Kintsugi Definition: Was versteckt sich dahinter?
Kintsugi stammt aus dem Japanischen und bedeutet so viel wie Goldverbindung, Goldreparatur. Es bezeichnet eine spezielle Methode zur Reparatur von Keramik oder Porzellan.
Aus der Übersetzung wird bereits deutlich, womit diese bewerkstelligt wird, nämlich mit dem Edelmetall Gold. Dazu werden die Scherben mit Urushi-Lack geklebt, fehlende Stücke mit mehreren Lagen Urushi-Lack ergänzt. In diese Masse wird das Edelmetall Gold oder wahlweise auch Silber beziehungsweise Platin, eingefügt.
Im Endeffekt entsteht so ein neues Gefäß, das in der Gestaltung nah am Ursprung ist und dennoch etwas Neues darstellt. Durch die Vorgehensweise beim Kintsugi werden die vermeintlichen Makel nicht ausgebügelt und versteckt, so dass man anschließend glauben könnte, man habe ein völlig intaktes Gefäß in der Hand.
Kintsugi betont die ehemaligen Bruchstellen vielmehr, wertet jedoch durch den Zusatz von Edelmetallen das Gefäß auf. Bevor die Philosophie von Kintsugi verständlich ist, müssen wir erläutern, was es mit Schönheit auf sich hat.
Kintsugi Geschichte: Schöne und hässliche Reparaturen
Es geht die Geschichte, dass Kintsugi letztlich der Unzufriedenheit des japanischen Shoguns Ashikaga Yoshimasa entsprungen sei. So schickte er im späten 15. Jahrhundert seine beschädigte Lieblingsteeschale zur Reparatur nach China. Als sie zurückkam, war sie mit hässlichen Klammern repariert worden.
Dies sollen japanische Handwerker zum Anlass genommen haben, einen schöneren Weg der Reparatur zu finden – was in Kintsugi resultierte. Das wiederum fanden fortan viele Sammler so schön, dass sie absichtlich Porzellan zerbrachen, um an die goldenen Ziernähte durch Kintsugi zu kommen.
Kintsugi Philosophie: Das Abweichende ist schön
Wenn es um Ästhetik und um Schönheit geht, dann wird das Glatte, das Makellose bevorzugt. Seien es irgendwelche Model-Castingshows, seien es Zeitungscover: Das jugendliche, faltenlose Gesicht muss es sein. Aber das reicht nicht: Formvollendete Symmetrie ist ein Muss.
Das verwundert auch gar nicht: Symmetrie wird als schön empfunden. Und das war schon immer so. Klar, gibt es auch Gemälde, die alte hutzelige Menschen zeigen. Die Regel ist das aber nicht. Und Staunen und Begeisterung rufen eher die anderen hervor – badende Nymphen, die Venus von Botticelli oder da Vincis Mona Lisa.
Makelosigkeit bedeutet neu, unbenutzt, intakt. Niemand käme auf die Idee, kaputte Gläser zu kaufen und bei den heutigen Preisen für viele Gebrauchsgüter lohnen sich Reparaturen kaum noch. Statt etwas zu flicken, stopfen oder kleben, wird der Gegenstand direkt ersetzt.
Denn selbst wenn ein Gegenstand durch eine Reparatur erneut benutzbar würde, so wird er als unschön empfunden. Er verliert an Wert, weil eine ehemalige Bruchkante erkennbar ist. Anders beim Kintsugi. Diese Methode entwickelte sich im Japan des 16. Jahrhunderts.
Während einerseits Wert gelegt wurde auf formvollendete Teezeremonien, entstand unter dem Einfluss des Zen-Buddhismus eine neue Vorstellung von Ästhetik, genannt Wabi Sabi. Diese japanische Philosophie begrüßt ausdrücklich das Beschädigte, Vergängliche, Mangelhafte.
Vor diesem Hintergrund wird das Herausheben von Brüchen und Reparaturen durch Kintsugi als ein normaler Vorgang in der Existenz eines Objekts gesehen. Nur weil die ursprüngliche Gestaltung aufgrund eines Schadens ergänzt wird, bedeutet dies nicht das Ende des Gebrauchs.
Ganz im Gegenteil: Eine zerbrochene Teeschale erlangt durch Kintsugi einen neuen Wert, sie wird zum Unikat. Dies kommt einer anderen japanischen philosophischen Strömung nahe, dem Mushin. Hier existieren buddhistische Vorstellungen von Nicht-Bindung, anders gesagt: Stetiger Wechsel wird als ein Bestandteil menschlichen Lebens begriffen.
Kintsugi übertragen aufs Berufsleben
Die Vorstellungen davon, was richtig und was schön ist, lässt sich auf nahezu alles beziehen. Beispielsweise wird in Deutschland immer noch oft der perfekte Lebenslauf erwartet. Brüche in der Berufsbiographie werden mit Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen.
Spätestens mit Mitte zwanzig hat jeder seinen Platz im Berufsleben gefunden zu haben und spätere Richtungswechsel sind eigentlich ausgeschlossen, wenn man alles richtig gemacht hat. Das falsche Studium, der falsche Job tauchen in dieser Denke nicht auf.
Was für ein Blödsinn! Menschen verändern sich, ihre Interessen verändern sich. Sie lernen dazu. Irrtümer, falsche oder ungünstige Entscheidungen gehören dazu, das macht menschliches Leben aus und formt einen Menschen zu dem, was er nun ist.
Gott sei Dank erkennen das immer mehr Unternehmen und sehen einen Bewerber mit ungeradem Lebenslauf nicht als jemanden, der nicht weiß, was er will, sondern als vielseitig Interessierten, der eine Bereicherung fürs Unternehmen darstellt.
Denn dafür ist Kintsugi ein Symbol: Für eine Bereicherung, es wurde mit wertvollem „Input“ angereichert. Ganz so wie eine Person, die sich zum Beispiel nach einem Studienfachwechsel oder gar Studienabbruch für etwas anderes entscheidet.
Kintsugi selber machen: Aufwertung durch Makel
Der Gedanke, dass in alten, benutzten Gegenständen ein besonderer Charme steckt, ist natürlich auch in westlichen Zivilisationen nicht neu. Ganz abgesehen davon, dass Sie sogar ein Kintsugi Set kaufen und nach Anleitung Ihr eigenes Kintsugi-Porzellan gestalten können, wird seit Jahrzehnten immer wieder mit dem Makel kokettiert.
Zu erkennen ist das beispielsweise in der Mode: Seit einigen Jahren feiern Jeans mit Whiskering oder Jeans im Distressed-Stil wieder fröhlich ihr Comeback. Auch wenn es für Büro-Dresscodes eher ausgeschlossen ist: Diese Hosen, die alles andere als neu aussehen, sondern sogar extra „beschädigt“ werden, sind sehr beliebt.
Kintsugi lässt sich auch im Einrichtungsstil des Shabby Chic beziehungsweise des Vintage Looks wiederentdecken: Flohmarktmöbel, Erbstücke und allgemein Gegenstände, deren Gebrauchsspuren mehr als deutlich erkennbar sind, erfreuen sich großer Beliebtheit.
Denn ganz gleich, ob tatsächlich alt oder auf alt getrimmt: Diese Gegenstände erzählen eine Geschichte. Allein die Vorstellung, was sie erlebt haben könnten, wovon sie berichten würden, wenn sie erzählen könnten, inspiriert Menschen.
Fehler sind Teil der Biographie
Wie im Kintsugi, wie auf Gegenstände bezogen, sollten Fehler auch Menschen zugestanden werden. Statt sich für ein grandios gescheitertes Projekt in Grund und Boden schämen zu müssen, kann Kintsugi dabei helfen, Niederlagen als normale Episoden und vor allem Bestandteile des Berufs- als auch Privatlebens zu sehen.
Eine gescheiterte Ehe mag nicht schön sein, aber nur schlecht wird die Beziehung auch nicht gewesen sein. Vor allem: Wenn Sie sich eine ehemals zerbrochene und nun reparierte Schale sinnbildlich vor Augen halten: Intakte Schalen wie diese gibt es wie Sand am Meer.
Die goldenen Kintsugi-Ziernähte sind in dieser Form jedoch einzigartig. So wie Sie als Person mit Ihren Erfahrungen. Jemand anderer mag den gleichen Abschluss haben wie Sie, die gleiche Position. Aber es sind prägende (oder auch traumatische) Erlebnisse, die Ihre Persönlichkeit formen.
Wie Sie damit umgehen, sie beispielsweise als ein Teil von sich akzeptieren und versuchen daraus zu lernen, macht Sie aus. Insofern stärkt Kintsugi Ihre Resilienz.
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