Broken-Windows-Effekt: Chaos verstärkt sich selbst

Chaos und Verwahrlosung führen ein Eigenleben: Sie verstärken sich selbst. Das ist der Broken-Windows-Effekt in Kurzfassung. So reichen womöglich schon eine kaputte Fensterscheibe und Müll auf den Straßen, um ein ganzes Stadtviertel runterzuziehen. Was steckt genau hinter der Abwärtsspirale der Broken-Windows-Theorie? Beispiele, Experimente und was das für Sie im Alltag bedeutet…

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Was ist der Broken-Windows-Effekt?

Der Broken-Windows-Effekt (auch: Broken-Windows-Theorie) ist ein psychologisches Phänomen in Innenstädten, wonach sich Chaos und Kriminalität selbst verstärken. Schon ein zerbrochenes Fenster kann ausreichen, damit ein ganzer Stadtteil verfällt – daher der Name „Broken Windows“.

Erstmals bekannt wurde der Broken-Windows-Effekt durch den Kriminologen George Kelling und den Politikwissenschafter James Wilson in einem Artikel der US-Zeitschrift „Atlantic Monthly“. Darin beschrieben sie, wie vermeintlich harmlose Schäden wie ein zerbrochenes Fenster die Menschen regelrecht dazu animiert, weitere Schäden anzurichten und Regelverstöße zu begehen.

Heute gilt der Broken-Windows-Effekt als beängstigendes Zeugnis für urbane Zerstörungswut: Wenn die Mitglieder einer Gesellschaft das Gefühl haben, anonym zu sein und glauben, dass ihre Taten keinerlei Folgen haben, lassen die sprichwörtliche Sau raus – vor allem dann, wenn sie davon ausgehen, dass die zerstörten Gegenstände ohnehin keinen Wert haben.

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Broken-Windows-Effekt Experimente

Eines der bekanntesten Experimente zum Broken-Windows-Effekt stammt von dem ehemaligen Psychologieprofessor der Stanford-Universität, Philip Zimbardo. Im Jahr 1969 parkte Zimbardo einen Gebrauchtwagen in der New Yorker Bronx. Vorher hatte er das Kennzeichen abmontiert und die Motorhaube leicht angehoben – ein Zeichen dafür, dass das Auto von seinem Besitzer aufgegeben worden war. Was passierte, war schockierend…

Es dauerte keine zehn Minuten bis die ersten Vandalen kamen und sich über das Auto hermachten. Erst wurden die Reifen geklaut, dann die Scheinwerfer, Blinker, schließlich Lenkrad, Bordelektronik, Autositze. Selbst Motor und Getriebe wurden ausgeweidet. Als nichts mehr übrig war, was sich zu Geld machen ließe, zerstörten die Passanten einfach den Rest.

Kaputt steigert den Effekt

Insgesamt zählte Zimbardo erstaunliche 23 Akte von Vandalismus binnen 48 Stunden. Vielleicht werden Sie jetzt denken: „Typisch Bronx! In so einer verlotterten Gegend interessiert niemanden, ob ein abgestellter Wagen geplündert wird.“ Sie denken richtig!

Zimbardo wiederholte das Experiment an der Westküste. Jetzt stand der Wagen im kalifornischen Universitätsstädtchen Palo Alto, der Heimat von Apple und der Elite-Uni Stanford. Wieder ließ er das Auto ohne Kennzeichen stehen. Ganze 5 Tage blieb der Wagen unversehrt. Als Zimbardo das Auto schließlich abholen wollte, wählten einige Anwohner sogar den Polizei-Notruf, weil sie einen Dieb vermuteten!

Doch damit waren Studien und Experimente nicht beendet. Zimbardo wiederholte das Experiment ein drittes Mal – wieder in Palo Alto. Doch diesmal mit einem anderen Auto: Der Psychologe nahm sich einen Vorschlaghammer und prügelte solange auf das Auto ein, bis es wie eine „Cellulite auf Rädern“ aussah. Dann stellte er es wieder ab. Und siehe da: Trotz guter Gegend wurde der Wagen binnen weniger Stunden buchstäblich auf den Kopf gestellt. Ähnlich wie in der Bronx.

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Broken-Windows-Effekt Beispiel

Ein weiteres Beispiel für den Broken-Windows-Effekt stammt von Kees Keizer von der Universität Groningen aus dem Jahr 1998. Das Forscherteam um Keizer ganze sechs Experimente rund um die Broken-Windows-Theorie durch. Damals ging es um einen Briefkasten aus dem ein Briefumschlag herausragte, darin gut zu erkennen: ein Euro-Schein.

Was würden Sie tun, wenn Sie einen solchen Brief sähen? Den Brief ganz in den Kasten stecken? Oder – vorausgesetzt, es gibt keine Zeugen – das Geld einstecken und mitnehmen? Auch hier gab es Unterschiede: Im ersten Szenario stand der Briefkasten in einer sauberen Umgebung; im zweiten war der Briefkasten mit Graffiti besprüht; im dritten lag ringsherum Abfall auf dem Boden…

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Sie ahnen, was passierte: Im ersten Fall klauten den Briefumschlag nur 13 Prozent der Passanten. Lag hingegen Müll auf dem Boden, stieg die Quote bereits auf 25 Prozent und war Graffiti an den Wänden, steckten den Umschlag ganze 27 Prozent der Fußgänger ein – doppelt so viele wie im sauberen Umfeld.

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Müll führt zu mehr Müll: Wie der Broken-Windows-Effekt wirkt

Natürlich würden Sie niemals etwas klauen – das glauben und unterstützen wir. Aber haben Sie vielleicht auch schon mal achtlos Müll irgendwo hingeworfen – und sei es nur den Kaugummi in ein Gebüsch oder den unliebsamen Werbeflyer in die Fußgängerzone?

Der Broken-Windows-Effekt zeigt, dass solche Müllsünden nicht ohne Folgen bleiben und unsere Umwelt nicht nur belasten, sondern regelrecht beeinflussen: Liegt erst einmal ein bisschen Unrat auf der Straße, kommt bald mehr dazu. Es ist dasselbe wie bei wilden Müllkippen: Der Erste stellt einfach seine alte Couch an den Straßenrand – zwei Wochen später können Sie mit dem Sperrmüll eine ganze Messie-Wohnung einrichten…

Das Mächtige an diesem Psychoeffekt: Er wirkt ebenso im Kleinen. Beobachten Sie beispielsweise, was passiert, wenn Sie auf Ihrem Schreibtisch nur eine alte Kaffeetasse und ein paar lose Zettel liegen lassen… Binnen einer Woche führt die Arbeitsplatte ein Eigenleben und beherbergt mehr Utensilien als der Schreibwarenladen um die Ecke! Broken-Windows-Effekt eben. Oder anders formuliert: Wehret den Anfängen!


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