lernen Sie nichts. Setzen Sie sich kleinere Ziele, bei denen Sie wirklich etwas erreichen können.
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Kombinieren Sie Theorie und Praxis
Lernen durch Erfahrung verzichtet nicht komplett auf Theorie. Sie brauchen theoretisches Wissen als Grundlage – dieses sollten Sie dann durch Anwendung vertiefen und ausbauen. Beschränken Sie sich nicht darauf, Dinge nur passiv zu lernen.
Erfahrungsbasiertes Lernen ist gleichzeitig immer auch Lernen durch Wiederholung. Es braucht Zeit und viele Versuche, bis Sie etwas wirklich können und verstehen. Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn es nicht gleich funktioniert.
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