Perfektionismus überwinden und ablegen: 9 einfache Tipps

Verbunden mit dem Perfektionismus sind meist hohe Ansprüche und Erwartungen an sich selbst. Perfektionisten wollen keine Fehler machen. Entsprechend leiden viele unter Versagensangst oder der Angst, ein Scheitern würde ihr Ansehen oder die Wertschätzung anderer reduzieren. Im Extrem führt Perfektionismus zu starken Minderwertigkeitsgefühlen und anderen psychischen Problemen. Ursachen, Beispiele und Tipps, wie sich dieser negative Perfektionismus überwinden lässt…

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Perfektionismus Definition

Perfektionismus ist ein ausgeprägtes Streben nach Vollkommenheit und Fehlerfreiheit. Meistens selbst auferlegt. Der Perfektionist will von sich aus, präzise und perfekte Ergebnisse erzielen. Das Streben nach Perfektion ist zunächst eine gute Eigenschaft. Wir übernehmen eine Aufgabe und wollen diese bestmöglich lösen. Das kann ein enormer Ansporn sein. Viele Perfektionisten sind überdurchschnittlich erfolgreich – im Beruf oder Leistungssport.

Wird Perfektionismus aber übertrieben, verursacht er Stress, Ängste und im Extrem zu psychischen Erkrankungen, wie Essstörungen, Zwangsstörungen, Erschöpfungssyndrom (Burnout) oder gar Depressionen. Perfektionismus führt oft zum Tunnelblick: Egal, was Betroffene erreichen, es ist nie gut genug. Das Glück – es ist ihnen immer einen Schritt voraus. Perfektionsmus wird dann zur ewigen Jagd, die in vermindertem Selbstvertrauen mündet. Oder sie sorgt dafür, dass wir uns an Erreichtem nicht mehr erfreuen können. Stattdessen sehen wir nur die Fehler im Detail.

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Perfektionismus hat 2 Formen

Perfektionismus hat unterschiedliche Ursachen und Ausprägungen. Laut der Koblenzer Perfektionismus-Expertin Christine Altstötter-Gleich wäre es ein Fehler, den Wunsch nach hoher Qualität, Präzision und Perfektion pauschal zu verteufeln. Stattdessen braucht es einen differenzierteren Blick auf die Eigenschaft: Es gibt gute Perfektion – und schlechte…

Schlechte Perfektion (Dysfunktionaler Perfektionismus)

Ursache für eine „neurotische Perfektionssucht“ (Altstötter-Gleich) ist das unerfüllte Verlangen nach Beachtung oder Beifall, der Wunsch nach mehr Kontrolle und der Versuch, sich vor Schimpf und Schande zu schützen. Das ist allerdings so zielführend wie zwei Tage im Kreisverkehr. Diese Perfektionisten sind oft willensstarke Menschen mit harter Schale aber äußerst sensiblem Kern. Sie geben stets ihr Bestes – aber aus den falschen, extrinsischen Motiven. So entsteht eine Abwärtsspirale aus Streben, Stress und Scheitern.

Gute Perfektion (Funktionaler Perfektionismus)

Im Gegensatz zur negativen Perfektion ist diese Form nach innen gerichtet. Dort hat sie auch ihre Ursache: Diese Perfektionisten legen an sich selbst hohe Maßstäbe und Ansprüche und versuchen jedes Mal die Latte ein bisschen höher zu legen. Nicht für andere, sondern um selbst daran zu wachsen, daraus zu lernen, sich weiterzuentwickeln und jeden Tag ein bisschen besser zu sein als gestern. Funktionaler Perfektionismus bemüht sich um Bestleistungen, strebt ein Idealbild an, kann aber auch mit Misserfolgen leben und empfindet Stolz über bereits Erreichtes.

Viele erfolgreiche Menschen zeichnen sich durch diesen Perfektionismus aus. Sie streben nach Leistung, Karriere und Erfolg, machen aber auch viele Fehler – eben weil sie mehr machen als andere. Ein Irrtum ist für sie nichts Schlimmes, sondern ein Lehrer. Denken Sie an den IBM-Gründer Tom Watson: Als einer seiner Mitarbeiter einen schweren Fehler beging, kostete der das Unternehmen 600.000 Dollar. Daraufhin fragte man Watson, ob er den Mitarbeiter nicht feuern wolle, was Watson vehement verneinte. Er sagte nur: „Ich habe gerade 600.000 Dollar in seine Ausbildung investiert. Warum sollte jemand anderes dieses Know-how gratis bekommen?“

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Perfektionismus Ursachen

Perfektionismus hat seinen Ursprung häufig in der Kindheit und entsteht durch Prägung zu wichtigen Bezugspersonen (Eltern, Geschwister). Lernen Kinder beispielsweise, dass Sie nur angenommen oder geliebt werden, wenn sie perfekt sind, entwickeln sie schon früh perfektionistische Ansprüche. Dasselbe kann aber auch bei komplett fehlenden Strukturen in der Familie passieren. Der Perfektionismus soll dann die fehlende Kontrolle schaffen.

Ebenso kann der Perfektionismus seinen Ursprung in der Persönlichkeit und im Temperament haben. Oder er kann aus einem zwanghaften Verhalten entstehen. So wird selbst aus gutem Perfektionismus ein Krampf, wenn diese Menschen spüren, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden, nicht zu genügen. Dann entwickelt sich eine sogenannte Perfektionismusfalle.

Anzeichen und Symptome einer Perfektionismusfalle

  1. Perfektionisten setzen ihre Leistungen und Erfolge mit ihrem Selbstwert gleich und betreiben deshalb permanente Selbstoptimierung. Im Extrem aber kann das zu einer narzisstischen Selbstverwirklichung mutieren.
  2. Perfektionisten denken in Schwarz-Weiß-Kategorien. Wer nicht perfekt ist, nicht alles richtig macht, wird automatisch zum Verlierer. Bei dieser Sicht erhalten menschliche Fehler aber ein zu großes Gewicht. Mit solchen Menschen im Job zusammenzuarbeiten, kann die Hölle sein. Schließlich gehen sie nicht nur mit sich selbst so hart ins Gericht.

Dass es auch anders funktionieren kann, zeigt ein Blick gen Osten: In Japan zum Beispiel weiß man die Segnungen des „Wabi-Sabi“ und „Kintsugi“ zu schätzen – der Kunst, Schwächen zu akzeptieren und die Schönheit im Unvollkommenen zu finden.

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Perfektionismus Gefahren + Risiken

Das Streben nach Perfektion kann natürlich auch eine Ausrede sein. Es wird Geschäftigkeit und Gewissenhaftigkeit vorgetäuscht – in Wahrheit aber werden riskante oder lästige Aufgaben aufgeschoben (siehe: Prokrastination). Lieber doktern wir an unwichtigen Macken und Details herum, statt anzufangen und zu machen. Hätte, würde, sollte, könnte… Sie kennen das.

Perfektionismus Ausbrueten Ei Anfangen Grafik

Übertriebener und dysfunktionaler Perfektionismus hat jedoch zahlreiche Nachteile und Risiken, die sich Perfektionisten bewusst machen sollten:

  • Perfektionisten halten sich für faul

    Viele Perfektionisten sind Arbeitstiere. Trotzdem haben sie ein schlechtes Bild von sich und ihrer Arbeitsleistung. Nicht wenige unterstellen sich Faulheit, wenn Aufgaben länger dauern als erwartet.

  • Perfektionisten neigen zur Selbstausbeutung

    Überstunden machen – und danach die restliche Arbeit mit nach Hause nehmen, um dort weiterzuarbeiten? Sowas passiert Perfektionisten regelmäßig. Betroffene scheuen nicht davor zurück, über ihre Belastungsgrenzen zu gehen, um Mängel zu vermeiden. Wird das chronisch, sind negative Folgen für die Gesundheit programmiert.

  • Perfektionisten strampeln im Hamsterrad

    Höher, weiter, schneller – das Streben nach Superlativen ist ein perfekter Weg ins Hamsterrad. Ganz oft versuchen Perfektionisten Menschen zu gefallen, die ihnen egal sein könnten und sollten. So geben Sie anderen Macht über sich und ihren Selbstwert.

  • Perfektionisten tun sich schwer mit Kritik

    Der größte Kritiker eines Perfektionisten, ist er selbst. Betroffene hinterfragen alles, was sie tun und verbessern sich ständig. Dadurch fällt es ihnen noch schwerer, Kritik anzunehmen. Es wäre einer, der ihnen selbst entgangen ist. Schlimm!

  • Perfektionisten nehmen alles persönlich

    Sachliche Kritik an einer Aufgabe oder scherzhaftes Frotzeln – gibt es bei Perfektionisten nicht. Ihre latente Unsicherheit lässt sie jeden Kommentar persönlich nehmen. Als Abwehrreaktion sehen sich die Perfektionisten in ihrem Streben bestätigt und gehen künftig noch akribischer vor, um Kritik zu vermeiden.

  • Perfektionisten können sich schwer in Teams einfügen

    Im Team müssen alle mal Kompromisse eingehen. Einem Perfektionisten fällt das aber schwer. Abstriche zu machen, hieße nicht perfekt zu sein. Die Arbeit der Kollegen ist zudem selten vollkommen, deshalb würden sie das Projekt am liebsten alleine in die Hand nehmen.

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Perfektionismus Test: Wie perfektionistisch sind Sie?

Kamen Ihnen die obigen Beschreibungen bekannt vor? Eigener Perfektionismus kann offensichtlich sein. Viele Perfektionisten sind allerdings auch Meister darin, sich etwas vorzumachen. Machen Sie deshalb den folgenden, einfachen Perfektionismus Test. Der erhebt zwar keinen wissenschaftlichen Anspruch, hilft aber, das Selbstbild zu schärfen. Haken Sie gleich hier online im Browser an, welchen Aussagen Sie zustimmen. Anschließend zählen Sie die das Ergebnis zusammen…

  • Ich liebe Details und versuche jede Eventualität zu beachten.
  • Wenn mir ein Fehler auffällt, muss ich diesen sofort beheben.
  • Ich weise andere gerne darauf hin, wenn ihnen ein Fehler unterläuft.
  • Ich mache Überstunden, wenn meine Aufgaben nicht rechtzeitig fertig sind.
  • Ich erwarte von mir zu jeder Zeit Bestleistungen.
  • Ich kann nicht verstehen, wie sich jemand mit weniger zufrieden geben kann.
  • Von meinen Kollegen erwarte ich ein ebenso hohes Maß an Einsatz.
  • Ich habe immer das Gefühl, noch besser sein zu können.
  • Bevor ich anfange, brauche ich einen genauen Plan.
  • Ich habe oft das Gefühl, Anforderungen nicht gerecht werden zu können.
  • Der Druck macht mir zu schaffen und ich fühle mich erschöpft.
  • Mein Selbstwertgefühl ist von meinen Leistungen abhängig.
  • Ich vergleiche mich selbst ständig mit anderen.
  • Mit Kritik kann ich schlecht umgehen und nehme sie persönlich.
  • Ich habe Angst, Fehler zu machen.

Perfektionismus Test: Die Auswertung

0 bis 5 Mal zugestimmt

Perfektionismus ist für Sie kein Problem. Sie haben erkannt, dass Perfektion nicht immer erstrebenswert ist und auch negative Effekte haben kann. Diese Erkenntnis erspart Ihnen viel Stress. Sie sollten nur nicht auf der anderen Seite vom Pferd fallen und schlampig werden: Ein gewisser Perfektionismus bei wichtigen Aufgaben hat seinen Nutzen.

6 bis 11 Mal zugestimmt

Perfekt! – Sie haben ein ausgeglichenes Verhältnis zum Perfektionismus. In den richtigen Situationen sind Sie bereit, 100 Prozent zu liefern oder einzufordern. Auf der anderen Seite wissen Sie, dass nicht jedes Ergebnis perfekt sein kann oder muss. So können Sie sich auch mit guten Ergebnissen zufrieden geben.

Mehr als 12 Mal zugestimmt

Bei Ihnen hat der Perfektionismus einen Punkt erreicht, an dem er ungesund wird. Sie machen Ihr Glück und Wohlbefinden von Ihren Leistungen und Ergebnissen abhängig und setzen sich dabei zu stark unter Druck. Gehen Sie mit sich selbst weniger hart ins Gericht. Versuchen Sie zu akzeptieren, dass Fehler dazugehören und Fragen Sie andere um Hilfe. Dies ist kein Zeichen der Schwäche, sondern zeigt wahre Größe.

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Perfektionismus ablegen: 9 Tipps wie Sie ihn überwinden

Ein wichtiger Schritt aus der Perfektionismusfalle ist, zu erkennen, dass die Erwartungen (an sich oder andere) unrealistisch hoch oder unzumutbar sind. Perfektionisten, die versuchen vorrangig Pannen zu vermeiden, werden zunehmend risikoaverser und kontrollsüchtiger – bis sie nur noch auf der Stelle treten. Fünfe auch mal gerade sein zu lassen, zeugt von mehr Souveränität und bringt Sie weiter. Die britische Sängerin Mel C („Spice Girls“) sagte mal von sich: „Ich war nie mit mir zufrieden, nichts erschien mir gut genug. Ich wollte immer perfekt sein. Am Schluss blieb mir nur der Gang zum Therapeuten.“

Mängel können den Horizont sogar erweitern: Ohne (Navigations-)Fehler hätte Christoph Kolumbus nie Amerika entdeckt. Viele Entdecker und Erfinder zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie Fehler machten, experimentierten und improvisierten. Etwas Imperfektion spart Kraft und viel Zeit.

9 Wege aus der Perfektionismusfalle

  1. Behalten Sie das Große Ganze im Auge

    Viele Perfektionisten verzetteln sich in Details. Effekt: Das Projekt dauert länger als es sollte und die Sache wächst ihnen schließlich über den Kopf. Detailliebe führt nur zu einem Tunnelblick.

  2. Seien Sie gnädig mit sich selbst

    Hören Sie auf, sich selbst zu zerfleischen, wenn etwas mal nicht geklappt hat wie geplant. Laborieren Sie nicht an dem, was Sie eh nicht können, sondern stärken Sie lieber Ihre Stärken. Chronische Selbstzweifel ziehen nur runter und machen Sie mit jedem Mal unsicherer. Minderwertigkeitskomplexe beginnen so.

  3. Hören Sie auf, sich mit anderen zu vergleichen

    Jeder kann etwas – und manche eben etwas besser als andere. Talente sind nunmal ungleich verteilt. Ihre Aufgabe ist aber nicht, für Gerechtigkeit zu sorgen, sondern das Beste aus Ihren eigenen Begabungen zu machen. Das reicht doch schon, oder?!

  4. Setzen Sie realistische Erwartungen

    Kein Mensch wird von Ihnen Wunder erwarten. Warum also Sie? Es reicht, dass Sie versuchen, Ihre Sache gut zu machen. Oft reichen bereits 80 Prozent vom Optimum völlig aus, um sein Ziel zu erreichen. Die Gefahr ist sonst, wichtige Entscheidungen immer wieder aufschieben, bis alles so ist, wie man es gern hätte. Und das passiert nie oder der Zug ist längst abgefahren.

  5. Rechnen Sie damit, Fehler zu machen

    Nullfehlertoleranz können sich allenfalls Götter leisten. Deutsche Ingenieure vielleicht auch noch. Aber der Rest von uns muss damit leben, Fehler zu machen. Mehr noch: Aus Fehlern lernen wir oft mehr als aus Erfolgen. Sehen Sie sie also nicht als Feind, sondern als Chance.

  6. Lernen Sie, mit Kritik umzugehen

    Es ist ein Irrglaube, dass Perfektion vor Kritik schützt. Es allen recht machen zu wollen, wirkt wie Nervengift: Erst vernebelt es, dann lähmt es. Wer es versucht, wird sich zwangsläufig verzetteln, verliert sein Ziel aus den Augen und opfert obendrein sein Rückgrat. Wer sich jedem Widerstand beugt, besitzt weder Standfestigkeit noch Durchsetzungskraft. So jemand wird andere nie anleiten: Er wird bereits geführt – von allen!

  7. Bitten Sie um Hilfe

    Keiner kann alles alleine schaffen. Es ist sogar ein Zeichen von Größe, seine eigenen Schwächen einzugestehen und an jenen Punkten um Hilfe zu bitten.

  8. Analysieren Sie weniger

    Man kann Probleme auch überanalysieren. Auch das ist eine Form von Detailversessenheit. Oder eine Form von Aufschieberitis: Aus Angst loslegen zu müssen und dann womöglich Fehler zu machen, wird einfach weiter analysiert. Nichts gegen gute Planung. Aber betrügen Sie sich dabei nicht selbst!

  9. Machen Sie es einfach

    Den Satz dürfen Sie in seiner doppelten Bedeutung wörtlich nehmen: Legen Sie endlich los – und verkomplizieren Sie die Dinge nicht unnötig.

Perfektionismus begünstigt Workaholismus

Leidenschaft und Engagement im Beruf sind essenziell für den Erfolg. Ebenso der Ehrgeiz, Großes zu bewegen und zu erreichen. Wie immer macht auch hier die Dosis das Gift: Wer es übertreibt, entwickelt bald ungesunden Workaholismus (deutsch: Arbeitswut).

Bitte nicht auf die leichte Schulter nehmen: Menschen, die an Workaholismus leiden, arbeiten nicht einfach nur besonders viel oder hart. Sie sind nicht in der Lage, ihre Arbeit zu beenden – weder physisch noch mental. Einen echten Feierabend kennen sie nicht. Die Arbeit ist nicht Teil ihres Lebens, sie IST ihr Leben! Forscher um Joachim Stoeber von der Universität Kent haben herausgefunden Perfektionismus fördert das noch. Vor allem „selbstorientierte“ Perfektionisten – Menschen, die an sich und ihre Arbeit höchste Maßstäbe setzen – zeigen maximale Gefährdung.