Streit schlichten: Es darf ruhig Unstimmigkeiten geben
Ein Streit fühlt sich selten gut an. Nicht immer geht es fair zu, manchmal geht es nur darum, dem Kontrahenten eins auszuwischen. Auf der anderen Seite sollte man Streitigkeiten und Auseinandersetzungen aber nicht verteufeln – weder in der Beziehung, noch im Beruf. Tatsächlich kann ein Streit durchaus gut und sinnvoll sein. Solange sie im Rahmen bleiben, sind Meinungsverschiedenheiten sogar notwendig, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Wer ständig nur ja und Amen sagt, geht der Diskussion aus dem Weg. Er wird am Ende aber auch regelmäßig übergangen und ist mit den Ergebnissen unzufrieden, da diese seine Ansichten nicht berücksichtigen.
Auch zwischenmenschlich erfüllt der Streit eine wichtige Funktion. Er sorgt dafür, dass Konflikte nicht endlos lange vor sich hin schwelen und dabei immer gefährlicher werden. Ein kurzer, selbst heftiger Streit ist besser als ein Problem, dass über Wochen unausgesprochen bleibt und irgendwann explodiert. Dabei wichtig: Auseinandersetzungen zu beginnen und diese auszufechten, ist keine Kunst. Entscheidend ist, einen Streit schlichten zu können, bevor dieser vollkommen aus den Fugen gerät. An dieser Stelle tun sich viele Streithähne aber schwer.
Warum Streit schlichten schwer fällt
Streit schlichten klingt in der Theorie einfach: Beide Parteien beruhigen und entschuldigen sich, reichen sich die Hände und es herrscht wieder Friede, Freude, Eierkuchen. Was Kindern noch recht leicht fällt, sieht im Erwachsenenleben ein wenig anders aus. Statt Konfliktbewältigung gehen die Widersacher irgendwann genervt auseinander, versuchen den anderen möglichst zu ignorieren, fühlen sich missverstanden oder zu unrecht attackiert. Aber warum fällt das Streit schlichten so schwer? Dahinter stecken zwei Gründe:
- Die Emotionen kochen hoch
Rational betrachtet ist es natürlich sinnvoll, den Streit schlichten zu wollen. Doch denken Streithähne in diesem Moment nicht rational, sondern werden größtenteils von ihren Emotionen gesteuert. Die Streitparteien konzentrieren sich voll und ganz auf die Wut, den Frust und den empfundenen Ärger. So bleibt kein Raum, sich darüber Gedanken zu machen, den Streit zu schlichten. - Der erste Schritt ist der schwerste
In vielen Situationen sind alle Beteiligten froh, wenn der Streit geschlichtet wird – es scheitert jedoch immer wieder daran, dass niemand den ersten Schritt auf den anderen zugeht. Entweder wissen Sie nicht, was Sie sagen wollen oder Sie sind zu stolz und wollen nicht den Eindruck erwecken, sie würden einknicken und im Streit nachgeben.
Tipps zum Streit schlichten
Ein Streit, der sich ewig in die Länge zieht und Beziehungen langfristig zerstört, ist nicht nur anstrengend, sondern wirkt sich auch negativ auf Glück und Zufriedenheit aus. Gehen Sie beispielsweise jeden Morgen mit dem unguten Gefühl zur Arbeit, dass im Büro ein Kollege wartet, mit dem Sie sich ordentlich verkracht haben, ohne jemals den Streit zu schlichten, ist die Stimmung entsprechend mies. Soweit muss es aber erst gar nicht kommen, denn einen Streit schlichten ist zwar nicht immer leicht, aber auch nicht unmöglich. Die folgenden Tipps helfen Ihnen dabei, die Wogen zu glätten:
1. Entwickeln Sie die richtige Einstellung
Sie müssen wirklich den Streit schlichten wollen und nicht einfach nur genervt von der Situation sein. Rufen Sie sich ins Gedächtnis, wie viel Energie und gute Laune durch den Streit verloren geht und dass Sie eigentlich die Harmonie in Ihrem Umfeld schätzen. So werden Sie sich nicht mehr nur auf den Streit konzentrieren, sondern Ihre Gedanken auf eine Lösung richten, um den Streit zu schlichten.
2. Kommen Sie erst einmal zur Ruhe
Solange die Gemüter noch erhitzt sind, ist es schwer, einen Streit schlichten zu wollen. Die Wut ist noch zu frisch und das Adrenalin vom Streit noch im Körper. Besser ist es deshalb, wenn Sie sowohl sich als auch Ihrem Gegenüber ein wenig Zeit lassen, um sich zu beruhigen. Dabei ist es völlig in Ordnung, wenn jeder erst einmal für sich bleibt und sich ins eigene Büro zurückzieht. Ist der erste Rauch dann verflogen, lässt sich der Streit einfacher schlichten.
3. Warten Sie nicht auf den anderen
Wie bereits erwähnt: Der erste Schritt ist besonders schwer, wenn Sie einen Streit schlichten wollen. Deshalb sollten Sie diesen wichtigen Schritt tun, da Ihr Kontrahent es möglicherweise nicht schafft. Sonst dauert der Streit möglicherweise ewig an.
4. Bitten Sie um Entschuldigung
Nach einem Streit sollten Sie um Entschuldigung bitten – selbst wenn Sie das Gefühl haben, dass eigentlich der andere Ihnen ein Sorry schuldet. Zum einen zeigen Sie damit Größe, da Sie bereit sind, für Ihr Verhalten geradezustehen und einzusehen, dass Sie möglicherweise im Streit nicht ganz fair waren. Auf der anderen Seite öffnet eine Entschuldigung Ihrerseits dem anderen eine Tür und macht es ihm leichter, auch einen Schritt auf Sie zuzugehen.
5. Hören Sie dem Gegenüber weiterhin zu
Streit schlichten bedeutet nicht, dass Kommunikation und Austausch an dieser Stelle enden. Um das Problem wirklich zu lösen und nicht über ähnliche Punkte erneut aneinanderzugeraten, ist es wichtig, weiterhin zuzuhören und auf Ihren Gesprächspartner einzugehen. Was hat ihn so wütend gemacht? Was ist ihm besonders wichtig? Wo ist er zu Kompromissen bereit? Ist der Streit geschlichtet und reden Sie wieder miteinander, können Sie wichtige Informationen erhalten.
6. Nutzen Sie Ich-Formulierungen
Bei Konflikten legen einige jedes Wort auf die Goldwaage und hören Vorwürfe oder Anschuldigungen. Selbst wenn Sie das gar nicht so meinen, schlagen Sie womöglich den falschen Ton an. Das Problem: Viele Formulierungen klingen automatisch wie eine Beschuldigung, sobald Sie den Satz mit „Du“ beginnen. Der Angesprochene fühlt sich sofort angegriffen: „Du hast…, Du willst… Du denkst…“ sind immer implizite Vorwürfe. Einen Streit schlichten Sie besser mit Ich-Botschaften, mit denen Sie die Lage schildern und Ihre Sicht der Dinge wiedergeben, ohne Ihren Gesprächspartner dabei anzugreifen. „Ich denke…“, „Ich sehe das so…“, „Ich bin der Meinung…“ Damit nehmen Sie der Situation gleich eine Menge Konfliktpotenzial.
7. Suchen Sie nach Gemeinsamkeiten
Selbst bei gegensätzlichen Gefühlen und Ansichten gibt es im Streit fast immer Punkte, auf die sich beide Seiten verständigen können. Diese Gemeinsamkeiten sind wichtig, um einen Streit schlichten zu können. Legen Sie den Fokus auf die Dinge, die Sie gemeinsam haben und beginnen Sie an dieser Stelle, eine Lösung zu suchen, mit der beide Seiten gut leben können.
Streit schlichten durch gewaltfreie Kommunikation
Einen wesentlichen Schlüssel zum Streit schlichten entwickelte schon vor Jahren der US-Psychologe Marshall B. Rosenberg mit seinen „Grundregeln der gewaltfreien Kommunikation“ (GFK). Diese sollen eine Konflikteskalation der gegenseitigen Vorwürfe verhindern und sorgen dafür, dass sich niemand angegriffen fühlt oder in eine Verteidigungs- und Rechtfertigungshaltung gerät. Nach Rosenberg besteht diese optimale Kommunikation aus vier wichtigen Phasen (siehe Grafik):
1. Auslöser beobachten
Bei diesem Schritt suchen Sie Abstand von der auslösenden Situation und betrachten diese aus einer wertfreien Perspektive. Nützlich ist es, sich vorzustellen, die Situation wie durch eine Kamera zu sehen: Was ist konkret passiert oder nicht passiert? („Vorhin bin ich im Flur an dir vorbei gegangen und habe Hallo gesagt, von dir kam kein Hallo zurück.“) Das ermöglicht, bewertende Interpretationen, die zu negativen Gefühlen führen, von der wertfreien Betrachtung zu trennen. Bei regelmäßiger Anwendung fallen die verurteilenden Gedanken schneller auf und es entsteht ein Bewusstsein für die Verbindung von diesen Gedanken und den daraus folgenden negativen Gefühlen.
2. Gefühle analysieren
Im zweiten Schritt analysieren Sie Ihre Gefühle in der entsprechenden Situation. Wichtig ist zu verstehen, dass dieses Gefühl lediglich von der Situation ausgelöst und nicht verursacht wurde. Ursache für die Gefühle sind die erfüllten oder nicht erfüllten Bedürfnisse (siehe dazu nächster Schritt). Durch die gewaltfreie Kommunikation übernehmen Akteure die Verantwortung für die eigenen Gefühle. Somit erhalten Sie die Macht über die eigene Gefühlswelt zurück. Fühle ich mich wohl, liegt es daran, dass meine Bedürfnisse erfüllt sind. Bei Unwohlsein liegen unerfüllte Bedürfnisse vor. Nun besteht die Möglichkeit dies zu ignorieren oder dagegen vorzugehen. Letzteres gelingt mit dieser Methode.
Wir differenzieren echte Gefühle und solche, die eher Interpretationen darstellen (übergangen, mißverstanden etc.). Grund hierfür ist, dass der Gesprächspartner sich bei letzterem eher in die Ecke gedrängt fühlt, da man ihm etwas unterstellt. Dies passiert nicht, wenn echte Gefühle genannt werden. Die sieben Basisemotionen von Paul Ekman (amerikanischer Anthropologe und Psychologe) geben hier Hilfestellung bei der Analyse: Überraschung, Ekel, Freude, Ärger, Trauer, Angst, Verachtung.
Im Businesskontext ist es einfacher, von Überraschung oder auch Irritation zu sprechen als zuzugeben, dass man Angst hat oder sich vielleicht hilflos fühlt. Oft ist es so, dass Menschen sich nicht trauen, ihre Gefühle preiszugeben, besonders, wenn sie den Eindruck haben, das könnte ausgenutzt werden. Wer authentisch gewaltfrei kommuniziert, erreicht eher das Gegenüber, als wenn jemand Drohungen oder Warnungen ausspricht. Dies würde keinen Streit schlichten, sondern ihn noch weiter befeuern. Das Beispiel: „Vorhin bin ich im Flur an dir vorbei gegangen und habe Hallo gesagt, von dir kam kein Hallo zurück. „Ich bin überrascht,…“
3. Bedürfnisse erkennen
Die Grundannahme besteht darin, dass unsere Bedürfnisse unsere Gefühle auslösen. Sind sie erfüllt, geht es uns gut. Sind unsere Bedürfnisse nicht erfüllt, fühlen wir uns unwohl. Um letzteres zu ändern, ist es elementar, die nicht erfüllten Bedürfnisse zu erkennen und Abhilfe zu schaffen (dies erfolgt durch den vierten Schritt „Bitte“). Im obigen Beispiel hieße es „weil mir der Kontakt wichtig ist.“ Bei der Formulierung ist darauf zu achten, dass dieses Gefühl vorhanden ist, „weil mir der Kontakt wichtig“ ist und nicht, „weil du mich nicht gegrüßt hast.“
Unsere Bedürfnisse lenken unsere Taten. Für die eigenen Bedürfnisse sind wir selbst verantwortlich. Um sie zu erfüllen, gibt es verschiedene Wege: wir können sie uns selbst erfüllen oder andere fragen. Dabei stehen verschiedene Strategien zur Verfügung. Eine weitere Erkenntnis ist, dass Menschen nicht für die Erfüllung der Bedürfnisse anderer zuständig sind. Hierbei geht es nicht um puren Egoismus, sondern darum, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und zu sehen, dass die eigene Kraft davon abhängt, wie wir mit uns und unseren Bedürfnissen umgehen. Anders ausgedrückt: Die Bedürfnisse werden als Motivator für Handlungen erkannt.
4. Änderung erbitten
Bei dieser Analyse bleibt es nicht. Durch den letzten Schritt, die Bitte, ändert sich etwas an der Situation und eine Handlungsorientierung erfolgt. („Kannst du mir bitte sagen, ob du mich gesehen hast?“) Somit deckt die gewaltfreie Kommunikation beide Ebenen der Kommunikation ab, die Sachebene (durch die Beobachtung und Bitte) und die Beziehungsebene (durch Gefühl und Bedürfnis).
Bekommen Personen die Möglichkeit, freiwillig zu helfen, tun sie dies gern. Sobald jedoch Druck aufkommt, verschließen sie sich und helfen weniger gern. Folglich ist es wichtig, dass Sie Bitten mit der richtigen Haltung aussprechen. Als Bitte und nicht als Forderung, so dass Ihr Gegenüber die Möglichkeit hat, dieser Bitte nicht nachzukommen. Diese Bitte kann an sich selbst gerichtet sein, an den Betroffenen, mit dem die Situation besteht oder an jemand anderen. Dabei kann die Bitte ganz einfach sein. Beispielsweise „Kannst du mir bitte sagen, ob du bereit bist, mit mir über dieses Thema zu reden?“ Oder auch „Kannst du mir erklären, woran es lag?“
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