Ikarus-Effekt: Erfolg macht besoffen
Als Tiger gesprungen – als Bettvorleger gelandet: Das ist schon vielen Menschen und Unternehmen passiert. Apple-Gründer Steve Jobs etwa wurde einst von seinem eigenen Unternehmen gefeuert. Der Fotofilm-Erfinder und Kamera-Pionier Kodak ignorierte die Digitalisierung, ebenso der Spielzeug-Supermarkt Toys’R’Us. Allesamt hatten Sie zunächst großen Erfolg, stiegen gar zum Marktführer auf, waren die Stars der Branche. Bis sie der Sonne zu nah kamen und abstürzten. „Hochmut kommt vor dem Fall“ – das Sprichwort bewahrheitet sich immer wieder.
Das ist das Heimtückische an jeder Erfolgsserie: Sie macht blind. Erst sind wir ganz vernebelt von der anhaltenden Glückssträhne, dann vergessen wir, was und wer alles dazu nötig war. Und wie knapp wir vielleicht manchmal einer Katastrophe entkamen. Betroffene sehen dann nur noch sich selbst und ihr Können, Motto: „Ich konnte das Ruder noch jedes Mal rumreißen!“ Sie verlieben sich in das Idealbild von sich und glauben, sie könnten den Erfolg ewig fortsetzen. Weil sie es können. Riesenfehler! Erfolg ist zwar kein Glücksfall – er wird gemacht. Er ist aber auch ein Bastard mit mehreren potenziellen Vätern, von denen jeder glaubt, er wäre der alleinige Erzeuger.
Der kanadische Wirtschaftswissenschaftler Danny Miller hat das Phänomen schon vor einigen Jahrzehnten untersucht und 1990 ein gleichnamiges Buch über den „Ikarus-Effekt“ veröffentlicht. Angelehnt an die griechische Sagenfigur Ikarus, der mit selbstgebauten Flügeln so hoch flog, dass das Wachs darin schmolz und der Übermütige in den Tod stürzte. „Schön blöd!“, lachen viele über den Mythos und machen doch nichts anderes, indem sie sich auf ihren Erfolg verlassen.
Ikarus-Effekt Ursachen: Die dunkle Seite der Karriere
Es trifft keineswegs nur die Dampfplauderer, Windmaschinen und Himmelsstürmer. Die kommen und gehen von ganz alleine, stolpern über sich selbst oder die fehlende Substanz. Viel gefährlicher aber wirkt der Ikarus-Effekt beim verdienten Aufstieg. Besonders an der Spitze neigen Manager irgendwann dazu, sich mit Menschen zu umgeben, die bequem sind, sie mit Schmeicheleien umgarnen und zu 99 Prozent konform mit dem sind, was der Chef so ventiliert. Es ist eine trügerische Ruhe, die sich die Betroffenen selbst schaffen und darin sonnen. Eine Art persönliche „corporate identity“, die ihnen vorgaukelt, perfekt und übergroß zu sein. Bis sie scheitern und abstürzen. Davon sind auch Ithai Stern von der Kellogg School of Management sowie Hyun Park und James D. Westphal von der Universität von Michigan nach ihren Studien dazu überzeugt.
Zu viel Begeisterung für die eigenen Ideen
Sie nennen den Ikarus-Effekt daher auch „Ikarus Paradox“: „Das hohe Maß an Schmeicheleien und Meinungskonformität, das diese Hochstatus-Manager empfangen, kann zu selbstverstärkenden und nicht mehr hinterfragten Erkenntnissen führen.“ Die Manager würden ihre Unternehmen in einer Art Übergewissheit führen – mit einem Übervertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Sie sind – um es ganz schlicht zu sagen – selbstverliebt. Dabei verlieren sie zugleich die Fähigkeit, Probleme ihrer aktuellen Strategie zu erkennen und zu korrigieren. Das Ikarus-Phänomen mündet in einen klassischen Tunnelblick.
Zu viel Taubheit vor Kritik
Zugegeben, offenkundige Bremser mag keiner. Die kritteln überall rum, halten mit ihrer Das-sehe-ich-aber-anders-Attitüde auf, verursachen schlechte Laune und zehren an den ohnehin schon angespannten Nerven des Top-Managements. „Kritik ist, wenn der Chef trotzdem Recht behält.“ – Der kernige Bürospruch bewahrheitet sich nur allzu oft. Oder wie Friedrich Schiller in seinem Wilhelm Tell räsoniert: „Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten.“ Da ist es doch nur konsequent, derlei Bedenkenträger zu isolieren und möglichst fernzuhalten? Denkste!
Dabei wird vergessen: Bei vielen neuen Projekten sind üblicherweise auch viele unsinnige dabei. An der Spitze genauso wie an der Basis. Oft wird sogar nur innoviert und renoviert, damit es in der Bude nach Bewegung aussieht. Das Neue ist das Alte ist das Gute, Hauptsache anders – basta. Kritiker sind bei diesem Pseudowandel zwar nicht beliebt, aber enorm wichtig. In der Jetzt-wird-alles-besser-Euphorie lassen sie sich nicht von dem Virus anstecken, behalten einen klaren Kopf, hinterfragen Fragwürdiges und bewahren das Unternehmen so vielleicht vor schlimmem Blödsinn und kostspieligen Fehlern.
Wer Skeptiker vorschnell entsorgt, verliert irgendwann die Bodenhaftung und kann abstürzen. Ein Zusammenhang, den übrigens schon René Descartes Mitte des 17. Jahrhunderts aufklärte. Dessen eigentlicher Leitsatz war ja nicht etwa „Ich denke, also bin ich“, sondern vielmehr: „Der Zweifel ist aller Weisheit Anfang.“
Womöglich sind die Bedenkenträger in Wahrheit nur Vordenker und somit wichtige Kräfte in der Auf- und Umbruch-Phase: Sie benötigen sicher mehr Aufmerksamkeit und Führung als andere, sind anstrengender und drosseln vereinzelt das Tempo. Sie helfen aber insgesamt das Ergebnis zu verbessern. Damit die Geschichte die Chance erhält, wirklich groß zu werden, gehören sie gepflegt, zumindest aber gehört und nicht etwa gefeuert. Mit einer Ausnahme: Räsonierer an der Spitze. Die sind die Pest, weil sich sonst der ganze Laden nie mehr bewegt. Und Stillstand ist genauso tödlich wie ein Ikarus-Kommando.
Gegenmaßnahmen: Wie lässt sich der Ikarus-Effekt verhindern?
Im Grunde stellt schon die Umkehr der genannten Ursachen eine wirksame Strategie gegen den Ikarus-Effekt dar. Die besten Gegenmaßnahmen gegen drohende Erblindung und Erfolgstrunkenheit sind: Realismus, Selbstreflexion, Bescheidenheit und Dankbarkeit. Darüber hinaus gilt:
Bleiben Sie selbstkritisch
Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen hohlem Genörgel und konstruktiver Kritik. Letztere sollten Sie nicht nur zulassen, sondern regelrecht suchen. Sie muss am Ende ja trotzdem nicht zutreffen und Sie müssen auch nicht auf jeden Einwand hören. Aber eine zweite, begründete Meinung hilft, die eigenen Ideen zu validieren. Womöglich sind Sie sich Ihrer Sache danach auch noch sicherer. Gut so! Ehrliches Feedback sollte Sie nie verunsichern, sondern zum Nachdenken und Reflektieren animieren. Ehrliche Selbstkritik übrigens auch. Das Ergebnis ist eine Art realistischer Optimismus.
Erlauben Sie sich Fehler
Es ist ein Fehler, keine Fehler machen zu wollen. Manche Menschen verschwenden ihr ganzes Leben bei diesem Versuch. Perfektionismus bleibt allein Göttern vorbehalten. Erlauben Sie sich daher, auch mal daneben zu liegen und lernen Sie aus solchen Fehlurteilen: Wo gehen Sie sich selbst auf den Leim? Was übersehen Sie desöfteren? Warum? Hierin liegt eine enorme Chance, Entscheidungen, Pläne und Strategien zu optimieren, ohne die Begeisterung zu bremsen. Oder die Bodenhaftung zu verlieren.
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