Definition: Was ist der Flynn-Effekt?
Der Flynn-Effekt beschreibt das Phänomen des stetig steigenden IQ-Werts in der Bevölkerung. Kurz: Die Menschen werden immer schlauer – durchschnittlich um rund 0,3 IQ-Punkte pro Jahr. Benannt ist der IQ-Effekt nach seinem Entdecker, dem Politologen James R. Flynn.
Flynn stellte 1984 bei Studien zum Intelligenzquotienten fest, dass sich die gemessene Intelligenz in Industrieländern kontinuierlich erhöhte. Obwohl immer derselbe Intelligenztest genutzt wurde, schnitten jüngere Generationen stetig besser ab als ältere.
Was ist Intelligenz?
Die meisten Menschen haben heute einen IQ zwischen 85 und 115. Der Durchschnitt liegt bei einem IQ-Wert von rund 100. Bei einem IQ-Wert unter 70 gilt man als unterdurchschnittlich intelligent (vulgo: „eingeschränkt“), ab einem Wert über 130 als hochbegabt. Allerdings gibt es einen Toleranzbereich: Schwankungen um bis zu 10 Punkte in beide Richtungen zählen immer noch zum erweiterten Durchschnitt (siehe Intelligenzverteilung):
Vor Jahrzehnten sah das noch anders aus: Mit dem heutigen Durchschnitts-IQ von 100 hätten frühere Generationen schon als hochintelligent gegolten. Der Schluss daraus: Jüngere Menschen werden immer intelligenter – Altersweisheit und Lebenserfahrung nutzen nicht mehr viel: Heute lernen Ältere von jüngeren. Aber stimmt das wirklich?
Der Anti-Flynn-Effekt
Die aktuelle Forschung erkennt seit Mitte der 1990er Jahre einen gegenteiligen Trend: Der Flynn-Effekt scheint sich umzukehren – Die Menschen werden von Jahr zu Jahr wieder dümmer. Vor allem in den westlichen Industrieländern.
Ursache: Wodurch lässt sich der Flynn-Effekt erklären?
Wissenschaftler und Intelligenzforscher sehen den Flynn-Effekt kritisch. Zwar bestreitet niemand, dass die Ergebnisse der IQ-Tests jüngerer Generationen immer besser werden. Allerdings machen Forscher für den Anstieg der gemessenen IQ-Werte verschiedene Ursachen verantwortlich:
🧠 Mehr Bildung
In den letzten 100 Jahren haben die Industrienationen immer stärker in Bildung investiert. Jedes Kind hat Zugang zum Bildungssystem, kann auf eine weiterführende Schule gehen, das Abitur machen oder studieren. Die Veränderungen im Bereich der Bildung und die Entwicklung einer Wissenskultur innerhalb der Gesellschaft zeigen sich in IQ-Tests, die entsprechend besser ausfallen.
🧠 Abstrakte Denkweise
Schüler werden heutzutage schon früh darauf trainiert, abstrakt zu denken. Sie lernen Zusammenhänge herzustellen, die nicht sofort offensichtlich sind und Dinge zu hinterfragen. Früher lagen die Schwerpunkte des Denkens aber in anderen Bereichen. Abstraktes Denken war weniger gefragt. Stattdessen ging man praktisch an Probleme heran. Während durch bessere Bildung vor allem die kristalline Intelligenz der Menschen verbessert wurde, zeigt sich abstraktes Denken in einem noch stärkeren Anstieg der fluiden Intelligenz. Das ist die Lern- und Denkfähigkeit eines Menschen, seine Fähigkeit zum logischen und auch kreativen Denken. Je größer die fluide Intelligenz, desto besser die Ergebnisse in IQ-Tests.
🧠 Bessere Vorbereitung
Zahlreiche IQ-Tests im Internet geben Testwilligen die Möglichkeit, sich selbst einen Eindruck darüber zu verschaffen, wie Intelligenztests aufgebaut sind. Dies führt dazu, dass die Teilnehmer solcher Tests deutlich besser vorbereitet sind. Sie können im Vorfeld üben, sich mit den Arten von Aufgaben vertraut machen. Geädert hat sich auch die Bearbeitungsweise der Tests: Heutige Generationen raten munter drauflos und können durch Glück einige Zusatzpunkte sammeln. Ältere Generationen lassen Antworten, bei denen sie sich nicht sicher sind, einfach aus.
🧠 Verändertes Gehirn
Die Evolution geht immer weiter. Selbst am Menschen lässt sich die Veränderung der Umwelt beobachten. Es werden zunehmend andere Bereiche des Gehirns beansprucht, die entsprechend stärker entwickelt sind. Forscher vermuten mehrere Ursachen: Allgegenwärtige Medien, die abstrakte Denkweise und die größere Komplexität des gesamten Lebens – etwa durch die Globalisierung. Eine bessere gesundheitliche Versorgung der Menschen wirkt sich ebenfalls positiv auf die Entwicklung des Gehirns aus. Hinzu kommt, dass dieses in der Wissensgesellschaft stärker beansprucht wird. Und jeder hat viele neue Möglichkeiten, an Wissen und Informationen zu gelangen.
🧠 Fragwürdige IQ-Tests
Nach wie vor ist unklar, was Intelligenz überhaupt ist. Der Vorwurf an IQ-Tests: Sie fragen individuell trainierbare Fähigkeiten ab. Einen übergreifenden Zusammenhang haben sie jedoch nicht. Ist jemand intelligent, der ein Zahlengenie ist, sich aber in anderen Bereichen schwer tut? Ist logisches Denken und das Erkennen von Zusammenhängen ein wichtigeres Zeichen von Intelligenz als sprachliche Begabung? IQ-Tests sind zumindest mit Vorsicht zu genießen. So wird der Flynn-Effekt auch dadurch erklärt, dass im Test nicht wirklich die Intelligenz gemessen wird. Vielmehr geht es um Fähigkeiten – wie abstraktes Denken oder Zusammenhänge in Bildern – die jüngere Menschen bereits aus ihrem Alltag kennen. Kein Wunder also, dass sie besser abschneiden.
Kritik: Sind junge Generationen wirklich schlauer?
Es gibt keine Einigkeit darüber, welche Erklärung für den Flynn-Effekt verantwortlich ist. Vielmehr existieren Vertreter der unterschiedlichsten Ansichten, die alle Argumente für die eigene und gegen andere Positionen liefern. In einem einzelnen Punkt sind sich jedoch alle einig: Der steigende IQ der Jungen ist kein Beweis dafür, dass diese wirklich schlauer sind. Die Ergebnisse belegen lediglich, dass jüngere Generationen anders denken. Sie sind besser vorbereitet und an die Herausforderungen angepasst.
So ist der Flynn-Effekt vor allem eine Frage der Testmethode. Wird vom klassischen IQ-Test abgewichen und anderes Wissen abgefragt, schneiden jüngere Probanden nicht mehr besser ab.
Anti-Flynn-Effekt: Werden wir wieder dümmer?
In der Vergangenheit ließ sich der Flynn-Effekt immer wieder bestätigten. Inzwischen kommen weitere Studien aus Schwellen- und Entwicklungsländern hinzu und liefern ähnliche Ergebnisse. In einigen Fällen steigt der IQ in deren Bevölkerung sogar stärker an. In den westlichen Industrieländern gibt es seit 1995 eine Umkehr des Flynn-Effekts – Der IQ sinkt wieder!
Rückgänge oder gar ein Stillstand des Flynn-Effekts zeigen sich in Dänemark, Deutschland und Österreich. Viele sprechen daher schon vom Anti-Flynn-Effekt. Uneinigkeit herrscht dagegen bei den Ursachen:
🚫 Sättigung
Einen Zusammenhang vermuten Wissenschaftler zwischen Flynn-Effekt und den Umweltbedingungen: Im vergangenen Jahrhundert, speziell in den vergangenen Jahrzehnten gab es viele Verbesserungen bei Ernährung, Gesundheit, Bildungschancen. Irgendwann lassen sich diese Faktoren nicht weiter steigern. Ihr Einfluss verschwindet, wodurch der IQ nicht weiter ansteigt. Ähnliches lässt sich bei der Körpergröße beobachten.
🚫 Umwelthormone
Diese These geht von einer tatsächlichen Umkehrung beim Flynn-Effekt aus: Gefährliche Wirkstoffe aus Medikamenten, Plastikprodukten und Alltagsgegenständen gelangen durch Wasser in die Nahrungskette. Sie ähneln im Aufbau menschlichen Hormonen. Der Körper nimmt sie auf, es kommt langfristig zu negativen Veränderungen im Gehirn.
🚫 Genetik
Da Kinder einen Teil der Veranlagung von ihren Eltern erben, spielt deren Bildung und IQ ebenfalls eine Rolle. Eine These sagt, dass bildungsferne Schichten mehr Kinder beziehungsweise Menschen mit hohem IQ weniger Kinder bekommen. Somit würde der Anteil an intelligenten Genen konstant abnehmen. Die These sowie Migration können allerdings keine Unterschiede bei Testergebnissen von Kindern aus derselben Familie erklären.
🚫 Rahmenbedingungen
Am wahrscheinlichsten sind kulturelle Rahmenbedingungen. Je nachdem, welche Bildungspolitik ein Land betreibt, fallen IQ-Tests unterschiedlich aus. Beispielsweise nimmt in Deutschland das räumliche Vorstellungsvermögen seit 1995 ab. Zeitgleich verbessern sich die Ergebnisse bei der Allgemeinwissen und Vokabeltests. Solche länderspezifischen Unterschiede würden erklären, warum Briten vergleichsweise schlechter beim abstrakten Denken abschneiden.
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