Definition: Was sind Urbane Legenden?
Urbane Legenden sind skurrile Anekdoten, Kuriositäten, Großstadtsagen, Schauergeschichten, Ammenmärchen, moderne Mythen oder Gerüchte, die im Internet (Instagram, Facebook, Twitter, Youtube…) oder mündlich verbreitet werden. Die Quelle lässt sich ebenso wenig verifizieren wie der Wahrheitsgehalt. Selbst die Protagonisten bleiben ungenannt. Fast immer ist es erfundener Quatsch – trotzdem wollen wir die Geschichten glauben.
Verbreiten können sich urbane Legenden vor allem dank unzureichender Recherche und unserer Lust an Mundpropaganda. Es liegt in der Natur des Menschen Geschichten zu erzählen und Gerüchte zu verbreiten – Hauptsache, sie sind spannend, schauerlich oder geben dem Zuhörer einen Kick.
Warum verbreiten sich Urbane Legenden so gut?
Ein Faktor ist die Glaubwürdigkeit der Person, die urbane Legenden verbreitet. Ein Bekannter erzählt, dass er es vom Freund eines Freundes weiß (im Englischen: „FOAF tales“ – „Friend of a friend tales“).
Hinzu kommt die häufige Wiederholung. Die Geschichten appellieren an starke Emotionen (Angst, Wut, Ekel oder Vorurteile) und werden weitererzählt.
Studien zeigen: Je häufiger wir etwas hören, desto eher glauben wir es. Die Psychologen Floyd Allport und Milton Lepkin bestätigen: Die Wiederholung urbaner Legenden helfen der Falschnachricht sogar und vertiefen deren Mythos.
Beispiele: 10 urbane Legenden und moderne Sagen
Moderne, urbane Mythen (englisch: Urban Legends) sind Erzählungen, die wahr sein könnten, es aber mit den Fakten nicht so genau nehmen. Stattdessen verweben sie – auf plausible Weise – Realität und Fiktion, ohne direkt widerlegt werden zu können.
Viele dieser Mythen können Sie im Internet nachlesen. Zu den 10 bekanntesten modernen Sagen gehören diese – allesamt sind sie frei erfunden, nie passiert und Geschichten aus dem Reich der Märchen:
1. Die Katze in der Mikrowelle
Eine Amerikanerin kommt auf die Idee, ihre Katze zum Trocknen in die Mikrowelle zu stecken. Das arme Tier stirbt dabei elendig, woraufhin die Frau den Hersteller auf Schadenersatz in Millionenhöhe verklagt. Schließlich habe nirgendwo ein Warnhinweis gestanden, dass man Tiere nicht in die Mikrowelle stecken darf. Die Frau gewinnt den Prozess – und ist nun Millionärin mit neuer Katze.
2. Die Frau an der Haltestelle
Seit Jahren steht eine Frau an derselben Straßenbahnhaltestelle oder Kreuzung. Vor langer Zeit hat sie dort ihren Mann aussteigen lassen. Er wollte wiederkommen, tat es aber nie. Jetzt wartet sie dort auf ihren Mann – jeden Tag, jeden Abend.
3. Die Nadel im Kinositz
Angeblich in Köln soll sich ein Kinobesucher an etwas Spitzem im Kinositz gestochen haben. Als er nach der Ursache sucht, findet er eine Nadel im Sitz und einen Zettel mit der Aufschrift: „Willkommen im Club, Sie wurden soeben mit HIV infiziert.“
4. Die Rache per versteckter Botschaft
Als die Band „Pink Floyd“ ihr Album „The Wall“ aufnimmt, befindet sich unter den Produzenten ein gewisser Helmut Schlosser aus Deutschland. Der war zuvor Rektor eines Jungeninternats und hatte dort einige Schüler auf dem Dachboden missbraucht. Auf den Fluren des Internats hieß dazu: „Er holt sich wieder einen unters Dach.“
Als Schlosser den Song „Another brick in the wall“ abmischt, fällt ihm eine versteckte Botschaft im Text auf: Als der Jugendchor „All in all it’s just another brick in the wall“ singt, lassen sich deutlich die deutschen Worte „Hol ihn, hol ihn unters Dach“ hören. Schlosser wird klar, dass ihn seine Vergangenheit eingeholt hat. Er erhängt sich noch am selben Abend auf dem Dachboden.
5. Das Hundeessen im Chinarestaurant
Ein Paar geht mit einem kleinen Hund in ein Chinarestaurant. Dort spricht die Bedienung nur chinesisch. Weil es ein heißer Tag war und der Hund durstig ist, versucht das Paar dem Kellner deutlich zu machen, dass der Hund eine Schale Wasser braucht. Der Kellner nickt lächelnd und nimmt den Hund mit. Kurze Zeit darauf kehrt er mit einem opulenten Mahl zurück, das lecker duftet.
Das Paar fragt, worum es sich dabei handelt, worauf die Bedienung aufklärt: „Das ist Hund.“ Angeblich findet sich die Geschichte sogar auf eine Schallplattenhülle („Thick as a Brick“) von Jethro Tull – samt eines Zeitungsausschnitts mit dieser Geschichte.
6. Die Spinnen im Kopf
Eine Frau kehrt aus dem Amazonas-Urlaub zurück. Dort wurde sie von einem Insekt am Kopf gestochen. Die Stichstelle wächst zu einer Beule heran. Die Frau sucht deshalb einen Arzt auf. Der wundert sich, dass sich die Beule scheinbar bewegt und öffnet sie vorsichtig. Darunter hat sich ein Spinnennest mit vielen kleinen Spinnen gebildet.
7. Die tanzenden Polizisten
Als Polizisten einen angetrunkenen Autofahrer anhalten, wird der ausfallend und rabiat. Dummerweise wird das einem der Polizisten zu bunt, und er ohrfeigt den Autofahrer. Nun droht ihm ein Dienstaufsichtsverfahren. Um dem zu entgehen, kommen die Polizisten auf die Idee, sich ein paar Verkehrskegel auf den Kopf zu setzen und um den betrunkenen Fahrer herum zu tanzen.
Die Idee: Wenn der seine Geschichte erzählt, klingt das so unglaubwürdig, dass ihm auch den Rest keiner mehr glaubt. Und so kommt es auch: Bei der Verhandlung muss der Richter herzlich lachen – und stellt das Verfahren gegen die Polizisten ein.
8. Das Sperma auf der Pizza
Ein Mann bekommt abends Hunger und bestellt sich eine Pizza. Weil diese nach einer Stunde nicht da ist, ruft er beim Pizzadienst wutschnaubend an und brüllt den Chef zusammen. Der entschuldigt sich und verspricht, sofort eine Gratis-Pizza zu bringen. Diese kommt auch. Doch am nächsten Morgen wacht der Mann mit einem schmerzhaften Ausschlag am Mund auf. Er geht damit zum Arzt und der diagnostiziert Syphilis. Als der Mann daraufhin den Pizzakarton untersuchen lässt, stellt sich heraus, dass darauf Sperma von einem Infizierten (vermutlich dem Koch) zu finden ist.
9. Die gefährliche Anhalterin
Eine junge, attraktive Frau steht am Straßenrand und will von einem der vorbeifahrenden Autos mitgenommen werden. Ein junger Mann hält an und nimmt sie mit. Zu seinem Erstaunen beginnt das hübsche Mädchen stürmisch mit ihm zu flirten. Also lotst sie ihn zum nächsten Motel, wo die beiden zuerst etwas trinken und danach Sex haben. Der Mann schläft ein. Als er am nächsten Morgen mit Schmerzen aufwacht, fehlt ihm eine Niere.
10. Der Tote am Schreibtisch
Die Geschichte von George Turklebaum schaffte es sogar in die Medien – in die Londoner „Times“ bis ins BBC-Radio. Angeblich saß Turklebaum 5 Tage lang tot an seinem Schreibtisch im Großraumbüro – ohne, dass das seinen Kollegen aufgefallen wäre. Später stellte sich heraus: Es handelte sich dabei um einen makaberen Scherz der US-Satirezeitschrift „Weekly World News“.
Gruselgeschichten im Netz
„Creepypasta“ nennen sich Gruselgeschichten, die sich besonders häufig über das Internet und per Copy & Paste verbreiten. Die Webschocker handeln meist von verfluchten Dateien, Mails oder mysteriösen bis übernatürlichen Wesen.
Urbane Legenden werden als „wahr“ erinnert
Falschmeldungen („Hoax“), Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien nutzen dieses Prinzip. Es bringt wenig, falsche Nachrichten (sogenannte „Fake News“) durch richtige zu ersetzen, weil Sie die Sage dabei wiederholen.
Ebenso schaden Sie sich selbst, wenn Sie sich gegen Gerüchte und üble Nachrede wehren und dabei die negativen Informationen wiederholen. Der Unsinn setzt sich nur noch mehr in den Köpfen fest und wird als wahr erinnert.
Streisand-Effekt: Schneeballprinzip der Gegenwehr
Der Streisand-Effekt ist ein soziales Phänomen: Je mehr wir versuchen, negative Informationen zu unterdrücken, desto mehr Aufmerksamkeit bekommen diese und werden verbreitet.
Seinen Namen verdankt der Effekt der Sängerin Barbra Streisand, die den Fotografen Kenneth Adelman und die Webseite Pictopia.com auf 50 Millionen US-Dollar verklagte, weil dort eine Luftaufnahme ihres Hauses zwischen 12.000 anderen Fotos von der Küste Kaliforniens zu finden war. Durch die Klage stellte Streisand erst eine Verbindung zwischen sich und dem Gebäude her, woraufhin sich das Foto noch mehr im Internet verbreitete.
Woran lassen sich urbane Legenden erkennen?
Großstadtmythen oder Wandersagen sind keinesfalls ein Phänomen der Neuzeit. Als die Brüder Grimm ihre Märchen zusammentrugen, machten sie es nicht anders: Sie sammelten Geschichten, die sich die Menschen gerne und häufig weitererzählten.
Aber wie erkennen Sie urbane Legenden? Das sind typische Anzeichen:
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Zeitlose Botschaft
Die Geschichte hinter der Geschichte enthält oft eine zeitlose Moral. Sie soll uns in der Regel vor Gefahren oder Dummheiten warnen. Oder aber vom alltäglichen Irrsinn erzählen.
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Viele Varianten
Wandersagen werden über Jahrzehnte hinweg immer wieder weitererzählt, verändert, ausgeschmückt und aktualisiert. Entsprechend gibt es unzählige Varianten. Das ist zugleich verräterisch: Die Wahrheit hat nur eine Version.
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Ungenaue Quelle
Urbane Legenden basieren so gut wie nie auf nachprüfbaren Fakten, sondern auf Hörensagen. Die Quelle bleibt vage – oder ist der Bekannten eines Bekannten, dem das „wirklich“ passiert ist.
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Appell an Gefühle
Moderne Sagen sprechen in erster Linie unsere Gefühle an: Ängste, Ekel, Vorurteile, Hoffnungen, Wünsche. Weil sie zugleich in unser Weltbild passen, werden sie nur allzu gerne geglaubt und kolportiert.
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Gefahrloses Weitererzählen
Wer eine spannende Geschichte nur weitererzählt, muss nicht fürchten, am Ende als Depp dazustehen. Vom Inhalt kann sich der Erzähler distanzieren. Im Zweifel ist eben der Freund des Freundes der Depp.
Urban Legends versus Verschwörungstheorien
Von Verschwörungstheorien unterscheiden sich urbane Legenden durch die Distanz zum Erzählten. Während Verschwörungstheorien in das eigene Weltbild passen und daher mit Überzeugung weitergetragen werden, bleibt der Legendenerzähler neutral: „Habe gehört… ist aber ohne Gewähr.“
Die Gefahr urbaner Legenden
„Ceterum censeo Carthaginem esse delendam!“ – „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss!“ Der Satz, mit dem Cato Censorius angeblich alle seine Reden beendete (auch wenn es dabei überhaupt nicht um Karthago ging), soll zum Dritten Punischen Krieg und zur tatsächlichen Zerstörung Karthagos geführt haben. Er gilt bis heute als historisches Beispiel dafür, dass Wiederholungen mächtiger sind als jede Wahrheit – solange man sie nur beharrlich äußert.
Wiederholungen überwinden Mehrheiten und Wahrheiten. Und das ist eine große Gefahr der „urban legends“ sowie „Fake-News“. Weil die transportierten Botschaften so leicht geglaubt werden, können sie Vorurteile verstärken oder neue Verdächtigungen (gegenüber Randgruppen und Minderheiten) in die Welt setzen.
So einfach ist die Meinung einer Gruppe zu manipulieren
Psychologin Kimberlee Weaver vom Institute for Social Research an der Universität Michigan zeigte in Studien: Wer am lautesten brüllt und oft genug dasselbe erzählt, bekommt am Ende recht. Schon 3 Personen manipulieren eine große Gruppe, wenn sie beharrlich dieselbe Meinung vertreten.
Schon eine einzelne Person erreicht bereits 90 Prozent dieses Effekts, wenn sie nur 3 Mal dieselbe Meinung wiederholt. Der Effekt: Irgendwann hört unser Gehirn auf zu unterscheiden, von wem die Aussage stammt – ob von 3 verschiedenen Menschen oder derselben Person, ist egal. Weil es oft genug gesagt wurde, prägt es sich ein, verfängt und überzeugt uns schließlich.
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