Abitur per Fernstudium: Ist das was für mich?
Wer das Abitur zu Schulzeiten nicht gemacht hat, ärgert sich meist hinterher. Spätestens im Berufsleben dämmern vielen gewaltige Nachteile. Ist das Abitur dagegen erst einmal im Rucksack – ob nach acht oder neun Jahren – kann man auf diesem Fundament sehr gut aufbauen. Für reuige Schulabbrecher, die ihren Fehler wieder ausbügeln wollen, bleibt hinterher als Alternative nur noch der zweite Bildungsweg übrig.
Wer das Abitur nachholen will, greift daher zur Abendschule oder macht das Abitur per Fernstudium. Sowohl Abendschule als auch Fernstudium sind lange, mühselige und teure Umwege. Immerhin: Das Abendgymnasium, das sich vorwiegend an Berufstätige richtet, ist im Vergleich zum Fernunterricht noch deutlich günstiger. Dennoch kann das Fernabitur unter folgenden Bedingungen eine Option für Sie sein:
- Für ein bestimmtes Studienfach an der Universität benötigen Sie das Abitur.
- Nach längerer Auszeit – zum Beispiel Elternzeit/Erziehungszeit – wollen Sie das Abitur nachholen und beruflich noch einmal durchstarten.
- Sie wollen sich selbst etwas beweisen.
- Das nächste Abendgymnasium oder die nächste Volkshochschule ist weit entfernt.
Welche Fernschule für Abitur?
Diese privaten Anbieter bereiten per Fernunterricht auf das Abitur vor – kostenpflichtig.
- Studiengemeinschaft Darmstadt (SGD)
- ILS
- Hamburger Akademie für Fernstudien (HAF)
- Fernakademie Klett
- Lernzentrum am Killesberg
Tipp 1
Lassen Sie sich von der Staatlichen Zentrale für Fernunterricht (ZFU) beraten.
Tipp 2
Testen Sie einen Anbieter unverbindlich vier Wochen, bevor Sie sich entscheiden.
Wie läuft das Fernabitur ab?
Sie melden sich bei einem Anbieter an. Dieser schickt Ihnen regelmäßig Lernhefte nach Hause, die Sie möglichst gewissenhaft durchgehen und ausgefüllt wieder zurücksenden. Tutoren des Anbieters überprüfen Ihre Aufgaben, benoten sie und geben Ihnen ein Feedback. Im Optimalfall stehen sie Ihnen auch für Rückfragen zur Verfügung, per Mail oder sogar telefonisch.
Der Bildungsträger hilft Ihnen am Ende auch bei der Anmeldung zur Abiturprüfung. Denn, und dieser Punkt ist nicht ganz unwichtig: Bei der Prüfung handelt es sich um eine sogenannte Externenprüfung. Das ist eine staatliche Prüfung, an der prinzipiell jeder teilnehmen kann, auch ohne zuvor einen solchen Kurs absolviert zu haben. Daher nennt sich diese Prüfung auch Nichtschülerprüfung.
Faktisch haben Sie aber nur eine Chance auf Bestehen, wenn Sie sich ausreichend vorbereitet haben und den Lernstoff kennen – und genau diese Funktion übernimmt der private Anbieter. Fernschulen sind selbst nicht berechtigt, solche Prüfungen durchzuführen. Sie müssen also an einem zuvor fixierten Termin zur Externenprüfung erscheinen – in der nächstgelegenen größeren Stadt zum Beispiel.
Fernabitur: Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen?
Sie können Ihr Abitur auch dann bauen, wenn Sie bislang „nur“ den Hauptschulabschluss in der Tasche haben. Dann ist der Zeitaufwand allerdings besonders groß. Die Studiendauer für ehemalige Hauptschüler beträgt bei den Anbietern in der Regel 42 Monate, also dreieinhalb Jahre – eine lange Zeit.
Für Realschüler, die vor mehr als fünf Jahren die mittlere Reife erlangt haben, werden gemeinhin 36 Monate veranschlagt. Für Realschüler, deren Abschluss nicht länger als fünf Jahre her ist, 30 Monate.
Abitur per Fernstudium in einem Jahr?
Das sind allerdings nur Richtwerte. Wer schnell lernt, kann schneller fertig werden, beispielsweise sein Abitur in nur einem Jahr nachholen. Das ist allerdings immer auch von äußeren Umständen abhängig. Zum Beispiel von den Prüfungsterminen und davon, wann die nächsten Lernhefte zugesandt werden. Wer beruflich eingespannt ist und daher ein langsameres Tempo anschlägt, benötigt naturgemäß mehr Zeit:
- Die Studiendauer lässt sich meist kostenlos verlängern.
- Faktisch können Sie durchaus vier oder fünf Jahre lang damit beschäftigt sein, Ihr Abitur nachzuholen.
Sie sollten sich also fragen: Sind Sie bereit, so viel Zeit zu investieren? Eine andere Voraussetzung sollte aber in jedem Fall erfüllt sein: Sie benötigen einen Rückzugsraum mit PC, in dem Sie ungestört büffeln können. Wer sich zuhause ein Zimmer mit der Schwester teilt oder einen Flughafen vor dem Fenster hat, hat auf dem Weg zum Abi einen gehörigen Nachteil.
Wie hoch sind die Kosten fürs Fernabitur?
Abitur per Fernunterricht – ein sündhaft teures Vergnügen. So zahlen Realschulabsolventen, deren Abschluss mehr als fünf Jahre zurückliegt, eine Gesamtgebühr von 6.384 Euro. Diese verteilt sich auf 36 Monatsraten à 152 Euro. Abi-Anwärter mit Hauptschulabschluss zahlen sogar noch mehr: 5.880 Euro. Monatsrate: ebenfalls 152 Euro, allerdings 42 Monate lang. Realschüler, deren Abschluss noch keine fünf Jahre zurückliegt, lernen etwas günstiger. Für sie fällt eine Gesamtgebühr von 4.560 Euro an, die sich auf 30 Monatsraten à 152 Euro verteilt.
Diese Raten berechnen sowohl die Fernakademie Klett als auch ILS. Auch andere Anbieter liegen zwischen 140 und 160 Euro pro Monat. Das sind aber längst nicht die absoluten Kosten: Hinzu kommen können Kosten für Aufbaukurse, Anreise- und Übernachtungskosten für Präsenzseminare plus Prüfungsgebühren. Achtung: Wer vor Ablauf der regulären Studiendauer abschließt, bekommt kein Geld zurück!
Risikofreies Testen
Noch ein kurzer Blick in die AGB von SGD und ILS: Vor Vertragsabschluss gewähren beide Fernstudium-Anbieter eine freiwillige Testzeit von zwei Wochen. Mit dem gesetzlichen Widerrufsrecht von 14 Tagen kommen Sie also auf vier Wochen, in denen Sie das Angebot in Ruhe testen können.
Auch können Sie den Lehrgang nach Vertragsabschluss ohne Angabe von Gründen während des ersten Halbjahres mit einer Frist von sechs Wochen kündigen, frühestens jedoch zum Ablauf des ersten Halbjahres. Danach können Sie jederzeit mit einer Frist von drei Monaten schriftlich kündigen.
Fernabi im Ausland: Geht das?
Sie können das Fernabi auch im Ausland machen – müssen aber mit erhöhten Gebühren rechnen. Für den Versand der Studienunterlagen ins europäische Ausland berechnet die ILS beispielsweise monatlich 2,90 Euro mehr pro Monat. Bei Versand ins außereuropäische Ausland fallen sogar 9,70 Euro zusätzlich pro Monat an.
Abitur per Fernstudium: Was dafür spricht
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Unabhängigkeit
Der Fernunterricht ist ortsunabhängig. Sie müssen weder Tag für Tag zur Schule noch in ein Abendgymnasium gehen. Die damit verbundene Pendelei fällt weg, die Benzinkosten ebenso (im Gegenzug fallen allerdings Studiengebühren an), Ablenkungen oder nervtötende Lehrer. Sie können abwechselnd zuhause oder in der Bibliothek lernen – oder im Landhaus Ihrer Eltern.
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Flexibilität
Das Fernabitur bietet maximale Flexibilität. Sie können Ihren Lernort genauso frei wählen wie die Lernzeiten: morgens, mittags, abends, nachts, am Wochenende. Und: Die Studiendauer können Sie bei Bedarf kostenlos verlängern. In der Schule nennt man das wohl: nachsitzen.
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Berufstätigkeit
Tagsüber arbeiten, abends lernen. Oder halbtags arbeiten, halbtags lernen. Für das Fernabi müssen Sie Ihren Broterwerb nicht einstellen. Sie können weiterhin Geld verdienen. Und: Der Arbeitgeber muss nicht einmal von Ihrer persönlichen Weiterbildung erfahren. Sie können das Abitur heimlich neben Ihrer Erwerbstätigkeit bauen, wenn Sie wollen – sollten die Zusatzbelastung aber nicht unterschätzen. Möglicherweise leidet Ihr Hauptjob unter dem Extra-Pensum.
Abitur per Fernstudium: Was dagegen spricht
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Belastung
Die Zusatzbelastung ist enorm. Drei, vier Stunden pro Woche lernen – das wird fürs Abiturzeugnis am Ende nicht reichen. Eher drei, vier Stunden am Tag. Hier sind Ausdauer, Disziplin, Volition gefragt. Und Opferbereitschaft: Auf den einen oder anderen Netflix- oder Party-Abend müssen Sie wohl verzichten. Und zwar nicht nur einmal, sondern über mehrere Jahre. Auch die Familie kann unter Ihrem Vorhaben leiden, gerade bei Eltern ist das oft ein wunder Punkt.
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Wertverlust
Wichtiger Punkt: Das (Fern-)Abitur verliert an Wert, weil mittlerweile ein Studium auch ohne Abi-Zeugnis möglich ist. Eine abgeschlossene Berufsausbildung oder mehrjährige Berufserfahrung reichen in vielen Fällen schon für die Uni-Zugangsberechtigung aus – Abitur überflüssig. Der Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz listet allein für Baden-Württemberg schon über 1.150 Studiengänge auf, die auf die eine oder andere Weise ohne Abitur studiert werden können. An der Uni Jena waren im Sommersemester vor wenigen Jahren schon 422 Studenten ohne Abitur eingeschrieben – zwei Prozent der Studierendenschaft.
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Preis
Was in der Schule umsonst war, kostet jetzt einen vierstelligen Betrag. Das Fernabi ist teuer – und kostet bis zu 6.000 Euro allein fürs Studienmaterial. Die Anbieter verweisen zwar auf vielerlei Fördermöglichkeiten wie Bafög oder Bildungsgutschein. Ohne einen tiefen Griff in die Geldbörse wird es jedoch nicht gehen.
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Persönlichkeitsstruktur
Freiheit kann auch ein Fluch sein: Wer ohne Druck von außen nicht arbeiten kann, wer nur selten eigenen Antrieb entwickelt, der wird es schwer haben, das Projekt Fernabi bis zum Schluss durchzuziehen. Und das übrigens auch hinterher im angepeilten Studium. Darum gut überlegen, ob Sie die 5.000 Euro plus wirklich investieren wollen.
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