Definition: Was bedeutet Urteilsvermögen?
Der Begriff Urteilsvermögen (auch: Urteilskraft, englisch: discernment) beschreibt die Fähigkeit, Situationen und Menschen auf Basis sachlicher Fakten, Eigenschaften und subjektiver Erfahrungen (Intuition) korrekt einschätzen zu können. Personen, die über ein gutes Urteilsvermögen verfügen, können sich schnell und flexibel auf neue Situationen einstellen und ihr Verhalten entsprechend anpassen.
Angrenzende Stärken der Urteilskraft sind:
• Analytisches Denken • Laterales Denken • Hands-on-Mentalität • Emotionale Intelligenz |
• Flexibilität • Lösungsorientierung • Objektivität • Rasche Auffassungsgabe |
Urteilsvermögen Synonyme
Häufige Synonyme für Urteilsvermögen sind: Urteilsfähigkeit, Urteilskraft, Urteilsgabe, Beurteilungsvermögen, Menschenkenntnis und Sachkenntnis.
Urteilsvermögen Bedeutung
Urteilsvermögen und Menschenkenntnis sind enge Verwandte und gehören zu den sozialen Kompetenzen. Im Job wird dabei auch von Soft Skills gesprochen. Vor allem Führungskräfte profitieren von einem ausgeprägten Urteilsvermögen, um zum Beispiel Kollegen oder Kunden besser einzuschätzen.
Ein gutes Urteilsvermögen ist uns nicht angeboren, sondern muss trainiert werden. Krankheiten, Drogen, Traumata sowie mangelnde Intelligenz und Wahrnehmungsfehler können die Urteilsfähigkeit einschränken und zu falschen Schlüssen führen.
Beispiele: Woran zeigt sich gutes Urteilsvermögen?
Ein ausgeprägtes und gutes Urteilsvermögen zeigt sich in verschiedenen Situationen und Eigenschaften. Folgende Kompetenzen und Beispiele sprechen für hohe Urteilskraft:
- Sie treffen schnelle und meist richtige Entscheidungen.
- Persönlichkeiten taxieren und beurteilen Sie meist korrekt.
- Sie können Signale der nonverbalen Kommunikation treffsicher deuten.
- Sie besitzen einen großen Erfahrungsschatz, auf den Sie zurückgreifen.
- Fehlentscheidungen korrigieren Sie zügig und vermeiden deren Wiederholung.
- Sie können schwelende Konflikte schnell erkennen.
- Sie können komplexe Aufgaben präzise analysieren und lösen.
- Sie betrachten Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven.
Urteilsvermögen stärken
Mangelndes Urteilsvermögen lässt sich schärfen und trainieren. Insbesondere im Beruf bringt es viele Vorteile, wenn Sie Menschen oder akute Herausforderungen treffsicher beurteilen und einschätzen oder sich auf Ihre Menschenkenntnis verlassen können.
Umgekehrt kann ein mangelndes Urteilsvermögen dazu führen, dass Sie sich verkalkulieren oder in einen klassischen Fettnapf treten. Um solche Fehltritte zu vermeiden, finden Sie hier bewährte Tipps und Empfehlungen, für ein besseres Urteilsvermögen:
Körpersprache analysieren
Die Körpersprache gehört zur nonverbalen Kommunikation und kann bis zu 93 Prozent der gesamten Kommunikation ausmachen. Dazu gehören die Gestik, die Körperhaltung oder Kleidung eines Menschen. Weil ein Großteil der Körpersprache unbewusst abläuft, kann sie viel über die wahren Gefühle oder Motive Ihres Gegenübers verraten.
Deuten Sie die Körpersprache Ihres Gesprächspartners aber nie isoliert und unabhängig von der jeweiligen Situation. Je nach Kontext und kulturellem Hintergrund können Gesten und Gebärden eine völlig andere Bedeutung haben. Beispiel Kopfnicken: In den meisten Ländern Europas bedeutet Nicken Zustimmung, in Bulgarien und Griechenland aber heißt es „Nein!“
Mimik bewerten
Die Mimik gehört ebenfalls zur Körpersprache, hat für das Urteilsvermögen aber eine besondere Bedeutung. Selbst wenn wir schweigen, kann unser Gesicht Bände sprechen.
Tatsächlich sagen Augen mehr als 1000 Worte. Sie sind die Fenster zur Seele und wenn sich zwei Menschen begegnen, blicken sie sich meist zuerst in die Augen – denn schon beim ersten Blickkontakt erkennen wir, ob wir unserem Gegenüber vertrauen oder glauben können. Einige Gesichtsausdruck Beispiele und deren Bedeutung:
- Intensiver Blickkontakt: Interesse, Sympathie
- Gesenkter Blick: Unsicherheit, Schüchternheit, Scham
- Augenrollen: Missbilligung, Desinteresse
- Augen verdrehen: Ironie oder Verärgerung
- Starren: Dominanz oder Drohung
- Häufiges Blinzeln: Anspannung, Unsicherheit oder Flirtversuch
- Weit geöffnete Augen: Überraschung, Erstaunen
- Zusammengekniffene Augen: Skepsis, Unsicherheit
- Augenbrauen hochziehen: Überraschung, Verwunderung, Skepsis
- Augenbrauen zusammenziehen: Konzentration oder Ärger
- Tränen in den Augen: Traurigkeit oder Rührung
- Stirnrunzeln: Zweifel, Nachdenklichkeit, Ablehnung
Der Psychologe Paul Ekman entdeckte bereits in den 1960er Jahren, dass bestimmte Emotionen und Gesichtsausdrücke überall auf der Welt gleich verstanden werden. Es sind die sieben Grundemotionen (auch Basisemotionen), die wir sofort interpretieren können – egal, wie gut wir einen Menschen kennen.
Stimme hören
Der Ton macht die Musik. Der Einsatz der Stimme zählt zu der sogenannten „paraverbalen Kommunikation“ oder akustischen Wahrnehmung. Bezogen auf das Urteilsvermögen geht es hierbei nicht darum, WAS wir sagen, sondern vielmehr WIE es gesagt wird und was unser Gegenüber beim Sprechen mit seiner Stimme ausdrücken will. Zum Beispiel:
- Lautstärke (laut oder leise)
- Intonation (Betonung einzelner Wörter oder Satzteile)
- Sprachmelodie (monoton, moduliert, singend)
- Sprechtempo (langsam oder schnell)
- Stimmlage (hoch, tief, tragend oder zitternd)
Etwaige Veränderungen in der Stimme können – je nach Situation – ganz eigene Emotionen ausdrücken oder diese bei unserem Gegenüber beeinflussen, Sympathie wecken oder zu Ablehnung führen. Ein Redner, dessen Stimme beim Sprechen kratz oder knarrt, löst bei uns ebenfalls ungute Gefühle und den Zwang zum Räuspern aus (sog. psychorespiratorischer Effekt).
Die paraverbale Kommunikation ist vor allem bei Ironie oder Sarkasmus von großer Bedeutung. Ohne die entsprechenden Signale kann Ironie nicht verstanden werden.
Wahrnehmungsfehler vermeiden
Damit Sie kein vorschnelles und falsche Urteil fällen, sollten Sie sich potenzielle Wahrnehmungsfehler, sogenannte kognitive Verzerrungen (englisch: Bias) bewusst machen. Sie können unser Urteilsvermögen erheblich beeinflussen – positiv wie negativ – und das häufig unbewusst und ohne dass wir es merken.
Zu den häufigsten und stärksten kognitiven Verzerrungen im Berufsalltag gehören der…
- Halo-Effekt
Eine gute Eigenschaft überstrahlt alles und führt zu einem positiven Urteil. - Horn-Effekt
Eine schlechte Eigenschaft überstrahlt alles und führt zu einem negativen Urteil. - Rosenthal-Effekt
Wer an sich selbst glaubt und besser von sich denkt, wird tatsächlich besser und erreicht mehr. - Interviewer Bias
Geschlecht, Alter, Aussehen, Hautfarbe, Auftreten oder Formulierungen beeinflussen die Bewerberauswahl. - Ingroup Bias
Menschen, die mit uns bestimmte Eigenschaften teilen, beurteilen wir positiver, ebenso den Rest der Gruppe. - Availability Bias
Fehleinschätzung von Gefahren und Risiken aufgrund von falschen Annahmen oder einer überproportionalen Einschätzung von Chancen. - Selection Bias
Stichprobenfehler aufgrund einer Stichprobe, die nicht repräsentativ für die Gesamtheit steht. - Confirmation Bias
Bestätigungsfehler, bei dem nur Informationen genutzt werden, die der eigenen Erwartung oder Weltanschauung entsprechen. - Hindsight Bias
Rückschaufehler, bei dem Menschen ihre früheren Prognosen besser beurteilen als sie waren.
Urteilsvermögen in der Bewerbung
Falls Sie sich auf eine Stelle bewerben, für die eine hohe Urteilskraft relevant ist – zum Beispiel als Teamleiter, Projektleiter oder Manager –, sollten Sie das schon in den Bewerbungsunterlagen ansprechen und diese Kompetenz dokumentieren.
Schreiben Sie beispielsweise im Anschreiben wie gründlich Sie Ihre Entscheidungen vorbereiten und belegen Sie mittels Beispielen wie Sie dies sicher umgesetzt haben. Im Lebenslauf wiederum sollten Sie sowohl im beruflichen Werdegang wie bei den besonderen Kenntnissen aufführen, welche Erfolge Ihr Urteilsvermögen bereits erzielt hat. Besonders aussagekräftig sind auch hierbei kurze Beispiele komplexer Problemlösung.
Auch im Bewerbungsgespräch kann das Urteilsvermögen angesprochen und bewertet werden. Dazu werden Sie entweder gebeten, eine kurze Fallstudie zu bearbeiten oder Sie werden gefragt, wie Sie generell eine jobrelevante Aufgabe lösen. Eine „richtige“ Lösung gibt es dabei selten. Im Fokus steht eher Ihre Herangehensweise und das Zerlegen komplexer Herausforderungen in Teilschritte.
Fehlendes Urteilsvermögen: Was tun?
Leider ist nicht jeder mit einem guten Urteilsvermögen gesegnet. Im Job, bei der Bewerbung oder im Vorstellungsgespräch kann das schnell zu einem Beurteilungsfehler kommen und peinlich werden. In dem Fall können Sie dennoch die Situation retten und das Beste aus der mangelnden Urteilskraft machen. So…
Ruhe bewahren
Das Wichtigste ist jetzt, dass Sie ruhig bleiben und nicht in Panik verfallen. Fehler passieren – auch bei der Beurteilung von Menschen oder Märkten. Der größere Fehler wäre jetzt, mit Aktionismus und einem Schnellschuss alles zu vertuschen. Versuchen Sie einen kühlen Kopf zu behalten, das Fehlurteil zu analysieren und so eine Wiederholung zu verhindern.
Humor beweisen
Wer in ein Fettnäpfchen tritt, sollte sich entschuldigen und der Situation mit Humor die Schwere nehmen. Lachen Sie über sich und sprechen Sie aus, dass Sie hier wohl Ihr Urteilsvermögen getäuscht hat. Nobody is perfect, gelegentliche Ausrutscher kommen vor.
Was andere dazu gelesen haben
- Vorurteile: Ursachen, wie überwinden?
- Schlussurteil: Das Letzte beurteilen wir besser
- Darum beurteilen wir andere lieber als uns selbst