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Was sind Lerntypen?
Wie kommt es, dass manche Menschen einem Vortrag nur lauschen müssen und anschließend nahezu alle wichtigen Informationen abgespeichert hat? Oder jemand ein Buch nur zu überfliegen braucht, während andere einen Text zum dritten Mal lesen und sich genauso klug wie zuvor fühlen?
Des Rätsels Lösung könnte im bevorzugten Wahrnehmungskanal liegen. Die Didaktik und die Lernpsychologie beschäftigen sich schon lange mit der Frage, welche kognitiven und psychologischen Prozesse beim Menschen ablaufen: Wie erwirbt er Wissen? Wie werden Informationen verarbeitet und abgespeichert?
Breite Rezeption erfuhr der 2003 verstorbene Biochemiker und Systemforscher Frederic Vester. Er erkannte früh, dass Menschen Wissen unterschiedlich aufnehmen und verarbeiten.
In seinem 1975 erschienenen populärwissenschaftlichen Bestseller „Denken, Lernen, Vergessen“ stellt er die Hypothese auf, nach der Menschen entweder den auditiven, visuellen, haptischen oder intellektuellen (auch verbal-abstrakt genannten) Lernkanal bevorzugen.
Diese und ähnliche Kategorisierungen finden sich immer wieder. Allerdings sei angemerkt, dass die Lernpsychologie dieser Einteilung aus verschiedensten Gründen kritisch gegenübersteht. (Zur Kritik weiter unten.) Andererseits weiß jeder aus eigener Erfahrung, dass er bestimmte Dinge schnell begreift, in anderen Fällen länger dafür braucht.
Übersicht: Diese vier Lerntypen gibt es
Ob man es jetzt Lerntypen oder (wie andere Autoren es getan haben) Denkstile nennt: Für jeden, der lernen will, der sich Wissensaneignung erleichtern will, ist es wichtig, die persönlichen Präferenzen zu kennen. Die Einteilung in Lerntypen ist daher weniger als sklavische und unumstößliche Kategorisierung gedacht, sondern soll lediglich eine Orientierung bei der eigenen Reflexion darstellen.
In Anlehnung an Vester werden meist diese vier Lerntypen genannt:
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Visuelle Lerntypen
Visuelle Lerntypen müssen Dinge erst einmal betrachten, um die Informationen entsprechend verstehen zu können. Sie prägen sich Wissen besonders gut über die bildliche Darstellung und das Lesen ein. Schaubilder, Skizzen, Diagramme und Mindmaps sind ideal, das Wissen zu verdeutlichen. Diesen Lerntypen hilft es, Textstellen farblich zu markieren. Sachfilme oder Erklärvideos auf Youtube eignen sich für diesen Typus besonders. Da das Auge sein bevorzugter Aufnahmekanal ist, braucht er eine ordentliche Umgebung – ein unaufgeräumter Schreibtisch irritiert beim Lernen.
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Auditive Lerntypen
Diese Lerntypen lernen besonders gut übers Hören. Mündliche Erklärungen finden ihren Weg schnell ins Gedächtnis, auch fällt es diesen Lernern nicht schwer, über einen längeren Zeitraum hinweg Vorträgen zu lauschen ohne gedanklich abzuschweifen. Diese Fähigkeit zeichnet sich beim Frontalunterricht in der Schule oder in Vorlesungen während des Studiums aus, da auditive Lerntypen hier ihre Konzentration auf einem konstant hohem Level halten können. Da Lesen allein zum Abspeichern der Informationen nicht reicht, können Lerner sich damit unterstützen, dass sie Textpassagen laut vorlesen. Auch Podcasts und Lern-CDs aus Fachbüchern helfen bei der Wissensaneignung. Um störungsfrei die notwendigen Informationen aufnehmen zu können, brauchen auditive Lerntypen eine ruhige Umgebung.
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Kommunikative Lerntypen
Kommunikative (auch kognitive, intellektuelle oder abstrakt-verbale genannt) Lerntypen haben bereits durch den visuellen und auditiven Wahrnehmungskanal Wissen aufgenommen und angefangen, sich inhaltlich mit den Informationen auseinanderzusetzen. Um allerdings nachhaltig das Gelesene und Gehörte verarbeiten und speichern zu können, brauchen sie den Austausch mit anderen. Gespräche und Diskussionen helfen ihnen dabei, den Lernstoff so richtig zu durchdringen. Ideal sind daher Lerngruppen, in denen die Themen von jeweils unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden können. Die haben darüberhinaus den großen Vorteil, dass viele sich so besser zum Lernen motivieren können.
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Haptische Lerntypen
Dieser Lerntyp wird auch als motorischer oder kinästhetische Lerntyp bezeichnet. Menschen mit dieser Ausprägung müssen Dinge im wahrsten Sinne des Wortes be-greifen und selbst aktiv werden. Sie sind praktisch veranlagt und profitieren vom Learning by doing. Theorielastige Ausbildungen und Studiengänge fallen ihnen eher schwer, die Arbeit mit Modellen oder in Laboren kommt ihnen sehr entgegen. Da kein Beruf ohne einen Theorieanteil auskommt, können motorische Lerntypen die Wissensaneignung dadurch unterstützen, indem sie beispielsweise Lernmaterialien zum Anfassen wie Scrabble-Steine benutzen. Auch fällt es ihnen leichter, beim Lernen in Bewegung zu sein.
Lerntypentest: Wie gehen Sie vor?
Aufgrund der oben genannten Einschränkungen können Lerntypentests nie eine umfassende psychologische Analyse darstellen, sondern nur der Selbsteinschätzung helfen.
Dazu werden Ihnen verschiedene Situationen vorgestellt. Versuchen Sie, die folgenden Fragen ohne lange darüber nachzudenken zu beantworten. Seien Sie dabei ehrlich zu sich selbst, wie Sie am ehesten vorgehen würden. Zählen Sie die jeweiligen Buchstaben zusammen, am Ende gelangen Sie zur Auswertung.
Mischtypen bei den Lerntypen Usus
Ein Kritikpunkt an Frederic Vesters Lerntypen ist, dass bei nahezu keinem Menschen ein Lerntyp in Reinkultur auftaucht. Oder anders formuliert: Die meisten Menschen sind Mischtypen. Ein Umstand, den Vester selbst übrigens anmerkte.
Dass jemand Mischtyp ist, mag einerseits mit der Persönlichkeit und dem bevorzugten Sinnesorgan zusammenhängen. Andererseits dürfte die Art des Lernstoffes auch von Bedeutung sein.
Ganz banales Beispiel: Bei einer Fremdsprache kommt es neben der Grammatik auf die Aussprache an. Abgesehen davon, dass nicht jeder in der Lage ist, Lautschrift zu lesen, gibt es Nuancen, die nur über das Akustische transportiert werden.
Will sagen: Beim Lernen einer Fremdsprache auf Audiomaterial zurückzugreifen, wird nicht nur auditiven Lerntypen in den Sinn kommen. Ebenso wird für ein Architekturstudium notwendigerweise das Haptische eine Rolle spielen, wenn etwa Modelle von Gebäuden gebastelt werden müssen.
Kritik an den Lerntypen
Der erste Kritikpunkt wurde bereits angerissen: Kein Lerntyp kommt so in aller Absolutheit vor. Entscheidender für die Kritiker ist allerdings, dass die Kategorisierung der Lerntypen insgesamt nicht stimmig ist: Die drei Lerntypen visuell, auditiv und haptisch beschreiben die Wahrnehmungskanäle, in denen jeweils ein Sinnesorgan (Auge, Ohr, Tastsinn) im Zentrum steht.
Der vierte Lerntyp hingegen zeichnet sich weniger durch ein bestimmtes Sinnesorgan aus, sondern beschreibt den Verstehens- und Verarbeitungsprozess an sich. Das wirft folgende Fragen auf:
- Mit welchem Sinnesorgan wurde bei diesem Lerntyp zuvor das Wissen aufgenommen?
- Werden die Informationen der anderen Lerntypen nicht kognitiv verarbeitet?
Die Antworten auf diese Fragen sind klar – auch der vierte Typus braucht natürlich Augen und Ohren, um Informationen nachzulesen, sich Gelesenes einzuprägen. Und dass bei den verbliebenen drei Lerntypen das Aufgenommene nicht einfach nur im Vakuum herumschwirrt, sondern ebenfalls in irgendeiner Form kognitiv verarbeitet wird, versteht sich ebenfalls von selbst.
Vielleicht hilft es, wenn wir uns allgemeiner verdeutlichen, dass es unterschiedliche Arten der Informationsaufnahme gibt, die je nach Anwendung dazu beitragen, dass wir erfolgreich lernen. Erfolgreich heißt, dass Sie das Gelernte genau dann abrufen können, wenn Sie es für eine Prüfung oder bei der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit brauchen:
- Informationen nur hören: 20 Prozent
- Informationen nur sehen: 30 Prozent
- Informationen sehen und hören: 50 Prozent
- Informationen sehen, hören und erklären: 70 Prozent
- Informationen sehen, hören, erklären und umsetzen: 90 Prozent
Das heißt, wer etwas nicht nur liest oder hört, sondern mit eigenen Worten wiedergeben und anwenden kann, behält dieses Wissen zu 90 Prozent. Demgegenüber stehen 20 Prozent, wenn Sie etwas nur hören.
Dieser Umstand erklärt übrigens auch das Stille-Post-Phänomen beziehungsweise, warum manche Menschen maximal über eine Portion Halbwissen verfügen: Sie haben etwas gehört, das aber weder durch eigene Praxis überprüft, noch nachgelesen. Das Gehörte wird falsch erinnert, neue Details hinzugefügt – voilà, fertig ist das Gerücht oder die Verzerrung.
Der Tipp für alle Lerntypen, die sich Wissen aneignen, lautet daher:
- Nutzen Sie grundsätzlich alle Arten der Informationsaufnahme.
- Finden Sie Ihren bevorzugten Wahrnehmungskanal. Er eignet sich vor allem für schwierige Themen, bei denen Sie mit bisherigen Methoden nicht weitergekommen sind.
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