Definition: Was bedeutet „konfliktscheu“?
Der Kollege füllt NIE den Kaffee nach, wenn er das letzte Kaffeepulver entnommen hat? Schwamm drüber – Sie wollten ja noch was in der Büroküche erledigen, dann können Sie das auch noch eben tun. In Meetings oder bei anderen Gelegenheiten vor Kollegen stellt die eine Kollegin Sie auch gerne mal mit einem blöden Spruch bloß? Egal. Man muss auch mal über sich selbst lachen können.
Der Duden definiert konfliktscheu als ein Adjektiv für Personen, die Konflikten aus dem Weg gehen. Synonym zu konfliktscheu können Sie auch davon sprechen, dass jemand harmoniebedürftig, harmonieorientiert, harmoniesüchtig oder konfliktvermeidend ist.
Wann entstehen Konflikte?
Zu einem Konflikt oder gar offenem Streit kommt es dann, wenn persönliche Werte oder Ziele voneinander abweichen oder die Vorstellungen einer Person mit denen einer anderen unvereinbar scheinen. Während streitsüchtige Menschen jeden Anlass als Gelegenheit wahrnehmen, sich abzureagieren, wollen konfliktscheue Menschen um jeden Preis Ruhe bewahren.
Wie sich Streitigkeiten gestalten, hängt von den jeweiligen Parteien beziehungsweise Konflikttypen ab. Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss gleich laut und unangenehm werden. Konfliktscheue Menschen gehen allerdings eher vom Supergau aus: Sie sind anderer Ansicht als der Gesprächspartner und fürchten dessen Aggression, wenn sie beispielsweise auf etwas hinweisen, was ihrer Ansicht nach nicht in Ordnung ist. Infolgedessen treten sie vermeidend und beschwichtigend auf.
Beziehung leidet unter konfliktscheuen Menschen
Ganz gleich, ob im Privaten oder im Beruf: Im Endeffekt leiden Beziehungen unter der konfliktscheue Menschen. Denn natürlich haben nicht alle die gleichen Interessen, Ziele und Wertvorstellungen. Wer aber wofür steht, muss jeder klar kommunizieren – und daran scheitert es bei konfliktscheuen Menschen. Unbewusst gehen sie davon aus, dass andere Menschen mit hellseherischen Fähigkeiten ausgestattet sind. Oder aber sie erwarten, dass ihre „ganz normalen“ Vorstellungen von jedem anderen ebenso geteilt werden müssten. Damit sitzen Konfliktscheue natürlich einem Trugschluss auf.
Und sie schaden sich selbst: Zum einen betreiben sie permanente Selbstverleugnung. Sie nehmen ihre eigenen Wünsche nicht ernst. Zum anderen setzen sie keine klaren Grenzen. Sie sprechen nicht für sich und treten somit nicht für sich ein. Um das obige Beispiel erneut zu bemühen: Natürlich sollte jeder auch über sich selbst lachen können und nicht alles immer bierernst nehmen. Wenn jedoch ein anderer sich in verletzender Weise über Sie äußert, ist es an der Zeit, die Reißleine zu ziehen.
Wem so etwas häufiger passiert, der sollte sich fragen: Wieso immer auf die anderen Rücksicht nehmen? Wieso nehmen die keine Rücksicht auf mich? Oder anders gefragt: Sind Ihre Befindlichkeiten weniger wert als die anderer Leute? Konfliktscheue Menschen merken vielleicht schon recht früh, dass etwas nicht in Ordnung ist, dass sie mit etwas nicht einverstanden sind. Aber sie trauen sich nicht, diesem Gefühl nachzugeben. Sie wollen eben nicht anecken, hoffen immer noch, dass sich das Problem von alleine erledigt. Aber das tut es nicht und somit können sich Frustration und Ärger anstauen.
Bedeutung und Auswirkungen ungelöster Konflikte
Der angestaute Ärger trägt wiederum dazu bei, dass sich der Konflikt ab irgendeinem Punkt tatsächlich in etwas viel Größerem entlädt als wenn Sie direkt beim ersten Anzeichen etwas gesagt hätten. Und hierin liegt die Gefahr: Konfliktscheue Menschen unterdrücken die eigenen Gefühle und Ansichten viel zu lange. Der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, hat drastische Folgen. Eine Konfliktpartei neigt meist zu folgendem Verhalten:
- Persönliche Kränkungen
- Schuldzuweisungen
- Verallgemeinerungen
Das kann die andere Partei nicht auf sich sitzen lassen, und so schaukelt sich der Konflikt hoch. Genau das hatte die konfliktscheue Person vermeiden wollen. Dahinter steckt die Angst, gegen die Erwiderungen der anderen Person nicht gewappnet zu sein, nicht genügend Schlagfertigkeit zu besitzen, um sich dagegen wehren zu können.
Bricht der Konflikt aus, schlagen dann viele im Ton, der Ausdrucksweise und Heftigkeit umso stärker zurück, als sie es eigentlich müssten. Dabei muss nicht jedes Kinkerlitzchen besprochen werden, manchmal lässt sich vielleicht wirklich großzügig über etwas hinwegsehen. Leider gelingt das an einem bestimmten Punkt vielen Menschen nicht und das bewirkt einen weiteren Effekt: Statt den Mut aufzubringen, die Dinge klar beim Namen zu benennen oder tatsächlich großzügig zu verzeihen, zündelt der Ärger im Inneren.
Das mündet in passiv-aggressiven Verhalten: Die konfliktscheue Person stichelt, macht Andeutungen und ironisch-sarkastische Anmerkungen, aber kommt letztlich nie wirklich aus der Deckung heraus. So dass ihr Gegenüber – das unter Umständen gar nicht den Grund des Ärgers kennt – im Dunkeln tappt und sich wundert, warum der andere sich so merkwürdig verhält. Kommt es zu keiner Klärung, trägt dieses Verhalten zur Verschlechterung des Betriebsklimas bei.
Psychologie sieht alte Muster als Ursache
Es ist ein Stück weit eine Frage der Persönlichkeit: Das Big Five Persönlichkeitsmodell sieht im Wesentlichen fünf Hauptcharakterzüge, die in jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Menschen, bei denen die Verträglichkeit besonders hoch ausgeprägt ist, sind eher konfliktscheu. Sie sind für gewöhnlich kompromissbereit, denn die Harmoniesucht ist bei ihnen deutlich stärker als der Wunsch nach Konfrontation.
Wer konfliktscheu ist, hat Angst vor Ablehnung und Verlust der Beziehung. Das ist auch in partnerschaftlichen Beziehungen so: Manche Menschen verbiegen sich bis zur Unkenntlichkeit, nur um den Partner nicht zu verlieren. Natürlich ist den meisten Konfliktscheuen klar, dass unterschiedliche Ansichten zu Streit führen und somit Bestandteil einer Beziehung sind. Leider liegen ihre einzigen Strategien in Beschwichtigung und Verdrängung, weshalb es so lange dauert, bis sich ein Konflikt schließlich entzündet.
Die Gründe dafür liegen oftmals in der Kindheit. Wie sich Konflikte lösen lassen, leben Eltern ihren Kindern vor. Wer in einem gewalttätigen Elternhaus aufwächst und bei jedem Widerwort bestraft wurde, wird konfliktscheu. Denn er hat gelernt, dass Streitigkeiten für ihn zu keinem Ergebnis führen. Auch was die Eltern im Umgang miteinander an Streitkultur praktizieren, hat seinen Einfluss: Werden Konflikte destruktiv ausgetragen und wenig lösungsorientiert, ist es für das Kind schwer zu lernen, wie man konstruktive Konfliktlösung betreibt.
Konfliktscheu überwinden: Das können Sie tun
Schwelen ungelöste Konflikte lange, entzünden sie sich irgendwann an einer Kleinigkeit und führen zur großen Szene. Was der Konfliktscheue vermeiden wollte – Aggression, Heftigkeit und Wut – kommen nun zum Vorschein, eine Konflikteskalation kann die Folge sein.
Das bestätigt die vorherigen Befürchtungen des Konfliktscheuen und befeuert einen Teufelskreis: Er wird bemüht sein, auch zukünftig Streitigkeiten zu vermeiden und noch harmoniesüchtiger auftreten. Aber auch hier ist die nächste Stufe vorprogrammiert: Es kommt irgendwann erneut zu einem Konflikt, der Konfliktscheue wird erneut zu lange warten, deshalb wird er wesentlich heftiger reagieren als es notwendig gewesen wäre, bis das Ganze in ein Desaster mündet.
Ihr Gegenüber ist konfliktscheu
Streitigkeiten sind für Ihren Gesprächspartner ein Alptraum. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass er in nächster Zeit sein Verhalten komplett ändern wird. Statt Vorwürfe zu äußern, könnten Sie es mit Entgegenkommen versuchen. Gehen Sie deeskalierend vor. Es wird einen Grund dafür geben, warum beispielsweise kein Kaffee nachgefüllt, die Spülmaschine ausgeräumt oder Ähnliches getan beziehungsweise unterlassen wird.
Der augenscheinlichste Grund: Er oder sie hatte keine Lust dazu. Sie könnten das als Vermutung ganz ruhig feststellen und dann ein Angebot machen: Sie erledigen das in Zukunft, wenn Ihr Konfliktpartner Ihnen im Gegenzug etwas anderes dafür abnimmt.
Sie sind konfliktscheu
Sie sind derjenige, der allen Unannehmlichkeiten aus dem Weg geht. Machen Sie sich klar, dass ein Konflikt, eine Meinungsverschiedenheit nicht gleich das Ende der Welt bedeutet. Im Gegenteil: Sie helfen dabei, sich Ihrer Bedürfnisse klarer zu werden.
Ihr Gegenüber kann nicht wissen, wie Sie ticken, solange Sie es nicht eindeutig kommunizieren. Eindeutig heißt, dass Sie am besten in Ich-Botschaften klar benennen, was Ihnen wichtig ist. Vermeiden Sie Pauschaliserungen. Sprechen Sie stattdessen bewusst an, dass Ihnen an einer gemeinsamen Lösung gelegen ist. Somit wird klar, dass es nicht um einseitige Schuldzuweisungen geht und Ihr Gesprächspartner hat die Möglichkeit, angemessen darauf zu reagieren.
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