Definition: Was ist der Better-than-Average-Effekt?
Rein mathematisch und logisch betrachtet muss ein großer Teil stets schlechter sein als der Durchschnitt. In Umfragen und Studien zeigt sich jedoch in allen Lebensbereichen: Die große Mehrheit der Menschen hält sich selbst für überdurchschnittlich. Wir bewerten uns selbst als schlauer, schöner, netter oder schlicht besser – genau das ist der Better-than-Average-Effekt, der auch als Above-Everage-Effekt oder Überdurchschnittlichkeitssyndrom bezeichnet wird.
Im Vergleich mit anderen Menschen zeigt fast jeder ein überzogen positives Selbstbild, übersteigerten Optimismus und überschätzt die eigenen Fähigkeiten, Qualitäten oder Persönlichkeitsmerkmale. Den Better-than-Average-Effekt können Sie auch an sich selbst oder in Ihrem Umfeld bei Freunden und Familie beobachten.
Jeder ist ein hervorragender Autofahrer, nur die anderen haben keine Ahnung im Straßenverkehr. Jeder hat Kollegen, die ihren Job nicht verstehen, man selbst hat jedoch alles im Griff. Ganz besonders stark ausgeprägt ist der Better-than-Average-Effekt bei Fähigkeiten, die als eigene Stärke aufgefasst und interpretiert werden. Anschaulich wird diese verzerrte Wahrnehmung beispielsweise bei Hobby-Sportlern.
Die eigenen Fähigkeiten werden stets überbewertet, man hält sich für eigentlich zu gut, deutlich besser als den Rest. Objektiv betrachtet mag das unlogisch sein, doch ändert dies nichts an der subjektiven Wahrnehmung eigener Stärken.
Wichtig dabei ist: Der Better-than-Average-Effekt tritt nur bei der Selbstbeurteilung auf. Sollen Mitmenschen, Freunde, Kommilitonen, Kollegen oder Bekannte beurteilt werden, zeichnen wir ein viel realistischeres Bild und gehen nicht einfach davon aus, dass diese besser als der Durchschnitt sind. Somit ist der Better-than-Average-Effekt ein Phänomen der Selbstüberschätzung.
Die Reichweite des Better-than-Average-Effekts
Bevor Sie nun denken Wie stark kann der Better-than-Average-Effekt schon sein? oder So gravierend ist die Selbstüberschätzung bestimmt nicht sollten Sie sich die Ergebnisse einer Studie aus dem British Journal of Social Psychology ansehen. Die Forscher untersuchten eben diesen Effekt, dass Menschen sich bei wünschenswerten Eigenschaften selbst besser als den Durchschnitt bewerten. Dabei wählten sie eine besonders spannende Gruppe von Probanden: Verurteilte Insassen in einem Gefängnis.
Aus gesellschaftlicher und objektiver Sicht scheint es wenig strittig, dass Gefangene bei vielen Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsmerkmalen eher unterdurchschnittlich abschneiden – für die Selbsteinschätzung ist das jedoch völlig unerheblich und so konnten die Wissenschaftler an dieser Gruppe sehr deutlich und anschaulich belegen.
Die Ergebnisse lassen sich in zwei Bereiche unterteilen: Zunächst sollten die Gefangenen sich selbst mit den anderen Insassen im Gefängnis vergleichen. Schon hier zeigte sich, dass der Better-than-Average-Effekt greift und sich fast alle besser als den Durchschnitt bewerteten – und zwar bei einer Vielzahl von Eigenschaften. Vertrauenswürdiger, netter, moralischer, ehrlicher, zuverlässiger, empathischer oder auch großzügiger – die meisten sahen sich bei diesen Punkten über dem Durchschnitt.
Noch spannender wurde es, als die Straftäter sich mit allen anderen Menschen außerhalb des Gefängnisses vergleichen sollten. Auch hier zeigte sich der Better-than-Average-Effekt und die Probanden sahen sich selbst bei allen genannten Eigenschaften als überdurchschnittlich. Unabhängig vom Vergehen gaben sie an, ehrlicher, moralischer und vertrauenswürdiger zu sein als der Durchschnitt der Gesellschaft.
Einzige Ausnahme, die nicht als überdurchschnittlich bewertet wurde: Gesetzestreue. Doch selbst hier zeigte sich die verzerrte Wahrnehmung, denn die Probanden – zur Erinnerung: es handelt sich dabei um verurteilte Straftäter – bewerteten sich selbst bei der Gesetzestreue als genau im Durchschnitt der Bevölkerung.
Warum sehen wir uns selbst besser als der Durchschnitt?
In verschiedenen Studien und Untersuchungen konnten Wissenschaftler nachweisen, dass es den Better-than-Average-Effekt in allen Bereichen gibt. Weniger Einigkeit herrscht hingegen bei der Frage, worin das Überdurchschnittlichkeitssyndrom begründet ist.
Eine mögliche Erklärung lautet, dass Menschen durch die eigene Überschätzung das innere Bedürfnis nach Sicherheit und einem positiven Bild von sich selbst bedienen. Es ist zutiefst menschlich, erst einmal gut von sich selbst zu denken und an die eigenen Fähigkeiten zu glauben. Der Better-than-Average-Effekt könnte genau daraus entstehen und schützt davor, sich selbst eingestehen zu müssen, in bestimmten Dingen (gerade wenn es sich nach eigener Einschätzung um wichtige Eigenschaften oder Fähigkeiten handelt) schlecht zu sein oder zumindest hinter dem Durchschnitt zurückzufallen.
Passend dazu konnten Wissenschaftler zeigen, dass Menschen eine selektive Erinnerung haben, wenn es um eigene Fähigkeiten und Stärken geht. Positive Informationen werden leichter erinnert als negative, an glorreiche Momenten erinnern wir uns oft und lange zurück, Negatives verblasst, wird verdrängt und verschwindet. So wird die Selbstbewertung nachhaltig positiv beeinflusst, weil das Gehirn die Informationen filtert.
Andere Forscher sehen die Ursache eher in einer grundlegend falschen Einschätzung der eigenen Kompetenzen. Entgegen dem bekannten Zitat Ich weiß, dass ich nichts weiß sind es dieser Ansicht nach vor allem Menschen mit geringeren Fähigkeiten, bei denen der Better-than-Average-Effekt durch deutliche Selbstüberschätzung auftritt. Je größer das Wissen in einem Bereich und je ausgeprägter die Qualifikation, desto treffsicherer wird die Einschätzung.
Zuletzt können auch auch bestimmte Charaktermerkmale oder gar eine Persönlichkeitsstörung hinter dem Better-than-Average-Effekt stehen. Narzissten beispielsweise haben einen so ausgeprägten Geltungsdrang und ein enormes Ego, was sich in chronischer Selbstüberschätzung zeigt.
Vor- und Nachteile des Better-than-Average-Effekts
Eine verzerrte Wahrnehmung, ständige Selbstüberschätzung und ein falsches und überzogenes Selbstbild – auf den ersten Blick klingt der Better-than-Average-Effekt nach Problemen, Schwierigkeiten und Nachteilen. Das Überdurchschnittlichkeitssyndrom kann etwa dazu führen, dass Sie mit einer völlig unrealistischen Erwartung an eine Aufgabe herangehen. Das kann ich doch sowieso viel besser, als alle anderen… Wer so denkt, landet meist sehr hart auf dem Boden der Tatsachen. Hinzu kommen große Enttäuschung und Frust, schließlich waren Sie doch so von sich selbst überzeugt.
Nachteile hat der Effekt auch im sozialen Gefüge. Niemand mag Besserwisser, Selbstüberschätzer und Angeber. Wer bei jeder Gelegenheit von sich behauptet, besser als der Durchschnitt zu sein, macht sich damit keine Freunde, sondern gilt schnell als Unsympath.
Allerdings sollte der Better-than-Average-Effekt nicht vorschnell verteufelt werden. Er hat durchaus große Vorteile, die sogar erfolgreich machen können. Wenn Sie sich selbst für überdurchschnittlich halten, trauen Sie sich mehr zu. Soll heißen: Sie entwickeln ein größeres Selbstwertgefühl und Ihr Selbstbewusstsein steigt.
Selbst an schwierige Aufgaben und Herausforderungen gehen Sie mit einem ganz anderen Selbstverständnis heran und sind fest davon überzeugt, dass Sie es schaffen können. Dieser Effekt kann zu wahren Höchstleistungen treiben und Erfolge ermöglichen, zu denen Sie mit einem anderen Selbstbild nie imstande gewesen wären.