Definition: Was ist das Wertequadrat?
Das Wertequadrat geht auf Überlegungen des deutschen Philosophen Nicolai Hartmann zurück. In Anlehnung an Aristoteles geht es darum, dass sich jeder menschlichen Qualität (alternativ: Wert, Tugend) eine ergänzende Gegenqualität zuordnen lässt. In der obigen Grafik finden sich diese als Tugend A und Schwestertugend B bezeichneten Felder in der oberen Hälfte des Quadrats. Diese Tugenden stehen wiederum diametralen Qualitäten gegenüber. Dem deutschen Psychologen und Kommunikationsexperten Friedemann Schulz von Thun ist eine Weiterentwicklung dieses Wertequadrats zum Werte- und Entwicklungsquadrat zu verdanken.
Seine Weiterentwicklungen zeigen, dass es eine wünschenswerte Entwicklungsrichtung gibt, die diagonal stattfinden sollte. Die folgenden Beschreibungen können Sie an der obigen „Blanko-Grafik“ nachvollziehen: Wann immer eine Tugend A eine extreme Ausrichtung (Gegentugend oder Untugend) zeigt, bietet sich eine Fokussierung auf die Schwesterntugend B an. Tugend A und Schwesterntugend B ergänzen sich immer, während sich die Untugenden diametral gegenüberstehen. Da Extrempositionen aus jemanden eine eher schwierige Persönlichkeit machen, ist eine Balance zwischen den Tugenden erstrebenswert.
Beispiele für das Wertequadrat
Dem Psychologen Paul Helwig ist die Übertragung des Modells für die Psychologie zu verdanken. Nachfolgend sei das Wertequadrat anhand einiger typischer Beispiele illustriert. Ausgangsbeispiel sowohl in den Aristotelischen Gedanken als auch in Helwigs Umsetzung ist die Sparsamkeit. Hierbei handelt es sich um das sogenannte Urbeispiel von Helwig:
Wertequadrat Sparsamkeit
Die Schwesterntugend zur Sparsamkeit ist die Großzügigkeit. Beide Charaktereigenschaften ergänzen sich positiv, sind komplementäre Gegensätze. Prinzipiell ist ein sparsamer Umgang mit Geld nicht verkehrt. Damit sich eine Person aber nicht zum Geizkragen entwickelt, sollte sie sich hier und da großzügig zeigen. Das absolute Extrem der Großzügigkeit – und damit eine Gegentugend – wäre die Verschwendung. Sinnloses Geldverprassen ist genauso schädlich (vor allem für die eigene Person) wie auf seinem Geld zu hocken. Gleiches lässt sich für andere menschliche Werte zeigen:
Wertequadrat Toleranz
Toleranz ist beispielsweise eine Tugend, die durch ihre Schwestertugend Engagement zu ihrer vollen Entfaltung kommt. Wer sich nicht engagiert, nicht in Diskussionen einbringt und keine Meinung hat, zeigt Gleichgültigkeit. Umgekehrt zeugt es von Fanatismus, wenn jemand zwar bestimmt in seiner Ansicht ist, es aber an jeglichem Verständnis für eine bestimmte Sichtweise fehlen lässt.
Wertequadrat Ehrlichkeit
Auch Ehrlichkeit gehört einerseits zu den wünschenswerten Eigenschaften. Aber die Tugend stößt an ihre Grenzen: In manchen Fällen sind Notlügen besser, bedarf es der Diplomatie und eines gewissen Taktgefühls. Der Gegensatz, je nach Ausprägung sogar Untugend zur Ehrlichkeit, ist die Offenheit. Dann nämlich, wenn unnötig brutal dem Gegenüber die Meinung gesagt wird. Ein anderes Problem kann Offenheit im Job sein: Wenn jemand völlig distanzlos intime Details aus seinem Privatleben erzählt. Anders herum darf Diplomatie natürlich auch nicht dazu führen, dass jemand seine eigene, ehrliche Meinung völlig ausblendet – dann entwickelt sie sich zur Fassade.
Wertequadrat Empathie
Besonders in sozialen Berufen wie etwa als Erzieherin oder in Gesundheitsberufen legen Arbeitgeber großen Wert auf Empathie. Diese Eigenschaft ermöglicht die angemessene Interaktion mit Menschen. Diese Tugend ist die perfekte Ergänzung zur Selbstliebe, die dabei nicht zu kurz kommen sollte. Gerät sie aus dem Blick, neigen vor allem Arbeitnehmerinnen in der Pflege zur Selbstaufgabe. Fehlt Empathie hingegen völlig und wird die Selbstliebe auf die Spitze getrieben, gerät sie zur Egozentrik.
Wertequadrat Perfektionismus
Perfektionismus ist eine Eigenschaft, die lange als Tugend galt. Gerne nannten Bewerber sie in Vorstellungsgesprächen, um damit ihre herausragenden Leistungen zu betonen. Was viele übersehen: In Wirklichkeit ist Perfektionismus das Extrem zur Genauigkeit, zur Sorgfalt. Es hindert einen daran, in angemessener Zeit gute Leistungen zu erbringen, da man selbst noch an kleinsten Details feilt. Somit fällt es in den Bereich der Untugend, weil es hier jemand übertreibt. Erstrebenswert wäre daher eine Entwicklung hin zu einer lockereren Einstellung. Natürlich auch die in angemessener Ausprägung – sonst gerät die Arbeitsweise schlampig.
Gebrauch des Werte- und Entwicklungsquadrats
Worin liegt nun der Nutzen des Werte- und Entwicklungsquadrats? Ganz allgemein hilft es dabei, Werte und Eigenschaften in einem unterschiedlichen Licht zu betrachten. Oft ist die Rede davon, dass etwas nur eine Seite einer Medaille sei – das Wertequadrat deckt die verschiedenen Facetten einer Tugend auf. Und nicht nur das: Mit einem Blick erkennen wir anhand des Modells, wann etwas ursprünglich Positives ins Negative kippt und zur Untugend wird – nämlich wenn wir es übertreiben. Diese Erkenntnis lässt sich unterschiedlich nutzen:
Selbstanalyse
Als Bewerber können Sie beispielsweise mithilfe des Wertequadrats ihre Werte auf den Prüfstand stellen. Anhand einer ehrlichen Selbstanalyse erkennen Sie, ob Sie wirklich – um bei den genannten Beispielen zu bleiben – so locker, tolerant oder sparsam sind, wie Sie es gerne wären. Falls nicht, gibt es Ihnen die Gelegenheit, an Ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten.
Neben persönlichem Wachstum bietet das Wertequadrat die Möglichkeit, die eigenen Stärken und Schwächen für die Vorbereitung auf ein Vorstellungsgespräch. Neben der Selbstanalyse bietet sich das Wertequadrat fürs Coaching an.
Human Ressources
Eine andere Möglichkeit besteht in der Nutzung für Personaler und Führungskräfte. Sie können mithilfe des Wertequadrats zum Einen Bewerber und deren Eigenschaften genauer unter die Lupe nehmen. Zum anderen ist es ideal für ein ausgewogenes Feedback in der Personalentwicklung. Ohne das Quadrat fiele einem zu einer Eigenschaft vielleicht nur die Untugend ein. Aber auch Tugenden (siehe Sparsamkeit) können in bestimmten Situationen unpraktisch oder sogar unangebracht sein.
Hilfsbereitschaft ist bis zu einem gewissen Grad eine wünschenswerte Eigenschaft. Übertreibt es ein Mitarbeiter allerdings, gerät sie zur Selbstaufgabe. Sinnvoll für die Entwicklung des Mitarbeiters ist also, eine Balance zwischen Hilfsbereitschaft und der Schwesterntugend Teamfähigkeit zu finden. Denn Einzelkämpfertum ist ebenso unangebracht wie die völlige Aufopferung.
Liste: Was sind Ihre Werte?
Achtsamkeit Akzeptanz Anteilnahme Aufgeschlossenheit Aufrichtigkeit Ausgeglichenheit Authentizität Barmherzigkeit Beliebtheit Bescheidenheit Bodenständigkeit Dankbarkeit Demut Disziplin Effizienz Ehrgeiz Ehrlichkeit Eigenständigkeit Eigenverantwortung Empathie Engagement Entschlossenheit Entwicklung Erfolg Fairness Fleiß Flexibilität Freiheit Freude Freundlichkeit |
Geduld Gelassenheit Gemeinschaft Genauigkeit Gerechtigkeit Gesundheit Glaube Glaubwürdigkeit Gleichheit Gnade Großzügigkeit Harmonie Herzlichkeit Hilfsbereitschaft Integrität Intelligenz Intuition Kommunikation Konsequenz Kreativität Kritikfähigkeit Leichtigkeit Leidenschaft Liebe Loyalität Macht Mitgefühl Mut Nachhaltigkeit Neugier |
Offenheit Optimismus Ordnung Perfektion Persönlichkeitsentwicklung Pünktlichkeit Rationalität Realismus Respekt Selbstbestimmung Selbstverantwortung Selbstvertrauen Selbstverwirklichung Sensibilität Sicherheit Solidarität Sorgfalt Sparsamkeit Spiritualität Spontanität Toleranz Tradition Transparenz Treue Verantwortung Verlässlichkeit Vertrauen Wohlstand Zugehörigkeit Zuverlässigkeit |
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