Ostrich Effekt: Warum wir den Kopf in den Sand stecken
Eigentlich sind die Signale eindeutig: Irgendwas stimmt nicht.
Der Kollege oder Chef, der Freund oder die Freundin reagieren anders als sonst. Irgendetwas war falsch an dem gerade Gesagten, ein falsches Wort, eine falsche Saite, die angestimmt wurde – und nun klingt alles schief und schräg…
Es gibt nur wenige Menschen, die solche atmosphärischen Störungen nicht wahrnehmen. Aber sehr viele, die damit nicht umgehen können: Sie reden weiter und über die Disharmonien hinweg, wechseln das Thema, den Gesprächspartner oder gehen einfach weg. Doch bei der nächsten Begegnung steht es immer noch im Raum. Und jetzt ist es noch schwerer, das offen an- und auszusprechen.
Es ist wie bei einem Schwelbrand, der hinter verschlossener Tür heimlich weiter lodert. Wer dabei zu lange tatenlos wartet und dann mit einem Mal die Tür aufstößt, riskiert einen veritablen Backdraft.
Der renommierte us-amerikanische Verhaltensökonom George Loewenstein von der Carnegie Mellon Universität beschrieb als erster das Verhalten von Investoren, die ihren Kopf lieber in den Sand stecken, wenn die Börse bärig wird: Abwarten, aussitzen und hoffen obwohl die Börse in rasantem Tiefflug ist.
Voilà der Ostrich Effekt (PDF) war geboren.
„Zu wissen, dass etwas wirklich Schlimmes passiert, ist weitaus schmerzhafter, als zu ahnen, dass es passieren könnte. Also harren einige aus und hoffen, dass es wieder besser wird“, sagt Loewenstein.
Das Fatale an diesem Effekt jedoch ist: Sobald wir uns einmal in dieser Schockstarre befinden, werden wir resistent gegenüber allen neuen Informationen, Warnungen oder Ratschlägen. Vor allem aber: Wir werden passiv.
Der Ostrich-Effekt ist auch ein wesentlicher Grund dafür, warum selbst ansonsten kluge Menschen in ihrer Karriere an einem Punkt feststecken oder privat seit Jahren in einer ungesunden Beziehung leben. Kurz: Der Ostrich-Effekt verhindert, das wir sehen, was zu tun ist und es auch tun.
Dabei ist uns allen klar: Man kann sich vor Problemen nicht verstecken.
Ostrich Effekt: Wie das Kaninchen vor der Schlange
Der Effekt tritt auch dann auf, wenn wir uns in den immer gleichen Routinen oder Diskussionen mit den Kollegen oder dem Chef verlieren und feststecken. Immer und immer wieder dieselben Konversationen, die zu nichts führen außer schlechter Laune und dem Gefühl gedanklich durch Zement zu stapfen.
Doch mit dem Wegschauen und Ausweichen entwickeln wir nur mehr Angst vor einer erneuten Begegnung dieser Art. Und wir verbrauchen für diese Vermeidungstaktik auch noch unglaublich viel Energie. Sogar zunehmend mehr.
Es ist wie beim sogenannten Depletion-Effekt – dem Paradoxon der Prokrastination: Bei dem Versuch, es uns leichter zu machen, machen wir es uns tatsächlich schwerer. Wir sparen vielleicht jetzt etwas Energie, drücken uns vor Verantwortung – aber das hat Konsequenzen. Es zehrt trotzdem an unseren Ressourcen, weil wir hinterher umso härter nachholen müssen, was wir vorher aufgeschoben haben.
Die Lösung ist so banal einfach wie sie zugleich unglaublich schwer in der Umsetzung ist: nicht Augen zu und durch, sondern Augen auf und direkt darauf zu:
- Aussprechen statt totschweigen.
- Handeln statt abwarten.
- Den Stier bei den Hörnern packen statt mit roten Handtüchern zu werfen.
Sobald man die Verstimmung spürt, ließe sich beispielsweise sagen:
Ich glaube, ich habe gerade etwas unglaublich Dummes gesagt. Entschuldigung…
Oder im Meeting fragen:
Woran liegt es, dass wir immer wieder an diesen Punkt gelangen – aber nie darüber hinaus? Lasst uns die Sache doch mal ganz offen besprechen. Warum beißen wir uns hieran regelmäßig fest?
Realistisch betrachtet gibt es nur zwei Dinge, die uns daran hindern:
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