Paranoia Definition: Alles ist grundsätzlich verdächtig
Die Krankheit Paranoia haben vermutlich die wenigsten Menschen im Sinn, wenn sie das Wort hören oder benutzen. Aber was genau verbirgt sich dahinter? Der Begriff Paranoia (englisch = paranoia) leitet sich aus dem Griechischen von para = wider und noûs = Verstand ab und bedeutet demnach so viel wie „wider den Verstand“, „verrückt“ oder „wahnsinnig“.
Es handelt sich gemäß des internationalen Klassifikationssystems, ICD-10, um eine psychische Störung, bei der die Betroffenen unter einer verzerrten Wahrnehmung leiden. Sie verdächtigen zum Beispiel andere Personen, ihnen in irgendeiner Form Schaden zufügen zu wollen.
Das schlägt in extrem ängstlichen oder bisweilen aggressiven Verhalten anderen gegenüber nieder. Paranoia hat viele verschiedene Gesichter, beispielsweise reagieren die Betroffenen übermäßig sensibel auf Zurückweisung und Kritik. Auch Kränkungen und übergroßes Misstrauen sind Teil des Krankheitsbildes.
Typischerweise lassen sich die Betroffenen trotz eindeutiger Fakten und Überprüfbarkeit bestimmter Sachverhalte nicht vom Gegenteil überzeugen, sondern glauben unbeirrbar an ihrer Wahrnehmung. Das zieht sich durch sämtliche Lebensbereiche von der Arbeit bis ins Privatleben: Nicht selten wird der Partner der Untreue verdächtigt.
Von diesen Wahnvorstellungen abgesehen, wirken paranoide Persönlichkeiten absolut normal. Sie können ihrem Gegenüber ihre Wahnideen klar argumentieren und auch sonstige Gefühlsregungen, Ausdruck und Verhalten lassen keinerlei Rückschlüsse auf Paranoia zu.
Paranoia kann sich äußern in:
- Eifersuchtswahn
- Größenwahn
- Liebeswahn
- Religiöser Wahn
- Verfolgungswahn
Die Erkrankung kann im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen stehen wie die Borderline-Störung, Schizophrenie, aber auch Hirntumoren oder Drogen- und Alkoholmissbrauch.
Die Ursachen für Paranoia können sowohl im sozialen Bereich als auch in der Umgebung gesehen werden. Studien zufolge sind vor allem Menschen gefährdet, die sich schnell ohnmächtig fühlen und zur Opferrolle neigen. Verstärkt wird dies meist durch einen geringeren sozio-ökonomischen Status und Diskriminierung.
Paranoia: Verfolgungswahn im Alltag
Neben der klinischen Paranoia, die in ihrer extremen Ausprägung einer Behandlung bedarf, gibt es eine gesellschaftliche Wahrnehmung von Paranoia. Diese mildere Form des Verfolgungswahns im Alltag, der umgangssprachlich ebenfalls als Paranoia bezeichnet wird, könnte man als „auffällige Form der Weltwahrnehmung“ beschreiben.
Der eine oder andere fühlt sich beispielsweise am Arbeitsplatz verfolgt: Der Chef will einen schikanieren. Die Kollegen wollen einem nur Böses. Und überhaupt stecken alle unter einer Decke! So als ob wirklich keiner etwas Besseres zu tun hätte, als auf den einen Kollegen herumzuhacken.
Klar, gibt es auch das: Nicht mit allen Menschen verstehen wir uns gleich gut. Und vielleicht hat der Vorgesetzte Ihnen in letzter Zeit mehr Arbeit aufgetragen als zuvor. Nur steckt nicht hinter allem gleich eine Verschwörung oder gar Mobbing. Jeder hat mal einen schlechten Tag, auch Chefs.
Und wenn seit Neustem einige Arbeitskollegen etwas verschnupft auf die Anwesenheit eines anderen reagieren, könnte es an der Zeit sein sich zu fragen, woran das liegt. Vielleicht hat er oder sie eine unbedachte Äußerung getan? Aber genau hieran krankt es eben bei Menschen mit Paranoia: Sie sind häufig unglaublich selbstbezogen.
Alles dreht sich um sie, aber dass das Verhalten anderer in ihnen selbst begründet sein könnte, das scheidet als Erklärung aus. Selbst Umstände, die andere Kollegen als Zufall oder Unglück betrachten würden – etwa dass der Strom genau dann ausfällt, wenn gerade eine Präsentation gehalten werden soll – wird jemand mit Paranoia auf andere schieben.
Paranoia: Der Schlüssel zur Niederlage oder Erfolg
Falsche Anschuldigungen und ein generelles Misstrauen sind ständige Begleiter von Paranoia. Mit so einem Kollegen zusammen zu arbeiten, ist nicht leicht. Alles muss auf die Goldwaage gelegt werden und ist unnötig anstrengend. Tatsächlich kann übertriebene Paranoia in die Selbstsabotage münden:
Selbst wenn der Intellekt vorhanden ist: Mit so einem Verhalten schaden Paranoiker sich selbst und manövrieren sich schnell in die Isolation. Wer mag schon ständig verdächtigt werden, einem anderen mutwillig Schaden zufügen zu wollen?
Dennoch lässt sich beobachten, dass Paranoia gar nicht so selten vorkommt, vor allem wenn es um Macht und Erfolg geht. Bestes Beispiel dafür ist die Politik: Eine Person mag durch glückliche Umstände (die „richtige“ Partei, zur rechten Zeit am rechten Ort) unvermittelt in eine hohe Position aufsteigen und verfügt nun über Macht, Dinge zu bestimmen.
Gleichzeitig kann ein katastrophales Wahlergebnis oder eine politische Affäre im nächsten Moment das Ende bedeuten und schon sind die ganzen „Freunde“ plötzlich weg.
Es ist also kein Wunder, dass manche Menschen in solchen Berufen und einflussreicher Position extrem vorsichtig sind. Gerade wenn Sie weit oben in der Hierarchie sind, können Sie nie exakt wissen, wem Sie trauen können und wem nicht. Das gilt zumindest für Partner und Verbündete, die sich noch nicht durch langjährige Unterstützung Ihr Vertrauen sichern konnten.
Zu groß ist die Gefahr, dass jemand Sie und Ihre Macht ausnutzen und zu seinem Vorteil missbrauchen will. Ein gewisses Maß an Paranoia ist in diesem Fall reiner Selbstschutz.
Für Diktatoren ist die übermäßige Angst vor Kontrollverlust immer ein willkommenes Mittel zu Säuberungsaktionen gegen missliebige Kritiker und potenzielle Konkurrenten. Paranoia dient hier dem Machterhalt.
Paranoia im Arbeitsleben
Seien wir ehrlich: Wir befinden uns immer wieder in Konkurrenzsituationen im Leben. Nicht umsonst wird misstrauisch geäugt, wieso der Neue Kollege plötzlich Chefs Liebling ist.
Abgesehen davon, dass es in manchen Fällen vielleicht klare Bevorzugung gibt, gibt es immer auch Leute, die anderen ihre erarbeitete Position neiden. Diese Kollegen sägen an Ihrem Stuhl, indem Ihnen Informationen beispielsweise vorenthalten werden.
Es handelt sich also keineswegs um Paranoia, wenn Sie sich bestimmte Phänomene bewusst machen und auf deren Zeichen achten. Denn wenn Gerüchte gestreut oder Ihnen Stück für Stück Verantwortlichkeiten entzogen werden, können Sie solche Vorfälle belegen. Dann handelt es sich nicht nur um Mutmaßungen, sondern real überprüfbare Vorgänge.
Ganz gleich, ob es um eine mühsam erarbeitete Position im Unternehmen oder als Inhaber einer Firma um die Vormachtstellung auf dem Arbeitsmarkt geht: Niemand möchte so eine Führungsposition gerne aufgeben.
Ein gesundes Maß an Paranoia ist auch mit Blick auf die außerbetriebliche Konkurrenz berechtigt: Industriespionage bei Technologiekonzernen ist keine Seltenheit und kann finanzielle Konsequenzen haben.
Paranoia als Wettbewerbsvorteil
Kann es also sein, dass Paranoia letztlich zwar als als Mikromanagement verpönt ist, letztlich aber dem Betrieb zugute kommt?
Woran Sie Paranoia bei Führungskräften und im Unternehmen erkennen:
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Deutliche Vetternwirtschaft
Paranoide Führungsrkäfte haben nur einen kleinen Kreis von langjährigen Vertrauten um sich herum. Diese kontrollieren den Informationsfluss und sind die einzigen mit Entscheidungsbefugnissen. Für ihre Loyalität werden sie gut entlohnt.
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Kaum Entscheidungen
Entscheidungen kommen nur sehr langsam zustande, da die Betrauten sich nur zögerlich oder gar nicht entscheiden. Das blockiert Arbeitsabläufe.
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Wenig Förderung
Jemand mit ausgeprägter Paranoia wird seine Mitarbeiter wenig fördern, denn es handelt sich um potenzielle Rivalen. Werden sie nicht als Bedrohung betrachtet, so werden die Mitarbeiter nicht als wichtig genug beziehungsweise ihr Betrag zum Erfolg als zu gering angesehen.
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Schlechte Kommunikation
Die Gerüchteküche brodelt, da es keine transparente Kommunikation gibt. Anspielungen und Unterstellungen wird Vorschub geleistet.
Bereits der ehemalige CEO von Intel, Andy Grove, behauptete in seinem Buch Only the Paranoid Survive (deutsch: Nur die Paranoiden überleben), dass ein bisschen Paranoia notwendig sei. Nur so würden Unternehmen sich gebührend in Acht nehmen und könnten angemessen schnell auf Veränderungen reagieren.
Auch andere erfolgreiche Führungspersönlichkeiten sehen das so. Etwa Catherine Ulrich, Chief Product Officer von Shutterstock, einer der größten Firmen für Stockfotos:
I’ll always be a little paranoid. I’m often thinking about whether the customer is going to find a better product out there. Maybe it makes me sound weird, but paranoia is one word that makes me stay on top.
Dem pflichtet auch Bruce Aust bei, stellvertretender Vorsitzender von NASDAQ, der größten elektronischen Börse:
Paranoia is good. Paranoia makes you think about your competitors, and that’s going to make you better.
Vorzüge von Paranoia durch Studie untermauert
Paranoia als Mutter der Porzellankiste – das gilt für Führungskräfte im alltäglichen Wettbewerb, aber erst recht bei neu aufkommenden technologischen Entwicklungen. Grove scheint 1996 mit seinen Worten etwas vorweggenommen zu haben, das auch Studien untermauern:
Niels Van Quaquebeke, Psychologe an der Kühne Logistics Universität in Hamburg, beobachtete für seine Studie 441 Angestellte aus verschiedenen Unternehmen und Positionen über einen Zeitraum von sechs Monaten. Anhand eines Fragebogens wurden die Testpersonen in verschiedene Stufen von Paranoia eingeteilt.
Es stellte sich heraus, dass der Grad der Paranoia mit dem Aufstieg in der Unternehmenshierarchie korrelierte. Das hängt damit zusammen, dass erfolgreiche Menschen deutlich stärker zu Self-Monitoring, also Selbstkontrolle, Eigenüberwachung, neigen als andere Menschen.
Diese Eigenschaft ist eng mit Paranoia verknüpft, so dass angenommen wird, dass sie einen Einfluss darauf hat, wie gut jemand in einem Unternehmen aufsteigt. Denn es führt dazu, dass paranoide Menschen immer mit dem Schlimmsten rechnen und daher im Fall aller Fälle tatsächlich gut vorbereitet sind.
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