Warum belügen wir uns selbst?
Ein wenig in Schutz nehmen müssen wir die Spezies Mensch schon. Zwar belügen wir uns regelmäßig selbst. Doch geschieht das meist wesentlich unbewusster als anderen Menschen gegenüber. Reden wir uns die Dinge schön, geschieht dies meist aus guten Gründen:
- Um uns selbst zu schützen.
- Um unser Selbstbild aufrecht zu erhalten.
- Um ein schlechtes Gewissen zu verhindern.
Aber was bringt unser Unterbewusstsein dazu, uns eine Lüge aufzutischen?
Die Antwort findet sich in der sogenannten kognitiven Dissonanz, die im engen Zusammenhang mit klassischem Selbstbetrug steht.
Gemeint ist damit das unangenehme Gefühl, dem wir ausgesetzt sind, wenn wir mit unterschiedlichen Wahrnehmungen ringen. Widersprüche bedrohen unser Selbstbild.
Ein anschauliches Beispiel liefert die Fabel vom Fuchs und den Trauben:
Auf seiner Suche nach einer Köstlichkeit entdeckt der Fuchs einen Weinstock, an dessen Trauben er sich gerne gütlich tun würde. Doch was er auch tut, er kann die leckeren Früchte einfach nicht erreichen, weil diese zu hoch für ihn hängen. Als Reaktion rümpft er die Nase und verkündet lauthals, dass die Trauben ohnehin sauer seien und deshalb nicht schmecken würden. Dann macht er sich auf seinen Weg zurück in den Wald.
Die Dissonanz zwischen Wunsch und Realität – dem Hunger auf Trauben und der Tatsache, dass diese unerreichbar sind – löst der Fuchs, indem er kurzerhand seine Einstellung ändert und sich selbst und allen anderen einredet, dass sein Interesse an den Trauben von Anfang an nicht so groß war.
Er hätte natürlich auch Hilfe holen und die Trauben teilen können. Oder seine Sprungkraft so lange trainieren, bis sie für die Trauben ausreicht. Oder oder oder. Letztlich verhalten sich die meisten wie der Fuchs: Sie verändern lieber ihre Einstellung als ihr Verhalten.
Oder wie wir es immer wieder schreiben: Wer etwas will, findet Wege; wer nicht will, findet Gründe.
Tatsächlich lassen sich die meisten Menschen in Wegefinder und Gründesucher einteilen. Die ersten erreichen in der Regel, was sie sich vornehmen. Die zweiten wählen den bequemeren Weg und entwickeln nur Frust, aber nicht sich selbst.
Das wirft Fragen auf:
- Woran lässt sich erkennen, dass ich mich selbst belüge?
- Wie kann ich den Selbstbetrug vermeiden?
- Und lohnt sich das überhaupt?
6 Anzeichen, dass Sie sich selbst belügen
Die Fragen sind gut. Gerade diese regelmäßige Selbstreflexion ist ein wichtiger Schritt, um solche Selbstlügen zu vermeiden.
Dasselbe passiert, wenn Sie Ihr Verhalten kritisch beobachten und ehrlich bewerten. Die folgenden sechs Punkte sind zum Beispiel starke Anzeichen dafür, dass Sie öfter selbst belügen als Sie sollten…
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Sie lassen Worten keine Taten folgen
So gut wie jeder belügt sich einmal im Jahr – am Silvesterabend. Jedes Jahr werden Neujahrsvorsätze gefasst, von denen nur ein verschwindend geringer Teil jemals umgesetzt wird. Das kann verschiedene Ursachen haben (siehe auch 72-Stunden-Regel). Wird das Muster aber chronisch, sollten die Alarmglocken klingeln. Könnte es sein, dass Sie ein Träumer sind? Jemand, der seinen Erfolg lieber imaginiert und herbeiredet, statt wirklich dafür zu arbeiten und Ideen umzusetzen? Wer sich immer wieder selbst dabei ertappt, dass er seinen Worten keine Taten folgen lässt, kann sich sicher sein, dass er oder sie sich selbst gegenüber nicht ehrlich ist.
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Sie neigen zu Übertreibungen
Nie läuft etwas richtig oder auch Ich muss immer mehr arbeiten. Das Denken und Reden in extremen Kategorien führt dazu, dass man sich selbst belügt. Es ist nicht immer alles schwarz oder weiß, gut oder schlecht, richtig oder falsch. Um ehrlich zu sich selbst zu sein, sollten Sie auch Grautöne zulassen. Und Übertreibungen wie „absolut“, „völlig“, „immer“, „jedes Mal“ aus den Gedanken streichen.
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Sie stehen nicht zu Ihren Fehlern
Das können auch Fehleinschätzungen, Meinungen, Vorurteile sein. Schnell haben wir eine Meinung gefasst. Aber Meinung ist nicht Wahrheit oder Realität. Deswegen heißt sie ja so: Wir meinen, etwas zu wissen. Das müssen wir erst noch verifizieren und können uns dabei auch irren. Nicht wenige empfinden das als Schande und wählen lieber die Vorwärtsverteidigung. Oder reden gerne den aktuellen Mehrheiten das Wort. Wenn auch Sie wie ein Fähnchen im Wind ständig Ihre Meinung ändern und Fehlereinschätzungen vehement verteidigen, ist das ein starkes Indiz dafür, dass Sie sich selbst belügen.
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Sie wollen es allen recht machen
Manche Menschen haben ein hohes Harmoniebedürfnis und wollen Streit unbedingt verhindern. Oder unbedingt dazugehören. In der Folge sagen sie zu allem Ja, obwohl sie längst Nein sagen müssten. Obacht: Wer es allen recht machen will, belügt sich selbst. Mehr noch: Sie verleugnen sich selbst – ihre eigenen Bedürfnisse genauso wie die eigenen Ziele. Ein wichtiger Schritt ist es jetzt, einzusehen, dass Meinungsverschiedenheiten und Konflikte unvermeidbar sind. Sie gehören zum Leben dazu. Bleiben Sie sich lieber selbst treu und versuchen Sie wieder geistig unabhängiger zu werden.
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Sie überschätzen sich
Wer sich selbst belügt, läuft Gefahr, sich selbst in schwierige Situationen zu manövrieren. Machen Sie sich beispielsweise vor, dass Sie noch mehr Aufgaben übernehmen können oder kürzere Deadlines ohne Probleme einhalten, kommt schon bald der Punkt, an dem Sie scheitern oder völlig überfordert sind. Und zwar selbstverschuldet. Gerade bei den eigenen Fähigkeiten und der eigenen Persönlichkeit ist (schonungslose) Ehrlichkeit der einzige Weg zur Besserung.
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Sie fühlen sich selbst unecht
Manchmal ist das eigene Bauchgefühl der beste Indikator für Wahrhaftigkeit. Spätestens wenn Sie selbst das Gefühl haben, sich häufig zu verstellen oder unecht zu verhalten, sollten Sie die Notbremse ziehen und etwas an Ihrem Verhalten ändern. Je länger Sie sich selbst belügen und anderen etwas vormachen, desto mehr schaden Sie sich und Ihrem Selbstwertgefühl.
Sich selbst belügen: Das können Sie dagegen tun
Einsicht ist der erste Weg zu einer Veränderung. Aber noch nicht der ganze. Es ist nur ein (guter) Anfang.
Letztlich ist die Selbstlüge eine Gewohnheit, die man nur schwer wieder los wird. Gerade weil die Lügen uns so gut schmecken und ein gutes Gefühl oder Selbstbild vermitteln, entlarven wir sie nur ungern.
Wollen Sie wirklich aufhören, sich selbst zu belügen, hilft nur Ehrlichkeit und die Arbeit an uns selbst. Sicher, das ist unbequem, anstrengend, vielleicht auch mit Tränen verbunden. Die Entwicklung aber ist heilsam. Sie werden daraus als gereifte und gestärkte Persönlichkeit hervorgehen, die unabhängiger von anderen ist, sich selbst besser kennt und authentischer lebt.
Zwei Schritte helfen dabei vor allem:
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Gestehen Sie sich Ihre Fehler ein
Oft belügen wir uns selbst, um eigene Schwächen oder Niederlagen zu vertuschen und das positive Bild aufrecht zu erhalten, was wir von uns selbst malen. Hören Sie auf damit. Niemand ist perfekt und muss es auch nicht sein. Im Gegenteil: Wenn Sie Ihre Fehler eingestehen und die Schwächen akzeptieren, können Sie daran wachsen beziehungsweise sich Unterstützung suchen. Außerdem macht es viel sympathischer.
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Bleiben Sie sich selbst treu
Statt sich zu verbiegen und zu verdrehen, um zu gefallen, sollten Sie akzeptieren, dass Sie früher oder später anecken werden. Das ist auch gut so. Bleiben Sie sich und Ihrer Persönlichkeit treu, werden Sie zu einem Original, das man schon dafür respektiert. Sicher, das ist kein Freibrief dafür, ein Arschloch zu sein. Aber Sie können ohnehin nur ihr eigenes Leben leben. Und das sollte wenigstens echt sein.
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