Definition: Was ist eine Fact-Finding-Übung?
Bei der Fact-Finding-Übung (englisch: fact-finding exercise) handelt es sich um eine analytisch-komplexe Aufgabe, die in Auswahlverfahren wie dem Assessment Center (AC) eingesetzt wird. Der Test hat in der Vergangenheit zunehmend die Fallstudie abgelöst – eine andere beliebte Übung. Auch anstelle der Postkorbübung kommt sie immer öfter zum Einsatz.
Ablauf der Fact-Finding-Übung
Bei der Fact-Finding-Übung werden Bewerber mit einem Unternehmensproblem aus dem realen Joballtag konfrontiert. Beispielsweise mit Umsatzeinbrüchen oder einer erhöhten Fehlerquote im Produktionsbereich. Die Kandidaten erhalten dazu eine meist unvollständige oder oberflächliche Problemschilderung. Nach einer kurzen Vorbereitung in Einzelarbeit folgt die eigentliche Bewältigung der Aufgabe – die Fact-Finding-Übung.
Der Bewerber muss zunächst den Ursachen des Problems auf den Grund gehen und eine Lösung erarbeiten. Da dies durch die dürftigen Informationen unmöglich ist, steht ihm ein Rollenspieler zur Verfügung, der das Unternehmen vertritt und auf Rückfragen antwortet. Der Kandidat muss also geeignete Fragen entwickeln, um an notwendige Informationen zu gelangen. Auf deren Basis gilt es eine passende Strategie zu entwickeln, um das Unternehmen aus der Schieflage zu retten.
Beispiel für eine Fact-Finding-Übung
Ein typisches Beispiel für eine Fact-Finding-Übung ist, dass Sie als Bewerber die Rolle eines Unternehmensberaters einnehmen. Der Chef beauftragt Sie damit herauszufinden, warum bestimmte Planzahlen nicht erreicht werden oder die Mitarbeiterfluktuation so hoch ist. Sie müssen dann Chancen und Risiken für bestimmte Maßnahmen identifizieren und anschließend präsentieren.
Bei der Lösung der Fact-Finding-Übung werden folgende Aspekte bewertet:
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Interview
Wie clever war das Interview? Hat der Bewerber in seiner Rolle als Berater dem Unternehmensvertreter die richtigen Fragen gestellt? Konnte er oder sie so wichtige und relevante Informationen erhalten? War der Aufbau der Fragen schlüssig, strategisch, stringent?
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Analysestärke
Wie gelangt der Bewerber zu seinen Schlussfolgerungen? Wie differenziert sind sie? Hat er oder sie die Fähigkeit zum lateralen Denken oder denkt der Kandidat in monokausalen Zusammenhängen?
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Schnelligkeit
Wie gut ist die Auffassungsgabe? Wie schnell erfasst der Bewerber die Problemstellung? Wie schnell gelangt er zu passenden Fragen oder Schlüssen?
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Strategie
Hat der Bewerber aus den gewonnenen Informationen eine kluge Strategie entwickelt? Sind die Vorschläge pragmatisch, umsetzbar, kostengünstig? Wie erfolgversprechend und nachhaltig ist die Lösung?
Weil bei der Fact-Finding-Übung sowohl analytische, strategische und unternehmerische Kompetenzen der Bewerber gefragt sind, wird sie auch als „analytisch-strategische Fallstudie“ oder als „Fact-Finding-Simulation“ bezeichnet. Fallstudie und Fact-Finding-Übung haben gemeinsam, dass sie ein realistisches Problem oder Szenario aufgreifen. Der Hauptunterschied bei der moderneren Assessment-Übung besteht zum einen in der Informationsbeschaffung, die in der Fact-Finding-Übung deutlich überwiegt. Zum zweiten findet die Analysephase nicht in Einzelarbeit, sondern zu zweit statt: Der Bewerber soll mithilfe des Rollenspielers im Interview die Schwachstellen herausfinden.
Welche Branchen arbeiten mit dem AC?
Assessment Center sind kostspielig. Teilweise werden sie von Unternehmen selbst organisiert, teils wird ein darauf spezialisiertes Unternehmen mit der Durchführung beauftragt. Dabei wird entweder auf bewährte Fact-Finding-Übungen zurückgegriffen oder es werden eigens für den Auswahltag entsprechende Tests konzipiert.
Wegen des Aufwands und der hohen Kosten rekrutieren vornehmlich größere Unternehmen und Konzerne so ihre Fachkräfte. Darunter viele Unternehmensberatungen, Banken und Versicherungen. Seit zehn Jahren lässt sich ein kontinuierlicher Anstieg beobachten. Aktuell wählen rund 27 von 30 DAX-Unternehmen in Deutschland diese Methode, beispielsweise Lufthansa oder Daimler. Auch Anwaltskanzleien, Behörden und Ministerien greifen auf ein Assessment Center zurück.
Wie lange dauert das Assessment Center?
Während ein Vorstellungsgespräch selten länger als eine Stunde dauert, sollten sich Kandidaten beim Assessment Center auf einen ganzen Tag, teils bis zu drei Tage Tests und Übungen einstellen. Oft geht es dabei um hochdotierte und entscheidende Management-Positionen, bei denen man sich keine Fehlbesetzung leisten will. Aber auch manche Stellen für Traineeprogramme werden so vergeben.
Neben Gruppenübungen sollten Bewerber stets mit einem Einzelassessment rechnen. Hierbei ist die Fact-Finding-Übung besonders beliebt. Wer im IT-Bereich oder Vertrieb arbeitet, sollte sich ebenfalls darauf einstellen.
Was erwartet mich neben der Fact-Finding-Übung?
Die Fact-Finding-Übung ist nur eine Teilaufgabe im Assessment Center. Der gesamte Auswahlprozess ist deutlich komplexer und besteht aus mehreren Übungen und Aufgaben, die unterschiedliche Kompetenzen testen sollen.
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Fallstudien
Fallstudien können sowohl in Einzelarbeit als auch in Gruppen absolviert werden. Bei kurzen „Case Studies“ müssen meist mehrere Aufgaben hintereinander gelöst werden. Bei langen Fallstudien erhalten Kandidaten umfangreiches Informationsmaterial und eine komplexe Aufgabe. In beiden Fällen ist die Lösungszeit immer zu knapp bemessen. Das soll den Druck erhöhen. Ziel ist, neben dem Test der fachlichen Kompetenzen auch die Stressresistenz zu begutachten. Bei kurzen Tests reichen Personalern manchmal auch Brainteaser und sogenannte Fermi-Fragen.
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Gruppendiskussionen
Beim Management-AC sind sie selten, dafür häufiger bei Trainees, späteren Teamleitern oder Projektmanagern. Bei der Gruppendiskussion soll kontrovers ein Thema besprochen werden. Das Fiese daran: Als Teilnehmer vertreten Sie selten eine eigene Überzeugung, müssen aber die Position, die Ihnen zugewiesen wird, überzeugend darlegen und vertreten. Bei dem Test werden Sozialkompetenz und Ihr Diskussionsverhalten beobachtet: Können Sie auf andere Teilnehmer eingehen? Oder versuchen Sie dominant Ihre Meinung durchzudrücken?
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Persönlichkeitstests
Im AC kommen ebenso psychologische Instrumente zum Einsatz. Beispielsweise der Persönlichkeitstest. Er lässt sich im Gegensatz zu anderen Übungen nicht trainieren. Dafür gibt es auch keine richtigen oder falschen Antworten. Vielmehr sollten Sie so antworten, wie es Ihrer Überzeugung am nächsten kommt. Der Persönlichkeitstest orientiert sich am Stellenprofil und hilft dem Personaler zu vergleichen, welcher Kandidat am ehesten dem Anforderungsprofil entspricht. Der wichtigste Tipp für Bewerber: Seien Sie möglichst entspannt und authentisch.
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Postkorbübungen
Bei der Postkorbübung bekommen Kandidaten verschiedene Nachrichten, Dokumente und Termine vorgelegt und müssen diese unter Zeitdruck nach Wichtigkeit sortieren. Durch Telefonate oder Zwischenrufe wird der Stresspegel erhöht. Ziel ist es, festzustellen, wie konzentriert die Bewerber unter schwierigen Bedingungen arbeiten können und ob sie es schaffen, Aufgaben schnell zu priorisieren oder zu delegieren.
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Rollenspiele
Anlass dieser Übung ist meist ein Dilemma, das es zu entschärfen gilt: Der Bewerber muss etwa in die Rolle des Chefs schlüpfen und einen schwierigen Mitarbeiter oder Querulanten führen. Oder es geht um die Reklamation eines Kunden. Ziel ist immer, ebenso bestimmt, einfühlsam wie ruhig zu bleiben. Wer beim Rollenspiel die Contenance verliert, herrisch oder aggressiv reagiert, fällt durch. Der Test von Soft Skills steht hierbei im Vordergrund.
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Selbstpräsentation
Wie beim Bewerbungsgespräch gibt es auch im Assessment Center eine Selbstpräsentation. Hierbei müssen Kandidaten in maximal 2-5 Minuten eine überzeugende Darstellung der eigenen Vita mit allen berufsrelevanten Fakten und Qualifikationen liefern. Üben können Sie das gut zuhause und als Kurzvorstellung oder Elevator Pitch.
Fact-Finding-Übung vorbereiten: Tipps + Methoden
Mithilfe der Fact-Finding-Übung beobachten Personaler, wie systematisch Bewerber vorgehen, wie analytisch, strukturiert und aufmerksam sie im Interview mit dem Gesprächspartner agieren und daraus professionelle Strategien und Lösungen ableiten. Die Fact-Finding-Übung ist eine gute Gelegenheit die Problemlösungskompetenz und Sozialkompetenz von Bewerbern unter die Lupe zu nehmen.
Um gut abzuschneiden, sollten Sie wichtige Grundlagen zum Bestehen der Fact-Finding-Übung schaffen:
- Sorgen Sie dafür, dass Sie die komplexe Ausgangslage richtig verstanden haben.
- Stellen Sie genügend und vielseitige Fragen.
- Arbeiten Sie systematisch mit W-Fragen: Wer, was, wie, wann, wodurch?
- Achten Sie auch auf Details, indem Sie bei unpräzisen Antworten nachfragen.
- Priorisieren Sie die gewonnenen Informationen nach Bedeutung.
- Ziehen Sie richtige Schlussfolgerungen und leiten Sie daraus ein Konzept ab.
- Formulieren Sie eine Strategie nebst Handlungsempfehlung.
Generelle Vorbereitung
Damit Sie die Fact-Finding-Übung nicht kalt erwischt, sollten Sie zusätzlich folgende Tipps berücksichtigen:
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Hinweise beachten
Erhalten Sie eine Einladung zum Assessment Center, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie eine Fact-Finding-Übung absolvieren müssen. Manchmal werden Sie aber auch zu einem „Bewerber-Workshop“, „Potenzialtag“, „Professionals on Stage“ oder „Meet and Greet“ eingeladen. Hier sollten Sie nachfragen, was sich dahinter verbirgt und welcher Ablauf geplant ist.
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Übungen recherchieren
Recherchieren Sie im Internet weitere Beispiele für Fact-Finding-Übungen. Teilweise gibt es sie zusammen mit Musterlösungen. Die kann man gut per Self-Assessment üben und sich so schon mal eine gute Fragetechnik antrainieren.
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Unternehmen kennenlernen
Da Fact-Finding-Übungen immer aus dem realen Geschäftsleben des Unternehmens stammen, sollten Sie aktuelle Presseberichte ebenso lesen wir die Unternehmensseite studieren oder Hintergründe auf Linkedin oder Xing auswerten. Oft finden sich dort Informationen, woran das Unternehmen gerade arbeitet oder wohin es expandiert. Übungen aus diesen Bereichen sind wahrscheinlich. Außerdem sollten Bewerber generell die wichtigsten Projekte, Zahlen und Daten zum Arbeitgeber kennen.