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Proteus-Effekt: Wie Avatare Verhalten ändern

Der „Alte vom Meer“ war nicht nur äußerst weise und gerissen, sondern zudem auch noch ziemlich maulfaul. Lieber hütete der griechische Gott Proteus seine Robben auf den Inseln Karpathos und Pharos, statt den Menschen mit ein paar überirdischen Prophetien aus der profanen Patsche zu helfen. Und falls diese doch einmal versuchten, ihm ein paar Weissagungen zu entlocken, entzog er sich ihnen, indem er sich in allerlei Zeugs verwandelte: Mal schlüpfte er in die Gestalt von Löwen, mal waren es Schlangen, Leoparden, Eber oder gar Bäume und Elemente wie Wasser oder Feuer. Der mythische Meeresgreis gilt seitdem als Meister der Verwandlung, der jede beliebige Form annehmen konnte – so wie die Avatare der Menschen heute im Internet…


Proteus-Effekt: Wie Avatare Verhalten ändern

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Definition: Was ist ein Avatar?

Ursprünglich stammt der Begriff aus dem Sanskrit (Avatāra) und bedeutet so viel wie Abstieg. Beschrieben wurde damit eine Gottheit, die aus ihren himmlischen Sphären herabsteigt, um eine irdische Daseinsform anzunehmen. Im Hinduismus wurden so etwa die Inkarnationen sowie die verschiedenen Metamorphosen Vishnus bezeichnet.

Heute beschreibt der Begriff mehrheitlich eine Kunstfigur oder einen grafischen Stellvertreter einer realen Person im Internet – vornehmlich in Computerspielen, zunehmend aber auch in Foren, Blogs und sozialen Netzwerken. Oft zeigen die dort verwendeten Profilbilder stilisierte Porträts, Gegenstände oder Symbole.

Bei einem Gravatar handelt es sich wiederum um einen global verfügbaren Avatar, der mit der E-Mail-Adresse des Nutzers verknüpft wird. Ob in Blogs oder Foren – wo immer diese Person dann einen Kommentar hinterlässt, erscheint die damit verknüpfte Kunstfigur. Hochladen lässt sich so ein Gravatar HIER.

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Der Proteus-Effekt: Alter Ego im Netz

Avatare sind die Alter Egos unserer Generation in den Social Media: Es gibt sie als Profilbilder in Sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook, als Phantasiewesen in Online-Spielen wie World of Warcraft oder gar als zweites Ich in virtuellen Parallelwelten wie einst dem Second Life.

Eher klein geratene Brillenschleichen verwandeln sich dort zu muskelbepackten Hünen in schillernden Rüstungen, Mauerblümchen avancieren zu vollbusigen Amazonen mit wallenden Blondmähnen und männermordenden Figuren, die keine Atkins- und keine Brigitte-Diät je so hingehungert bekommen. Die digitale Metamorphose wird so zur Bühne für multiple Persönlichkeiten und zum Seelenspiegel für das menschlichste aller Gefühle: jemand anderes oder zumindest mehr zu sein als man wirklich ist.

Proteische Persönlichkeiten nannte der amerikanische Psychologe Robert J. Lifton im Jahr 1993 erstmals solche Verhaltensweisen, woraus der US-Soziologe Jeremy Rifkin sieben Jahre später einen populären Begriff für den vernetzten Menschen des 21. Jahrhunderts machte.

Im positiven Sinne beschreibt der den modernen Menschen als extrem anpassungsfähig und flexibel. Man könnte aber auch sagen, dass der Typ kaum noch über einen klar umrissenen Charakter verfügt, sondern ständig in diverse Rollen schlüpft und sich aufführt als sei er Legion.

Man kann das moralisch bewerten – oder einfach beobachten, was mit Menschen passiert, die sich so verhalten. Und tatsächlich: Wissenschaftler haben das getan und dabei prompt den Proteus-Effekt entdeckt:

Demnach ist es nicht nur so, dass wir im Netz spielerisch beeinflussen können, wie uns andere sehen und damit zugleich wie wir auf sie wirken – die künstlichen Alter Egos wirken umgekehrt auch auf uns, auf unsere Psyche, unser Verhalten.

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Große Avatare machen unfair

Schon vor einiger Zeit fand der Hong-Kong-Chinese Nick Yee im Rahmen seiner Dissertation an der Stanford Universität heraus, dass Nutzer eines besonders attraktiven Avatars irgendwann begannen, ihr (reales) Leben bereitwilliger vor Fremden auszubreiten und auch schneller gegenüber andersgeschlechtlichen Bekanntschaften intim wurden.

In einer zweiten Studie zeigte sich, dass wiederum Nutzer eines auffällig großen Avatars zunehmend unfair bis aggressiv in Verhandlungen wurden – besonders gegenüber Teilnehmern mit einem eher kleinwüchsigen Kunst-Ich.

Zwei Jahre später beobachtete Yee seine Probanden erneut – diesmal im realen Leben. Und siehe da: Ihre virtuell antrainierten Verhaltensmuster behielten sie nun auch in ihrem realen Leben mehrheitlich bei – insbesondere dann, wenn die virtuellen Spielwelten zuvor eine besonders realistische Umgebung erschaffen hatten.

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Avatar-Eigenschaften auch in der Realität

Im Dezember desselben Jahres experimentierte das Forscher-Duo Jorge Peña von der Universität von Texas in Austin sowie Jeffrey Hancock von der Cornell Universität zufällig ebenfalls in Sachen Avatare.

Anlass damals war vor allem der mediale Rummel um die virtuelle Parallelwelt Second Life. Die Kids strömten reihenweise dorthin. Die Unternehmen folgten, weil sie sich mit den Kids viele Umsätze versprachen. Und erste Geschichten über Linden-Dollar-Millionäre – der Währung im Second Life – feuerten den Hype zusätzlich an.

Peña und Hancock forschten zwar nicht auf der Second-Life-Plattform, erzeugten für ihre Versuche aber ebenfalls eine künstliche Welt, ließen ihre Probanden dort ein wenig spielen und diskutieren und beobachteten sie anschließend unter realen Bedingungen. Auch hier passierte Erstaunliches:

Wer zuvor in die Rolle eines schwarz gekleideten Avatars (ähnlich dem typischen Anzug eines Managers) geschlüpft war, zeigte sich hinterher wesentlich aggressiver und weniger teamfähig als jene Teilnehmer, die zuvor einen weiß gekleideten Avatar gesteuert hatten.

Natürlich ging es dabei nicht um reine Schwarz-Weiß-Malerei. Ob das Resultat mit der Farbe oder vielmehr mit den damit verbundenen Assoziationen zusammenhing, testete das Duo deshalb in einem zweiten Versuch.

Nun sollten die Probanden mit einer Figur durch die Kunstwelt navigieren, dessen weißes Gewand stark an eine Robe des Ku-Klux-Klan erinnerte. Und tatsächlich: Auch diese Versuchsteilnehmer verhielten sich hinterher herrischer und intoleranter als zuvor. In der Fachsprache würde man auch sagen: Sie wurden durch ihr virtuelles Ich geprimt.

In dieselbe Richtung forschte Anfang 2010 auch Jesse Fox, Kommunikationswissenschaftlerin am Stanford Virtual Human Interaction Lab. Sie ließ ihre Probanden Avatare beobachten, die ihnen sehr ähnlich sahen.

  • In der ersten Gruppe joggten diese auf einem Laufband.
  • In der zweiten fläzten sich die Kunstfiguren faul auf dem Sofa.

Schon am Folgetag hatten die Teilnehmer der ersten Gruppe das Bedürfnis eine Stunde länger Sport zu treiben als die Probanden der zweiten Gruppe.

Auswirkung des Proteus-Effekts bei Männern und Frauen

Laut einer Studie an der Hamburg Media School unter Leitung der Medienpsychologen Sabine Trepte und Leonard Reinecke handeln Spieler bei der Wahl ihres Avatars in erster Linie rational. Sie wollen gewinnen – und wählen die Eigenschaften ihrer Kunstfigur entsprechend strategisch aus.

Wobei Männer und Frauen eine deutliche Präferenz für gleichgeschlechtliche Spielfiguren haben, sprich: Mann bleibt Mann und Frau Frau – wenngleich meist ausgestattet mit Attributen, die das Spielen erleichterten und im realen Leben als wünschenswert gelten, also stark, attraktiv, mächtig.

Ebenfalls konnte Trepte in einer Studie nachweisen: Wer in einem Online-Netzwerk viele persönliche Angaben mache, sei schon ein halbes Jahr später ein offenerer Mensch, teile bereitwilliger mehr Informationen über sich und habe sogar mehr Freunde.

Eine 2013 veröffentlichte Studie (PDF) der Stanford University sieht die Auswirkungen von Avataren in Onlinespielen speziell für Frauen nicht ganz so rosig.

Jesse Fox, Jeremy N. Bailenson und Liz Tricase befragten 86 Teilnehmerinnen im Alter zwischen 18 und 41, die mit offenherzig oder konservativ gekleideten Avataren spielten. Es stellte sich heraus, dass diejenigen Probandinnen, die eine sexualisierte Version von sich spielten, bei einer anschließenden Befragung der Frage „In der Mehrzahl der Vergewaltigungen ist das Opfer promiskuitiv oder hat einen schlechten Ruf“ eher oder sogar stark zustimmten.

Anders diejenigen Teilnehmerinnen, die eine nicht-sexualisierte Version ihrer selbst spielten. Die Forscher sehen in diesem Ergebnis den Proteus-Effekt bestätigt. Nach einer Spielzeit als sexualisierter Avatar würden die Frauen sich selbst objektivieren.

Fünf Fakten über Avatare, die Sie noch nicht kannten

  • Vertrauenswürdig

    Avatare wirken umso glaubwürdiger, je deutlicher ihr Geschlecht zu erkennen ist, so eine Untersuchung der Universität von Connecticut in Storrs. Damit scheiden Gegenstände und Symbole eher aus. Am vertrauenswürdigsten erschien die Person hinter dem Avatar, wenn dessen Cyberzwilling einen Anzug oder ein Kleid trug sowie Haare hatte, die ihn oder sie deutlich als Mann oder Frau kennzeichneten.

  • Selbstzufrieden

    Je zufriedener ein Mensch mit sich selbst ist, desto mehr ähnelt ihm sein Avatar, fanden die Medienpsychologen Sabine Trepte und Leonard Reinecke von der Hamburg Media School heraus. Wer dagegen seinem Leben eher unglücklich war, schlüpfte virtuell umso stärker in eine Phantasierolle.

  • Hilfsbereit

    Das Klischee stimmt: Weiblichen, attraktiven Avataren wird im Netz häufiger geholfen als anderen Kunstfiguren, ermittelte eine Studie der TU Chemnitz. Untersucht hatten die Forscher das Hilfeverhalten unter anderem im Online-Rollenspiel World of Warcraft. Dabei erhielten attraktive Avatare deutlich mehr Unterstützung (46,6 Prozent) als unattraktive (23,3 Prozent). Nur übertreiben sollte frau es damit nicht, denn…

  • Misstrauisch

    Sieht der digitale Doppelgänger zu sexy aus, wird die Person dahinter für weniger vertrauenswürdig gehalten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Indiana Universität. Je leichter bekleidet und je üppiger die Brüste der Kunstfrau waren, desto weniger Mitgefühl zeigten die (männlichen) Versuchsteilnehmer dieser gegenüber.

  • Abhängig

    Computerspielsüchtige zeigen eine besonders enge Bindung zu ihrem Avatar, fand David Smahel von der Masaryk Universität im tschechischen Brünn heraus. Löst ihre Computerspielfigur zum Beispiel eine Aufgabe nicht oder verliert diese gegen andere Avatare, schämen sich die Betroffenen noch lange im realen Leben dafür – also wieder ein Beleg für den Proteus-Effekt.

Proteus-Effekt in beide Richtungen möglich

Die oben genannten Studien belegen, dass wir im Netz nicht nur spielerisch die Wahrnehmung unserer Person durch andere beeinflussen, sondern umgekehrt auch unser Verhalten und unser Selbstbild geformt wird.

Das ist je nachdem gar nicht immer positiv und kann dazu beitragen, Stereotype zu verfestigen. Menschen mit gering ausgeprägtem Selbstwertgefühl könnten demnach – je nach Gestaltung des Spiels – anfällig für negative Selbstzuschreibungen sein.

Auf der anderen Seite liegt in solchen Rollenwechseln enormes Potenzial: Studien mit Virtual Reality (VR) deuten darauf hin, dass die Teilnehmer anschließend über ein deutlich höheres Maß an Empathie verfügten. So die 2018 von Fernanda Herrera, Jeremy Bailenson, Erika Weisz, Elise Ogle und Jamil Zaki erschienene Studie, in der Teilnehmer über einen Zeitraum von acht Wochen verschiedene Einblicke in das Leben von Obdachlosen erhielten.

Hier zeigte sich, dass die Teilnehmer, die in VR selbst obdachlos wurden, eine sehr viel positivere und nachhaltigere Haltung gegenüber Obdachlosen einnahmen als solche, die auf klassische Weise über Obdachlose informiert wurden. So unterschrieben erstere beispielsweise eine Petition zur Unterstützung von Obdachlosen.

Bezogen auf die eigene Person ist die Versuchung also groß, dass auch wir uns alle nun künstliche Super-Avatare erschaffen, um ein besseres und selbstbewussteres Kohlenstoff-Selbst zu werden. Bevor Sie jedoch den Versuch starten, seien Sie noch einmal an Proteus erinnert:

Der göttliche Greis war dazu in der Lage – fand es aber schicker, Robben zu hüten. Womöglich verbirgt sich hier das wahre Zweitleben.

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[Bildnachweis: Dima Sidelnikov by Shutterstock.com]

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