Stressinterview: Warum diese Provokation?
Zunächst einmal muss man feststellen: Stressinterviews und Stressfragen sind die Ausnahme von der Regel. Eine Sonderform im Vorstellungsgespräch. Die meisten Recruiter und Personaler verzichten auf ein solches Stressinterview aus guten Gründen:
- Der Bewerber ist ohnehin schon nervös und unsicher.
- Das bisherige Gespräch ist aufschlussreich und aussagekräftig genug.
- Das Stressinterview liefert keinerlei relevante Erkenntnisse.
Warum greifen Personaler auf Stressfragen zurück?
Die wenigsten Personaler tun das, um Bewerber zu schikanieren, zu demütigen oder zu blamieren. Sicher, es gibt Ausnahmen: Personaler mit einer veritablen Profilneurose. Aber wie immer bei Ausnahmen: Sie bestätigen die Regel. Vielmehr geht es im Stressinterview darum, Bewerber besser kennenzulernen und einen Blick hinter dessen Fassade zu werfen. Bei einem Vorstellungsgespräch übrigens genauso wie im Assessment Center.
Die meisten Kandidaten sind heute extrem gut auf Gespräche vorbereitet. Jede Frage wird vorher recherchiert, Zahlen und Fakten auswendig gelernt, Aufgaben vorbereitet, Antworten zurecht gelegt. Womöglich hilft sogar noch ein Bewerbercoach beim letzten Schliff. Das alles hat seine Berechtigung – kann aber dazu führen, dass die Authentizität flöten geht.
Drängt sich dann bei den anwesenden Personalentscheidern der Eindruck auf, vor allem eines präsentiert zu bekommen: eine perfekte Maskerade und gute Show, versuchen sie daran zu rütteln. Mit Stressfragen.
Personaler interessiert die echte Persönlichkeit
Verstehen Sie uns nicht falsch: Für Bewerber ist es unbedingt empfehlenswert, ein Vorstellungsgespräch vorzubereiten, um die Jobchancen zu erhöhen und das Selbstbewusstsein zu stärken. Was Personaler im Vorstellungsgespräch aber interessiert, ist die Persönlichkeit des Kandidaten: Passt er oder sie ins Team, zu der Unternehmenskultur – und eben: Wie reagiert er oder sie, wenn er sich eben mal nicht perfekt vorbereiten kann?
Das passiert schließlich später auch im Job: Dinge gehen schief. Es gibt Stress. Das Team muss dann trotzdem cool bleiben und funktionieren. Deswegen ist es ganz normal, dass in den Jobinterviews, gezielt nach vergangenen Konflikten, Kündigungen, Schwächen oder Widersprüchen im Lebenslauf gefragt wird.
Stressinterviews sind Chancen
An der Stelle kommt das Stressinterview ins Spiel: Der Gesprächspartner wird gezielt aus dem Konzept gebracht, provoziert und in eine stressige Situation versetzt. Effekt: Die Fassade beginnt zu bröckeln und lässt Einblicke auf den dahinter liegenden Menschen mit seinen Eigenschaften und Fähigkeiten, aber auch Schwächen zu. Also all das, was Bewerber naturgemäß gerne verschweigen oder schönreden. So wird das Stressinterview zur ersten Arbeitsprobe.
Das Stressinterview hilft potenziellen Arbeitgebern in erster Linie bei der Personalauswahl. Aber auch Kandidaten können es für sich nutzen: Wer hier souverän reagiert und die Attacken mit einem Lächeln pariert, kann sich für die Einstellung empfehlen und stellt unter Beweis, dass er den Anforderungen des Jobs gewachsen ist.
Stressinterview: Aufbau und Ablauf
Vorstellungsgespräche sind normalerweise so aufgebaut, dass Bewerber dabei fünf klassische Gesprächsphasen durchlaufen: Smalltalk, Kennenlernen, Selbstpräsentation, Rückfragen und Abschluss. Wobei die Reihenfolge an manchen Stellen variieren kann.
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Smalltalk
Dauer: ca. 5 Minuten
– Kurze Begrüßung
– Namentliche Vorstellung
– Frage nach Anreise & Befinden / Getränke -
Kennenlernen
Dauer: ca. 15 Minuten
– Arbeitgeber stellt sich vor
– Unternehmen / Kultur / Produkte
– Beschreibung der Position und Stelle -
Selbstpräsentation
Dauer: ca. 10 Minuten
– Bisheriger beruflicher Werdegang
– Wesentliche Meilensteine und Erfolge
– Stärken mit Bezug zur Stelle -
Rückfragen
Dauer: ca. 10 Minuten
– Fragen zu Inhalten & Anforderungen des Jobs
– Fragen zu Erwartungen & Leistungsmessung
– Fragen zu Entwicklungschancen -
Abschluss
Dauer: ca. 5 Minuten
– Dank für das Gespräch
– Weitere Schritte / Fristen
– Verabschiedung
Muss ich mir alle Fragen gefallen lassen?
Der Unterschied im Stressinterview liegt darin, dass der Personalentscheider nach einer kurzen Aufwärmphase sein Verhalten plötzlich radikal verändert und den Bewerber konfrontiert: Die Fragen werden schärfer, es wird nachgebohrt, suggestiv nachgehakt, teils unterstellt, lächerlich gemacht, provoziert. Das Ganze ähnelt zum Teil einem Kreuzverhör – verbale Angriffe inklusive.
Zugegeben, nicht alles davon darf man sich gefallen lassen. Manche Interviewer schießen deutlich über das Ziel hinaus, zum Beispiel wenn sie illegale beziehungsweise unzulässige Fragen stellen, die sowieso nie beantwortet werden müssen.
Fangfragen, Suggestivfragen, Brainteaser
Zulässig aber ist es, wenn der Personalverantwortliche in dem Stressinterview beispielsweise mehrfach durchklingen lässt, dass er starke Zweifel an den Fähigkeiten und der Qualifikation des Bewerbers hat. Stressinterview-Beispiel ist die (Suggestiv-)Frage: „Finden Sie nicht auch, dass Sie für den Job ungeeignet sind? Sie haben ja keinerlei relevante Erfahrungen!“ Klar, das soll vor allem eines: verunsichern.
Ergänzt werden solch provozierende Fragen häufig noch durch Fangfragen, Analogie-Fragen, die scheinbar gar nichts mit dem Job zu tun haben, sogenannten Trichterfragen oder auch Brainteasern, an denen Kandidaten sich die Zähne ausbeißen sollen.
Besonders perfide wird es, wenn die Provokationen und aus der Luft gegriffenen Beschuldigungen im Gespräch mit Sarkasmus und Ironie garniert werden und den Kandidaten in eine scheinbar endlose Rechtfertigungsspirale zwingen. Da hört der Spaß dann endgültig auf. Das ist blanker Psychoterror und eindeutig unanständig und illegitim. Hier müssen Sie Grenzen setzen.
Stressfragen Beispiele
Eine umfangreiche Liste einiger Stressfragen Beispiele können Sie sich – wie gewohnt – hier auch gerne gratis als PDF herunterladen, um sich auf das Bewerbungsgespräch vorzubereiten. Typische Stressfragen sind zum Beispiel:
- Haben Sie sich auch woanders beworben?
- Wie würden Sie sich selbst in einem Wort beschreiben?
- Woher wissen Sie, dass Sie einen guten Job gemacht haben?
- Wann haben Sie das letzte Mal Regeln gebrochen und warum?
- Wie finden Sie es, geführt zu werden?
- Was mochten Sie an Ihrem bisherigen Job am wenigsten?
- Haben Sie schon mit dem Gedanken gespielt, sich selbstständig zu machen?
- Warum haben Sie noch keine neue Stelle gefunden?
- Warum wollen Sie Ihren bisherigen Job aufgeben?
- Was denken Sie über Ihren letzten Chef?
- Was haben Sie vorher verdient?
- Welches Gehalt stellen Sie sich vor?
- Wie lange würde es dauern, bis Sie bei uns einen signifikanten Beitrag leisten?
- Wären Sie bereit, umzuziehen?
- Was würde Kollegen Negatives über Sie sagen?
- Was ist Ihr größter Fehler – und was haben Sie daraus gelernt?
- Welche drei positiven Charaktereigenschaften fehlen Ihnen?
- Wovor haben Sie am meisten Angst?
- Wann haben Sie Unterdurchschnittliches geleistet und was?
- Was sollte ich über Sie unbedingt wissen?
- Warum haben Sie so lange studiert?
- Die Angaben in Ihrem Lebenslauf sind doch sicher geschönt?
- Wie kommen Sie auf die Idee, dass Sie in unser Unternehmen passen?
- Und das soll Sie von den anderen Bewerbern unterscheiden???
- So viele Praktika – und trotzdem hat man Sie nie übernommen?
- Ist es nicht eher so, dass man Ihnen nahe gelegt hat, das Unternehmen zu verlassen?
- Warum haben Sie noch nie weit weg von Ihrem Heimatort gearbeitet?
- Welche Schuhgröße haben Sie?
- Und das soll ich Ihnen glauben?
Fangfragen
Motivationsfragen
Schwächen-Fragen
Provokationen
Wer sich darauf einlässt, sollte aber zumindest ein paar Spielregeln beachten. Dazu gehört, dem Interviewer nicht ins Wort zu fallen, ruhig zu bleiben und auf eine souveräne Körpersprache zu achten. Zwei Dinge aber dürfen Bewerber nie tun: sich rechtfertigen und selbst angreifen. Wer so agiert, disqualifiziert sich sofort und springt mit Anlauf in die gestellte Falle.
Stressinterview Verhalten: So reagieren Sie richtig
Das Stressinterview ist zunächst nur ein Schachzug des Personalers, um potenzielle Mitarbeiter aus der Reserve zu locken und so möglichst echte und ungeschönte Informationen über den Kandidaten zu bekommen. Wer sich allein das bewusst macht, entspannt schon. Das gilt erst recht für jene, die ohnehin nicht vorhatten, eine Rolle zu spielen oder jemanden vorzugeben, der sie nicht sind.
Einen Angriff auf Ihre Persönlichkeit brauchen Sie sich auch weiterhin nicht gefallen zu lassen, ein bisschen Kratzen am Lack aber schon. Sie wollen und dürfen das schließlich auch in dem Gespräch – etwa, wenn es zur Phase der Rückfragen kommt.
Wie sollte ich auf Provokationen reagieren?
Wird es Ihnen zu bunt, werden Grenzen überschritten oder fühlen Sie sich so massiv bedrängt oder gar persönlich beleidigt, haben Sie die Option, sich darüber zu beschweren und im zweiten Schritt das Vorstellungsgespräch vorzeitig zu beenden – aber bitte freundlich. Sie zumindest haben Manieren!
In allen anderen Fällen sollten Sie erst einmal das Gegenteil von dem tun, was der Personaler erwartet: Verfallen Sie nicht in Panik, sondern lassen Sie sich auf die veränderten Rahmenbedingungen des Gesprächs ein und zeigen Sie, dass Sie mit der Situation umgehen können. Selbstbewusster Widerspruch ist dabei durchaus erlaubt. Denken Sie beispielsweise an Formulierungen wie…
- „Das ist Ihre Ansicht, man es aber auch so sehen: …“
- „Da sind Sie wohl falsch informiert worden.“
- „Ich denke, dass das nichts mit dem Job zu tun hat.“
- „Bitte respektieren Sie, dass ich dazu nichts sagen kann.“
5 Tipps wie Sie souverän bleiben und wirken
- Bleiben Sie ruhig
Im Stressinterview neigen viele Bewerber dazu, durch die noch gesteigerte Nervosität vorschnell zu antworten und sich selbst um Kopf und Kragen zu reden. Werden Fragen gestellt, die provozieren oder verunsichern sollen, nehmen Sie den Druck am besten raus, indem Sie lächeln und kurz in die Metaebene wechseln: „Sie wollen mich wohl aus dem Konzept bringen? Lassen Sie mich Ihnen das noch mal erklären…“ Danach nehmen Sie sich die Zeit um langsam und mit ruhiger Stimme sachlich zu antworten. Je schneller Sie mit einer unüberlegten Antwort herausplatzen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass diese wenig überzeugend ist. Sie können auch ganz offen ansprechen, dass es sich um eine ungewöhnliche Frage handelt – damit verschaffen Sie sich noch einmal einige Sekunden, um sich eine Antwort zurechtzulegen. - Werden Sie nicht pampig
Es ist nur menschlich, sich nicht alles bieten lassen zu wollen, doch wird es Ihnen nichts bringen, wenn Sie pampig und unverschämt antworten. Mit so einer Reaktion zeigen Sie nur, dass Sie dem Druck nicht gewachsen sind – und es wahrscheinlich auch im Job nicht sein werden, wenn es einmal hart auf hart kommt. Hier sei aber noch einmal gesagt, dass Sie sich natürlich nicht einfach alles gefallen lassen müssen. Ist für Sie persönlich ein Punkt erreicht, an dem Sie sich zu sehr angegriffen fühlen oder sogar beschließen, dass Sie bei einer solchen Personalauswahl nicht mehr an der Stelle interessiert sind, können Sie dies – aber bitte in freundlichem und professionellen Ton – thematisieren. - Sagen Sie Ihre Meinung
In Stressinterviews übernimmt der Personaler in der Regel die Führungsrolle und leitet das Gespräch, das bedeutet aber nicht, dass Sie nur kleinlaut antworten sollten und mit jedem der vorgebrachten Punkte und Thesen übereinstimmen müssen. Unter Stress geraten viele zunehmend in eine defensive Rolle, beeindrucken und überzeugen können Sie daher, wenn Sie weiterhin selbstbewusst Ihre Meinung vertreten. Es ist Ihr gutes Recht, eine andere Meinung zu vertreten und diese auch anzusprechen. „Ich verstehe Ihre Ansicht, bin aber eher der Meinung…“ Oder: „Ich würde es eher so sehen, dass…“ Das sind nur einige mögliche Einstiege mit denen Sie zeigen, dass Sie auch unter Druck noch klar denken und Dinge hinterfragen. - Fallen Sie nicht auf Schweigen herein
Ein besonders fieser Trick einiger Personaler ist das Schweigen während des Stressinterviews. Plötzlich gibt es keine Fragen mehr, sondern es herrscht Stille – und genau das verursacht bei vielen Bewerbern sofortigen Stress und Zweifel. Warum sagt er nichts mehr? Müsste er nicht noch mehr Fragen stellen? Oder: Habe ich was falsch gemacht? Falsch ist es, in dieser Situation einfach drauf loszureden, um die Gesprächslücke zu schließen oder nervös und angespannt umherzublicken. Die beste Reaktion ist: Selbst auch schweigen. Legen Sie eine selbstbewusste Körperhaltung an den Tag, halten Sie Blickkontakt und warten Sie ab, bis der Personaler wieder das Wort ergreift. - Holen Sie nicht zu weit aus
Wer sich bei der Antwort auf eine Frage unsicher ist, holt gerne einmal besonders weit aus, um eine Erklärung oder Begründung für seine Aussagen zu finden. Versuchen Sie stattdessen lieber, kurz und prägnant zu antworten. So können Sie verhindern, dass Sie sich selbst noch weiter unter Druck bringen, da weitreichende Ausführungen immer auch viele Möglichkeiten zur Nachfrage liefern. Vertreten Sie Ihre Punkte stattdessen selbstbewusst und höchsten mit kurzen Begründungen oder noch besser passenden Beispielen. Das wirkt souverän und lässt den Personaler spüren, dass Sie sich von der Situation nicht einschüchtern lassen.
Stressinterview Trick: Selber Schweigen
Auch das ist eine typische Verunsicherungstaktik von Personalern: das Schweigen. Nachdem Sie eine Antwort gegeben haben, lehnt sich der Interview zurück, sieht Sie erwartungsvoll an – und schweigt. Klassischer Fall von Rhetorik-Mikado: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Die meisten ertragen diese Stille nicht, fangen an zu nesteln oder auf dem Stuhl zu rutschen, geraten unter Druck und ins Plaudern. Voilà, das war der Plan…
Parieren Sie diesen Trick, indem Sie ebenfalls ganz ruhig bleiben, Blickkontakt halten und lächeln. Gesprächspausen sind überhaupt kein Problem. Statt sich um Kopf und Karriere zu plaudern, beginnen Sie lieber nach einer Weile damit Ihre Rückfragen zu stellen. Zahlreiche Beispiele hierfür finden Sie in diesem Gratis-PDF.