Einsame Spitze oder Einsamkeit an der Spitze?
Moderne Führung kennt zwar zunehmend flache Hierarchien. Das macht die Macht aber nicht weniger einsam. Die sprichwörtliche Einsamkeit an der Spitze wirkt aber wie ein schleichendes Gift, das das gesamte Arbeitsklima vergiften kann. Ein ist ein wunderbarer Nährboden für gegenseitiges Misstrauen, Konkurrenzdenken und Intrigen.
Einsamen Führungskräften bleiben heranziehende Gewitter häufig verborgen. Sie sind abgeschnitten von wichtigen Informationen der Basis, von aktuellen Rückmeldungen und konstruktiver Kritik. Kommt dann noch ein übergroßes Ego dazu, begegnen die Mitarbeiter den Chefs nicht mehr mit Ehrlichkeit und unangenehmen Wahrheiten, sondern mit respektvollen Schmeicheleien, falscher Bewunderung und dosierter bis gespielter Zustimmung. Hinter den Kulissen aber bahnt sich längst Unheil an…
Was Führung mit Einsamkeit zu tun hat?!
Was macht eine Führungskraft aus? Der US-Literaturkritiker und ehemalige Yale-Dozent William Deresiewicz sieht in wahren Führungspersönlichkeiten vor allem eines: selbstständige Denker. Menschen, die flexibel, kreativ und unabhängig denken.
Diese Vordenker im Wortsinn beherrschen laut Deresiewicz im Idealfall drei Disziplinen:
- Eigenständiges Denken
Wer nur im Konsensdenken der Gesellschaft verharrt, dem bleiben neue und innovative Ideen verborgen. Eigenständiges Denken setzt die Courage voraus, seine Standpunkte gegen äußere Widerstände zu vertreten – und die Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen und zu korrigieren. - Fokussiertes Denken
Multitasking killt jede Produktivität. Ebenso brillante Ideen. Man muss sich entscheiden: Entweder zehn Dinge so lala oder eine Sache brillant erledigen. Wer sich stets und ständig von anderem ablenken lässt, sammelt zwar viele Informationen, setzt diese jedoch nur oberflächlich um. - Intensives Denken
Und damit zeitintensives Denken. Der erste Gedanke ist selten der beste, sondern nur der naheliegendste. Richtig gute Ideen brauchen Zeit, müssen zigfach überdacht, erneuert und ausgebaut werden, benötigen Inspiration. Gerade neues Denken gelingt nicht über Nacht.
Wie Sie sicher bemerkt haben, führen alle drei Führungsstärken zugleich in die geistige Einsamkeit. Schwierige Entscheidungen treffen Manager deshalb gerne alleine. Die sprichwörtliche „Einsamkeit an der Spitze“ – sie ist keine Illusion, sondern nahezu ein Automatismus.
Einsamkeit an der Spitze: Haben Sie offene Ohren?
„Ich habe kein Problem mit Kritik – aber sie muss mir gefallen.“ Das herrlich zynische Zitat stammt von Mark Twain. Dennoch scheint es zuweilen so, als hätten es viele Chefs bereitwillig adaptiert – nur ohne den Zynismus.
Gefilterte Rückmeldung nennen Management-Experten das Phänomen, das das Top-Management umgibt: Die Beletage – sie lebt oft in einer Filterblase, in der die Bosse nur noch hören, was sie gerne hören und denken, was sie schon immer dachten, weil ihre Mitarbeiter sagen, was sie sagen.
Wer aber nur kein ehrliches Feedback mehr bekommt, schmort nicht nur geistig im eigenen Saft: Er oder sie untergräbt auch jede Basis zur (Kurs-)Korrektur. Ein solcher Chef hätte nur noch eine Chance, um herauszufinden, was sein Team wirklich denkt: Gedanken lesen.
Was das Team gerade denken könnte…
Falls Sie die Kunst des Gedankenlesens nicht beherrschen (was wir frech unterstellen), ist die folgende Liste genau das Richtige: Darin enthalten sind 25 Gedanken, die Ihnen Mitarbeiter so nie ins Gesicht sagen würde – wohl aber im Kopf haben. Derbe Beleidigungen und haltlose Diss-Sprüche haben wir außen vor gelassen. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die Dinge, an denen Sie etwas ändern können – wenn Sie denn wollen…
- „Unser früherer Chef hat alles viel besser gemacht.“
Natürlich sollen Sie Ihren Vorgänger nicht imitieren. Aber sprechen Sie mit Ihrem Team darüber, was in der Vergangenheit besser oder schlechter lief. Kopieren Sie Stärken und merzen Sie Schwächen aus – dann scheuen Sie keinen Vergleich. - „Sie predigen Wasser und trinken Wein.“
Was Sie von Ihren Mitarbeitern verlangen, müssen Sie selbst ausstrahlen. Fleiß, Pünktlichkeit und Opferbereitschaft sind Paradebeispiele für Tugenden, die Sie vorleben müssen. - „Mich motivieren Sie schon lange nicht mehr.“
Die innere Kündigung eines Mitarbeiters bekommen Chefs oft erst mit, wenn es schon zu spät ist. Arbeiten Sie ihr mit Aufmerksamkeit entgegen! - „Ihr lückenhaftes Feedback ist überhaupt keine Hilfe.“
Liefern Sie regelmäßiges und konstruktives Feedback, um besondere Leistungen zu würdigen und auf Schnitzer aufmerksam zu machen, anstatt den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. - „Auch wenn Sie sich für den Größten halten: Unfehlbar sind Sie nicht.“
Seien Sie sich nicht zu schade, auch mal vor versammelter Mannschaft einen Fehltritt zuzugeben. Damit beweisen Sie nicht Schwäche, sondern Mut und Verantwortungsbewusstsein. - „Mein Potenzial wird hier völlig verkannt.“
Diesen Satz denken häufig die schweigsamsten Mitarbeiter. Schenken Sie Ihre Aufmerksamkeit nicht bloß den Lautsprechern Ihrer Abteilung, sondern auch den vermeintlichen Mauerblümchen. - „Ihre Schauspielerei ist sowas von durchschaubar.“
Bei all den Seminaren, Tipplisten und Motivationsbüchern: Vergessen Sie nicht Ihren authentischen Charakter. Dauergrinser nach Klinsmann-Manier sind durchschaubar wie Plexiglas. - „Sie führen sich auf wie ein Filmstar.“
Gerade junge oder frisch beförderte Chefs protzen häufig mit schicken Anzügen und einem teuren Auto. Sie dürfen sich Luxus leisten – aber reiben Sie es Ihren Mitarbeitern nicht unter die Nase. - „Mit meinen Ratschlägen hätten wir viele Probleme gar nicht.“
Haben Sie ein offenes Ohr für die Verbesserungsvorschläge Ihres Teams. Häufig entstehen durch unterschiedliche Blickwinkel ideale Lösungen, auf die Sie allein nie gekommen wären. - „Wir sind so gute Kumpels, da kann ich mir schon mal Fehler erlauben.“
Ihr Laissez-faire-Führungsstil kommt so gut bei den Mitarbeitern an, dass die Arbeit gerne mal liegen bleibt? Schluss damit. Wenn es nötig wird, seien Sie lieber Chef als Kumpel. - „Ein Choleriker wie Sie gehört in den Boxring, nicht ins Büro.“
Könnte auch „Wer schreit, hat Unrecht“ lauten. Die Essenz: Anbrüllen wirkt unausgeglichen und unprofessionell; nicht stark und mächtig. Der Ton macht die Musik. Und so weiter. - „Im Endeffekt können Sie doch weniger als ich…“
Lassen Sie nicht den Eindruck entstehen, Ihre Tätigkeit bestünde nur aus großen Reden. Bilden Sie sich fort, erledigen Sie das Tagwerk mit – so verdienen Sie sich Respekt. - „Sie hängen Ihr Fähnchen immer nach dem Wind des Vorstandes.“
Boxen Sie die Interessen Ihres Teams auch mal durch, statt stets vor der Unternehmensführung zu kuschen. Wichtig: Das Team muss Ihr Engagement natürlich mitbekommen, um es zu würdigen. - „Es ist so ungerecht, wie Sie Frauen (Männer) behandeln.“
Bei aller Liebe zu Stromberg: Sexismus hat im Büro nun wirklich nichts mehr verloren. Das gilt in beide Richtungen und auch für subtile Kleinigkeiten. - „Ständig bevorzugen Sie Ihre Lieblinge…“
Vor Sympathie- und Halo-Effekten ist keiner geschützt. Ein guter Chef lässt sich von so etwas aber nicht irritieren, sondern weiß auch um die Stärken ungeliebter Mitarbeiter. - „Wieso stecken Sie mich immer in Teams voller Dilettanten?“
Richtige Teamzusammenstellung ist eine hohe Kunst. Notieren Sie, wer mit wem besonders gute Ergebnisse liefert und wer überhaupt nicht miteinander kann. Auch Individualisten sollten Sie eher nicht in Teams zwängen. - „Sie sind eine unsympathische Arbeitsmaschine.“
Soft Skills werden immer wichtiger. Durch einen kurzen Smalltalk und etwas persönliches Interesse gewinnen Sie Sympathiepunkte, die Ihnen die Unterstützung des Teams garantieren. - „Nie übernehmen Sie die Verantwortung, wenn ein Projekt scheitert.“
Fußballtrainer stellen sich auch mal nach Niederlagen in die Fankurve, nicht nur nach 5:0-Siegen. Wer Applaus genießt, muss auch Schmährufe aushalten. - „Für Sie ist das hier doch alles bloß ein Sprungbrett.“
Selbst wenn Ihr Mitarbeiter Sie hier ertappt: Lassen Sie es sich nicht anmerken. Ihr Fokus sollte (zumindest äußerlich) auf dem aktuellen Job liegen – auch wenn bereits ein besserer ruft. - „Ihr autoritärer Stil passt wohl eher in die Wehrmacht.“
In manchen Phasen ist eine gewisse Strenge hilfreich für die Produktivität. Überharte Bürodiktatoren haben jedoch nach dem heutigen Führungsverständnis ausgedient – bleiben Sie fair. - „Sie sehen nur das Team, nie den Einzelnen.“
Bemühen Sie sich, Fehler einzelner Mitarbeiter nicht dem gesamten Team anzukreiden. Genauso wichtig: Besondere Individualleistungen entsprechend würdigen. - „Wo geht’s hin? Ihre Zielsetzung ist zu schwammig…“
Sprechen Sie Ziele unmissverständlich und detailliert ab. Wenn Sie keine konkrete Richtung vorgeben, treffen sich alle höchstens zufällig am Gipfel. - „Unnötiger Druck macht die Arbeit auch nicht leichter.“
Flunkern Sie nicht, wenn es um Deadlines geht. Geben Sie der Arbeit so viel Zeit, wie zur Verfügung steht, anstatt aus dem Büro eine Druckkammer zu machen. - „Sie sind unglaublich schwer auszurechnen.“
Seien Sie konsequent in Ihren Handlungen. Sprunghaftes Verhalten irritiert Ihre Mitarbeiter. Vergessen Sie auch nach Seminaren und innovativer Lektüre nicht über Nacht Ihre bisherigen Handlungsweisen. - „Meine Entwicklung juckt Sie doch überhaupt nicht.“
Seien Sie ein Mentor für Ihre Mitarbeiter, zeigen Sie Interesse an Ihren Zielen und Vorhaben und sie werden es Ihnen mit ehrlichem Vertrauen zurückzahlen.
Warum Führungskräfte Einsamkeit ernst nehmen sollten
Auf den ersten Blick ist es einfach, Einsamkeit im Job als Problem des einzelnen Mitarbeiters oder Managers abzutun. Doch eine Meta-Studie von Julianne Holt-Lunstad von der Brigham Young University in Utah zeigt, dass Einsamkeit nicht nur belasten, sondern regelrecht krank machen kann.
Die Auswertung von 148 Studien weist einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit (dem Fehlen sozialer Beziehungen) und häufigeren Erkrankungen nach. Eine etwas ältere Studie zeigt außerdem, dass Einsamkeit sogar ansteckend wirken und das Verhalten anderer Mitarbeiter negativ beeinflussen kann. Führungskräfte sollten daher stets versuchen, jeder Form von Einsamkeit entgegenzuwirken.
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