Definition: Was ist ein Genogramm?
Ein Genogramm ist die grafische Darstellung aller familiärer Beziehungen und Muster über mehrere Generationen hinweg (Meta-Perspektive). Die Details in einem Genogramm gehen über einen einfachen Stammbaum hinaus.
Durch unterschiedliche Symbole werden im Genogramm Rollen, Verhaltensmuster oder andere wichtige Beziehungen visualisiert, um Rückschlüsse auf die eigene Biografie zu ziehen und die Famliengeschichte transparent zu machen.
Das Genogramm zeigt:
- Familienstruktur
Darstellung der Eltern, Kinder, Geschwister, Großeltern und weiteren Verwandten - Beziehungen
Visualisierung von Ehen, Scheidungen und anderen Beziehungen durch Verbindungslinien - Emotionale Aspekte
Abbildung von intensiven, distanzierten oder konfliktreichen Beziehungen durch Symbole - Gesundheitliche Informationen
Erfassen von Krankheiten, Todesursachen oder anderen relevanten Ereignissen - Wiederkehrende Muster
Aufdecken von wiederkehrenden Verhaltensmustern oder Familienproblemen
Als Werkzeug wird es häufig in der systemischen Beratung, Familienforschung und -therapie eingesetzt. Das Genogramm kann ebenso im Coaching oder zur Selbstanalyse genutzt werden, um die eigene Rolle in der Familie besser zu verstehen und in einen größeren Zusammenhang einzuordnen.
Genogramm Ursprung
Entwickelt wurde das Genogramm ursprünglich von dem Psychotherapeuten Murray Bowen. Ihm ging es zunächst um die Analyse psychischer Krankheiten und den Zusammenhang zum sozialen Umfeld. Später wurde die Idee von Ivan Boszormenyi-Nagy aufgegriffen, der das Genogramm auf mehrere Generationen erweiterte. Die heutige Form geht auf die Familientherapeuten Randy Gerson und Monica McGoldrick zurück und wird seitdem in der Familienforschung und -therapie eingesetzt.
Welche Antworten kann ein Genogramm geben?
Das Genogramm als visualisierte Darstellung der Familienstrukturen kann zahlreiche Antworten zum Beispiel zur Analyse der eigenen (erlernten) Verhaltensmuster und bestimmter Charaktereigenschaften in den eigenen Beziehungen skizzieren. Schließlich prägen frühkindliche Erfahrungen und das Vorbild der Eltern und der Umgang in der Familie auch unserer späteren Beziehungen.
Zu den Fragen, die sich mit einem Genogramm beantworten lassen, gehören zum Beispiel:
- Warum kann ich mich nur schwer auf neue Beziehungen einlassen?
- Wieso ist mit Anerkennung so wichtig?
- Will ich wirklich, was ich tue oder erfülle ich nur Erwartungen?
- Warum gibt es in unserer Familie Loyalitätskonflikte?
- Welches Verhalten meiner Eltern erkenne ich an mir selbst wieder?
- Was kann ich aus den Fehlern und Erfolgen meiner Familie lernen?
- Welche Tabus, Geheimnisse oder familiäre Mythen gibt es?
- Was haben aktuelle Krankheiten mit der Familie zu tun?
Siehe hierzu auch: Was ist eine Familienaufstellung?
Genogramm Vorlage zum Ausfüllen
Falls Sie ein Genogramm mit Word erstellen wollen, finden Sie hier eine kostenlose Vorlage, die Sie sich herunterladen und individuell erweitern können:
Genogramm erstellen – Beispiel
Sie wollen ein Genogramm erstellen und nutzen? Beim Erstellen können Sie sich an den folgenden fünf Schritten orientieren:
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Legen Sie das Ziel fest
Bevor Sie familiäre Zusammenhänge visualisieren, sollten Sie ein Ziel festlegen: Was wollen Sie herausfinden? Geht es um die Beziehung zu den Eltern, die eigene Persönlichkeit oder Erklärungen für Ihr Verhalten? Sie müssen wissen, wonach Sie suchen, um in den nächsten Schritten zielgerichtet vorzugehen.
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Sammeln Sie Informationen
Für ein Genogramm brauchen Sie möglichst viele und genaue Informationen – auch zu früheren Generationen. Sprechen Sie mit Familienmitgliedern und fragen Sie nach wichtigen Beziehungen und Zusammenhängen. Je mehr Sie wissen und visualisieren, desto aussagekräftiger wird die Auswertung.
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Beginnen Sie mit 3 Generationen
Beginnen Sie das Genogramm mit einer Art Stammbaum. Also den grundsätzlichen Zusammenhängen und Beziehungen in der Familiengeschichte. Idealerweise beginnen Sie bei sich selbst und arbeiten sich dann durch die Generationen zurück. Die Darstellung sollte mindestens drei Generationen (Sie + Eltern + Großeltern) umfassen.
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Fügen Sie wichtige Symbole ein
Der wichtigste Schritt folgt jetzt: Ergänzen Sie die Grafik mit Symbolen für Merkmale, Verhaltensweisen oder Besonderheiten, die Sie hervorheben wollen. Entscheidend hierfür ist das anfangs definierte Ziel – zum Beispiel: Welche Beziehungen waren liebevoll, welche zerstritten? Wo gab es häusliche Gewalt oder Alkoholmissbrauch? Welche Krankheiten oder Charaktereigenschaften wurden über welche Linie vererbt? Machen Sie sich eine Liste mit den Punkten, die aus Ihrem Genogramm hervorgehen sollen und definieren Sie hierzu Symbole, die Sie einzeichnen.
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Analysieren Sie das Genogramm
Im letzten Schritt werten Sie das vollständige Genogramm aus: Was fällt Ihnen auf? Welche Zusammenhänge werden deutlich? Welche Merkmale ziehen sich wie ein roter Faden durch die Generationen der Familie? Gehen Sie jede Beziehung durch und suchen Sie nach einer Antwort für Ihre Ausgangsfrage.
Genogramm Symbole – Beispiele
Bei der Wahl der Genogramm Symbole sind Sie grundsätzlich frei. Einzige Voraussetzung: Sie sollten die Symbole leicht verstehen und voneinander unterscheiden können. Sonst leiden Struktur und Übersichtlichkeit und die Grafik wird zu komplex. Hier ein paar Beispiele:
Möglich sind überdies verschiedene Farben, um einzelne Merkmale hervorzuheben.
Genogramm Fragebogen
Fällt es Ihnen noch schwer, das Genogramm zu erstellen? Dann nutzen Sie gerne den folgenden Fragebogen, um wichtige Ziele und Besonderheiten durch die Grafik darzustellen:
- Wie ist die Beziehung zwischen den einzelnen Familienmitgliedern?
- Wie habe ich die Beziehung zwischen den Beteiligten erlebt?
- Was zeichnet die einzelnen Personen aus?
- Welche Stärken und Schwächen sind mir bekannt?
- Welche Personen werden ausgeschlossen und gemieden?
- Gibt es Tabuthemen, über die nie gesprochen wird?
- Welche Schicksalsschläge oder Krisen gab es?
- Gibt es prägende Ereignisse im Leben der Person?
- Was sind die Ursachen für zerrüttete Beziehungen?
- Wer war arbeitslos oder ist beruflich gescheitert?
- Wer steht mir besonders nahe und hat mich geprägt?
Welche Personen gehören rein?
Faustregel: Ein Genogramm umfasst alle Personen aus Ihrer engeren Familie. Gemeint sind alle blutsverwandten Personen. Die Familie Ihres Partners oder Ihrer Partnerin taucht nicht auf. Einzige Ausnahme: Wenn der Kontakt etwa zu den Schwiegereltern besonders eng ist und diese großen Einfluss haben.
Folgende Personen gehören in den erweiterten Stammbaum:
- Großeltern (falls vorhanden: deren Geschwister)
- Eltern (falls vorhanden: Stiefmutter, Stiefvater)
- Tanten und Onkel
- Eigene Geschwister
- (Ehe-)Partner, (Ehe-)Partnerin
Diese Menschen bilden die Basis. Falls nötig, können Sie den Personenkreis um wichtige Menschen in der Familie erweitern: Haben Sie ein enges Verhältnis zu einem Cousin? Dann sollte diese Beziehung unbedingt im Genogramm auftauchen!
Genogramm auswerten: Tipps für besseres Verständnis
Ein fertiges Genogramm bekommt erst du die abschließende Analyse und Auswertung Ihren besonderen Wert. Mit den folgenden Tipps holen Sie aus Ihrer Familiendarstellung mehr heraus:
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Suchen Sie nach Mustern
Besonders aussagekräftig im Genogramm sind wiederkehrende Muster. Kommt es zum Beispiel immer wieder zu Trennungen oder toxischen Beziehungen? Dann lässt sich über mehrere Generationen kaum noch mit Zufall erklären. Gehen Sie hier weiter ins Detail: Gibt es regelmäßige Persönlichkeitsmerkmale als Ursache? Oder: Wann tritt das Muster auf?
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Schauen Sie sich wichtige Erlebnisse an
In fast jedem Leben kommt es zu einschneidenden Ereignissen oder Wendepunkten im Leben. Das kann ein schwerer Verlust, eine Krankheit oder eine Fehlgeburt sein. Verfolgen Sie im Genogramm nach, wie sich solche Ereignisse auswirken und welche Konsequenzen sie auslösen. Oft finden sich hier die Ausgangspunkte für spätere Muster.
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Bleiben Sie neutral
Bei der Auswertung des Genogramms müssen Sie neutral bleiben und eine objektive Antwort suchen. Eine Vorverurteilung von Familienmitgliedern verfälscht das Ergebnis. Diese könnten ebenfalls einer Prägung folgen!
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Analysieren Sie gemeinsam
Sie können die Darstellung auch gemeinsam mit Ihrem Partner oder einer anderen vertrauten Person analysieren. Das erweitert die eigene Perspektive und fügt der Analyse einen neuen Blickwinkel hinzu. Denken Sie aber daran: Die Informationen sind persönlich und sensibel! Überlegen Sie genau, mit wem Sie darüber sprechen.
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Ziehen Sie eine Lehre daraus
Letztlich sollen Sie aus dem Genogramm etwas lernen. Fragen Sie sich: Was kann ich in Zukunft anders machen? Welche Verhaltensweisen will ich nicht wiederholen? Wer ist ein Vorbild – von wem möchte ich mich abgrenzen?
Vor- und Nachteile des Genogramms
Wie jede Methode hat auch das Genogramm spezifische Vor- und Nachteile. Hier eine Übersicht und Gegenüberstellung::
Vorteile
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Besseres Verständnis
Durch ein Genogramm können Sie ein besseres Verständnis für Ihre eigene Situation gewinnen. Fragen Sie sich manchmal: Warum bin ich, wie ich bin? Dann kann die Visualisierung in der Grafik bei der Antwort helfen. Sie verdeutlicht das eigene Rollenbild anhand prägender familiärer Beziehungen.
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Mehr Selbstverantwortung
Richtig angewendet, verhilft das Genogramm zu mehr Selbstverantwortung. Es zeigt Zusammenhänge auf, aber genauso, dass Sie Ihr Leben selbst in der Hand haben. Egal, welche familiäre Struktur sich zeigt: Ihren eigenen Weg bestimmen Sie selbst!
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Übersichtliche Darstellung
Die Erkenntnisse können zwar auch auf anderen Wegen dargestellt werden. Die strukturierte Darstellung macht Zusammenhänge aber besonders übersichtlich und gut verständlich. Durch einfache Symbole und Verbindungen erkennen Sie mit wenigen Blicken, wer wie zueinander steht.
Nachteile
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Falsche Schuldzuweisungen
Oft entstehen aus einem Genogramm Schuldzuweisungen, Motto: „Wegen dir bin ich so unzufrieden!“ Oder: „Eure kaputte Beziehung hat mein Liebesleben ruiniert!“ Das hilft niemandem und führt zu einer Opferhaltung und noch mehr familiären Störungen.
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Schwierige Informationen
Die Recherche der benötigten Informationen kann schwierig und emotional aufwühlend sein. In manchen Familien will niemand über die Vergangenheit oder belastende Themen sprechen. Eine bereits angeschlagene Beziehung kann so vollends in die Brüche gehen.
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Falsche Auswertung
Möglicherweise ziehen Sie die falschen Schlüsse aus dem Genogramm. Ursache dafür können falsche oder unvollständige Informationen sowie Vorurteile sein. Wenn Sie ein Familienmitglied nicht mögen, neigen Sie unbewusst dazu, diese schlechter dazustellen.
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