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Warteschlange: Sie ist besser als ihr Ruf

Es gibt ein paar Dinge, die uns Menschen vom Tier unterscheiden. In Warteschlangen stehen zum Beispiel. Kein Löwe würde sich je in eine Reihe stellen und warten, bis er einen Happen von der saftigen Antilope abbeißen darf. Keine Amsel würde je eine Nacht lang aufgereiht neben anderen Amseln auf einem Ast hocken, nur um am nächsten Morgen die ersten Karten für das Nachtigall-Konzert zu ergattern. Wir Menschen sind da deutlich zivilisierter: wir warten. Hübsch hintereinander aufgestellt sehen wir dabei unseren Füßen beim Anschwellen und den Schalterbeamten oder Türstehern beim Laben an ihrer Macht zu. Und halten – hoffentlich – ausreichend Abstand. Soziologen nennen diese rühmliche Eigenschaft: die Fähigkeit zu kooperativem Verhalten. Immerhin hat es die Evolution so weit gebracht, dass wir neuerdings dabei twittern können: „Bin jetzt Nummer 53… #Warteschlange.“ Danke, Darwin…


Warteschlange: Sie ist besser als ihr Ruf

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Warteschlangen Psychologie: In Reih und Glied

Im Russland früherer Tage gab es ein hübsches Sprichwort: Wann immer du eine Schlange siehst, stell dich an – es könnte sich lohnen. Der opportune Amerikaner dagegen fragte sich derweil: Wie viel Lebenszeit habe ich schon in Warteschlangen vergeudet? Gute Frage. Gefühlt sind es jedenfalls irgendwas zwischen vierkommazweizehnhundert und trölfzillionen Jahren.

Richard Larson, der wohl weltweit renommierteste Experte in Sachen Warteschlangen, hat einmal herausgefunden, dass die Wartezeit gefühlt viel schneller vergeht, wenn wir etwas zu tun haben (laufen zum Beispiel), statt wenn wir nur doof rumstehen. Als Probanden der letzteren Art einmal ihre tatsächliche Wartezeit schätzen sollten, überschätzten sie diese um stolze 36 Prozent.

Die Wahrheit ist: Auch wenn uns die Krone der Schöpfung dazu befähigt – wir hassen es zu warten.

Warten ödet uns an, es ist unkomfortabel, macht aggressiv – und ganz oft ist es auch das: sinnlos.

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Warteschlange: Das hilft!

Der George Bush Intercontinental Airport in Houston war lange Zeit mit Kundenbeschwerden überhäuft worden. Die Ausgabe der Gepäckstücke dauere einfach viel zu lange, so der Tenor. Das Problem war: Die Rollbänder waren nur wenige Meter von der Ankunfthalle entfernt. Kaum dem Flugzeug entstiegen, stand man schon vor den Bändern und wartete und wartete und…

Also verlegten die Betreiber sie kurzerhand ans andere Ende des Gebäudes. Die Passagiere mussten nun durch Hallen und Gänge spazieren, waren beschäftigt und abgelenkt. Und siehe da: Die Beschwerden gingen deutlich zurück.

Ein anderer Tipp für Wartende lautet: Fangen sie einfach ein Gespräch mit einem Leidensgenossen an. Chinesische Wissenschaftler drückten Menschen an Bushaltestellen einen Fragebogen in die Hand. Diese sollten schätzen, wie lange sie bisher gewartet hatten. Kaum verwunderlich: Wer einen Begleiter dabei hatte, mit dem er plaudern konnte, empfand die Wartezeit als kürzer.

Ablenkung – im Arbeitsalltag ist sie süßes Gift, in der Warteschlange ein Geschenk des Himmels. Darum sind auch Smartphones so wertvoll. Wer sich auf Wartezeit einstellen muss – in der Arztpraxis oder vor einem Flug zum Beispiel – sollte es keinesfalls zuhause liegen lassen.

Oder ist womöglich das Gegenteil richtig? Ja, weil…

Wissenschaftliche Tipps für das kürzere Schlangestehen

Irgendwie hat man ja immer den Eindruck, die eigene Schlange wäre die längste oder würde zumindest am längsten brauchen. Nebenan ist das Gras nicht nur grüner – die Kasse ist auch schneller. Vor allem dann, wenn wir es eilig haben.

Ein Trugschluss, wie die Forschung heute weiß. Aber auch einer, den wir selbst mitverursachen. So konnten beispielsweise Ziv Carmon von der französischen Business School Insead sowie Daniel Kahneman von der Princeton Universität unlängst zeigen, dass sich Kunden regelmäßig für die kurze (aber langsame) Schlange entscheiden, statt für die lange „Fast Lane“ – selbst wenn diese exakt gleich lange brauchen. Wir suchen eben gerne nach einer Abkürzung – aber wählen nicht klug.

Dabei gibt es durchaus erprobte wie erforschte Wege, wie es tatsächlich schneller geht an der Kasse oder in der Schlange:

  • Stellen Sie sich zu Menschen mit vollem Einkaufswagen. Dieser Rat wirkt ein wenig kontraintuitiv. Aber betrachten Sie es so: Jeder Kunde braucht ein paar Sekunden für den typischen Kassen-Smalltalk: „Hallo. Haben Sie eine Payback-Karte? – Warten Sie, ich hab’s passend…“ Überhaupt das Bezahlen! Hier geht oft die meiste Zeit verloren. So kommt es, dass Sie hinter einem Wagen mit 100 Produkten schneller an die Reihe kommen, als hinter fünf Kunden mit jeweils 20 Produkten, wie zum Beispiel einmal der Mathematiker Dan Meyer errechnet hat.
  • Gesellen Sie sich zu Kunden mit gleichartigen Produkten. Der Psychologe A. J. Marsden am Beacon College in Leesburg, Florida, bestätigte mit seinen Studien, was man sich auch denken kann: Ein Sixpack lässt sich schneller scannen als sechs unterschiedliche Flaschen. Entsprechend sollten Sie jene Kasse wählen, in der die Kunden vielleicht viele, aber dafür gleichartige Produkte eingepackt haben.
  • Halten Sie sich links. Die meisten Menschen sind Rechtshänder und haben daher einen natürlichen Rechtsdrang. Effekt: Die Warteschlange ganz links geht meistens schneller, rät zum Beispiel Richard Larson vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).
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Ist die Warteschlange wirklich sinnlos?

Warteschlangen sind sinnlos – stimmt das? Zugegeben, es dürfte auf den ersten Blick wenig sinnstiftend wirken, sich über Stunden Schritt für Schritt, Reihe um Reihe in einem Zickzack-Stahlgatter vorwärts zu arbeiten.

Andererseits ist es vielleicht genau das, was Warteschlangen so wertvoll macht: In einer Welt, die immer hektischer wird, in der Leistungsdruck und -stress stetig zunehmen und die ihrer coolen Jetztness in Form von Instant-Speisen und gezwitscherten Timelines frönt, bilden Warteschlangen die letzten verbliebenen Ruheinseln.

Wir können dort nicht nur zur Ruhe kommen, wir müssen es sogar. Und das ist gut so, denn in der Monotonie der Gangreihen bekommen unsere Gedanken wieder Auslauf, dürfen sich frei bewegen, während die Seele dazu baumelt.

Getreu dem Bonmot aus Goethes Faust: Hier bin ich (noch) Mensch, hier darf ich’s sein.

Im Prinzip müssten wir für jede Warteschlange sogar dankbar sein. Sie bietet nicht nur die Chance auf Müßiggang, Zerstreuung und kreativen Freigang. Sondern auch die Gelegenheit, sich ein gesundes Maß an Geduld anzueignen.

Und Geduld ist eine unterschätzte Tugend, ein Wesensmerkmal erfolgreicher Menschen. Wirklich wahr!

Man könnte fast sagen: Begreifen Sie die Warteschlange als Chance. Es sei denn, Sie haben einen Drängler hinter sich. Dann wird der Mensch wieder zum Tier. Obwohl, so ganz stimmt auch das nicht…

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Warteschlange: Wie reagieren wir auf Vordrängler?

Die Warteschlange ist ein Abbild der Gesellschaft. Regelbrecher gibt es immer wieder, aber sie sind die Ausnahme und ihr asoziales Verhalten wird umgehend sanktioniert. So jedenfalls die Theorie. In Wahrheit ist es komplizierter.

Der renommierte US-Psychologe Stanley Milgram hatte seine Assistenten einmal gebeten, sich in verschiedensten New Yorker Warteschlangen dreist vorzudrängeln. „Entschuldigen Sie, ich möchte hier rein!“ – Mit diesen Worten reihten sich seine Helfer vor der vierten Person in der Schlange ein und gingen nach einer Minute wieder, sofern sie nicht vorher vertrieben wurden. Aber das wurden sie weniger oft als erwartet.

Nur in zehn Prozent der Fälle versperrte ein Platzhalter dem Störenfried den Weg, nur in der Hälfte der Fälle protestierte überhaupt jemand. Und das teilweise auch nur in Form eines bösen Blickes oder einer abwertenden Geste.

Das Bild änderte sich, sobald sich noch eine zweite Person vordrängelte. Dann kam es in 91 Prozent der Fälle zu Protesten. Einen Schurken scheint die Gruppe zu tolerieren, aber nicht mehrere.

Für Milgram ein klares Indiz: Warteschlangen bilden gesellschaftliche Phänomene wunderbar ab. Ein Mikrokosmos, den es zu studieren lohnt.

Warteschlange: Wen lassen wir vor?

Warteschlangen zeugen davon, dass der Homo Sapiens zu kooperativem Verhalten fähig ist. Florian Lange und Frank Eggert von der TU Braunschweig aber stellten sich die Frage: Warum sollte ich eigentlich mit einem völlig Fremden in einer Supermarkt-Warteschlange kooperieren? Sie stellten fest, dass das Verhalten der Kunden von zwei Variablen abhängt, nämlich vom…

  • Kosten-Nutzen-Verhältnis
  • Eindruck, den man von seinem Gegenüber hat

Die Braunschweiger entwarfen einen Feldversuch, in dem sich zwei männliche Probanden jeweils 60 Mal mit einem für die anderen Kunden gut sichtbaren Produkt in die Schlange an der Supermarktkasse anstellten. In 50 Prozent der Fälle mit einer Flasche Wasser, in 50 Prozent mit einer Flasche Bier.

Wenn es nun für den Probanden einen deutlichen Zeitgewinn bedeutete, ließ man ihn meist vor. Aber: Die Hilfsbereitschaft der anderen nahm signifikant ab, wenn sich der Ansteller mit einer Pulle Bier hinter ihnen einreihte.

Erklärung der Autoren: Biertrinker gelten als charakter- und verantwortungslos. Und darum würden viele der Schlangestehenden annehmen, dass ihnen der Biertrinker im Gegenzug auch nicht helfen würde. Wie du mir (in meiner Vorstellung), so ich dir.

Eindruck schinden – das kann sogar in einer Warteschlange von Vorteil sein…

Warteschlange: Ist eine einzige besser?

Links, rechts oder die in der Mitte? Egal, in welcher Warteschlange wir uns einreihen: Die Angst schwingt ständig mit, die falsche Wahl getroffen zu haben. Und es fuchst uns gewaltig, wenn wir schon eine halbe Ewigkeit warten und der Frischling in der Nebenschlange mal eben an uns vorbeihuscht.

In der Post ist das anders. Dort gibt es zumeist eine einzige Schlange, aus der dann die einzelnen Schalter gespeist werden. Eine Schlange für alle. Wer zuerst kommt, wird auch zuerst bedient. Das ist intelligent und gerecht! Oder?

Leider nein. In Wahrheit führt eine einzige Warteschlange dazu, dass alle länger warten müssen. Das haben Wissenschaftler der Universität Syracuse herausgefunden. Denn: Die Einzelschlange ist für jeden Schaltermitarbeiter mit weniger Verantwortung verbunden. Wer sich nicht verantwortlich fühlt, macht langsamer.

Wer dagegen im Supermarkt an der Kasse sitzt, hat ein persönliches Interesse daran, seine Schlange so schnell wie möglich abzuarbeiten – das ist bei der Ein-Schlangen-Lösung nicht der Fall.

Aber die Forscher geben auch zu bedenken: Nicht immer ist Speed das einzige Kriterium. Wenn die Gemächlichkeit etwa dazu führt, dass der Kunde am Schalter persönlicher und besser bedient wird, dann macht ihm das Schneckentempo nichts mehr aus.

Fortschrittsbalken: So sinkt der Ärger bei langen Wartezeiten

Die Seite lädt. Und lädt. Und lädt… Sie kennen das. Meist von Installationen. Doch ob nun beim Installieren einer neuen Software oder beim Aufbau einer Webseite – lange Ladezeiten nerven. Schnell muss es heute gehen. Selbst der sogenannte Fortschrittsbalken ist ein Euphemismus, der suggeriert, dass es stetig voran geht. Wie ärgerlich, wenn der Fortschritt unvermittelt und für längere Zeit stehen bleibt…

Die beiden Wissenschaftler Ryan W. Buell und Michael I. Norton fanden jedoch heraus: Wartende haben umso mehr Geduld, je mehr sie darüber erfahren, warum sie so lange warten müssen – und wenn Sie das Gefühl haben, das derweil fleißig an dem Problem gearbeitet wird. Mehr noch: Danach bewerten Sie das Produkt oder die Dienstleistung sogar höher.

Buell und Norton experimentierten dazu mit einer falschen Reiseseite im Internet und ließen ihre Probanden nach einem günstigen Flugangebot suchen. Den einen zeigte die Seite in der Wartezeit einen typischen Ladebalken, den anderen wurde simuliert, wie der Suchroboter der Webseite anscheinend diverse andere Webseiten nach Angeboten durchsuchte. Beides dauerte exakt gleich lange – 60 Sekunden. Die zweite Variante kam bei den vermeintlichen Kunden aber deutlich besser an.

Im Folgeexperiment sollten die Teilnehmer nun die Reise buchen. Wieder wurde ein Teil der Probanden gebeten zu warten, bis der Buchungsvorgang abgeschlossen sei. Der anderen Gruppe wurden derweil verschiedene Buchungs(fort)schritte kurz auf dem Bildschirm angezeigt – jedoch dauerte das diesmal sogar bis zu 60 Sekunden länger.

Trotz längerer Wartedauer fanden die Teilnehmer Variante zwei wesentlich besser. Und das, obwohl diese Informationen nur vorgegaukelt waren. Oder mit anderen Worten: Du kannst die Leute warten lassen, solange sie den Eindruck haben, es wird im Hintergrund gearbeitet.

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[Bildnachweis: Pavel L Photo by Shutterstock.com]

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