Definition: Was ist der Scarring-Effekt?
Der Scarring-Effekt (auch: Narben-Effekt; Scar = Narbe) bezeichnet die langfristigen negativen Folgen der Arbeitslosigkeit auf die spätere Karriere, das Einkommen oder die Psyche von Betroffenen – selbst nachdem die Belastung überwunden wurde.
Besonders betroffen vom Scarring-Effekt sind junge Menschen und Berufseinsteiger, die direkt nach der Ausbildung oder dem Studium keine Anstellung finden (sog. Jugendarbeitslosigkeit) oder gleich wieder „betriebsbedingt“ den Job verlieren. Der Fehlstart ins Berufsleben beeinflusst oft die gesamte spätere Karriereentwicklung, weil die ersten Berufsjahre oft entscheidend sind.
Beispiele und Folgen des Scarring-Effekts:
- Langfristig geringeres Gehalt als der Durchschnitt.
- Geringere Beschäftigungschancen aufgrund von Lücken im Lebenslauf.
- Verlust von fachlichen Kompetenzen und Arbeitsroutine – insb. bei technischen Neuerungen.
- Stigmatisierung durch Arbeitgeber aufgrund längerer Erwerbspausen.
- Vermindertes Selbstwertgefühl und vermehrte Selbstzweifel, teils Depressionen.
- Instabile Erwerbsbiografie (z.B. häufige befristete Arbeitsverhältnisse) mit weniger Aufstiegsperspektiven.
- Schlechtere Altersvorsorge aufgrund unterbrochener Erwerbsbiografien und fehlenden Beitragszeiten.
Welche langfristigen Auswirkungen der Scarring-Effekt auf Jugendliche und die mentale Gesundheit hatte, zeigte sich besonders in der Zeit während und nach der Corona-Pandemie 2020-2024.
Scarring-Effekt in der Volkswirtschaft
In der Ökonomie beschreibt der Scarring-Effekt die mittel- bis langfristigen Schäden, die nach einer schweren Wirtschaftskrise oder einem Schock entstehen. Diese „Narben“ zeigen sich zum Beispiel in einem dauerhaften Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP), erhöhten Quoten der Langzeitarbeitslosigkeit sowie geringeren Investitionen und Unternehmensgründungen.
Typisches Symptom eines Scarring-Effekts ist auch, dass die Wirtschaft nach Ende der Krise nicht vollständig auf den alten Wachstumspfad zurückkehrt. Studien zeigen, dass nach einer schweren Rezessionen ein Großteil des Wohlstandsverlusts dauerhaft bleibt.
Aktueller Scarring-Effekt in Deutschland
Aktuell beuteln den deutschen Arbeitsmarkt nicht nur die anhaltende Konjunkturschwäche, sondern auch die völlig unberechenbare Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump. Hinzu kommt die künstliche Intelligenz, die schon jetzt die Arbeitswelt verändert.
Vor allem einfache Aufgaben lassen sich durch KI automatisieren. Und das trifft vor allem jene, die gerade erst versuchen, ins Berufsleben einzusteigen. Also Berufsanfänger oder Quereinsteiger.
Waren im April 2024 noch rund 240.000 der 15- bis 25-Jährigen arbeitslos, ist diese Zahl laut Bundesagentur für Arbeit inzwischen um mehr als 23.000 Menschen gestiegen. Die Arbeitslosigkeit unter Akademikern ist jüngst sogar rund dreimal so stark angestiegen wie die generelle Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig sank die Zahl der Stellenanzeigen für Hochschulabsolventen im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent.
Bedeutung: Wie wirkt der Scarring-Effekt?
Der erste Job und die ersten Berufsjahre prägen oft entscheidend die weitere Karriere und Erwerbslaufbahn. In den ersten 3-5 Jahren vertiefen viele Einsteiger Ihr Fachwissen, sammeln praktische Erfahrungen, bauen wichtige Netzwerke auf oder spezialisieren sich.
Kommt es gar nicht erst dazu, belastet das die berufliche Entwicklung der nächsten 5-10 Jahre. Die berufliche „Narbenbildung“ führt dann dazu, dass sich Betroffene mit Notlösungen und Jobs mit niedrigen Gehältern zufriedengeben und nicht mehr aktiv ihre Laufbahn gestalten können.
Wissenschaftler am „Institute of Labor Economics“ fanden heraus, dass Menschen, die bereits in jungen Jahren eine Arbeitslosigkeitsphase erlebt haben, mit höherer Wahrscheinlichkeit auch später wieder arbeitslos werden.
Tipps: Was kann ich gegen den Scarring-Effekt tun?
Dem Scarring-Effekt sind Betroffene nicht völlig schutzlos ausgeliefert. Gegen den Effekt können Sie sowohl präventive als auch reaktive Maßnahmen ergreifen – je nachdem, ob Sie aktuell bereits arbeitslos oder schon wieder beschäftigt sind, aber die Folgen spüren.
Das können Sie tun…
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Weiterbildung oder Umschulung
Analysieren Sie kritisch, wie groß die Jobchancen in diesem Beruf langfristig sind. Teils reicht es, Wissens- und Qualifikationslücken durch gezielte Fortbildungen (z.B. digitale und KI-Kenntnisse) zu schließen. Teils ist eine Umschulung und ein kompletter Berufswechsel erforderlich und sinnvoller.
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Netzwerke aktivieren
Aktivieren Sie Ihre Kontakte zu ehemaligen Kollegen oder Kunden und pflegen Sie Ihre beruflichen Netzwerken zum Beispiel auf Linkedin. Besuchen Sie Branchenevents und Kongresse und werden Sie mit Ihren Fähigkeiten am Arbeitsmarkt sichtbarer.
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Bewerbungsstrategie optimieren
Halten Sie Ihren Arbeitsrhythmus bei und betrachten Sie die Jobsuche als Ihren aktuellen „Job“ – bedeutet: Arbeiten Sie täglich an Ihrer Bewerbungsstrategie und optimieren Sie Ihre Bewerbungsunterlagen. Denken Sie auch an eine Initiativbewerbung, um Jobs auf dem verdeckten Arbeitsmarkt zu erschließen!
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Coaching nutzen
Wenn Sie alleine nicht weiterkommen, ist es keine Schande, sich Unterstützung durch einen Coach, Mentor oder Berater zu suchen. Ein Karrierecoaching kann bei der beruflichen Neuorientierung helfen, leistet psychologische Unterstützung und stärkt Selbstvertrauen und Motivation.
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Aktivierungsmaßnahmen nutzen
Lassen Sie sich von der Arbeitsagentur bzw. vom Jobcenter individuell beraten und nutzen Sie deren Angebote wie zum Beispiel Workshops und Kurse zum Bewerbungstraining. Ziel ist immer eine möglichst schnelle Wiedereingliederung und qualifikationsgerechte Beschäftigung, um den Scarring-Effekt zu verhindern oder abzumildern.
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Flexibilität zeigen
Bleiben Sie generell offen für neue Branchen und Berufe, Regionen oder Arbeitsmodelle (z.B. Teilzeit, Remote, Hybrid). Ein strategischer Jobwechsel dauert im Schnitt 3-6 Monate. Überstürzen Sie nichts und bewahren Sie Ruhe!
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Karriereplan erstellen
Wenn Sie bereits einen neuen Job gefunden haben, sollten Sie auch nach dem Wiedereinstieg aktiv an Ihrem Karriereplan arbeiten und die nächsten beruflichen Schritte planen. Nur so können Sie feststellen, ob ein erneuter Wechsel – z.B. in 2 Jahren – strategisch sinnvoll ist.
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Gehaltsverhandlungen führen
Vielen Menschen ist eine Gehaltsverhandlung unangenehm. Sie müssen aber jetzt um eine Gehaltserhöhung kämpfen, um die finanzielle „Narbenbildung“ des Scarring-Effekts zu verhindern. Der jetzige Job sollte jedenfalls kein dauerhafter Kompromiss bleiben – auch nicht finanziell!
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Stärken reflektieren
Werfen Sie einen realistischen Blick auf Ihre bisherigen Erfahrungen und tragen Sie Ihre wichtigsten Stärken zum Beispiel in einer Liste zusammen. Das hilft nicht nur, verlorenes Selbstbewusstsein wieder aufzubauen – Sie entwickeln dabei oft auch neue berufliche Perspektiven für die Zukunft.
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Psychische Resilienz stärken
„Krisen sind Chancen“ – das ist kein Kalenderspruch, sondern stimmt, wenn Sie die Gelegenheit und Jobkrise dazu nutzen, Ihre Resilienz zu stärken. Etwa, indem Sie sich Ihre Erfolge bewusst machen (auch außerhalb der Arbeit) oder durch Coaching oder Therapie Ihr Selbstvertrauen aufbauen und den Scarring-Effekt in seiner Wirkung beschränken.
Während der Arbeitslosigkeit: Aktiv bleiben!
Nach der Arbeitslosigkeit: Wiedereinstieg gestalten!
Gerade in der Anfangsphase hilft es, wenn Sie sich den Alltag strukturieren und zum Beispiel mit einem Wochenplan aktiv dem Scarring-Effekt entgegenwirken.
Alltagstipps gegen den Scarring-Effekt
Bereich |
Was Sie tun können |
Tagesstruktur | Feste Routinen & Arbeitsblöcke |
Lernen | 30 Minuten Weiterbildung täglich |
Netzwerke | 1x pro Woche aktiv Kontakte pflegen |
Aktivität | Projekt, Blog, Ehrenamt führen |
Psyche | Bewegung, Gespräche, Selbstfürsorge |
Ein wesentlicher Punkt ist die psychologische Unterstützung bzw. Stärkung des Selbstwertgefühls, um etwaigen Scarring-Effekten entgegen zu wirken. Gerade bei längerer Arbeitslosigkeit ist es entscheidend, dass Betroffene Perspektiven entwickeln und Fortschritte spüren.
Langfristig sollten Betroffene des Scarring-Effekts vor allem an der Stabilisierung ihrer Erwerbsbiografie – also möglichst längeren Jobs mit wenigen Jobwechseln – sowie einer stetigen Gehaltsentwicklung arbeiten. Zum Beispiel durch regelmäßige Gehaltsverhandlungen. Das Wichtigste ist, dass Sie den Scarring-Effekt bemerken und bereits präventiv dagegen arbeiten!
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