Einfach erklärt: Was ist kristalline Intelligenz?
Der Begriff kristalline Intelligenz beschreibt laut Definition das gesammelte Wissen eines Menschen sowie die Fähigkeit dieses auf verschiedene Lebensbereiche anzuwenden. In der Psychologie wird die kristalline Intelligenz auch als „Pragmatik des Geistes“ bezeichnet. Laut dem US-Psychologen John L. Horn nimmt sie im Alter sogar zu („Crystallized-Ability“). Umgangssprachlich wird diese Intelligenz daher auch als Altersweisheit bezeichnet.
Kristalline ist nicht angeboren und setzt sich im Wesentlichen aus zwei Bestandteilen zusammen:
- Explizites Wissen
Erlerntes Faktenwissen, Berufserfahrungen, historische Daten, Erinnerungen. - Implizites Wissen
Fähigkeiten wie das verbale Ausdrucksvermögen, soziale Kompetenzen sowie Menschenkenntnis.
Das Intelligenzmodell dahinter geht auf Raymond Cattell zurück, der in seiner Zweikomponententheorie zwischen der kristallinen und fluiden Intelligenz unterscheidet. Inzwischen gibt es verschiedene Arten, fluide Intelligenz zu messen: den Cattell Culture Fair IQ Test, den Raven Progressive Matrices (RPM) und die Leistung im WAIS Test. Der RPM zählt zu den meist genutzten Messungen fluider Fähigkeiten. Dabei handelt es sich um einen Multiple-Choice-Test.
Der Unterschied zwischen fluider und kristalliner Intelligenz?
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Kristalline Intelligenz 💎
Als stetig wachsender Wissens- und Erfahrungsschatz umfasst die kristalline Intelligenz neben der Allgemeinbildung die gesammelte Lebenserfahrung. Kristalline Fähigkeiten besitzt aber nur, wer das Know-how auf weitere Bereiche übertragen und breit anwenden kann.
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Fluide Intelligenz 💦
Fluide Intelligenz (auch General-Fluid-Ability oder fluides Denken) beschreibt die Mechanik des Geistes. Also die Fähigkeit zu logischen Schlussfolgerungen oder zu abstraktem Denken – ungeachtet bestehender Erfahrungen. Man geht heute davon aus, dass die fluide Intelligenz angeboren ist und ab einem Alter von 25 Jahren abnimmt. Sie zeigt sich zum Beispiel im klassischen IQ Test, im Lerntempo oder der Verarbeitung von Information.
Der Generalfaktor der Intelligenz (G) setzt sich aus beiden Intelligenzarten (Gf = fluid, Gc = crystalline) zusammen und bildet den Intelligenzquotienten (IQ) eines Menschen, der aber aufgrund der Veränderungen im Alter nicht gleich bleibt.
Kristalline und fluide Intelligenz brauchen sich
Zu welchem der Bereiche die Intuition zählt, ist bis heute strittig. Die Mehrheit ordnet sie der kristallinen Intelligenz zu. Schließlich basiert das Bauchgefühl vor allem auf Erfahrungswissen. Als sicher gilt, dass sich beide Intelligenzarten gegenseitig benötigen und beeinflussen: Während die fluide Intelligenz abnimmt und das Denken wie Lernen langsamer werden, bleibt die kristalline Intelligenz und Fähigkeit komplexe Aufgaben zu lösen weitgehend konstant. Erst ab einem Alter von 65 Jahren nimmt auch sie langsam ab.
Wissen aneignen kann sich praktisch jeder. Es aber genauso klug, es anwenden zu können, Querverbindungen zu ziehen und damit sein (vorhandenes) Wissen stetig zu optimieren. Genau das macht die kristalline Intelligenz aus: Aufbauend auf Übungen, Erkenntnissen und Lektionen verstärkt sie sich selbst und ist in der Lage, die abnehmende fluide Intelligenz auszugleichen oder gar zu überkompensieren.
Kristalline Intelligenz ist kulturell verschieden
Weil die kristalline Intelligenz direkt mit der Bildung (Schulwissen, Ausbildung, Allgemeinwissen) zusammenhängt, gibt es starke kulturelle Unterschiede. Beispiel: Ein Deutscher weiß mehr über die Wiedervereinigung als ein gleichaltriger US-Amerikaner. Der wiederum weiß mehr über den Bürgerkrieg und die Bekämpfung der Sklaverei.
Andere Länder, andere Sitten. So beginnen beispielsweise Europäer beim Zählen mit den Fingern fast immer beim Daumen der linken Hand. Chinesen dagegen nutzen zuerst die rechte Hand. Beide Varianten entsprechen der Leserichtung der Buchstaben. Auch Sprache, Wortschatz und kulturelle Gepflogenheiten wie Distanzzonen oder die Freiheit der Medien prägen unsere Intelligenz.
Kristalline Intelligenz Beispiel
Auf dem Arbeitsmarkt gilt das respektable Alter von 55 Jahren als eine Art Bewegungsbarriere. Viele sprechen auch von Altersdiskriminierung: Aus der „Achtung vor dem Alter“ wird ein „Achtung vor dem Alten!“ Warum in so jemanden weiter investieren, den es in sein Reihenhaus zurückzieht, während der hungrige Newcomer von der Uni nur die Hälfte kostet und gleichzeitig schneller lernt und bereitwillig 60 Stunden in der Woche klotzt? Doch dann geschah das „Wunder von Manhattan“…
Chesley Sullenberger, der Mann war damals schon 57, wurde zum Helden. Er hatte geschafft, was in Pilotenkreisen als nahezu unmöglich galt: Ein Flugzeug zu notwassern, ohne dass es zerbricht. Und das auf dem New Yorker Hudson River! Es waren vor allem seine jahrelange Erfahrung als Kapitän und seine kristalline Intelligenz, die ihm dabei halfen, binnen Sekunden die richtigen Manöver einzuleiten. Ein wunderbares Beispiel! Trotzdem werden viele ältere Mitarbeiter auf dem Höhepunkt ihrer Karriere wieder zu Gejagten: Gesucht wird Potenzial, nicht Erfahrung; Wissen, nicht Weisheit. Unweiser könnte es kaum sein.
Kristalline Intelligenz durchdringt Komplexität
Unsere Synapsen im Gehirn – salopp gesagt – die Verbindungen von Erfahrungsschätzen und Expertenwissen, sind „wie in Stein gemeißelt“, sagt der Neurowissenschaftler John Morrison von der Mount Sinai School of Medicine in New York. Sie sind damit hochgradig resistent gegen die körperlichen Effekte des Alterns. Bei einem Experiment der Universität von Illinois traten zum Beispiel 60-jährige Fluglotsen gegen ihre 30 Jahre jüngeren Kollegen an. In den Tests wurde ihr Reaktionstempo, ihre Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit verglichen.
Wie erwartet, schnitten die Jüngeren überwiegend besser ab. Dann folgte ein zweiter Test. Der entsprach stärker der beruflichen Praxis. Die Lotsen mussten verschiedene Maschinen koordinieren und plötzlich auftretende Notfälle managen. Diesmal waren es die Älteren, die den Anfängern zeigten, wo es langging: Sie brauchten nicht nur weniger Kommandos, um die simulierten Maschinen sicher durch den Himmel zu leiten. Sie blieben auch durchweg cooler dabei.
Kristalline Intelligenz: Im Alter immer besser
Im Alter nehmen nachweislich Sprachkompetenz und die soziale Intelligenz zu. Die meisten IQ-Tests fokussieren vor allem auf das logische Denken. Wenig berücksichtigt wird dabei der sprichwörtliche Erfahrungsschatz. Der ist mit zunehmenden Alter aber genauso wichtig für den persönlichen Erfolg. Im Beruf oft sogar ausschlaggebend.
Ebenso nimmt im Alter die Fähigkeit zu, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und Ablenkungen zu ignorieren. Das reife Gehirn braucht sogar weniger Blut und Sauerstoff, um optimal zu arbeiten. Der größte Vorteil aber ist sein komplexes Denken: Während Jüngere Probleme meist Schritt für Schritt lösen, finden Ältere die bessere Lösung, indem sie diese mit bewährten Mustern abgleichen und modifizieren. Zudem sind sie besser in der Lage, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Mit dem Alter kommt die Weisheit
All diese Fähigkeiten versetzen Ältere in die Lage, sich besser in andere hineinzufühlen, ihre Motive zu verstehen und gleichzeitig die eigenen Gefühle im Auge zu behalten. An der Universität von Sydney wurden zum Beispiel Probanden Porträts von Menschen mit unterschiedlichen Emotionen gezeigt und gleichzeitig ihre Hirnaktivität gemessen – und siehe da: Das Frontalhirn der Älteren war beim Verarbeiten negativer Emotionen deutlich aktiver. Kurz: Sie verfügten über emotionale Weisheit.
Bestätigt wird das zum Beispiel durch die Forschungen von Wissenschaftlern der englischen Cranfield School of Management. Sie fanden heraus, dass ältere Vorgesetzte oft die besseren Manager sind. Sie zeigen mehr emotionale Reife, Realismus und Toleranz. Vor allem aber die Bereitschaft zu Dialog und Disziplin.
Emotionale Reife im Alter
Gleichzeitig zeigten sich junge Führungskräfte zwischen 26 und 35 Jahren oft ungeduldig mit ihren Mitarbeitern und kritisch gegenüber ihrem Arbeitgeber. Ihre hohen Ansprüche riefen bei den Kollegen Ängste hervor, die sich am Ende sogar negativ auf das Betriebsklima auswirkten.
Auch Studien um die Neurowissenschaftlerinnen Lisa Knoll und Delia Fuhrmann vom University College London (UCL) kommen zum Ergebnis: Die Gehirne Heranwachsender sind zwar besonders formbar, aufnahmefähig, beweglich. Die Älteren punkteten aber vor allem beim Verknüpfen verschiedener Informationen. Oder anders formuliert: Sie fanden schneller bessere Lösungen, indem Sie Komplexität verringerten.
Biologisches Alter versus geistiges Alter
Mit steigendem Alter kommen manche in ein Berufsstadium, in dem sie ihren Job perfekt beherrschen, alle wichtigen Abläufe und Personen kennen und kaum noch neue Herausforderungen finden. Routine beherrscht ihren Alltag. Viele schalten dann innerlich ab. Ein Fehler! Die nachlassende Produktivität, die die Kollegen dabei bemerken, ist keine Funktion des biologischen Alters, sondern eine Folge des Karrierealters. Die einzige Chance, die Uhr zurückzustellen, ist, sich eine neue Herausforderung im Unternehmen oder einen neuen Job zu suchen. Attraktivität im Alter ist nichts weiter als eine Frage der Aktivität im Alter.
Kristalline Intelligenz trainieren: Tipps
Kann man fluide Intelligenz trainieren? Kurze Antwort: Ja. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass sich die kristalline Intelligenz bis rund um das 65. Lebensjahr weiterentwickelt. Danach stagniert der Prozess oder bildet sich gar zurück – wenn wir dem nicht durch gezieltes Training entgegen wirken. Die gute Nachricht Die kristalline Intelligenz lässt sich sogar sehr gut trainieren und verbessern. Allerdings betrifft sie nicht nur einen einzelnen Bereich, sondern viele.
Sie werden dazu kaum ein einziges Webinar oder eine Fortbildung finden. Ihren Erfahrungsschatz trainieren Sie am besten, indem Sie viele und möglichst verschiedene Erfahrungen sammeln. Bis ins hohe Alter hinein. Die folgenden, praktischen Tipps dienen als Anregung und Ansporn, Ihren Geist aufs Neue herauszufordern, die Synapsen zu kitzeln oder neue zu bilden.
1. Offen bleiben
Wir leben gerne in unserer Filterblase. Umgeben uns mit Menschen, die unsere Meinungen teilen. Lesen, was unsere Weltanschauung bestätigt. Unser Geist stapft dabei wie durch Flüssigzement. Bis zur Erstarrung dauert es nicht lange. Dabei kann Intelligenztraining so einfach sein: Öffnen Sie sich. Interessieren Sie sich wieder – für andere Gedanken und Impulse. Lesen Sie historische Romane oder Biographien. Verbinden Sie Geschichte und Moderne. Lesen Sie Blogs unbekannter Autoren. Oder rätseln Sie bei TV-Shows wie „Wer wird Millionär“ oder „Wer weiß denn sowas“ mit. Kurz: Verbessern Sie Ihre Allgemeinbildung und blicken Sie über den Tellerrand. Wer beim Denken und Bewerten neue Bahnen einschlägt, gewinnt nicht nur neue Einsichten, sondern entdeckt zugleich ein neues Universum.
2. Sinne schärfen
So wie auf einer Autobahn Spurrillen entstehen, weil die immer selben Stellen befahren werden, graben sich bei Routinen die Erfahrungen tiefer ins Gedächtnis. Das hat Vorteile, kann aber dazu führen, dass wir wie auf Autopilot durchs Leben irrlichtern. Um beim Bild zu bleiben: Fahren Sie zum Beispiel neue Wege! Erkunden Sie zu Fuß Abkürzungen und Schleichpfade – zur Arbeit, zum Sport oder zur Stammkneipe. Sorgen Sie für Abwechslung und Überraschung. Sie trainieren dabei nicht nur den Orientierungssinn, sondern gewinnen auch neue Eindrücke und Ansichten (der Stadt). All das zusammen fördert die Bildung neuer Synapsen und trainiert die kristalline Intelligenz.
3. Fremdsprache lernen
Erlernen Sie eine Fremdsprache. Das ermöglicht Ihnen nicht nur im nächsten Urlaub in der Landessprache zu parlieren. Es kann sogar Krankheiten wie Alzheimer und Demenz vorbeugen. Wer mehrere Sprachen beherrscht, bei dem sind alle Sprachen im Gehirn aktiv – unabhängig davon, welche gerade gebraucht wird. Das Gehirn unterdrückt die jeweils nicht benötigten. Dieser Prozess unterstützt Sie dabei, sich auf Wesentliches zu konzentrieren und fokussiert zu bleiben. Mehr noch: Sprache formt Bewusstsein. Was wir nicht in Worte fassen können, können wir nicht denken. Weil jede Sprache unterschiedliche Begriffe besitzt, werden Sie so differenzierter und komplexer denken.
4. Instrument üben
Ihre Sinne kitzeln Sie auch, wenn Sie ein Musikinstrument erlernen. Die Haptik, das Hörvermögen und natürlich das musikalische Verständnis werden unterstützt und trainiert. Gerade das Hören spielt für die kristalline Intelligenz eine große Rolle: Forscher fanden heraus, dass Schwerhörigkeit kognitive Prozesse hemmt. Umgekehrt kann ein intaktes Hörvermögen das Verständnis steigern und die Kombinatorik unterstützen.
5. Aktiv bleiben
Wer rastet, der rostet. Lernen Sie andere Kulturen, anderes Essen, andere Menschen kennen. Das ist vielleicht die schönste Art, seine kristalline Intelligenz zu trainieren. Sie erweitern so Ihren Horizont und entdecken Gemeinsamkeiten oder Unterschiede. Das Wichtigste aber ist: Sie bleiben in Bewegung. Buchstäblich. Stillstand bedeutet Rückschritt. Wem Reisen im Alter nicht mehr möglich ist, kann auch im Kleinen seine interkulturelle Kompetenz erweitern: Internationale Sommerfeste, Erzählcafés, Vereine und kulturelle Begegnungsstätten fördern den Austausch mit anderen Kulturen, Sichtweisen und Erfahrungen.
Kristalline Intelligenz messen?
Der Schlüssel zu mehr kristalliner Intelligenz ist letztlich Lebenserfahrung und Lebensweisheit. Beide sind schwer zu messen, aber zu gewinnen. Nur sicher nicht, indem Sie jeden Abend auf der Couch hocken und Glotze gucken. Gehen Sie raus, gehen Sie spazieren, mit offenen Augen durchs Leben und suchen Sie gezielt Abenteuer!
Bewegung hilft. Wenn nicht jeden Tag, dann zumindest jede Woche. Das macht den Reiz der kristallinen Intelligenz aus. Schließlich wollen Sie als Senior und im hohen Alter immer noch etwas Spannenderes erzählen können…
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