Kreative Orte: Nicht arbeiten macht erfinderisch
Die Geschichte ist voll von Erfindern, die ihre besten Einfälle nicht in einem Büro bekamen, sondern dort, wo sie es selbst nicht vermutet hätten:
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Geistesblitz im Schlaf
Elias Howes litt anfangs enorm unter seinen Albträumen. In ihnen wurde er immer und immer wieder von Speeren erstochen. Als er darüber jedoch reflektierte, bemerkte er, dass die tödlichen Speere Löcher hatten – eine Technik, die der Wegbereiter der Nähmaschine für seine große Erfindung umsetzte.
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Geistesblitz auf der Couch
Charles Gaines, der Erfinder von Paintball, bekam die Idee einer Real-Life-Jagd angeblich auf dem Sofa. Er war so in die Kurzgeschichte „Das grausamste Spiel“ von Richard Connell vertieft, als es Klick machte: Die Story handelt von einem Jäger, der von einem anderen Waidmann gejagt und gekidnappt wird.
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Geistesblitz im Garten
Isaac Newton zum Beispiel erhielt die Erleuchtung zu seiner Gravitationstheorie nicht in seinem Labor, sondern beim Spazieren in seinem Obstgarten, wo er das Fallobst betrachtete.
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Geistesblitz beim Gassi gehen
Auf einem Jagdausflug bemerkte der Schweizer Ingenieur George de Mestral viele kleine Spitzkletten, die sich im Fell seines Hundes festgesetzt hatten. Er nahm einige der hartnäckigen Pflanzen mit nach Hause, begutachtete sie unter dem Mikroskop und musste nur noch ihre Struktur kopieren, um eine der nützlichsten Erfindungen der Neuzeit präsentieren zu können: den Klettverschluss.
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Geistesblitz beim Spielen
Als der kleine Frank im Winter draußen tobte, vergaß er seinen Saft wieder mit ins Haus zu nehmen. Als er am nächsten Morgen vor die Tür ging, war das Glas noch da, die Flüssigkeit aber gefroren. Den Eisblock konnte er sogar mit dem Stab rausziehen. Diesen Moment vergaß Frank Epperson nach eigener Aussage nie – das „Eis am Stiel“ ist bis heute ein Renner.
Die besten Ideen werden fernab vom Schreibtisch geboren: Als die Schweizer Universität St. Gallen einmal Ingenieure danach befragte, wo diese von Geistesblitzen heimgesucht wurden, war der Arbeitsplatz überraschenderweise nicht dabei. Stattdessen erhielten 76 Prozent der Befragten ihre Eingebungen im Urlaub, beim Spazieren oder Zähneputzen.
Es muss also nicht zwingend die Dusche sein, unter der wir kreative Impulse erhalten – aber sie ist ideal dafür, und die meisten von uns duschen nun mal täglich, vielleicht sogar mehrmals. Das macht die Nasszelle zumindest statistisch so erfindungsfördernd.
Warum blitzt der Geist unter der Dusche?
Auch wenn es auf die Dusche nicht ankommt – das Prinzip dahinter ist entscheidend: Kreativität lässt sich nicht erzwingen. Auch lassen sich viele Probleme nicht durch intensives Nachdenken lösen – jedenfalls nicht auf Kommando, Motto: „Jetzt komm schon, du schöpferischer Geist!“ Vielmehr entstehen unsere kreativen Einfälle dann, wenn unser Geist gelöst ist und die Gedanken auf Reisen gehen können.
Druck, Monotonie und vier immer gleiche Wände um einen herum sind dagegen pures Gift für die Inspiration. Routinen zwingen die Gedanken in eine lineare und damit vorhersehbare Richtung. Kreativität entsteht aber erst dann, wenn ein Teil des Gehirns freie Assoziationen vornehmen kann, wenn es ungewöhnliche Reize empfängt und beginnt (neue neuronale Netze) zu spinnen.
„Default Mode“ nennen Wissenschaftler diesen Zustand der kreativen Pause in der Oberstube. Gerade dann, wenn unser Gehirn im Leerlauf ist, verarbeiten und verknüpfen wir Gelerntes und Erlebtes besonders schnell und originell – und genau das ist der Humus, auf dem die zündende Idee gedeihen kann.
Kreativität ist nicht das Ergebnis eines Moments
Als Wissenschaftler mittels MRT-Gehirnscans zum Beispiel Probanden aufforderten, an nichts Bestimmtes zu denken, zeigte sich, dass manche Hirnregionen erst recht aktiv wurden. Wir denken also durchaus – selbst wenn wir denken, an nichts zu denken. Oder wie der Neurowissenschaftler Matthew Lieberman von der Universität von Kalifornien in Los Angeles sagen würde: „Es bereitet sich darauf vor, die Welt aus der Sicht anderer, deren Gedanken und Emotionen zu betrachten.“
Deshalb helfen auch kleine Auszeiten, Bewegung oder Tagträume dem Geistesblitz auf die Sprünge. Das Prinzip, das dahintersteckt, ist: mentale Stimulanz. Unser Gehirn giert nach Neuem, nach Ungewohntem, nach sensorischen Reizen. Unser Geist will lernen. Dafür ist er gemacht. Und wann immer Sie Ihre grauen Zellen mit Neuem füttern, regen Sie diese enorm an – und steigern so Ihre kognitiven wie kreativen Fähigkeiten.
Überdies ist Kreativität selten das Ergebnis eines einzigen Moments. Wir sprechen zwar gern vom „Geistesblitz“, aber der tritt genauso flüchtig in Erscheinung wie sein Namensgeber. Die großen innovativen Durchbrüche der Geschichte waren eher die Folgen anhaltender Gedankenkaskaden.
Mag sein, dass Qualität vom Quälen kommt, Eingebungen aber lassen sich nicht erpressen. Falls Sie also gerade an der zündenden Idee laborieren und sich bemühen, etwas besonders Originelles auszubrüten, einen pfiffigen Einstieg für Ihre Präsentation zum Beispiel: Lassen Sie es!
Der Weg zum lichten Moment führt nicht über ein geistiges Martyrium. Vielmehr entsteht Innovation durch eine Art Gärungsprozess: Man nehme ein paar Anregungen, lenke sich ab, spreche mit Kollegen oder Freunden darüber und lasse die (gemeinsamen) Gedanken köcheln, blubbern und sich entfalten. Unter Umständen unter der Dusche.
Warum Kreativpausen so nützlich sind
Sich im Laufe des Tages immer wieder eine bewusste Kreativpause zu nehmen, ist allein schon notwendig, um die eigene Leistungsfähigkeit zu erhalten. Im Leistungssport ist dieses Prinzip längst als „work-rest-ratio“ bekannt. Es besagt, dass auf eine Periode der Aktivität und Anstrengung eine bewusste Auszeit und Ruhephase folgen sollte. Tatsächlich sind sich Wissenschaftler heute einig, dass der menschliche Organismus seine Leistungskraft wellenförmig erzeugt und abgibt. Diese sogenannten „ultradianen Rhythmen“ sorgen dafür, dass sich energiereiche Zustände mit physiologischen Tälern abwechseln. Signale, dass ein solches Leistungstief naht, sind etwa Konzentrationsstörungen, Gähnen oder plötzliches Hungergefühl.
Wer diese Hinweise übergeht oder mit Unmengen Kaffee betäubt, riskiert seine Kraftreserven über den Tag hinweg völlig aufzubrauchen. Das ist nicht nur ungesund, sondern rächt sich meist schon am nächsten Tag. Da geht dann gar nichts mehr. Lassen Sie sich also mit Ihrer Kreation ruhig etwas mehr Zeit, schalten Sie zwischendurch ab, gehen Sie kurz raus in die Natur oder aufs Klo – Hauptsache weg vom Schreibtisch.
Nicht Kreativität steigern, sondern Blockaden verhindern
Der Einfall ist allerdings immer auch ein Störfall. Er bricht mit Traditionen und verlangt Anpassung. Das mögen aber die wenigsten Chefs und Betriebe. Deshalb braucht es für mehr Kreativität im Büro eine entsprechende Kultur, die Andersdenken und Andersdenkende respektiert und Anregungen zulässt, statt sie sofort zu zensieren. Das schließt mit ein, dass der bessere Gedanke auch mal aus einer anderen Abteilung kommen darf oder eben nicht vom Chef, sondern vom sogenannten kleinen Mann – der dafür aber ganz nah dran ist am praktischen Problem.
„Das Thema ist nicht, die Kreativität zu steigern, denn entweder ist ein Mitarbeiter kreativ oder er ist es nicht. Ich muss nur verhindern, dass Kreativität in der Bürokratie untergeht oder an Budgets scheitert“, sagt zum Beispiel Hermut Kormann, Mitgründer der Wissensfabrik. Wer also auf die Erleuchtungen seiner Mitarbeiter setzt, tut gut daran, diese einen Teil ihrer Arbeitszeit vom Schreibtisch zu verbannen, um sie auf andere, neue Gedanken zu bringen.
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