Selection Bias Erklärung: Was bedeutet das?
Der aus dem Englischen stammende Begriff Selection Bias beschreibt einen Effekt, der sich bei statistischen Untersuchungen einstellt.
Wird methodisch unsauber gearbeitet und keine zufälligen, unterschiedlichen Stichproben genommen, so kommt es zur sogenannten Stichprobenverzerrung.
Andere Begriffe für Selection Bias sind im Englischen selection effect oder sampling bias, im Deutschen eben Stichprobenverzerrung oder auch Selektionsverzerrung. Selection Bias ist der Oberbegriff und steht synonym für eine Reihe von Verfälschungen, die sich ungewollt auf ein Ergebnis auswirken können, zum Beispiel:
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Quality Bias
Der Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Berger erklärt beispielsweise, wie es kommt, dass Anhänger der Homöopathie immer wieder scheinbar gute Ergebnisse vorweisen können. Hier greift die Selection Bias in Form der Quality Bias. Die führt dazu, dass Ergebnisse von Studien (aus Sicht der Homöopathie) umso besser sind, je methodisch schlechter sie gemacht sind. Umgekehrt sind bestimmte Effekte deutlich geringer, wenn methodisch schlechte Studien bei der Gesamtanalyse herausgenommen werden.
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Social Bias
Eine andere Form der Selection Bias ist die Social Bias. Immer wieder kommt es bei Markforschungs- und Meinungsumfragen zu verzerrten Antworten, da die Antwortgeber durch soziale Erwünschtheit beeinflusst werden. Beispielsweise sind Rassismus und Sexismus gesellschaftlich unerwünscht. Bei einer Umfrage zu Vorbehalten Ausländern gegenüber könnte eine befragte Person entgegen ihrer eigentlichen Überzeugung sich tolerant geben. Das Ergebnis der Umfrage wird dadurch verfälscht.
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Confirmation Bias
Diese als Bestätigungsfehler bezeichnete Form der Selection Bias führt dazu, dass Informationen so ausgewählt und interpretiert werden, dass sie die eigene Vorannahme bestätigen. Confirmation Bias passiert beispielsweise bei sogenannten Kleinst-Studien, bei denen nur wenige Teilnehmer mitwirken. Hierbei kommt es zu zufälligen Effekten, die bei einer größeren Gruppe keinen nennenswerten Einfluss hätten. So jedoch wird dem Effekt, sofern er das gewünschte Ergebnis zeigt, als Bestätigung der eigenen Bemühungen gesehen.
Umso wichtiger ist es, Messungen und Untersuchungen sorgfältig durchzuführen und die richtigen Methoden anzuwenden, um Selection Bias zu vermeiden.
Gleiche Welle, gleiche Stelle
Wir sind bis zu einem gewissen Grad fremdbestimmt. Was wie eine Verschwörungstheorie klingen mag, fängt schon bei der Berufswahl an. Sie vollzieht sich in einer großen Blase und endet darin, dass wir im gleichen Job landen wie Papa, Mama und/oder die besten Freunde. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Selection Bias.
Mal angenommen, Sie denken über einen Berufs- und Branchenwechsel nach, wollen fortan im Marketing arbeiten. Was tun Sie? Vermutlich werden Sie sich zunächst im Freundeskreis schlau machen, bei denjenigen, die schon in der Branche aktiv sind.
Vielleicht haben Sie den Quereinstieg sogar deshalb im Sinn, weil Ihnen Ihre Freunde vom eigenen Metier vorschwärmen. „Wie sind denn so die Rahmenbedingungen?“ „Warum hast du das damals studiert?“ „Was gefällt dir so gut daran?“ Klingt strategisch klug, ist aber möglicherweise die genau falsche Herangehensweise.
Warum? Weil der Selection Bias Ihr Urteilsvermögen trübt. Was in der Statistik als Stichprobenverzerrung bezeichnet wird, könnte man allgemeiner als „voreiliges Urteil“ oder „Vorurteil“ ergänzend hinzufügen.
Ein Selection Bias tritt immer dann auf, wenn wir eine kleine Auswahl von Menschen als Repräsentanten einer größeren Gruppe wahrnehmen. Nach dem Motto: Ich kenne da so einen Lehrer, der ist ein richtig – um es im Bundeskanzlerjargon zu formulieren – fauler Sack. Also sind alle Lehrer faule Säcke.
Anderes Beispiel: Ihre Eltern, Onkel, Tanten sind allesamt Ärzte, durch die Bank, eine einzige Mediziner-Familie. Geballte Expertise beim Familientreffen. Wenn Sie als junger Mensch mit dem Gedanken spielen, ebenfalls Arzt zu werden, dann werden Sie sie selbstverständlich um Rat fragen.
„Meistens gewinnen wir einen Eindruck von verschiedenen Berufen über unsere Freunde und Familie. Die sind aber grundsätzlich nicht repräsentativ für die Bevölkerung“, so Jess Whittlestone, Doktorand an der Warwick Business School gegenüber dem Wissenschaftsmagazin Nautilus.
„Das hat zur Folge, dass die Anzahl der Berufe, für die wir uns interessieren, sehr begrenzt ist – wenn Sie nie jemanden gekannt haben, der als Schreiner arbeitet, ist es unwahrscheinlich, dass Sie überhaupt in Erwägung ziehen, selbst ein Schreiner zu werden.“
Berufswahl: Stark beeinflusst
Die meisten Menschen werden demnach – auch in ihrer Berufswahl – übermäßig stark von einer vergleichsweise kleinen Gruppe beeinflusst, die längst nicht das ganze Mosaik abbildet, nicht repräsentativ ist und der es an Vielfalt mangelt.
Dazu kommen weitere äußere Einflüsse, die diesen Selection Bias noch verstärken. Um beim Mediziner-Beispiel zu bleiben: 46 Prozent der befragten Mediziner wünschen sich laut einer internationalen Umfrage von HSBC, dass ihre Kinder den gleichen Beruf ergreifen wie sie selbst.
Von den Juristen sagten das 31 Prozent, von den Ingenieuren 28 Prozent – durchaus beträchtliche Werte. Sie werden ihren Beruf folgerichtig nicht schlecht reden, sondern bewerben, anpreisen, verkaufen. Und was ist eigentlich mit den Medizinern, die ihr Studium abgebrochen haben? Die keinen Job gefunden haben? Die kommen im Entscheidungsprozess vermutlich nicht vor.
Ehrlicherweise gilt das in Entwicklungs- und Schwellenländern noch mehr als in der westlichen Welt. In den USA, Deutschland und anderen westlichen Kulturen sind Selbstverwirklichung und freie Entfaltung zu Zauberformeln mutiert, die in anderen Kulturen weniger wertgeschätzt werden.
Aber trotzdem: Die Familientraditon fortzuführen, das ist noch immer ein heimlicher oder offener Wunsch vieler – mit praktischen Konsequenzen.
Entscheidung in der Filterblase
In gewisser Weise kann sich unsere Berufswahl somit in einer Filterblase vollziehen, die wir zum Beispiel auch von Twitter kennen. Dort folgen wir vor allem Gleichgesinnten, tauschen uns mit ihnen aus aus, bestätigen uns fortwährend in unserer eigenen Meinung.
In größerem Maßstab wird der Selection Bias auch für die mangelnde Repräsentation von Frauen in MINT-Berufen verantwortlich gemacht. Wo es keine weiblichen Wissenschaftler und Role Models gibt, gibt es auch keine, die ihnen nacheifern.
Schlussendlich scheint der Selection Bias auch in eine selbsterfüllende Prophezeiung – und einen Confirmation Bias – münden zu können. Wenn wir uns beispielsweise von kleinauf – unter dem Einfluss von Familie und Freunden – einreden, dass ein Bürojob für uns ja mal gar nicht in Frage kommt, weil langweilig und öde und überhaupt, dann steigt die Chance, dass wir ihn später auch als trostlos empfinden werden.
Was man in diese Fall tun sollte, ist relativ einfach: Mit fremden Menschen in Kontakt treten, die für eben diesen Bürojob brennen, die sich begeistern, die darin aufgehen. Ob es sich um einen Controller, Informatiker oder Industriekaufmann handelt.
Wenn der eigene Confirmation Bias einmal nicht bestätigt, die Filterblase von außen aufgestochen wird, stellt man das vorgestanzte Urteil möglicherweise wieder in Frage.
Gegenmittel: So vermeiden Sie Verfälschung
Gerade bei der Berufswahl kann sich Selection Bias im Nachhinein negativ auswirken. Nach all den ganzen tollen Ratschlägen von Freunden und Verwandten hat nicht jeder den Mut, sich konsequent gegen etwas zu entscheiden. Oft finden sich auch Idole und Authoritäten unter den Tippgebern, so dass die Empfehlung nicht angezweifelt wird.
Nur kein Mensch ist wie Sie: Ihre Neigungen und Interessen können vielleicht nicht völlig anders, aber zumindest deutlich weiter gefasst sein, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.
Daher hier einige Tipps, wie Sie den Selection Bias vermeiden können …
- Absolvieren Sie während Schulzeit oder Studium Praktika in Branchen und Berufen, die Ihnen (noch) völlig fremd sind.
- Orientieren Sie sich bei der Berufswahl nicht nur an den Vorbildern und Erfolgsgeschichten, sondern holen auch die Erfahrungen von Abbrechern und Gescheiterten ein.
- Verschaffen Sie sich im Rahmen Ihrer Berufsorientierung einen so großen Überblick über die verschiedenen Berufsfelder wie möglich.
- Nutzen Sie Facebook. Zwar gibt es die berüchtigte Filterblase und Echokammer auch hier, doch scheint das Zuckerberg-Netz ein Ort größerer Diversität zu sein als andere Medien. Grund: Sie sind hier mit einer Vielzahl von Kollegen, Kommilitonen und anderen (teils unfreiwilligen) Bekanntschaften „befreundet“, bekommen daher nicht nur Standpunkte vorgesetzt, die Ihren eigenen entsprechen. Das ist bei Twitter, im engeren Freundeskreis oder in Ihrer Tageszeitung vermutlich weniger der Fall.
- Generell: Stellen Sie eigene Urteile – zum Beispiel über Berufe und Branchen – immer und immer wieder infrage.
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