Wahrnehmungsstörung Definition: Reize werden nicht verarbeitet
Scheinbar objektiv nehmen wir äußere Einflüsse auf. Wie wir aber tatsächlich unsere Umwelt wahrnehmen, hängt von zu vielen Faktoren ab, als dass man subjektive Aspekte völlig ausblenden könnte. Denn unsere Wahrnehmung wird nicht nur durch die Beschaffenheit unserer Organe geprägt.
Auch vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen passiert Wahrnehmung, beispielsweise bei subjektiven Befindlichkeiten wie Hunger oder Durst: Wer gerade Durst verspürt, wird bevorzugt Dinge wahrnehmen, die diesen Wunsch stillen könnten.
Von einer Wahrnehmungsstörung sprechen wir, wenn die Verarbeitung der Sinneseindrücke in Verbindung mit dem zentralen Nervensystem nicht wie erwartet abläuft. Die Sinneseindrücke werden nur mangelhaft verarbeitet und die Umwelt von den Betroffenen meist verzerrt oder unvollständig wahrgenommen.
Das bedeutet, dass die Sinnesorgane selbst, also beispielsweise die Augen oder Ohren, zumeist intakt sind. Lediglich die Bewertung der aufgenommenen Eindrücke ist gestört. Wird eine Wahrnehmungsstörung bei Kindern nicht erkannt, führt das zu Unverständnis und damit zu Konflikten, die ihrerseits wiederum Probleme nach sich ziehen.
Die Schweizer Psychologin und Logopädin Félicie Affolter unterscheidet zwischen drei Formen:
- Die modalitätsspezifische Wahrnehmungsstörung, bei der die einzelnen Sinne (also Riechen, Hören, Sehen, Schmecken, Spüren) betroffen sind.
- Die intermodale Wahrnehmungsstörung, bei der zwei oder mehrere Sinnesbereiche nicht miteinander verknüpft werden können.
- Die seriale Wahrnehmungsstörung, bei der eine sinnvolle Reihenfolge nicht eingehalten werden kann.
Wahrnehmungsstörungen: Beispiele und Ursachen
Es handelt sich bei Wahrnehmungsstörungen weder um Krankheiten noch um Behinderungen im eigentlichen Sinne. Dennoch bringt die mangelhafte Verarbeitung von Sinneseindrücken eine Reihe von Schwierigkeiten mit sich, die je nachdem nur bedingt behandelt werden können.
Zunächst kommt es darauf an, welche Altersgruppe betroffen ist. Der Begriff Wahrnehmungsstörung wird häufig weit gefasst und beispielsweise mit Krankheiten wie Borderline oder ADHS in Verbindung gebracht. Aus psychologischer Sicht zählen auch Halluzinationen, Pseudohalluzinationen und Illusionen zu den Wahrnehmungsstörungen.
Hier soll es allerdings vor allem um die Störungen gehen, die nicht durch eine psychische Erkrankung verursacht werden. Wird eine Wahrnehmungsstörung allerdings bereits im Kindesalter erkannt, kann viel erreicht werden. Von Wahrnehmungsstörungen ist das Sehen, Hören, Sprechen oder der eigene Körper betroffen.
So kann eine taktile Wahrnehmungsstörung bei Kindern beispielsweise sein, wenn sie auf Berührungen im Gesichtsbereich empfindlich reagieren, hier gibt es besonders viele Nerven. Solche Kinder reagieren empfindlich auf Reize, die andere gar nicht oder kaum empfinden, weil diese entsprechend filtern können. Äußern kann sich so eine taktile Wahrnehmungsstörung auch, indem Haare waschen oder schneiden zu heftigen Abwehrreaktionen führt.
Typische Symptome einer auditiven Wahrnehmungsstörung bei Kindern können sein, dass ähnlich klingende Laute oder Silben wie beispielsweise p – b oder pa – ba nicht unterschieden werden können. Dies kann zu Missverständnissen und Lernschwierigkeiten führen.
Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS). Bisher hat sich die Forschung vor allem den Problemen im Kindesalter gewidmet, aber auch Jugendliche und Erwachsene können von AVWS betroffen sein. Betroffene haben beispielsweise besonders starke Schwierigkeiten, einzelne Stimmen in einer lauten Umgebung herauszufiltern.
Die Ursachen für eine Wahrnehmungsstörung sind nicht zweifelsfrei zu benennen. Zum einen geht man von einer genetischen Veranlagung aus. Zum anderen können gewisse äußere Umstände dazu führen, beispielsweise wenn…
- die Mutter in der Schwangerschaft raucht, Alkohol und/oder Drogen zu sich nimmt,
- ein Kaiserschnitt vorgenommen wird,
- von ärztlicher Seite ein Sauerstoffmangel bei der Geburt verursacht wird,
- ein Unterangebot an Reizen (bei Vernachlässigung) im Kindesalter vorliegt oder aber
- ein Überangebot an Reizen (hoher Fernsehkonsum) im Kindesalter vorliegt.
Wahrnehmungsstörung: Behandlungsmethoden bei AVWS
Bei Menschen mit einer auditiven Wahrnehmungsstörung haben neben Unterscheidungsschwierigkeiten bei Silben auch Probleme, eine Fremdsprache zu erlernen. In Testverfahren beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder einem Phoniater wird festgestellt, ob es sich um eine Form der Schwerhörigkeit oder tatsächlich AVWS handelt.
AVWS ist nicht heilbar, allerdings kann ein Hörgerät in Kombination mit einer Therapie bei einem Logopäden zur Besserung beitragen. Um die Lernchancen bei Kindern zu verbessern, sollte die Sitzposition ebenso wie die Raumakustik im Klassenzimmer beachtet beziehungsweise verbessert werden. Je nachdem kann auch eine gezielte Förderung bei einer Lese- und Rechtschreibschwäche sinnvoll sein.
Für Jugendliche und Erwachsene ist es besonders wichtig, den Ausbildungsbetrieb beziehungsweise Arbeitgeber in Kenntnis zu setzen. Nur so kann der Ausbilder die Besonderheiten der betroffenen Auszubildenden mit AVWS beachten. Gleiches gilt für erwachsene Arbeitnehmer: Hier sollten Betroffene ihren Chef frühzeitig informieren, wenn Arbeiten in einem Großraumbüro aufgrund von AVWS nicht möglich ist.
Wahrnehmungsstörung Test: Der Chaos-im-Hirn-Effekt
Beim Thema Wahrnehmungsstörungen denken die meisten wohl an Sehschwächen, Rot-Grün-Blindheit oder selektive Wahrnehmung. Die Störung bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken lässt sich aber auch mit ganz simplen Mitteln provozieren.
Wir entschuldigen uns an dieser Stelle schon einmal, dass wir Ihre Oberstube gleich ein wenig durcheinander bringen – vorausgesetzt, Sie haben Lust, sich dem folgenden kleinen Test zu unterziehen…
Lesen Sie dazu bitte die Farben in der Tabelle Spalte für Spalte laut vor – aber NICHT, indem Sie die Worte laut vorlesen, sondern laut die Farben nennen in denen die Worte geschrieben sind! Profis stoppen dabei sogar noch die Zeit…
Die meisten von Ihnen dürften eine Art Stotter-Effekt erleben (siehe auch Stroop-Effekt). Der ist auch völlig normal und beruht darauf, dass es hier zu einer Sinnesüberreizung und einem Widerspruch der Hirnaktivitäten kommt:
- Das Lesen einfacher Worte (wie rot, grün, gelb, blau) ist ein automatischer, unwillkürlicher Akt, den man kaum unterdrücken kann, zumal Sie das schon in frühen Jahren gelernt haben.
- Das Erkennen und Nennen von Farben dagegen erfordert unsere willentliche Konzentration. Beide Aktivitäten arbeiten in diesem Fall aber gegeneinander: Ihr Hirn bekommt über die Begriffe mehr Informationen als es verarbeiten kann und soll – und das verursacht diese kurzfristige Wahrnehmungsstörung.
Das Ganze können Sie auch nochmal mithilfe dieses Videos ausprobieren:
Wie gesagt: Sorry.
Wahrnehmungsstörung in der Kommunikation
Dasselbe passiert allerdings ebenso häufig in der Kommunikation: Vor allem dann, wenn die Körpersprache unseres Gegenübers etwas anderes sagt als der Mund. Wir nehmen dann zwei widersprüchliche Aussagen wahr und bekommen dieses ungute Bauchgefühl, dass etwas nicht stimmt. Eben auch eine Art Störgefühl oder Wahrnehmungsstörung.
Auch wenn Sie das vielleicht kurzfristig aus dem Konzept bringt – in dem Fall ist es gut so. Das ist schließlich ebenso eine Form des Durchblicks. Entscheidend ist nur, dass Sie sich diese widersprüchlichen Information bewusst machen und die Irritation nicht übergehen, sondern verifizieren.
Wie leicht wir zu manipulieren sind
Apropos Wahrnehmung und Störung: Unser Urteilsvermögen ist bei weitem nicht so sicher, wie manche vielleicht glauben. Im Gegenteil: Wir sind allesamt hochgradig manipulierbar und lassen uns allzu leicht blenden.
Psychologische Experimente beweisen das immer wieder. Ein relativ simples, aber sehr anschauliches lieferten die beiden Psychologen Daniel Kahnemann und Amos Tversky…
Zwei Testgruppen bekamen eine mathematische Aufgabe:
- Die einen sollten rechnen: 8*7*6*5*4*3*2*1.
- Die anderen 1*2*3*4*5*6*7*8.
Allerdings hatten sie dafür nur fünf Sekunden Zeit. Also schätzten sie. Die erste Gruppe schätzte im Durchschnitt 2250, die zweite kam auf 512. Beides ist natürlich falsch.
Aber es zeigt, was Sie vielleicht längst ahnen: Wer mit etwas Großem beginnt, erwartet auch ein großes Ergebnis und umgekehrt. Die richtige Antwort wäre übrigens 40.320 gewesen.
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