Definition: Was ist der Flynn-Effekt?
Der Flynn-Effekt ist nach seinem Entdecker, dem Politologen James R. Flynn, benannt. Flynn stellte 1984 Erstaunliches fest, als er sich mit mit der Intelligenzforschung, genauer gesagt mit dem Intelligenzquotienten, beschäftigte. Der Flynn-Effekt besagt, dass sich die gemessene Intelligenz in Industrieländern im Laufe der Zeit erhöht. Flynn konnte zeigen, dass die Ergebnisse bei IQ-Tests über die Generationen stetig besser wurden. Dabei wurde der immer gleiche Intelligenztest in verschiedenen Generationen durchgeführt. Anders ausgedrückt: Jüngere Probanden scheinen insgesamt schlauer zu sein. Die meisten Menschen heutzutage haben einen IQ zwischen 85 und 115. Der Durchschnitt liegt bei rund 100.
Vor einigen Jahrzehnten sah das noch ganz anders aus. Mit einem heutigen IQ von 100 hätten frühere Generationen schon am oberen Ende der IQ-Verteilung gelegen. Die Ergebnisse scheinen vor allem einen Schluss nahezulegen: Jüngere Menschen sind intelligenter als ältere. Vorbei die viel gepriesene Weisheit. Demnach könnten ältere Menschen von jüngeren lernen. Aber stimmt das wirklich? Tatsächlich gibt es beim Flynn-Effekt Pro und Contra.
Wodurch lässt sich der Flynn-Effekt erklären?
Wissenschaftler und Intelligenz-Experten sehen den Flynn-Effekt sehr kritisch. Zwar bestreitet niemand, dass die Ergebnisse der IQ-Tests jüngerer Generationen immer besser werden. Allerdings machen Forscher für den Anstieg der gemessenen IQ-Werte verschiedene Ursachen verantwortlich:
Mehr Bildung
In den letzten 100 Jahren haben die Industrienationen immer stärker in Bildung investiert. Jedes Kind hat Zugang zum Bildungssystem, kann auf eine weiterführende Schule gehen, das Abitur machen oder studieren. Die Veränderungen im Bereich der Bildung und die Entwicklung einer Wissenskultur innerhalb der Gesellschaft zeigen sich in IQ-Tests, die entsprechend besser ausfallen.
Abstrakte Denkweise
Schüler werden heutzutage schon sehr früh darauf trainiert, abstrakt zu denken. Sie lernen Zusammenhänge herzustellen, die nicht sofort offensichtlich sind und Dinge zu hinterfragen. Früher lagen die Schwerpunkte des Denkens in anderen Bereichen. Abstraktes Denken war weniger gefragt. Stattdessen ging man ganz praktisch an Probleme heran. Während durch bessere Bildung vor allem die kristalline Intelligenz der Menschen gesteigert wurde, zeigt sich abstraktes Denken in einem noch stärkeren Anstieg der fluiden Intelligenz. Es ist die Lern- und Denkfähigkeit eines Menschen, seine Fähigkeit zum logischen und auch kreativen Denken. Je größer die fluide Intelligenz, desto besser die Ergebnisse in IQ-Tests.
Bessere Vorbereitung
Zahlreiche IQ-Tests im Internet geben Testwilligen die Möglichkeit, sich selbst einen Eindruck darüber zu verschaffen, wie Intelligenztests aufgebaut sind. Dies führt dazu, dass die Teilnehmer solcher Tests insgesamt deutlich besser vorbereitet sind. Sie können im Vorfeld üben, sich mit den Arten von Aufgaben vertraut machen. Geädert hat sich auch die Bearbeitungsweise der Tests. Heutige Generationen raten munter drauf los und können durch Glück einige Zusatzpunkte sammeln. Ältere Generationen lassen Antworten, bei denen sie sich nicht sicher sind, einfach aus.
Verändertes Gehirn
Die Evolution geht immer weiter. Selbst am Menschen lässt sich die Veränderung der Umwelt beobachten. Es werden zunehmend andere Bereiche des Gehirns beansprucht, die entsprechend stärker entwickelt sind. Forscher vermuten mehrere Ursachen: Allgegenwärtige Medien, die abstrakte Denkweise und die größere Komplexität des gesamten Lebens – etwa durch die Globalisierung. Eine bessere gesundheitliche Versorgung der Menschen wirkt sich ebenfalls positiv auf die Entwicklung des Gehirns aus. Hinzu kommt, dass dieses in der Wissensgesellschaft stärker beansprucht wird. Und jeder hat viele neue Möglichkeiten, an Wissen und Informationen zu gelangen.
Fragwürdige IQ-Tests
Nach wie vor ist unklar, was Intelligenz überhaupt ist. Der Vorwurf an IQ-Tests: Sie fragen individuell trainierbare Fähigkeiten ab. Einen übergreifenden Zusammenhang haben sie jedoch nicht. Ist jemand intelligent, der ein Zahlengenie ist, sich aber in anderen Bereichen schwer tut? Ist logisches Denken und das Erkennen von Zusammenhängen ein wichtigeres Zeichen von Intelligenz als sprachliche Begabung? IQ-Tests sind deshalb zumindest mit Vorsicht zu genießen. So wird der Flynn-Effekt auch dadurch erklärt, dass im Test nicht wirklich die Intelligenz gemessen wird. Vielmehr geht es um Fähigkeiten – wie eben abstraktes Denken oder Zusammenhänge in Bildern – die jüngere Menschen bereits aus ihrem Alltag kennen. Kein Wunder also, dass sie automatisch besser abschneiden.
Sind junge Generationen wirklich schlauer?
Es gibt keine Einigkeit darüber, welche Erklärung für den Flynn-Effekt verantwortlich ist. Vielmehr existieren Vertreter der unterschiedlichsten Ansichten, die alle Argumente für die eigene und gegen andere Positionen liefern. In einem einzelnen Punkt sind sich jedoch alle einig: Der steigende IQ jüngerer Generationen ist kein Beweis, dass diese schlauer sind. Die Ergebnisse belegen lediglich, dass jüngere Generationen anders an die Sache herangehen. Sie sind durch ihre Umwelt besser vorbereitet und an die Herausforderungen angepasst.
Moderne Gesellschaften zielen viel stärker darauf ab, intelligente Kinder zu erziehen, die in den dafür entworfenen Tests Bestleistungen erreichen. Letztlich ist der Flynn-Effekt vor allem eine Frage der Testmethode, die jungen Generationen in die Hände spielt. Wird vom klassischen IQ-Test abgewichen und anderes Wissen abgefragt, schneiden jüngere Probanden nicht mehr besser ab.
Abschwächung und Umkehrung beim Flynn-Effekt
Die ersten Jahre nach 1984 bestätigten den Flynn-Effekt. Ursprünglich fanden die Untersuchungen in Industrieländern statt. Weitere Studien aus Schwellen- und Entwicklungsländern kamen hinzu und lieferten ähnliche Ergebnisse. In einigen Fällen steigt der IQ in der Bevölkerung sogar stärker an. Hingegen lässt sich in den westlichen Industrienationen seit 1995 eine Abschwächung verzeichnen.
In Dänemark wurden die höchsten durchschnittlichen IQ-Werte Ende der 90er-Jahre gemessen. Seitdem sinkt der IQ jedoch. Ähnliche Rückgänge oder gar ein Stillstand des Flynn-Effekts zeigen sich auch in Deutschland und Österreich. Die Rede ist vom Anti-Flynn-Effekt oder gar von der Umkehrung des Flynn-Effekts. Uneinigkeit herrscht bei den Ursachen:
- Sättigung
Einen wahrscheinlichen Zusammenhang vermuten die Wissenschaftler zwischen Flynn-Effekt und den Umweltbedingungen. Im letzten Jahrhundert und speziell in den letzten Jahrzehnten gab es viele Verbesserungen – Ernährung, Gesundheit, Bildungschancen. Irgendwann lassen sich diese Faktoren nicht weiter steigern. Ihr Einfluss verschwindet, wodurch der IQ nicht weiter ansteigt. Ähnliches ließ sich beispielsweise bei der Körpergröße beobachten. - Umwelthormone
Diese These geht eher von einer tatsächlichen Umkehrung beim Flynn-Effekt aus: Gefährliche Wirkstoffe aus Medikamenten, Plastikprodukten und Alltagsgegenständen gelangen durch Wasser in die Nahrungskette. Sie ähneln im Aufbau menschlichen Hormonen. Der Körper nimmt sie auf, es kommt langfristig zu Veränderungen im Gehirn. - Genetik
Da Kinder einen Teil der Veranlagung von ihren Eltern erben, spielt deren Bildung und IQ ebenfalls eine Rolle. Eine These besagt, dass bildungsferne Schichten mehr Kinder beziehungsweise Menschen mit hohem IQ weniger Kinder bekommen. Somit würde der Anteil an intelligenten Genen konstant abnehmen. Aber sowohl diese These als auch Migration als Ursache können keine Unterschiede bei Testergebnissen von Kindern in ein und derselben Familie erklären. - Rahmenbedingungen
Am wahrscheinlichsten sind kulturell individuelle Rahmenbedingungen. Je nachdem, welche Bildungspolitik ein Land betreibt, fallen IQ-Tests in bestimmten Bereichen unterschiedlich aus. Beispielsweise nimmt in Deutschland das räumliche Vorstellungsvermögen seit 1995 zwar ab. Zeitgleich verbessern sich die Ergebnisse bei allgemeinen IQ- und Vokabeltests. Solche länderspezifischen Unterschiede würden erklären, warum beispielsweise stattdessen in Großbritannien schlechtere Ergebnisse im abstrakten Denken vorliegen.
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