Was bedeutet es, introvertiert zu sein?
Die Unterscheidung, „introvertiert“ oder „extrovertiert“ zu sein, geht auf den Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung zurück. Im Kern beschreiben Intraversion und Extraversion die Art, wie ein Mensch mit seiner Umwelt interagiert. Sie bilden zwei gegensätzliche Pole der Persönlichkeit und gehören zu den sogenannten Big Five. Eine grobe Definition grenzt die beiden Charaktereigenschaften so von einander ab:
- Extrovertierte Menschen stehen in direktem Kontakt zu ihrer Umwelt. Sie machen sich ein Bild von Menschen und Dingen, indem sie diese erleben.
- Introvertierte Menschen dagegen sind nach innen gerichtet und fokussieren sich stärker auf ihre Gedanken und Gefühle und interpretieren ihre Umwelt damit.
Das heißt aber nicht, dass Introvertierte automatisch schüchtern wären. Ein klassisches, aber falsches Vorurteil. Schüchterne Menschen haben Angst vor sozialen Kontakten. Sie fürchten sich davor, von ihren Mitmenschen be- oder verurteilt zu werden. Introvertierte hingegen sind nach innen gekehrt und denken mehr über ihre Umwelt nach. Sie fürchten sich aber nicht vor sozialer Interaktion. Sie brauchen lediglich einen Grund dafür.
Vorteile von Introvertierten in der Bewerbung
Nervosität vor und im Vorstellungsgespräch ist völlig normal. Sie trifft alle Bewerber. Wer hier nach Perfektion strebt, blockiert sich nur zusätzlich. Personaler erwarten im Bewerbungsgespräch authentische Kandidaten mit Charakter und Kompetenzen – keine im Windkanal optimierten Supermänner oder Powerfrauen. Es wäre sogar schädlich, wenn Sie versuchen, eine Rolle zu spielen oder Erwartungen zu entsprechen.
Machen Sie sich bewusst: Sie wurden zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Das ist ein Kompliment. Ihre Bewerbungsunterlagen – Anschreiben und Lebenslauf – haben überzeugt. Die Erfahrungen und Qualifikationen passen zur Position – und man will Sie jetzt besser kennenlernen.
Oder anders formuliert: Sie wurden zum Bewerbungsgespräch wegen der Fähigkeiten eingeladen, die Sie besitzen – nicht wegen der Fähigkeiten, die Ihnen fehlen. Stehen Sie also zu sich selbst und Ihrer introvertierten Art. Sie haben allen Grund dazu.
Vorurteile über introvertierte Menschen
Außenstehende haben oftmals ein völlig falsches Bild von ruhigen, introvertierten Menschen. Hier die gängigsten Stereotype und Klischees:
- Introvertierte reden nicht gerne
In Diskussionen halten sich Introvertierte oft zurück, ja. Sie preschen mit Ihrer Meinung nicht vor, sondern wägen ab. Das erweckt den Eindruck, als hätten sie nichts zu sagen. Falsch! Sie posaunen nur nicht gleich den erstbesten Gedanken heraus, sondern melden sich erst zu Wort, wenn sie etwas Relevantes beisteuern können. Ein unterschätzter Vorteil: Wenn Introvertierte etwas sagen, hat es meist Substanz. Das spart Laberzeit. - Introvertierte meiden Menschen
Die einen können gut mit Menschen umgehen. Introvertierte können gut Mitmenschen umgehen. Auch so ein Vorurteil. Wahr ist, Introvertierte meiden Menschenmassen, weil diese sie überfordern können. Sie mögen es überschaubar. Dafür haben sie im 1-zu-1-Kontakt ihre Stärken. Sie pflegen lieber enge Beziehungen zu wenigen Menschen, statt vieler oberflächlicher Kontakte. - Introvertierte sind Spaßbremsen
Dieses Vorurteil ist entstanden, weil Introvertierte ein anderes Verständnis von Spaß haben als Extrovertierte. Sie brauchen weniger Action im Leben und genießen es, alleine zu sein. Im Park ein gutes Buch zu lesen, macht ihnen oft mehr Spaß, als auf ein lautes Konzert zu gehen.
Stärken erkennen + im Vorstellungsgespräch ausspielen
Vielen introvertierten Menschen fällt es schwer, ihre persönlichen Stärken zu erkennen. Das heißt aber nicht, dass es keine gäbe! Im Gegenteil. Die Autorin Natalie Schnack hat vor einiger Zeit ein lesenswertes Buch unter dem Titel „Leise überzeugen“ veröffentlicht. Darin beschreibt Sie unter anderem drei typische Barrieren im Denken von Introvertierten:
- Die Selbstverständlichkeitsfalle
Ruhige, introvertierte Menschen tendieren dazu, Dinge, die sie gut können und die ihnen leicht fallen, als selbstverständlich anzusehen und weniger wertzuschätzen. - Der Vergleich mit anderen
Introvertierte Menschen vergleichen sich oft mit einem idealisierten Menschenbild. Resultat: Die eigenen Stärken sind nichts Besonderes; die Stärken anderer viel wichtiger und wertvoller. - Das Nie-genug-Prinzip
Wenn Selbstzweifel am Selbstbewusstsein nagen, fühlen sich Introvertierte ständig unterlegen. Das hält sie davon ab, sich Mitmenschen zu öffnen.
Um diese Barrieren zu überwinden, rät die Autorin den Betroffenen, die eigenen Stärken und Schwächen sowie bisherige Erfolge genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein starkes inneres Leitbild sei schließlich die „Basis für mehr Präsenz“.
Welcher Intraversion-Typ sind Sie?
Als Vorbereitung auf das Vorstellungsgespräch hilft nicht nur Selbstreflexion. Sie können sich ebenso fragen, welcher Persönlichkeitstyp Sie sind. Unterschieden werden hierbei vor allem drei Typen:
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Der Erkenntnistyp
Diese Persönlichkeitstyp ist besonders stark im logischen Denken. Er liebt Logikrätsel und analytische Aufgaben. Gehören Sie dazu? Dann sollte Ihnen das Knacken dieser Brainteaser Spaß machen.
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Der Beziehungstyp
Dieser Typ hat seine Stärken und Talente in zwischenmenschlichen Beziehungen. Es fällt ihm leicht, sich in Mitmenschen reinzudenken und mit ihnen zu fühlen. Kurz: Er zeichnet sich durch ausgeprägte Empathie und sensibles Einfühlungsvermögen aus.
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Der Handlungstyp
Diese Persönlichkeit ist pragmatisch orientiert. Nicht labern – anpacken, machen, umsetzen! Weitere Stärken dieses Typs stecken im Delegieren und Managen von Aufgaben oder Projekten.
Genau aus diesen Typen leiten sich schließlich die Bewerbungstipps für Introvertierte im Vorstellungsgespräch ab. Die kommen jetzt…
Überzeugen im Bewerbungsgespräch: Smalltalk + Selbstpräsentation
Strukturierte Interviews verlaufen – klassisch – in fünf typischen Phasen. Oft in dieser Reihenfolge:
- Smalltalk (Begrüßung, Kennenlernen, Atmosphäre)
- Unternehmensvorstellung (Job, Einstufung, Kultur)
- Selbstpräsentation (Argumente, Bezug zur Stelle)
- Rückfragen (eigene Fragen zum Job)
- Abschluss (Abschied, Aussicht)
Der Vorteil für Sie: Die Phasen 1, 3 und 4 können Sie perfekt vorbereiten. Auch als Introvertierter.
Tipps für den Smalltalk
Der Smalltalk am Anfang soll Atmosphäre schaffen und Spannungen abbauen. Die Kunst des leichten Plauderns ist aber keine Raketenwissenschaft – auch wenn Sie Introvertierten oft schwerfällt. Der Trick ist, locker zu bleiben und Ihren Gastgeber das sprichwörtliche Eis brechen zu lassen.
Halten Sie zu allen abwechselnd Blickkontakt, lächeln Sie viel und bleiben Sie bei Ihren Antworten stets positiv. Erzählen Sie eine kleine lustige Anekdote zur Anreise – gerne gewürzt mit Selbstironie. Machen Sie Komplimente oder stellen Sie ein paar Fragen zum Gebäude.
Tipps für die Selbstpräsentation
Die Selbstpräsentation (auch „Selbstvorstellung“ genannt) gehört zum festen Repertoire im Bewerbungsprozess. Irgendwann fällt der Satz: „Erzählen Sie doch mal etwas über sich!“ Ein Klassiker. Und der Auftakt zu Ihrer Vorstellung. Die Selbstpräsentation dauert selten länger als zwei bis fünf Minuten. Mehr wird auch nicht erwartet.
Diesen kurzen Elevator Pitch zu Ihnen können Sie perfekt zuhause üben, damit Sie ihn später frei sprechen können. Ablesen ist tabu! Die Selbstvorstellung ist IMMER ein freier Vortrag. Das klingt schwer, lässt sich aber trainieren. Folgen Sie dabei idealerweise dieser Choreografie:
1. Werdegang („Ich bin…“)
- Selbstvorstellung (Name, Alter, Herkunft)
- Ausbildung, Studium, höchster Abschluss
- Bisherige Jobs, Erfahrungen
Erfolge („Ich kann…“)
- Meilensteine des Berufslebens
- Besondere Qualifikationen, Zertifikate
- Relevante Soft Skills
- Größte Erfolge (Zahlen!)
Bezug zur Stelle („Ich werde…“)
- Einsatz der Stärken und Talente
- Mehrwert, den Sie schaffen wollen
- Motivation für den Job
Proben Sie die Selbstpräsentation wiederholt daheim vor dem Spiegel oder als Videoaufzeichnung mit dem Smartphone. Wer selbstsicherer ist, kann dies auch vor echten Zuhörern, wie Freunden, Geschwistern, Eltern üben. Vorteil: Die geben Rückmeldungen und Tipps, wie Sie wirken und was sich verbessern lässt.
Tipps für die Rückfragen
Dieser Gesprächsteil ist für Introvertierte praktisch ein Heimspiel. Denn dabei müssen nicht Sie reden – nur Fragen stellen. Diese Rückfragen sind allerdings Pflicht! Wann immer Sie die Frage hören: „Haben Sie noch Fragen?“, sollten Sie auf keinen Fall schweigen. Sie haben eigene Fragen – immer! Schon aus zwei Gründen. Erstens: Dies ist eine einmalige Chance, mehr über das Unternehmen, Umfeld und Ihren künftigen Arbeitsplatz und dessen Anforderungen zu erfahren. Zweitens: Dies ist ein Test, der Ihr wahres Interesse an dem Job prüft.
An der Tiefgründigkeit und Cleverness Ihrer Rückfragen kann selbst ein ungeübter Personaler erkennen, ob Sie nur die Stellenanzeige oder auch die Webseiten (Plural!) des Unternehmens sowie einschlägige Fachartikel dazu gelesen haben. Eigene Fragen sind das Symbol für Eigeninitiative, Selbstbewusstsein, und sie signalisieren eine professionelle Einstellung.
Zu den besten Rückfragen, die Introvertierte im Vorstellungsgespräch Personalern stellen können, gehören:
- Wie definieren Sie Erfolg für diese Position?
- Was erwarten Sie von dem idealen Kandidaten?
- Was zeichnet Ihre besten Mitarbeiter aus?
- Was könnte mich an diesem Job am meisten frustrieren?
- Wie würden Sie den Führungsstil meines Chefs beschreiben?
- Wie würden Sie Ihre Unternehmenskultur beschreiben?
- Wie wird bei Ihnen Leistung gemessen und bewertet?
- Wie werden bei Ihnen Talente und Stärken gefördert?
- Warum arbeiten Sie gerne für dieses Unternehmen?
Es ist übrigens erlaubt, im Bewerbungsgespräch Notizen zu machen – oder sich ebensolche mitzubringen. Sie können also Ihre besten Fragen wieder zuhause auswählen, aufschreiben und zumindest einige davon ablesen. Pluspunkte sammelt, wer diese aus dem Gespräch heraus formuliert und stellt.
So oder so: Derart vorbereitet, bringt introvertierte Bewerber so leicht nichts aus der Fassung. Wir wünschen: viel Erfolg!