Definition: Was ist ein situativer Führungsstil?
Der situative Führungsstil geht davon aus, dass es keinen allgemein besten Führungsstil gibt. Vielmehr sollten Chefs Ihre Führungsstile der jeweiligen Reife- und Entwicklungsstufe der Mitarbeiter anpassen. Bedeutet: Einige Mitarbeiter benötigen klare Anweisungen und exakte Vorgaben, andere vor allem Freiraum zur Eigeninitiative und Eigenverantwortung.
Hauptaufgabe von Führungskräften und Teamleitern ist beim situativen Führungsstil, jeden Mitarbeiter nach seinen Möglichkeiten und Stärken optimal einzusetzen und individuell zu fordern und fördern.
Beispiele für situative Führung:
- Neue Mitarbeiter sind oft noch unsicher und brauchen zum Beispiel eine genaue Einweisung (siehe: Onboarding).
- Erfahrene Kollegen kennen alle Abläufe und benötigen allenfalls geeignete Tools und aktuelle Informationen, um eigenverantwortlich zu arbeiten.
- Kreative Köpfe wiederum suchen vor allem Jobs mit vielen Freiheiten und maximaler Flexibilität, in denen sie ihre Potenziale ausschöpfen können.
Situatives Führen nach Hersey & Blanchard
Die Idee der situativen Führung stammt ursprünglich von den Management-Experten Paul Hersey und Ken Blanchard. Sie veröffentlichten 1977 erstmals ihre Theorie, dass jeder Mitarbeiter nach seinem jeweiligen Reifegrad geführt werden solle. Dabei beschrieben die Autoren vier verschiedene Stufen, an denen sich Führungskräfte orientieren können. Je nach Reifegrad nimmt das Maß an Anweisungen und Unterstützung ab, während die Führungskraft mehr Verantwortung delegiert.
Die 4 Stufen des situativen Führungsstils
Nicht nur die Anforderungen an Führungskräfte sind heute vielfältig – die Mitarbeiter sind es ebenso. Ein starrer Führungsstil nimmt darauf keine Rücksicht und wird den unterschiedlichen Bedürfnissen daher nie gerecht.
Das Modell des situativen Führungsstils nach Hersey und Blanchard unterteilt das Verhalten von Vorgesetzten zunächst in zwei grundsätzliche Arten beziehungsweise Schwerpunkte:
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Aufgabenorientierung
Hierbei stehen klare Ansagen, konkrete Ziele und Erwartungen im Vordergrund. Ein aufgabenorientierter Chef macht deutlich, was und wie eine Aufgabe erledigt werden soll sowie welches Ergebnis er bis wann erwartet.
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Personenorientierung
Die Personenorientierung legt hingegen den Schwerpunkt auf die Beziehung. Dieser Chef führt durch soziale Kompetenz, hört aufmerksam zu und gibt regelmäßiges Feedback. Sein wertschätzender Stil sorgt für gute Leistungen und anhaltende Motivation.
Wann welches Verhalten angebracht ist, hängt wiederum stark von den individuellen Reifegraden der Mitarbeiter ab. Wobei Mitarbeiter in zwei Dimensionen reif oder unreif sein können: auf sachlicher Ebene (z.B. Fachkompetenz) oder persönlich-emotionaler Ebene (z.B. emotionale Intelligenz, Selbstverantwortung).
4 Stufen der situativen Führung (Hersey, Blanchard)
Die richtige und beste Mitarbeiterführung orientiert sich am Reifegrad des Mitarbeiters. Aus vier grundsätzlichen Entwicklungsstufen ergeben sich ebenso vier Strategien und Empfehlungen des situativen Führens:
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Dirigieren (geringer Reifegrad)
Fehlen dem Mitarbeiter Fachwissen und intrinsische Motivation braucht die Führungskraft eine hohe Aufgabenorientierung. Der situative Führungsstil macht klare Vorgaben und kommuniziert deutlich die Erwartungen. Unverzichtbar: die Kontrolle, ob die Leistungen erbracht wurden.
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Überzeugen (mittlerer Reifegrad)
Mit steigendem Reifegrad nimmt auch die Personenorientierung zu. Zwar bleiben die Anweisungen erhalten, hinzu kommt aber das gezielte Feedback. Mitarbeiter bekommen in dieser Phase mehr Einblicke und werden auch schon in kleinere Entscheidungen einbezogen.
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Teilhaben (höherer Reifegrad)
Wer diese Stufe erreicht, könnte zwar schon alle Aufgaben selbstständig erledigen, traut sich das aber noch nicht zu oder macht noch einige Fehler. Vorgesetzte stehen diesen Angestellten überwiegend beratend zur Seite, achten auf regelmäßigen persönlichen Kontakt und ermutigen zu mehr eigenverantwortlichem Handeln.
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Delegieren (hoher Reifegrad)
Auf der vierten und höchsten Stufe besitzen die Mitarbeiter alle erforderlichen Kompetenzen, die richtige Motivation und Arbeitsweise, um ihre Arbeit selbstständig zu erledigen. Aufgaben- und Personenorientierung sind kaum noch nötig. Umso wichtiger: Verantwortung zu delegieren und Freiräume zu schaffen.
Achtung: Der jeweilige Reifegrad eines Mitarbeiters ist kein allgemeiner, sondern immer an die spezifische Aufgabe gekoppelt. So kann zum Beispiel ein hoher Reifegrad beim Erstellen von Präsentationen vorliegen, während der Mitarbeiter im Marketing noch enorm unsicher ist.
Vor- und Nachteile des situativen Führungsstils
Auch wenn sich das alles hoch modern, fair und harmonisch anhört: Situatives Führen hat unterschiedliche Vor- und Nachteile. Hier der Überblick:
Vorteile
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Motivierte Mitarbeiter
Der situative Führungsstil setzt den einzelnen Mitarbeiter ins Zentrum. Individuelle Talente und Potenziale werden bestmöglich genutzt, Stärken gefördert und im Nebeneffekt steigen Motivation und Selbstvertrauen. Die Teammitglieder können sich optimal entfalten.
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Steigende Produktivität
Durch die individuelle Förderung der Belegschaft können sich die Mitarbeiter einzeln und in ihrem perfekten Tempo entwickeln. Niemand wird unter- oder überfordert. Das steigert die Produktivität kontinuierlich.
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Maximale Flexibilität
Das hohe Maß an Flexibilität erlaubt Führungskräften beim situativen Führungsstil auf unterschiedliche Herausforderungen im Job schnell zu reagieren – je nach Projekt und Projektteam. Das gehört heute auch zum Anforderungsprofil von modernem Management in global agierenden Unternehmen.
Nachteile
Wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Tatsächlich hat der situative Führungsstil ebenso ein paar Nachteile, die oft übersehen werden:
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Potenzielle Überforderung
Führungskräfte haben bei diesem Führungsstil nicht nur eine hohe Verantwortung für den einzelnen Mitarbeiter – er verlangt auch ihnen selbst einiges an Menschenkenntnis, Erfahrungen und Einfühlungsvermögen ab. Führungskräfte, die das noch nicht beherrschen, leiden schnell an Überförderung.
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Verunsicherte Mitarbeiter
Nicht jede(r) kommt mit wechselnden Führungsstilen zurecht. Der häufige Wechsel von enger Führung und vielen Freiheiten kann Angestellte verwirren oder völlig erratisch wirken. Das untergräbt die Autorität der Führungskraft und kann demotivieren. Als Gegengift hilft nur eine transparente Kommunikation auf allen Ebenen (Sachebene, Beziehungsebene).
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Verfehlte Ziele
Zwar lässt der situative Führungsstil eine schnelle Anpassung auf Veränderungen im Team oder bei den Aufgaben zu. Dabei können aber die langfristigen Ziele im Alltags-Kleinklein leicht untergehen. Bei aller Wohlfühlatmosphäre: Die Mitarbeiter werden optimal gefordert und gefördert – aber Unternehmen verfolgen in erster Linie einen wirtschaftlichen Zweck und Gewinnziele. Diese dürfen nicht aus dem Auge verloren werden.
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Fehlende Validität
Das situative Führen vereint zahlreiche Führungsstile und wendet diese alternativ an. Das macht es allerdings schwierig, den Erfolg des einzelnen Führungsstils oder der tatsächlichen Führungskompetenz zu überprüfen.
Fragen zur Bestimmung des Reifegrads
Überdies führt eine fehlerhafte Einschätzung des persönlichen Reifegrades zu einem falschem Führungsstil. Hierfür benötigen Führungskräfte viel Fingerspitzengefühl. Folgende Fragen können helfen, die jeweiligen Reifegrade besser einzuschätzen:
1. Welches Fachwissen besitzt der Mitarbeiter?
2. Wie einschlägig sind die beruflichen Erfahrungen?
3. Wie viel Anleitung benötigt die Mitarbeiterin?
4. Entwickelt sich der Mitarbeiter weiter?
5. Wie geht er/sie mit Fehlern und Kritik um?
6. Wie ausgeprägt sind Motivation und Verantwortung?
Welche Kompetenzen brauchen Führungskräfte für diesen Führungsstil?
Selbstkompetenzen➠ Selbstreflexion |
Sozialkompetenzen➠ Empathie |
Situativer Führungsstil und Führungsstile im Vergleich
Welcher Führungsstil ist der beste? Die optimale Mitarbeiterführung beschäftigt Managementforscher, Soziologen und Psychologen seit Jahrzehnten. Im Fokus stehen dabei unterschiedliche, teils moderne Führungsstile, wobei der situative Führungsstil eine besonders eigenständige Führungsmethode ist, die sich aus diversen Führungsstilen zusammensetzt.
Der Sozialpsychologe Kurt Lewin unterteilte zum Beispiel folgende Führungsstile:
Autoritärer Führungsstil
Den autoritären Führungsstil (auch: „Autokratischer Stil“ nach Max Weber) kennzeichnet die strikte Hierarchie: Vorgesetzte delegieren von oben, Mitarbeiter unten führen aus. Geführt wird dabei durch eindeutige Anweisungen, denen unbedingt zu folgen ist und deren Erfüllung streng kontrolliert beziehungsweise bei Nichteinhaltung bestraft wird. Vorteile sind klare Befugnisse und Kompetenzen sowie kurze Entscheidungen. Nachteile ergeben sich aus der geringen Eigeninitiative und Motivation der Mitarbeiter. Ihre Ideen bleiben unberücksichtigt. Innovationspotenzial geht verloren.
Kooperativer Führungsstil
Typisch für den kooperativen Führungsstil (auch: situativer Führungsstil oder „demokratischer Führungsstil“) ist die enge Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Eine generell offene Kommunikation und Feedbackkultur fördert die Eigeninitiative der Mitarbeiter. Ihre Vorschläge, ebenso Kritik, sind willkommen. Das erhöht zugleich ihre Selbstständigkeit und Kreativität. Die Verantwortung verteilt sich auf mehrere Schultern, sodass auch Ausfälle kurzfristig ausgeglichen werden können. Nachteile sind allerdings, dass durch die Einbindung der Mitarbeiter in die Entscheidungsprozesse diese länger dauern können. Ebenso entsteht mehr Konkurrenz unter den Angestellten.
Laissez-faire-Führungsstil
Den Laissez-faire-Führungsstil kennzeichnet ein maximaler Handlungsspielraum für die Mitarbeiter. Sie gestalten ihre Aufgaben selbst, können Ideen einbringen und selbstständig Lösungen erarbeiten. Der Vorgesetzte greift nicht ein (siehe: Holokratie). Das bedeutet gleichzeitig: Er hilft auch nicht bei Problemen oder bestraft Fehler. Der Vorteil der freien Entfaltung und Eigenständigkeit kann hierbei schnell in Planlosigkeit, Chaos und Kompetenzrangeleien oder Rivalitäten umschlagen. Teilweise kann die fehlende Führung zur Ausgrenzung Einzelner führen. Oft setzt irgendwann ein gruppendynamischer Prozess ein, bei dem Wunsch zurück zu einer klaren Führung zunimmt.
Häufige Fragen zum situativen Führungsstil
Was ist der situative Führungsstil?
Ein situativer Führungsstil vereint mehrere Führungsstile und passt diese individuell und flexibel den Mitarbeitenden und Aufgaben an. So wird für jedes Teammitglied der passende Führungsstil gefunden. Situative Führung sorgt so für eine dauerhaft hohe Motivation und ein dynamisches Arbeitsumfeld.
Warum situatives Führen?
Mitarbeiter haben unterschiedliche Stärken, Erfahrungen und Kompetenzen. Bei einem einheitlichen Führungsstil würden einige Mitarbeiter zu stark eingeschränkt und demotiviert, während andere mit zu viel Freiheit überfordert wären oder sogar klare Anweisungen und enge Führung benötigen.
Für welche Führungskräfte ist der situative Führungsstil ungeeignet?
Situativ zu führen, verlangt den Chefs einiges an Fingerspitzengefühl und Menschenkenntnis ab. Zudem benötigen Sie eine hohe Kommunikationsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Vor allem unerfahrene und junge Führungskräfte stoßen damit – ohne entsprechendes Coaching – schnell an ihre Grenzen.
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