Psychoeffekte: Kosmetik, High Heels und Rocklängen
Mit derlei Wirtschaftsindikatoren beschäftigt sich die Wissenschaft schon länger. Neben
dem Ifo-Index oder dem Bruttosozialprodukt gibt es inzwischen eine Reihe weiterer, „weicher“ Indikatoren, die Volkswirte zurate ziehen, um die konjunkturelle Entwicklung zu prognostizieren.
Neben Lippenstiften und anderen Kosmetika hat es der Forschung vor allem die Rocklänge in der Mode als Spiegel der aktuellen Konjunktur angetan.
Der sogenannte Minirock-Index besagt: Je kürzer die Röcke, desto besser brummt die Wirtschaft (und das, obwohl sie weniger Stoff verkaufen kann).
So wundersam der Zusammenhang auch anmutet: Das Phänomen wurde schon ein paar Mal empirisch untersucht und hat sich dabei erstaunlicherweise jedes Mal bewahrheitet.
Auch ein anderer Zusammenhang scheint zu Unrecht als urbane Legende abgetan zu werden: der High-Heels-Index.
Tatsächlich werden Schuhabsätze prompt höher, sobald die Konjunktur ins Stocken gerät. Das hat etwa Elizabeth Semmelhack, Kuratorin des Bata Shoe Museums in Toronto and Autorin des Buchs „Heights of Fashion: A History of the Elevated Shoe“ festgestellt. High Heels gegen Wirtschaftsflaute sozusagen…
Warum das so ist?
Das weiß keiner so genau. Aber es gibt ein paar Erklärungen dazu: Etwa, dass sich Frauen in wirtschaftlich schlechten Zeiten attraktiver machen, um einen, nun ja, solventeren Partner anzuziehen.
Lippenstift-Index: Wohlfühlutensil für schwere Zeiten
In dieselbe Kategorie fällt auch der Lippenstift-Index. Er vollzieht sich praktisch parallel zum High-Heel-Index: Kommt die Rezession, tragen die Frauen mehr Farbe auf, beziehungsweise greifen verstärkt zu Kosmetik-Produkten, weil die im Vergleich zu teuren Klamotten und anderen Luxusgütern deutlich günstiger sind.
Auch dazu gibt es eine bemerkenswerte Studie von gleich mehreren Wissenschaftlern um Sarah E. Hill, Zitat:
Unter Verwendung von historischen Angaben und fundierten Experimenten haben wir untersucht, wie und warum wirtschaftliche Rezessionen das Konsumentenverhalten der Frauen beeinflussen. Die Ergebnisse zeigen, dass rezessive Entwicklungen den Wunsch nach den meisten Produkten verringert haben, nicht aber den Wunsch der Frauen nach Produkten, die ihre Attraktivität erhöhen – insbesondere nach Lippenstiften. Das ist ein starkes Indiz für die Existenz eines Lippenstift-Effekts.
Laut Studie soll der Lippenstift-Absatz sogar als dritter Indikator für eine Rezession taugen. Der erste: Man ersetzt teure Produkte durch billigere – kauft zum Beispiel Thunfisch statt Lachs. Der zweite: Man investiert in gute Laune, schaut sich zum Beispiel eine Komödie im Kino an. Der dritte: Man kauft sich Kosmetika, Lippenstifte eben.
Angeblich soll der Lippenstift-Effekt in den USA während jeder Rezession zu beobachten gewesen sein: in der Zeit der Great Depression der 1930er Jahre, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sowie dem Beginn der Wirtschaftskrise 2008. Gänzlich unumstritten ist das freilich nicht.
Dafür spricht aber ein ganz aktueller Fall: So scheint es in Großbritannien momentan ebenfalls einen Lippenstift-Effekt zu geben. Die Gehälter auf der Insel stagnieren, die wirtschaftlichen Aussichten sind nach dem Brexit-Votum vage – und die Briten geben trotzdem deutlich mehr Geld für erschwingliche Schönheitsprodukte aus. Der Lipstick Effect.
Lippenstift-Effekt: Heute anders als früher
Das Spannende ist: Auch der Lippenstift-Effekt scheint eine Art evolutionäre Entwicklung durchzumachen.
„Vorherige Arbeiten gingen davon aus, dass Frauen Schönheitsprodukte nur einsetzen, um damit einen Partner anzulocken“, so Psychologin McKenzie Rees von der Uni Notre Dame, die das Phänomen untersuchte. Das sei vorbei. Zwar würden Frauen den Lippenstift noch immer als Waffe einsetzen, aber weniger im Privat-, sondern mehr im Berufsleben. Das sei heute die strategisch klügere Wahl, um durch wirtschaftlich schwierige Zeiten zu kommen.
„Vielmehr ziehen sie es vor, die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen und ihre ökonomische Situation selbst zu verbessern„, meint Rees. „Frauen haben gemerkt, dass ihr Erscheinungsbild ihnen dabei helfen kann.“ Der Lippenstift als Ressourcenbeschaffer – das gelte also weiterhin, wenngleich auf anderem Wege. Job und Karriere statt Mann.
Und diese Strategie scheint tatsächlich zu funktionieren. Womit wir bei einem ganz neuen Lippenstift-Effekt wären…
Psychologie: Die Wirkung von Make-up
Lippenstift steigert das Selbstwertgefühl und hellt die Stimmung auf – und verbessert sogar die Leistungsfähigkeit. Das glaubt Rocco Palumbo von der Harvard Medical School, der die Wirkung von Make-up zusammen mit italienischen Forscherkollegen untersuchte. Der Beitrag wurde im Juni 2017 im Fachmagazin Cogent Psychology veröffentlicht.
In einem Experiment hatten die Wissenschaftler mehrere Studentinnen in drei Gruppen eingeteilt. Sie alle sollten einen Multiple-Choice-Test absolvieren. Die Frauen aus der ersten Gruppe trugen nun vor dem Test Make-up auf. Gruppe zwei hörte sich Gute-Laune-Musik an. Und die Teilnehmerinnen aus Gruppe drei malten die Zeichnung eines menschlichen Gesichts mit Farbe aus.
Ergebnis: Die Damen aus den Gruppen eins und zwei fühlten sich nicht nur besser – sie schnitten im Test auch besser als die Montagsmaler aus Gruppe drei. Die besten Ergebnisse aber lieferten die Probandinnen mit dem Make-up ab.
Die Erklärung der Autoren: Make-up führt dazu, dass man sich schöner fühlt. Dadurch steigt das Selbstwertgefühl, was wiederum die kognitive Leistungskraft verbessert – und in bessere Ergebnisse mündet. Darum hätten die Lippenstift-Trägerinnen auch besser abgeschnitten als die Musikhörerinnen. Zwar habe sich deren Stimmungslage ebenfalls aufgelockert, aber sie hätten sich nun mal nicht schöner gefühlt. Optik zählt!
Körperpflege beflügelt auch die Männer
Gestützt werden die Erkenntnisse auch von Nancy Etcoff, Psychologin an der Harvard Medical School. Ja, Make-up und Körperpflege könnten beflügeln. Und das gelte sogar für Männer. „Körperpflege kann Selbstbewusstsein verleihen„, schrieb sie 2013 in einem Beitrag für die New York Times. „Und Studien deuten darauf hin, dass das Selbstbewusstsein, das es auslöst, auch attraktiver macht.“
So hätten sich in einer Studie Männer mit einem parfümierten und einem geruchlosen Produkt eingesprüht. Von den weiblichen Teilnehmern wurden die duftenden Männer nun als attraktiver bewertet – obwohl sie sie gar nicht hatten riechen können! Die Parfüm-Männer agierten schlicht selbstbewusster und wirkten dadurch anziehender.
Aber Make-up ist kein Allheilmittel, warnt Etcoff. So könnten sich Frauen durch Make-up auch zu (Sex-)Objekten degradiert fühlen. Und für solche Frauen könnte „jeder mögliche Vorteil, der sich aus dem Tragen von Make-up ergibt, durch dessen emotionale Bürde wieder zunichte gemacht werden.“ Außerdem: Wer das Gefühl habe, Make-up aus Zwang auftragen zu müssen, fühle sich ebenfalls nicht besser und selbstbewusster.
Ihr Schlusswort: „Make-up ist, was du daraus machst.“
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