Was ist Breathwork?
Breathwork – der Begriff klingt nach Arbeit, hat damit aber nichts zu tun. Im Wesentlichen geht dabei um Atemübungen und Techniken, die helfen, die eigene Atmung bewusst wahrzunehmen, zu kontrollieren sowie Körper und Geist damit zu steuern und sogar die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Breathwork kann Stress reduzieren, uns beruhigen und helfen, geistige Klarheit zu finden.
Die Heilkunst der richtigen Atmung hat eine lange Tradition. Schon im vorchristlichen Ägypten finden sich Schriften über heilende Atemtechniken. Ebenso in fernöstlichen Kulturen, in China, Indien, im Yoga oder der Kunst der Meditation.
Wieso ist richtiges Atmen wichtig?
Atmen ist ein Selbstläufer, richtiges Atmen nicht. Dabei hat es enorm positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Die Nasenatmung hat dabei besonderen Einfluss.
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Blutdruck
Verstärkte Atmung über das rechte Nasenloch aktiviert den Sympathikus. Das Nervengeflecht versetzt den Körper in Alarmbereitschaft: Der Kreislauf beschleunigt, Körperwärme, Blutdruck und Herzfrequenz steigen. Die linke Gehirnhälfte wird stärker durchblutet – der Bereich für Sprache, Entscheidungen und Berechnungen.
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Entspannung
Das linke Nasenloch wiederum aktiviert den Parasympathikus. Er ist für Entspannung und Verdauung zuständig. Ebenso lässt sich darüber der Blutdruck senken und den Körper beruhigen. Auch wird so die rechte Gehirnhälfte stärker durchblutet – Kreativität und abstraktes Denken erhöhen sich.
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Gewicht
Wer abnehmen will, kann das ebenfalls durch richtiges Atmen. Tatsächlich verlieren wir auch durch die Atmung Gewicht: Die Moleküle des Kohlendioxids, das wir ausatmen, sind schwerer als diejenigen, die wir einatmen.
Mit speziellen Atemübungen lässt sich sogar das Nerven- und Immunsystem positiv beeinflussen und die Körpertemperatur regulieren oder sie lösen Blockaden und Verspannungen. Der Körper wird dadurch basisch, „entzündungsverursachende Proteine werden reduziert und wir kurbeln den Selbstheilungsprozess an“, sagt zum Beispiel Breathwork-Coach Frank Roser. Falsche Atmung kann dagegen zu Haltungsschäden und Rückenproblemen führen.
Breathwork Übungen
Breathwork besteht aus einer Reihe von unterschiedlichen Übungen und Atemtechniken. Die populärsten stellen wir Ihnen im Folgenden vor.
Coherent Breathing
Coherent Breathing bedeutet kohärentes, also stimmiges Atmen. Dafür atmen Sie etwa 5 Sekunden lang durch die Nase ein und ebenso lange wieder langsam durch die Nase aus. Das wiederholen Sie sechs Mal pro Minute. Ziel dieser Breathwork-Übung ist, die Atemphasen zu verlängern. Viele atmen nur zwei bis drei Sekunden pro Atemzug. Mit der verlangsamten Atmung aktivieren Sie den Parasympathikus und kommen unmittelbar zur Ruhe.
Box Breathing
Für die sogenannte Kastenmethode müssen Sie 4 Sekunden tief durch die Nase einatmen, dann halten Sie die Atmung 4 Sekunden lang an. Nun atmen Sie 4 Sekunden aus und atmen danach erneut 4 Sekunden ein. Stellen Sie sich das Ganze als Quadrat oder Kasten („Box“) mit vier Seiten vor – daher Box Breathing. Während Sie die Luft anhalten, wird der Sauerstoff im Körper zu Kohlendioxid umgewandelt und Sie entspannen. Diese Technik verwenden auch amerikanische Navy Seals bei Einsätzen, um einen klaren Kopf zu bewahren.
Tummo
Vor rund 1.000 Jahren erfand der indische Mönch Naropa die Tummo-Technik. Sie ermöglicht es, mittels Atmung nicht zu erfrieren. „Tummo“ bedeutet „inneres Feuer“. Für die Tummo-Technik gehen Sie in eine entspannte Position auf den Rücken. Atmen Sie tief in den Mund ein und aus, sodass Ihr Bauch sich wölbt. Wiederholen Sie das Ganze zügig 30 Mal, ohne zu unterbrechen. Beim 30. Ausatmen halten Sie den Atem an, so lang wie möglich. Sobald Sie nicht mehr anhalten können, atmen Sie so viel wie möglich ein und halten erneut die Luft für 15 Sekunden an. Dann atmen Sie aus und kommen in die normale Atmung.
Dieses Prozedere ist ein Tummo-Durchgang. Durch die Technik führen Sie eine Hyperventilation herbei. Mögliche Schwindelgefühle entstehen durch erhöhten Sauerstoffgehalt im Blut. Während Sie die Luft anhalten, steigt der Kohlendioxidgehalt, gleichzeitig soll der zuvor aufgestaute Sauerstoff in die Zellen gelangen. Tummo erhöht die Körpertemperatur, fördert innere Ruhe, Stressresilienz und Schlaf. Tummo wappnet aber ebenso gegen extreme Hitze und vereint Meditation mit Atemübungen.
Wim Hof Breathwork
Der niederländische Extremsportler Wim Hof („Eismann“) setzt traditionelle Atemtechniken ein und kombiniert sie mit sanften Bewegungen. Wim Hof macht drei solcher Tummo-Durchgänge und verbindet sie anschließend mit extremen Kälteerfahrungen. Er lief barfuß einen Marathon im Eis. Wer die Wim-Hof-Methode probieren will, kann nach dem Breathwork ein Eisbad nehmen, sich nackt in den Schnee legen oder 3 bis 5 Minuten kalt duschen.
Eine Studie aus Den Haag untersuchte Probanden, die nach der Wim-Hof-Methode trainierten und verglich sie mit der Kontrollgruppe: Beide waren mit Grippeviren infiziert. Ergebnis: Wer zuvor ein Wim-Hof-Breathwork absolviert hatte, besaß eine höhere Resistenz. Die Kälteanwendungen aktivieren das Immunsystem und fördern die Vermehrung von Leukozyten, die Krankheitserreger abwehren.
Sudarshan Kriya
Zu den körperlichen Reinigungstechniken im Breathwork gehört das Sudarshan Kriya. Es entstand vor etwa 50 Jahren und geht auf den indischen Spirituellen Sri Sri Ravi Shankar zurück. Diese Atempraxis besteht aus vier zyklischen Atemübungen:
- Ujjayi (siegreicher Atem)
Dazu atmet der Praktizierende langsam und entspannt ein und aus, etwa 2 bis 4 Atemzüge pro Minute. - Bhastrika (Blasebalg-Atem)
Für die Blasebalg-Atmung atmen Sie schnell und kräftig ein und aus, etwa 30 Atemzüge pro Minute. Die Ausatmung sollte doppelt so lange dauern wie die Einatmung. - Om Chant (Om-Rezitationen)
Anschließend singt man drei Om-Gesänge. Dazu teilt man den Laut in drei Teile: A – U – M. - Kriya (reinigender Atem)
Hierfür wird in langsamen, mittleren und schnellen Zyklen geatmet. Die Dauer beim Einatmen sollte doppelt so lang wie die Ausatmung sein.
Diese Breathwork-Technik trägt zum allgemeinen Wohlbefinden bei und lindert Angstzustände. Selbst bei posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen soll es helfen.
Holotropes Atmen
Diese Übung geht auf den tschechisch-amerikanischen Psychiater Stanislav Grof zurück, der in den 60er Jahren mit LSD experimentierte. Grof fand heraus, dass sich durch Atmung und Musik ein vergleichbarer halluzinogener Effekt erzielen ließ wie mit LSD. Bei dieser Technik atmen die Teilnehmer bis zu zwei Stunden schnell und tief ein und kommen durch Hyperventilation in eine Art Trance-Zustand. Die Atemsitzungen können zwischen zwei und vier Stunden dauern. Meist arbeiten Paare in Gruppen miteinander, ein Begleiter und ein „Atmender“, der mit geschlossenen Augen auf dem Boden liegt.
Nach dieser Entspannungsübung fallen die Atmenden in eine schnellere und dynamische Atmung. Evokative Musik – erst schnelle Rhythmen durch Trommeln, dann dramatische und schließlich langsame Musik – unterstützt den Prozess. Diese Kombination soll starke Körpergefühle hervorrufen und innere Blockaden lösen. Teilnehmer, die holotropes Atmen praktizieren, berichten von veränderten Bewusstseinszuständen.
Rebirthing
Die Praktik des Rebirthing geht auf den Psychotherapeuten Leonard Orr zurück. Sie ist eine Fortführung des holotropen Atmens. Gleich ist beiden Methoden, dass sie zur Hyperventilation führen. Im Rebirthing praktizieren die Teilnehmer das zirkuläre Atmen. Bedeutet: Sie atmen ohne Pause ein und aus. Das führt zu einer veränderten Wahrnehmung und soll den Zugang zu verborgenen Erinnerungen erleichtern.
Mit Rebirthing sollen die Praktizierenden das sogenannte „Geburtstrauma“ erleben, also sich wieder an den Vorgang der Geburt erinnern. Statt die Erinnerungen auszusprechen, werden sie mit der Atmung ausgestoßen. Die Erinnerung an möglicherweise komplizierte Vorgänge soll dabei helfen, auch andere Probleme und Gedanken im Leben zu hinterfragen. Praktizierende fühlen sich nach dieser Methode oft wie neugeboren und geborgen, alte Konflikte und Ängste sind bedeutungslos.
Ist Breathwork gefährlich?
Übungen wie das Holotropic Breathwork sind nicht unumstritten. Es ist körperlich anstrengend. Zudem fällt der Kohlendioxidanteil im Blut ab. Dadurch verengen sich die Gefäße. Das kann zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff führen. Die Folge können Krämpfe, Schwindel bis hin zur Ohnmacht sein. Holotropes Atmen wird deshalb unter folgenden Umständen nicht empfohlen:
- Schwangerschaft
- Herz-Kreislauf-Problemen
- Glaukom
- Aneurysma
- Asthma
- Epilepsie
Auch andere Breathwork Methoden sind umstritten: Die oben vorgestellten Methoden greifen zum Teil in die Psyche ein – ohne dass Sie ein psychologisch ausgebildeter Therapeut begleitet. Traumatherapeuten halten das Rebirthing daher für Unsinn – Orr selbst war nur ausgebildeter Verkäufer.
Generell gefährlich kann die Hyperventilation für Menschen mit Vorerkrankungen werden. Bekannt ist beispielsweise der Todesfall einer Wiesbadener Asthma-Patientin nach einer Rebirthing-Sitzung. Experten warnen davor, „mal eben“ mit Hyperventilation zu experimentieren. Unter Umständen findet man sich im Rettungswagen wieder.
Tipps: So geht richtiges Atmen
Der Journalist James Nestor hat über Breathworking einen lesenswerten Bestseller geschrieben: „Breath – Neues Wissen über die vergessene Kunst des Atmens“. Zusammengefasst lässt sich aus seinen Recherchen eine Anleitung für richtiges Atmen formulieren:
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5,5 Sekunden Rhythmus
Die perfekte Atemfrequenz dauert 5,5 Sekunden ein und 5,5 Sekunden aus. So atmen sie genau 5,5 Mal in der Minute. In diesem Rhythmus strömt die Luft bis in die unteren Bereiche der Lunge und füllt sie. Dieses Atmen ist Teil der kohärenten Atmung (auch: Resonanzatmung).
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Nasenatmung
Die Nase feuchtet die Luft nicht nur an, erwärmt sie auf Körpertemperatur oder filtert Staub heraus. Was viele nicht wissen: Die Nase kann eine Abfolge verschiedener Hormone auslösen, die Blutdruck senken oder die Verdauung anregen können. Zusätzlich sorgen die sogenannten Turbinaten darin, dass die einströmende Luft komprimiert und beschleunigt wird. Effekt: Per Nasenatmung nehmen wir 18 Prozent mehr Sauerstoff auf als durch den Mund.
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Langsam atmen
Langsames Atmen aktiviert den Parasympathikus, der für die Entspannung zuständig ist. So kommen Sie leichter in den Ruhemodus und nehmen genügend Sauerstoff zu sich.
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Länger aus- als einatmen
Unter Angst – so auch bei Atemnot – atmen viele Menschen zu schnell in den oberen Brustkorb. Das führt zu chronischer Hyperventilation, bei der sich zu viel Kohlendioxid anstaut. Um diesen loszuwerden, müssen Sie länger aus- statt einatmen.
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Weniger atmen
Damit hängt auch weniger (ein-)atmen zusammen. Weniger zu atmen kann dabei helfen, Asthmaanfälle und Angstattacken zu reduzieren. Als hilfreich hat sich die Buteyko-Methode erwiesen: Ein- und Ausatmen geschehen hierbei nur über die Nase. Nach dem Ausatmen beginnen sie 1 bis 3 Sekunden die Luft anzuhalten, dann atmen Sie ein. Allmählich steigern Sie die Anhalte-Dauer. Für die reduzierte Atmung müssen die Atemzüge kleiner und langsamer werden (Dabei immer den Bauch beteiligen!) Mit jedem neuen Zug reduzieren Sie schrittweise die Atmung und gewöhnen sich an die geringere Luftzufuhr. Praktizieren Sie dies für 3 bis 5 Minuten.
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