Auszubildende brechen immer häufiger ab
Immer mehr Auszubildende brechen Ihre Ausbildung ab. Woran liegt das? Liegt es an der immensen Erwartungshaltung, die auf harte Realität trifft? Fakt ist, dass heutige Arbeitnehmergenerationen sich längst nicht mehr so herumkommandieren lassen, wie das noch vor 50, 60, 70 Jahren der Fall war. Da war ein Ausbilder der verlängerte Arm der Eltern und Lehrer in einer Person.
Dennoch sind die Zahlen so schlecht wie zuletzt in den neunziger Jahren: Jeder vierte Lehrling bricht seine Ausbildung ab, fühlt sich als Azubi ausgenutzt. In manchen Ausbildungsberufen bricht teilweise jeder zweite Azubi ab. Besonders hoch sind die Abbruchszahlen und die Unzufriedenheit bei diesen Ausbildungsberufen:
- Anlagenmechaniker
- Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk
- Friseur
- Hotelfachleute
- Koch
- Restaurantfachkraft
- Zahnmedizinische Fachangestellte
Gründe für den Ausbildungsabbruch
Lehrjahre sind keine Herrenjahre, heißt es. Damit ist klar: Ein Azubi hat noch eine Menge zu lernen, bevor er Verantwortung übernehmen und eigenständig Entscheidungen treffen kann. Ebenso klar ist, dass die Ausbildung der Vermittlung theoretischer und praktischer Kenntnisse dient, die eng mit der beruflichen Tätigkeit zusammenhängen.
Theoretisch. In der Praxis zeigt sich mitunter ein anderes Bild. Die vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) bereitgestellte Internetplattform Doktor-Azubi (jugend.dgb.de/ausbildung/beratung/dr-azubi) liefert immer wieder Beispiele dafür, wie junge Menschen als Azubi ausgenutzt werden. Ganz oben bei den Gründen, warum sich manche als Azubi ausgenutzt sehen, sind ausbildungsfremde Inhalte. Exemplarisch seien hier die Gründe einer angehenden minderjährigen Friseurin genannt, die ihre Tätigkeiten folgendermaßen beschreibt:
- für Kunden zum Bäcker gehen
- für diese die Parkuhr nachstellen
- zum Arzt/Apotheke gehen und Rezepte abholen
- einkaufen gehen
- für die Chefin das Altglas entsorgen
- zur Änderungsschneiderei gehen
- den ganzen Salon inklusive Regalen, Fußböden und Toilette putzen
Zu diesen ausbildungsfremden Inhalten kommen weitere Umstände, die nicht tragbar sind: Eine unerwartet hohe finanzielle Belastung dadurch, dass der Betrieb eine geringere Ausbildungsvergütung zahlt als vorgesehen. Zusätzlich entstehen ihr Kosten für Arbeitsmaterialien, die eigentlich laut Ausbildungsvertrag der Arbeitgeber übernehmen müsste.
Außerdem hatte die Auszubildende keine Pausen. Infolge der starken körperlichen Belastung und des Mobbings durch Kollegen, kam es zu körperlichen und psychosomatische Beschwerden.
Als Azubi ausgenutzt? Das sind Ihre Rechte
Eine Ausbildung dient der Vermittlung fachspezifischer Kenntnisse eines Berufes – das Berufsbildungsgesetz (BBiG) nennt dies berufliche Handlungskompetenz. Gemäß § 14 BBiG heißt es genau genommen:
Ausbildende haben dafür zu sorgen, dass den Auszubildenden die berufliche Handlungsfähigkeit vermittelt wird, die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlich ist, und die Berufsausbildung in einer durch ihren Zweck gebotenen Form planmäßig, zeitlich und sachlich gegliedert so durchzuführen, dass das Ausbildungsziel in der vorgesehenen Ausbildungszeit erreicht werden kann (…).
Das bedeutet, die Ausbildungsinhalte sollten sich an Ihren späteren Tätigkeiten orientieren. Wer eine Ausbildung als Kauffrau für Büromanagement macht, wird unter anderem Unterlagen kopieren müssen. Man kann allerdings davon ausgehen, dass jemand als Azubi ausgenutzt wird, wenn er oder sie nonstop am Kopierer steht. Gleiches gilt für Botengänge jedweder Art, Kaffee kochen oder ausgiebige Putztätigkeiten, für die eigentlich eine Reinigungskraft oder Aushilfe zuständig wäre. Vorübergehend können je nach angestrebten Beruf diese Tätigkeiten Teil der Ausbildung sein – etwa Kaffee kochen in der Ausbildung als Restaurantfachmann.
Arbeitsmittel
Zu Ihren Rechten gehört außerdem, dass der Ausbildungsbetrieb diejenigen Arbeitsmaterialien wie Arbeitskleidung oder Werkzeuge zur Verfügung stellt, die im Betrieb benötigt werden. Gleiches gilt für Ihre Abschlussprüfung. Hingegen müssen Sie auf eigene Kosten Materialien für den schulischen Bereich Ihrer Ausbildung anschaffen, also Lehrbücher, Hefte und Stifte.
Arbeitszeit
Betriebe können Ihre Azubis nach der Schule in den Betrieb beordern. Allerdings ist nach 40 Stunden Arbeitszeit pro Woche Schluss. Die tägliche Arbeitszeit nebst eventuellen Schichten orientiert sich an den allgemeinen Vorgaben, sofern ein Auszubildender nicht minderjährig ist: In dem Fall greift das Jugendschutzgesetz. Hier gelten dann diverse Einschränkungen beispielsweise für die Arbeit am Wochenende oder spätabends. Überstunden müssen mit Ihnen abgesprochen sein und ausgeglichen werden. Wie jeder Arbeitnehmer haben auch Sie auch als Azubi ein Recht auf Pausen.
Probezeit
Üblich ist eine viermonatige Probezeit. Sie dient beiden Parteien dazu, zu überprüfen, ob die Ausbildung inhaltlich zum Lehrling passt und ob die Chemie stimmt. Das bedeutet, dass gemäß § 22 BBiG jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist beidseitig gekündigt werden kann. Nach der Probezeit können Sie als Azubi mit einer Frist von vier Wochen kündigen.
Urlaub
Je nach Alter haben minderjährige Auszubildende 25 bis 30 Tage Urlaubsanspruch im Jahr. Für volljährige Auszubildende gelten die gleichen Bedingungen wie für erwachsene Mitarbeiter. Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz können mit bis zu 15.000 Euro bestraft werden.
Vergütung
Als Auszubildender haben Sie Anrecht auf ein angemessenes Ausbildungsgehalt. Das muss einmal im Jahr steigen, üblicherweise mit Beginn des neuen Ausbildungsjahrs. Dennoch schwanken die Vorstellungen davon, was „angemessen“ ist. Um Missbrauch von Azubis als billige Arbeitskraft vorzubeugen, gibt es seit letztem Jahr eine Mindestausbildungsvergütung. Sie gilt für alle seitdem geschlossenen Ausbildungsverträge in Betrieben, die keine Tarifverträge haben. Derzeit gelten folgende Mindestvergütungen:
- 550,00 Euro im ersten Lehrjahr
- 649,00 Euro im zweiten Lehrjahr
- 742,50 Euro im dritten Lehrjahr
- 770,00 Euro im vierten Lehrjahr
Zeugnis
Am Ende der Ausbildung haben Sie Anspruch auf ein Ausbildungszeugnis, das Ihnen der Ausbildungsbetrieb ausstellt. Zusätzlich erhalten Sie ein Zeugnis der Kammer oder der Berufsschule.
Tipps gegen Ausbeutung
Der Arbeitgeber ist zur Fürsorgepflicht gegenüber seinen Angestellten verpflichtet, das gilt selbstverständlich auch für seine Auszubildenden. Im Allgemeinen sind auch 72 Prozent aller Auszubildenden absolut zufrieden mit ihrer Wahl. Leider gibt es eben auch die anderen Fälle. Die häufigsten Gründe dafür, dass sich Lehrlinge als Azubi ausgenutzt fühlen:
- fachfremde Inhalte
- geringe Bezahlung
- Mobbing
- sexuelle Belästigung
- Überstunden
Solche Zustände müssen Sie nicht hinnehmen: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt! Das ist natürlich leichter gesagt als getan: Je nachdem, wie die persönlichen Verhältnisse sind – beispielsweise moralische und nötigenfalls finanzielle Unterstützung der Eltern – können die Erwägungen dazu, eine Ausbildung direkt abzubrechen, unterschiedlich ausfallen.
Zumal das die allerletzte Option sein sollte: Sie werden auch später im Arbeitsleben immer wieder an den Punkt kommen, wo Sie Durchhaltevermögen zeigen müssen. Damit ist allerdings nicht gemeint, dass Sie sich Dinge wie die oben genannten Extreme gefallen lassen müssen. Aber in manchen Branchen herrscht beispielsweise mitunter ein rauher Ton: Das sollte Sie nicht gleich dazu veranlassen, das Handtuch zu werfen. Ebenso wenig wie persönliche Süchte: Als Raucher mag es ungewohnt sein, aber Sie haben nicht das Recht, ständig fürs Rauchen vor die Tür zu gehen. Was Sie tun können, wenn Sie das Gefühl haben, als Azubi ausgenutzt zu werden:
Recherchieren Sie nötige Informationen
Anhaltspunkte dafür, wie Ausbildungen aussehen sollten, erhalten Sie beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Dafür gibt es Ausbildungsordnungen und Rahmenpläne, die das BIBB nebst Berufsbeschreibungen unter bibb.de/dienst/berufesuche/de/index_berufesuche.php/ zur Verfügung stellt. Sollten Sie zweifelsfrei feststellen, dass Ihre realen Tätigkeiten massiv von diesen Informationen abweichen, ist es Zeit für den nächsten Schritt.
Bitten Sie Ihren Chef um ein Gespräch
Bevor Sie gleich zum Äußersten greifen, sollten Sie das Gespräch mit Ihrem Chef suchen. Weisen Sie ihn ruhig und sachlich darauf hin, dass ausbildungsfremde Tätigkeiten wie Besorgungen für Kunden oder Putzarbeiten nicht zu Ihren Aufgaben gehören und gemäß § 14 BBiG sogar verboten sind. Das gilt auch für unnötige Wiederholungen von Tätigkeiten, die Sie längst erlernt haben. Erinnern Sie an den Ausbildungsplan und die darin enthaltenen Inhalte. Hier sollten Sie konkret benennen können, was zum diesem Zeitpunkt noch fehlt und aufgeholt werden muss. Existiert kein Ausbildungsplan, sollte dieser schnellstmöglich mit den entsprechenden Punkten erstellt werden.
Wenden Sie sich an Dritte
Holen Sie sich Unterstützung durch andere. In größeren Betrieben existiert häufig ein Betriebsrat, an den Sie sich wenden sollten. Zusätzlich sollten Sie Vertraute einweihen und das Thema mit anderen besprechen, beispielsweise in der Berufsschule mit dem Lehrer oder anderen Auszubildenden. Hier können Sie noch nützliche Tipps fürs weitere Vorgehen bekommen. Ist die Situation bereits festgefahren und unzumutbar, sollten Sie sich den Rechtsbeistand durch die zuständige Gewerkschaft nehmen, sofern Sie juristisch vorgehen wollen.
Wechseln Sie den Ausbildungsplatz
Dies ist definitiv die bessere Variante, wenn es keinerlei Übereinkommen mehr mit dem Ausbilder gibt. Am besten sollten Sie bereits einen neuen Ausbildungsplatz gefunden haben, bevor Sie Ihren alten kündigen, denn das erhöht Ihre Bewerbungschancen. Ist Ihr Arbeitgeber einverstanden, ist ein Aufhebungsvertrag möglich. Sollte er nicht einverstanden sein, ist im Falle wichtiger Gründe wie schwerer Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz eine fristlose Kündigung Ihrerseits möglich. Auch hierbei sollten Sie sich zwecks genauer Überprüfung zuvor rechtlich absichern.
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