Wir sind ganz schön bequem geworden
Ich möchte Ihnen gerne eine Geschichte erzählen, die mir kürzlich passiert ist: Der Kollege kam aus einem Zoom-Call und wollte sich schnell einen Kaffee holen. An der Maschine blinkte so ziemlich jede vorhandene LED-Birne. Wassertank leer, Kaffeesatzbehälter voll, Bohnen fehlen… Und nicht nur das: Irgendwer hatte wohl etwas zu schwungvoll den Rückweg ins Büro genommen: Eine Kleckerspur zog sich über den Gang.
Sein erster Impuls: Zum Lappen greifen und das Malheur wegwischen. Da die Flecken kaum von selbst entstanden sind, ging er ins Büro des Vertriebsteams und fragte nach, wer denn auf dem Rückweg von der Kaffeemaschine einen Schwächeanfall erlitten hatte. Was passierte? Die anderen schauten angestrengt auf ihre Bildschirme. Zwei oder drei schüttelten den Kopf: „Also ich war das nicht…“
Mit Scheuklappen durchs Unternehmen
Klar geht von ein paar Kaffeeflecken nicht die Welt unter. Doch ich finde das Verhalten symptomatisch für unsere Gesellschaft. Alle wollen sich nur die Rosinen rauspicken. Sozialverhalten? In immer mehr Fällen mangelhaft. Bedeutet Arbeit, dass du nur noch das tust, was in deinem Vertrag steht und ansonsten rennst du mit Scheuklappen durchs Unternehmen? Das kann es doch nicht sein!
Mit Sicherheit bricht sich keiner einen Zacken aus der Krone, wenn er oder sie mal die Spülmaschine ausräumt, nach dem gemeinsamen Mittagessen den Tisch abwischt – oder eben den Wasserbehälter der Kaffeemaschine nachfüllt und den verschütteten Kaffee wegwischt. Egal, ob von sich oder von anderen.
Keiner will sich die Hände schmutzig machen
Mein Eindruck ist, dass sich heute viele zu schade dafür sind, Arbeiten zu erledigen, die keinen Spaß machen, die körperlich anstrengend sind und bei denen man sich schmutzig macht, die gesellschaftlich nicht so angesehen sind. Versuchen Sie heute mal einen Handwerker zu bekommen! Egal, worum es geht: Ob Badezimmer-Sanierung, Tapezieren oder sonst was – die guten Leute sind über Monate ausgebucht!
Aber wieso? Nicht, weil es den Menschen in unserem Land so gut geht, dass sie ständig ihre Häuser verschönern. Sondern weil es immer weniger Handwerker gibt. Die Meister suchen händeringend nach Nachwuchs, weil die deutschen Jugendlichen lieber studieren oder eine Ausbildung in einem Bürojob machen wollen. Da kann ich nur den Kopf schütteln. Ist es nicht eine tolle Sache, Dinge mit den eigenen Händen zu erschaffen?
Keine Lust mehr auf den Job?
Ich bin ein Junge aus dem Ruhrgebiet, durch und durch. Mein Opa war Steiger, mein Vater hat unter Tage Schweißer gelernt. Ich habe erlebt, was man mit ehrlicher, harter Maloche erreichen kann. Auch meine Anfänge waren wenig glamourös. Ich habe jede Gelegenheit genutzt, um mir neben meiner Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann Geld dazuzuverdienen.
Ich habe Zäune gestrichen, Türsteher in der Disco gemacht – und dazu gehörte auch, nach Ladenschluss diverse Hinterlassenschaften der Gäste zu beseitigen. Klar war das nicht so toll, doch es war Teil des Jobs. Es war meine Verantwortung – also habe ist es gemacht. Doch da sind die meisten heute raus: Sobald es unangenehm wird, haben sie keine Lust mehr auf den Job.
Sind wir alle aus Zucker?
Auch im Vertrieb erlebe ich sowas: Sobald es regnet, haben die Jungs im Direktvertrieb keine Lust mehr, auf die Fläche zu gehen. Die sitzen dann lieber in ihren Autos oder irgendwo im Café, anstatt Kilometer zu machen, an den Haustüren zu klingeln und Aufträge zu schreiben. Sind denn plötzlich alle aus Zucker?
Diese Denken bekommen schon Kinder eingeimpft: Ich kenne Eltern, die schimpfen, wenn die Kids vom Spielen dreckig nachhause kommen. Die Frau eines Mitarbeiters, die Kindergärtnerin ist, erzählte mir, dass sie eine wütende E-Mail von einer Mutter bekommen hatte. Sie solle bitte dafür aufkommen, dass der Cashmere-Pulli ihrer Tochter nicht mehr zu retten sei nach dem Malen mit Fingerfarben. Ernsthaft? Wer bitte schickt seine Kinder mit Designer-Klamotten in den Kindergarten und erwartet dann, dass andere für etwaige Schäden aufkommen?
Lieber Hartz IV statt Autobahn-Kilometer fressen
Wohin uns das führen wird, wenn wir nicht dringend etwas ändern und umdenken, sehen wir in Branchen wie der Altenpflege, der Müllentsorgung – oder in der Logistik. Nach Angaben des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) fehlen in Deutschland rund 80.000 Lkw-Fahrer – und die Zahl steigt jedes Jahr um 15.000. Lkw-Fahrer ist kein beliebter Job mehr. Warum eigentlich?
Klar bist du oft tagelang weg von zuhause, musst beim Aus- und Umladen anpacken und auf den Raststätten geht es bisweilen rau zu. Doch werden auch bis zu 3.600 Euro brutto bezahlt. Und wegen des Fahrermangels steigen die Löhne sogar. Doch trotz 3,19 Millionen Arbeitslosen hat keiner Bock auf eine vom Staat bezahlte Umschulung.
Ich kenne einen Spediteur, der bezahlt sogar selbst die Fahrschule für den Lkw-Führerschein. Besser geht’s nicht! Trotzdem wählt die Mehrheit der potenziellen Kandidaten lieber den 446 Euro Hartz-Regelsatz: Lieber ein bisschen Geld ohne Anstrengung, als sich mit eigener Leistung etwas verdienen…
Rückbesinnung oder Totalschaden?
Klar, noch haben wir keinen Notstand. Doch so richtig rund läuft es nicht mehr. Und hier verhält sich ein Großteil der Menschen wie die Dodos damals auf Mauritius: Abwarten, ein paar vergorene Beeren fressen – und jede Gefahr ignorieren. Hauptsache, das eigene Wohlbefinden passt. Wenn wir mit dieser Dodo-Denke nicht Schluss machen, werden wir den Karren vor die Wand fahren! Es ist allerhöchste Zeit, die Weichen zu stellen.
Die Leistungskultur in unserem Land ist verkümmert. Kaum einer versteht noch, dass es bei einem Job darum geht, Aufgaben zu erledigen; etwas voranzubringen, Ergebnisse zu erzielen und einen Teil zum großen Ganzen beizutragen. Stattdessen denken viele nur noch in Tätigkeiten – und reden sich ein, dass sie gearbeitet haben, weil sie von 9 bis 17 Uhr im Büro waren. Dass „Arbeit“ bitte auch Ergebnisse im Sinne der Wertschöpfung bewirken soll, haben immer weniger Menschen auf dem Schirm.
Selbstgefälligkeit statt Stolz auf Leistung
Und so weicht irgendwann der Stolz, etwas geleistet zu haben, der Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit. Das hat Folgen: Wenn nicht mehr gemacht wird, was gemacht werden muss, bricht der Laden irgendwann zusammen – Unternehmen, Wirtschaft und Gesellschaft.
Mein Appell: Machen Sie das, was gebraucht wird. Gehen Sie die Extrameile und leisten Sie etwas. Dann kommen Erfolg und Spaß von ganz allein. Wir sollten uns wieder auf gute Tugenden wie Altruismus, Fleiß und Disziplin besinnen, die Ärmel hochkrempeln. Und dazu gehört auch, die Scheuklappen abzunehmen, nach rechts und links zu schauen – und eben auch mal Kaffeeflecken aufzuwischen.
Über den Autor
Martin Limbeck ist Gründer der Limbeck Group, Mehrfachunternehmer und Investor sowie einer der führenden Experten für Sales und Sales Leadership in Europa. Neben seiner Unternehmertätigkeit hält Martin Limbeck Vorträge und engagiert sich als offizieller Botschafter von Kinderlachen e.V. für kranke und hilfsbedürftige Kindern in Deutschland. Der obige Gastbeitrag entält Auszüge aus seinem neuen Buch „Dodoland – uns geht’s zu gut„. Mehr dazu im Dodoland Blog.