Definition: Was ist Selbstbetrug?
Selbstbetrug beschreibt in der Psychologie die Fähigkeit, bewusst oder unbewusst die Realität und (Selbst-)Wahrnehmung zu verfälschen sowie Tatsachen zu ignorieren oder umzudeuten, bis sie wieder zum Selbstbild oder Weltbild passen. Kurz: Betroffene sind unehrlich zu sich selbst.
Der Hang zum Selbstbetrug „ist Menschen angeboren“, sagt die Psychologin Louisa C. Egan von der Yale Universität. Wir täuschen uns selten in böser Absicht, sondern vielmehr, um eigene Überzeugungen, Glaubenssätze und Weltanschauungen zu schützen und zu stabilisieren. Die Gefahr ist allerdings, dass wir dabei die eigene Entwicklung blockieren und und in ein Netz aus Lügen und zunehmendem Realitätsverlust verstricken.
Die Strategien des Selbstbetrugs
Die Psychologen Francesco Marchi (Universität Antwerpen) und Albert Newen (Ruhr-Universität Bochum) haben untersucht, wie sich die Menschen selbst belügen und dabei vier Strategien der Selbsttäuschung ermittelt:
- Überzeugungen reorganisieren
Dabei werden unliebsame Fakten oder Ergebnisse neu interpretiert, Gründe und Schuldige im Außen gesucht, damit das bisherige Weltbild wieder stimmt. - Tatsachen auswählen
Es werden nur solche Zahlen, Fakten, Studien gesucht und herausgepickt, die die eigene Weltsicht unterstützen. Der Rest wird ignoriert. Typisch etwa für Verschwörungstheoretiker. - Fakten zurückweisen
In dem Fall werden widersprechende Tatsachen nicht nur verleugnet, sondern regelrecht bekämpft und rhetorisch herabgewürdigt oder ins Lächerliche gezogen. - Alternative Tatsachen schaffen
Wenn alle anderen Strategien der Selbsttäuschung versagen, werden eigene, alternative Erklärung und Fakten geschaffen – zur Not durch handfestes Lügen und Verdrehen von Tatsachen.
Selbstbetrug Synonyme
Häufig verwendete Synonyme für Selbstbetrug sind: Selbsttäuschung, Schönfärberei, Realitätsverleugnung, Illusion, Wunschdenken oder (in extremen Fällen) Lebenslüge.
Was macht Selbstbetrug so gefährlich?
Der Mensch ist nicht nur die Krone der Schöpfung, sondern genauso Spitze darin, sich seine eigene Wirklichkeit zu schaffen: „Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt“, trällerte einst Pippi Langstrumpf. Was bei der beliebten Romangöre zum fröhlichen Selbstverständnis gehört, endet im realen Leben jedoch in einem Universum aus Wunschdenken, Fiktion und Selbstgerechtigkeit.
Die große Gefahr des Selbstbetrugs besteht darin, den objektiven Blick auf das eigene Leben oder Verhalten zu verlieren. Wer sich alles schön redet, entfernt sich stetig weiter von der Wahrheit und Realität, trifft häufiger falsche Entscheidungen und erlebt irgendwann ein böses Erwachen.
Ein typisches Beispiel hierfür ist das Festklammern am falschen Job oder an einer toxischen Beziehung. Über Monate oder gar Jahre hinweg, sind wir bereit, immer wieder faule Kompromisse einzugehen oder uns einzureden, dass es irgendwann besser wird. Dabei aber schaden die Betroffenen aber sowohl ihrer Gesundheit wie auch der Psyche.
Formen des Selbstbetrugs
Selbstbetrug und Selbsttäuschung können verschiedene Formen haben, die sogar gegensätzlich wirken:
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Selbstüberschätzung
Bei der Selbstüberschätzung handelt es sich um eine übertrieben positive Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten oder die Annahme der eigenen Überlegenheit gegenüber anderen. Psychologen sprechen dabei auch von einer kognitiven Verzerrung („Bias„). Der oder die Betroffne glaubt, mehr zu können, länger durchzuhalten oder größeren Einfluss zu haben, als das tatsächlich der Fall ist.
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Selbstsabotage
Umgekehrt ist es bei der Selbstsabotage: Wer sich zum Beispiel einredet, in nichts gut zu sein, hat meist Angst vor Fehlern oder der sozialen Bewertung durch sein Umfeld. Wer wiederum gar nichts wagt oder anfängt, will häufig keine Erwartungen enttäuschen – auch nicht die eigenen.
Selbstbetrug Beispiel: Der Fuchs und die Trauben
Ein Fuchs versucht von einem Weinstock zu naschen. Wie er sich auch dreht und wendet, er gelangt nicht an die Trauben: Sie hängen zu hoch. Doch statt sich einzugestehen, dass er zu klein ist, verkündet der Fuchs hochmütig: „Die Trauben sind nicht reif genug. Ich mag keine sauren Trauben.“ So stolziert er mit dem Gefühl des Siegers in den Wald zurück.
Der griechische Dichter Äsop schrieb diese Fabel schon 600 vor Christus. Viele Menschen verhalten sich bis heute nicht anders.
Wir Selbstbetrüger: Wer neigt besonders dazu?
Der typische Selbstbetrug lässt sich besonders häufig in der Beziehung, aber auch an der Börse beobachten: Stürzt eine Aktie überraschend ab, sagen viele, dass sie damit längst gerechnet haben – trotzdem haben sie ihr Depot zuvor weder verkauft noch eifrig Optionen auf sinkende Kurse geordert…
Es ist vor allem unsere Persönlichkeit, die großen Einfluss darauf hat, ob wir zum Selbstbetrug neigen. Betroffen sind vor allem diese Personengruppen:
- Profilneurotiker
Wenig überraschend behaupten Menschen, die einen starken Hang zur Selbstdarstellung haben, öfter als andere, die richtige Antwort schon vorher gewusst zu haben. - Unsichere
Am stärksten zeigt sich der Rückschaufehler (siehe: Confirmation Bias) bei Menschen, die zu einer Art Dogmatismus neigen. Also Persönlichkeiten mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Sicherheit und geordneten, vorhersehbaren Welt.
Warum betrügen wir uns selbst?
In den meisten Fällen ist der Selbstbetrug keine bewusste Handlung, sondern vielmehr ein Schutzreflex. Dabei geht es weniger um körperliche Gefahr, sondern um den Schutz vor einer Bedrohung der Psyche und des Selbstbildes. Wir alle sehen uns gerne in einem positiven Licht, in Glanz und Glorie. Kratzt jemand an diesem schönen Schein, nagt das am Ego und Selbstwertgefühl.
Um diesen Widerspruch zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung auszugleichen (Fachbegriff: kognitive Dissonanz), biegen sich viele die Realität zurecht. Diese Täuschung kann sogar von Vorteil sein: Dann etwa, wenn wir uns auf die positiven Aspekte und unsere Stärken konzentrieren, um eine Herausforderung zu meistern oder selbstbewusster zu wirken (z.B. im Vorstellungsgespräch).
Der Nutzen ist allerdings nur kurzfristig. Auf lange Sicht stehen sich die Betroffenen damit selbst im Weg – ihrer Persönlichkeitsentwicklung genauso wie ihrem Erfolg.
Selbstbetrug Sprüche und Zitate
- „Von allen Menschen sollte man sich selbst am meisten misstrauen.“ (Horst A. Bruder)
- „Die Qual der Selbsterkenntnis wird durch die Gnade der Selbsttäuschung gemildert.“ (Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger)
- „Selbstbetrug ist der eigentliche faule Fleck in der menschlichen Natur.“ (Immanuel Kant)
- „Der häufigste Missbrauch des Denkens besteht darin, sich und anderen etwas vorzumachen.“(Ernst Ferstl)
- „Wir sind so gewöhnt, uns vor andern zu verstellen, daß wir uns am Ende vor uns selbst verstellen.“ (François de La Rochefoucauld)
- „Wir alle wissen, was gut für uns ist. Und doch tun wir jeden Tag etwas anderes.“ (Damaris Wieser)
Achtung Selbstbetrug: Gefährliche Gedanken über den Job
Vor allem im Job und bei der eigenen Karriere kann es gefährlich sein, sich selbst zu betrügen oder anderen etwas vorzumachen. Folgende Sätze und Gedanken können zum echten Karrierekiller werden:
„Meine gute Arbeit spricht für sich selbst.“
Wer so denkt, will sich von den Selbstdarstellern abgrenzen. Eigentlich nobel, aber naiv. Qualität setzt sich leider nicht automatisch durch – sie muss mindestens bemerkt werden. Die falsche Bescheidenheit und Schüchternheit spielt dafür den Windmaschinen in die Karten. Wer gut ist, kommt an etwas Selbstmarketing nicht vorbei.
„Ich warte noch auf den richtigen Zeitpunkt…“
Eine gefährliche Rechtfertigung, um untätig zu bleiben. Den richtigen Zeitpunkt, das perfekte Timing ist zwar hilfreich, das Warten darauf kann aber ebenso wertvolle Lebenszeit kosten. Der beste Zeitpunkt ist immer: Jetzt!
„Ich muss einfach noch härter arbeiten…“
Stopp! Das ist Aktionismus: Bevor Sie im Vollsprint starten, sollten Sie sich fragen: „Wohin will ich überhaupt?“ Nur wer sein Ziel kennt, kann auch den richtigen Kurs bestimmen – und effektiv darauf zusteuern. Manchmal müssen nicht härter, sondern smarter arbeiten.
„Die Kollegen sind nur neidisch auf meinen Erfolg!“
Autsch, Arroganz! Wer das Gefühl hat, andere würden einem den Erfolg nicht gönnen und gegen einen arbeiten, betrügt sich gleich doppelt: Erstens, wer glaubt, von Feinden umgeben zu sein, ist es bald wirklich; zweitens könnte nicht der Erfolg die Ursache sein, sondern eigene, negative Verhaltensmuster. Natürlich ist es leichter, anderen die Schuld zu geben, als sich selbst zu verändern. In dem Fall ist Selbsterkenntnis der erste Schritt zur Besserung…
Was kann ich gegen Selbstbetrug tun?
Um dem Selbstbetrug seltener zu erliegen, sollten Sie ein Bewusstsein dafür schaffen, wann Sie zur Selbsttäuschung neigen und warum. Überdies helfen folgende drei Schritte:
1. Selbstreflexion
Wir alle haben ein Selbstbild von uns, das wir gerne erhalten wollen, weil es uns gefällt oder weil wir dazugehören wollen. Beobachten und hinterfragen Sie sich: „Wo beschönige ich mein Selbstbild? Wo verfälsche ich die Wahrheit oder mein Weltbild?“ Kurz: Sorgen Sie für eine bewusste Ent-Täuschung.
2. Achtsamkeit
Der zweite Schritt zu mehr Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst führt über mehr Achtsamkeit: Seien Sie weniger vorschnell mit Urteilen über sich und andere. Selbsttäuschungen sind oft Folge unserer Stereotype im Kopf. Je bewusster uns diese „blind spots“ werden, je mehr wir genau hinschauen, desto weniger kommt es zum Selbstbetrug.
3. Korrektur
Dieser Schritt ist schmerzhaft, aber unvermeidlich: Korrigieren Sie Ihre Glaubenssätze, Überzeugungen und Weltbilder! Insbesondere wenn Sie merken, dass Sie Tatsachen bereits ausblenden, umdeuten oder Wahrheiten überdehnen. Es gibt keine „alternativen Fakten“ – das ist Unsinn und ergibt eine ziemlich lächerliche Figur (siehe Trump). Natürlich gibt es weiterhin unterschiedliche Perspektiven und Sichtweisen. Aber da, wo Zahlen, Daten, Fakten eindeutig sind, hilft beschönigen nicht. Ehrlichkeit währt am längsten!
Das lohnt sich! Als Forscher der Universität von Notre Dame das untersuchten, stellten sie fest: Wer Alltagslügen und Selbstbetrug reduziert, verbessert seine Gesundheit. Unehrlichkeit und häufige Lügen erzeugten dagegen Stress und führten häufiger zu psychosomatischen Erkrankungen. Ehrlichkeit – auch zu sich selbst – zeichnet eben die wahrhaft starken Menschen aus.
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