Latente Prägung: Die Berufswahl ist weniger frei als wir meinen
Zu viele Alternativen erschweren die Auswahl. In der Psychologie ist dieses Phänomen schon lange bekannt und gut beschrieben durch Sheena S. Iyengar von der Columbia Universität und Mark R. Lepper von der Stanford Universität. Es ist das inzwischen berühmte Marmeladen-Experiment, das die beiden in Ihrer Studie (When Choice is Demotivating) analysieren. Kurz gesagt geht das so:
Zwei verkleidete wissenschaftliche Mitarbeiter bieten den Kunden in einem Supermarkt Marmelade zum Probieren an. Mal können diese zwischen sechs neuen Geschmacksrichtungen wählen, mal sind es 24. Natürlich dürfen sie so viel davon naschen wie sie möchten. Aber wie viele kaufen am Ende auch?
Sie ahnen die Pointe:
- Bei großer Auswahl (24 Marmeladengläser) blieben stolze 60 Prozent der Passanten stehen und probierten (145 von 242),
- bei der kleinen Auswahl waren es nur 40 Prozent (104 von 260).
Doch gekauft haben im ersten Fall nur zwei Prozent (umgerechnet 4 Personen), bei geringer Auswahl aber ganze 30 Prozent (31 Personen). Die Qual der Wahl – sie steigt mit den Möglichkeiten.
Das hat – zugegebenermaßen – noch nichts mit unserer latenten Prägung zu tun, zeigt aber bereits, wie schwer es angesichts der heutigen Optionenvielfalt ist, einen passenden Beruf zu finden. Denn die Entscheidung für eine Option beinhaltet zwangsläufig die Entscheidung gegen viele Alternativen.
Und doch sind wir in unserem Berufswahlprozess trotz unzähliger Optionen keineswegs so frei, wie es den Anschein hat.
Sowohl individuelle, endogene, als auch gesellschaftlich bedingte, exogene Faktoren, die permanent in Wechselbeziehung zueinander stehen, haben darauf erheblichen Einfluss:
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Ökonomische Faktoren
Die bekannten Arbeitgeber-Rankings spiegeln immer auch die jeweilige Konjunkturlage beziehungsweise die Erwartungen an die Zukunft. Je düsterer die Aussichten, desto weiter vorne rangieren Jobs und Arbeitgeber, die vermeintlich mehr Sicherheit versprechen. Es spielen aber auch die sogenannten Schweinezyklen eine Rolle: Zurzeit werden massiv Ingenieure, Elektro-Spezialisten und Programmierer nachgefragt. Deshalb ist es attraktiv diesen Beruf zu wählen. Ob die Nachfrage aber auch noch so groß ist, wenn die Absolventen in gut vier Jahren auf den Arbeitsmarkt strömen, weiß kein Mensch.
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Soziale Faktoren
Wo wir wohnen, was unsere Eltern machen und unsere engsten Freunde vorhaben, das prägt auch uns – ohne, dass wir das merken. Und selbst wer bei seiner Berufswahl vor allem rebellieren und etwas ganz anderes machen will als seine Familie, ist dabei ja gar nicht frei, weil er zur Orientierung das negative Vorbild nutzt.
Bei all diesen Punkten sprechen Fachleute von der sogenannten latenten Prägung. Sie definiert unsere Berufswahl, aber auch den Suchprozess nach einem Job selbst.
Latente Prägung bei der Jobsuche
Beobachten Sie sich bitte selbst, wie Sie nach einem neuen Job suchen würden. Vermutlich geben Sie dabei Suchbegriffe ein, die Sie kennen; Jobprofile oder -titel, die Sie kennen; bei Unternehmen, die Sie kennen. Klar, was Sie nicht wissen, können Sie nicht eingeben. Aber womöglich wissen Sie viel mehr, schränken sich durch Ihre Prägung aber selbst ein.
In anderen Genres ist diese Phänomen längst ein lukrativer Geschäftszweig. Denken Sie etwa an die Musikbranche. Wie finden Sie dort neue Musik? Durch Empfehlungen, klar. Aber auch durch Dienste und Apps, die Ihnen so was sagen wie: „78 Prozent der Kunden, die diesen Song mögen, hören auch noch…“ Oder gar durch intelligente Programme, die aus Ihrem Musikgeschmack lernen und daraus passende Vorschläge auswählen, auf die Sie selbst nie gekommen wären.
Klassische Jobbörsen können das nicht. Es gibt aber bereits erste Ansätze, die dies versuchen umzusetzen. Das Startup Truffls aus Köln zum Beispiel. Mit Hilfe von Algorithmen, wie Sie auch bei Musikportalen verwendet werden, sollen den Nutzern dort passende Jobs auf Basis des hinterlegten Lebenslaufs und der eigenen Neigungen vorgeschlagen werden. Und das mit der Zeit angeblich immer besser. Das Forschungsprojekt wurde 2013 mit dem EXIST-Gründerstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie unterstützt und kooperiert aktuell mit der Universität zu Köln, der TU Darmstadt und der Universität Zürich.
Es gibt aber auch ein paar Dinge, die Sie selbst tun können, um den Suchhorizont zu erweitern…
Wie finde ich vakante Jobs, die zu mir passen?
Um der latenten Prägung entgegenzuwirken und trotz der Fülle an Jobalternativen den Überblick zu behalten, ist es zunächst wichtig, genau zu wissen, was man kann und will. Das ist die Basis. Daraus schon ein Berufsbild abzuleiten, wäre zu früh – es wäre eben noch zu sehr vorgeprägt.
Erweitern Sie zunächst möglichst Ihren Horizont und Ihr Netzwerk. So gewinnen Sie neue Anknüpfungspunkte, neue Ideen – und seien es nur Anregungen von Menschen, die Sie vorher nicht kannten. Das macht Arbeit, kostet Zeit, lohnt aber.
Darüber hinaus sollten Sie Ihre Suchtechnik selbst hinterfragen und verbessern:
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Suchbegriffe
Wenn Sie schon auf klassischen Jobsuchmaschinen unterwegs sind, versuchen Sie neue Begriffe zu finden, wonach Sie suchen können. Synonyme können dabei ebenso helfen wie sogenannte Ontologien – also Begriffspaare, die in irgendeiner Form miteinander in Beziehung stehen.
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Suchprofile
Dank des Internets gibt es heute zwei Strategien, einen Job zu finden – eine aktive und eine passive. Bei der zweiten setzen Sie vor allem darauf, gefunden zu werden. Zum Beispiel, weil Sie selbst zu einer Art Marke geworden sind oder aber mit ihren Online-Veröffentlichungen (auf Xing, Linkedin oder im eigenen Blog), sich als Experte für bestimmte Suchbegriffe positioniert haben.
Die gute Nachricht ist: Den wichtigsten Schritt, um der latenten Prägung entgegen zu wirken, sind Sie inzwischen schon gegangen. Es ist das Bewusstsein darüber, dass es dieses Phänomen und diese Selbstlimitierung überhaupt gibt.