Welche Bedeutung hat „Mut zur Lücke“?
Die Formulierung „Mut zur Lücke“ macht im ersten Moment vielleicht stutzig – beinhaltet sie doch die Aufforderung, etwas auszulassen und damit ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen. Warum sollte man Lücken annehmen?
Lücken werden häufig als etwas Negatives betrachtet. Ganz gleich, ob im übertragenen Sinne oder im gegenständlichen. Fehlt ein Zahn, so wird das bei Kindern noch als niedlich empfunden, später meist weniger. Oder Lücken im Lebenslauf etwa.
Sich mit etwas (scheinbar) Negativem zu beschäftigen, ist also keine Selbstverständlichkeit. Das hängt damit zusammen, dass Vollkommenheit, Perfektion und Schönheit oft mit Symmetrie und Vollständigkeit verbunden werden. Ebenfalls dazu gehört die Vorstellung von heil im Sinne von intakt, ganz, gesund.
Diese Bedeutung ist im Begriff Heiland enthalten und wenn wir mit kleinen Kindern sprechen, etwas reparieren, es „heile“ machen. Die Lücke hingegen steht für das Gegenteil:
Imperfektion, etwas ist kaputt, unvollständig und schlimmstenfalls mangelhaft. Eine Lücke auf einer Brücke macht sie womöglich unpassierbar oder birgt zumindest Gefahren. Dieses Horrorszenario baut sich dann auch häufig bei Examenskandidaten in der Prüfung auf: Wird sich nicht alles verfügbare Wissen angeeignet, kann das nur in Nichtbestehen der Prüfung münden.
Ehrgeiz oder schon Perfektionismus?
Grundsätzlich ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, dass jemand seine Prüfung möglichst gut bestehen, eine Aufgabe besonders sorgfältig erledigen möchte. Hohe Ansprüche an sich selbst tragen dazu bei, dass Menschen sich in allen möglichen Bereichen viel Mühe geben.
Sie leben gesünder, treiben mehr Sport. Wer auf einen Empfang oder zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen ist, gibt sich besonders viel Mühe mit seinem Äußeren. All das trägt dazu bei, eine bestimmte Qualität zu sichern und einen guten Eindruck zu hinterlassen – in der Prüfung ebenso wie am Arbeitsplatz. Und es sorgt dafür, dass jemand aufgrund seiner Leistung weiterkommt.
Das Schwierige ist, wenn diese Ansprüche ins Unermessliche steigen und auf alles Mögliche angewandt werden. Dies kann zu einem Perfektionismus führen, der letztlich mehr lähmt, als dass er irgendeine Qualität sichern würde.
Angst ist ein schlechter Ratgeber
Die Angst vor dem Scheitern führt Generation für Generation dazu, dass Menschen sich in Prüfungsphasen die Nächte um die Ohren hauen. Häufig mündet es in Bulimielernen, selbst kurzfristig wird noch versucht, jede erdenkliche Lücke zu stopfen.
Warum sollte man also Mut zur Lücke haben? Weil es entspannt. Denn dieser übergroße Anspruch verursacht bei vielen regelmäßig Stress und Panikattacken. Dahinter steckt nicht nur simple Angst vorm Scheitern, sondern häufig besagter Perfektionismus. Gut ist nicht gut genug und oft plagen Perfektionisten Selbstzweifel.
Das Streben nach Perfektion ist dann ein Weg, möglichst Beachtung von anderen zu erlangen. Gleichzeitig sichern sie sich nach außen hin ab, alles Erdenkliche für die Sache getan zu haben. Hierin zeigt sich der Wunsch nach Kontrolle. Dabei gibt es selbst bei intensiver Vorbereitung für Prüfungen keine Garantie.
Das Bestehen ist von vielen Faktoren abhängig und einen Teil davon können Sie beeinflussen. Es braucht aber auch eine Portion Glück – etwa, welchen Prüfer Sie zugewiesen bekommen, wie seine Tagesverfassung ist und dergleichen mehr.
Mut zur Lücke: So hilft er in Prüfungen
Wer Mut hat, trifft eine Entscheidung – und diese führt zur Veränderung. In diesem Sinne ist Mut zur Lücke zu verstehen: Sie treffen eigenständige Entscheidungen, was Sie lernen und was nicht. Sie selektieren. Priorisieren. Das, was Ihnen am wichtigsten erscheint, wird zuerst und intensiver gelernt, als das, was eher nebensächlich erscheint.
Theoretisch beinhaltet das das Risiko, dass in der Prüfung etwas abgefragt wird, was Sie nicht vorbereitet haben oder wozu Sie nur wenig sagen können. In der Praxis widmen Sie sich einem bestimmten Themenfeld und da gibt es Wahrscheinlichkeiten, welche Inhalte garantiert gefragt sind und welche nicht.
Damit sind wir bereits mitten im Thema Selbstorganisation. Um für besondere Phasen im Leben gewappnet zu sein, hilft eine solide Vorbereitung. Die muss nicht bis ins kleinste Detail durchgeplant werden – aber sollte für wichtige Dinge wie eine Prüfung eine gewisse Struktur enthalten.
Hilfreich ist es, sich einen Lernplan zu erstellen. Für sämtliche andere Projekte, die Sie erledigen wollen, können Sie nach demselben Prinzip vorgehen:
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Verschaffen Sie sich einen Überblick
Was müssen Sie noch erledigen, lernen, wie viel Zeit steht Ihnen dafür zur Verfügung? Dabei sollten Sie für Ihre Planung bedenken, dass Sie nicht allein auf das Datum oder den Termin schauen, der vielleicht noch weit weg wirkt. Beachten Sie auch zusätzliche Verpflichtungen in der Freizeit, die nicht ohne weiteres umgelegt werden können. Ruhepausen müssen ebenfalls einkalkuliert werden, anderenfalls geraten Sie am Ende wieder unter Druck.
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Legen Sie eine Reihenfolge fest
Nehmen Sie sich Zeit, Ihre Pläne nach Dringlichkeit zu gewichten. Hier hat sich die Eisenhower-Methode als hilfreich erwiesen. Was ist eilig und dringlich? Was ist unwichtig und nicht eilig? Letzteres können Sie direkt aussortieren. Bei Aufgaben, die eilig, aber wenig wichtig sind, kann Ihnen vielleicht jemand behilflich sein.
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Konzentrieren Sie sich auf das Wichtigste
Eben Mut zur Lücke – was ist schmückendes Beiwerk, nice to have, aber nicht lebensnotwendig oder prüfungsrelevant? Das blenden Sie alles aus. Das Geheimnis der konzentrierten Arbeit liegt im Singletasking. Um sich tatsächlich auf das Wichtigste fokussieren zu können, sollten Sie sich immer nur mit einer Sache nach der anderen beschäftigen.
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Achten Sie auf Ausgleich
Nachdem Sie eins nach dem anderen abgearbeitet haben, brauchen Sie eine Erholungsphase. Regelmäßige Pausen zwischen Lerneinheiten und Freizeit, die mit völlig anderen Dingen zum Ausgleich angereichert ist, helfen Ihnen, motiviert zu bleiben und den Stress gering zu halten.
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Beachten Sie das Pareto-Prinzip
Das Pareto-Prinzip – auch als 80-20-Regel bekannt – bedeutet: Mit zwanzig Prozent Ihres Einsatzes erreichen Sie oft schon 80 Prozent dessen, was Sie benötigen. Und in manchen Fällen reichen 80 Prozent, nicht alles muss immer 100-prozentig sein.
Lücken sind keine Katastrophen
So sehr es vielleicht an der einen oder anderen Stelle Überwindung kostet, eben besagten Mut zur Lücke braucht: Lücken sind keine Katastrophe. Selbst der gefürchtete Blackout in der Prüfung lässt sich meist in den Griff bekommen, wenn Sie sich an einige Tipps halten. Mehr dazu lesen Sie HIER.
Oft fällt es Menschen schwer zuzugeben, dass sie von etwas keine Ahnung haben. Es ist ihnen peinlich, wenn der Name des Gesprächspartners entfallen ist. Oder eine Sache wird als Allgemeinwissen bezeichnet – und Sie haben dennoch keinen Schimmer, wovon Ihr Gegenüber gerade redet. Viele Leute sagen dann lieber nichts, als diese Lücke zuzugeben.
Zu groß die Befürchtung, im Ansehen zu verlieren und damit den eigenen Status einzubüßen. Zuvor war er noch als Experte für einen bestimmten Bereich angesehen und plötzlich weiß ausgerechnet dieser Experte etwas nicht, das allen anderen Gesprächspartnern bekannt ist.
Mut zur Lücke zu haben bedeutet, loslassen zu können. Zu akzeptieren, dass etwas schief gehen kann, aber einiges dafür spricht, das es nicht zum Schlimmsten kommen wird.
Selbst wenn Sie beispielsweise im Vorstellungsgespräch in die Situation kommen, auf eine Frage keine Antwort zu wissen, muss das kein K.O.-Kriterium sein. Entscheidender ist Ihr Umgang mit dem Nichtwissen. Je nach Art der Frage – beispielsweise bei sogenannten Stressfragen – geht es gar nicht um die richtige Antwort.
Entscheidender ist hier, welchen Weg Sie wählen, um zu einer Antwort zu gelangen.