Gerechtigkeitsempfinden: Definition, Psychologie & Beispiele

Manchmal ist das Leben einfach unfair. Die Beförderung geht nicht an den Kollegen, der sie verdient oder unverschämtes Verhalten wird nicht bestraft. In solchen Situationen meldet sich Ihr Gerechtigkeitsempfinden. Sie erkennen die Ungerechtigkeit, spüren Frust und wollen die ungleiche Behandlung nicht einfach akzeptieren. Wir erklären, was Gerechtigkeitsempfinden ist und wie der Sinn für Gerechtigkeit entsteht…

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Definition: Was ist Gerechtigkeitsempfinden?

Gerechtigkeitsempfinden ist der innere Wunsch nach Fairness und gleicher Behandlung von Menschen. Haben Sie einen starken Sinn für Gerechtigkeit, wollen Sie Ungerechtigkeit verhindern und können diesen Zustand nur schwer ertragen. Oder wie es der römische Jurist Ulpian vor fast 2.000 Jahren schon sagte:

Gerechtigkeit ist der feste und dauernde Wille, jedem sein Recht zuzuteilen.

Das Empfinden von Gerechtigkeit zeigt sich immer im Vergleich von verschiedenen Personen oder Gruppen. Unfair oder ungerecht ist es immer dann, wenn eine Seite scheinbar grundlos bevorzugt – beziehungsweise die andere benachteiligt – wird. Eine große Rolle kommen in diesem Zusammenhang Regeln zu: Aus ihnen leiten sich berechtigte Erwartungen ab.

Gerechtigkeitsempfinden in Deutschland

Das Gerechtigkeitsempfinden in Deutschland ist aktuell getrübt. Ein wachsender Teil der Bevölkerung klagt über ungerechte Verteilung von Vermögen und sieht keine oder eine zu geringe Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit. Das ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung mit fast 5.000 Teilnehmern: In Deutschland herrscht ein Gefühl der Ungerechtigkeit beim Blick auf das eigene Gehalt, aber auch zwischen verschiedenen Generationen.

Gerechtigkeitsempfinden: Synonym

Synonym zum Gerechtigkeitsempfinden sind Begriffe wie Fairness, Gerechtigkeitssinn, Gerechtigkeitsgefühl, Objektivität, Unvoreingenommenheit, Vorurteilslosigkeit oder auch Redlichkeit. Im Englischen heißt es „sense of justice“ oder nur „justice“ für die Gerechtigkeit.


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Gerechtigkeitsempfinden: Psychologie und Beispiele

Das Gerechtigkeitsempfinden ist ein wichtiges und zutiefst menschliches Bedürfnis. Gerechtigkeit ist die Grundlage und Idealbedingung für soziales Miteinander. Wollen wir mit anderen zusammen arbeiten, interagieren und leben, muss es gerecht zugehen. Wir analysieren und merken, ob es in unserem Umfeld fair ist. Ständig bewerten wir unbewusst, ob Situationen und Entscheidungen unserem Gerechtigkeitssinn entsprechen.

Wichtig für die Psychologie der Gerechtigkeit: Es gibt Unterschiede darin, was als gerecht wahrgenommen wird. Meinungen, Erfahrungen, moralische Werte sowie der eigene gesellschaftliche Status spielen eine Rolle. Was der eine als gerecht ansieht, kann für andere bereits ein hohes Maß an Ungerechtigkeit bedeuten.

Beispiele für Ungerechtigkeiten

Ungerechtigkeit gibt es überall – im Beruf, im Privatleben, beim Sport. Häufig denken wir: „Das kann doch nicht wahr sein! Das ist doch einfach ungerecht!“ Einige Beispiele:

  • Die Beförderung geht an einen Kollegen, der sie nicht verdient.
  • Arbeitgeber bezahlen für gleiche Aufgaben und Leistungen unterschiedliche Gehälter.
  • Ein Partner hat ständig Freizeit, der andere muss alle Verpflichtungen übernehmen.
  • Der Schiedsrichter trifft eine folgenschwere Fehlentscheidung.
  • Menschen werden aufgrund einzelner Merkmale schlechter behandelt (Sexismus, Rassismus…)
  • Anerkennung und Belohnung gehen an eine falsche Person, die nichts damit zu tun hat.

Ungerecht ist es, wenn Menschen ungleich behandelt werden. Oder wenn jemand etwas bekommt, das ihm nicht zusteht – beziehungsweise wenn jemand etwas nicht bekommt, auf das er eigentlich einen Anspruch hätte.

Equity-Theorie zum Gerechtigkeitsempfinden

Der amerikanische Sozialpsychologe John Stacey Adams entwickelte die Equity-Theorie (auch Gleichheits- oder Billigkeitstheorie). Der Grundgedanke: Menschen bringen in sozialen Austauschsituationen nur dann Leistung (Input), wenn sie über kurz oder lang eine entsprechende Gegenleistung (Outcome) erhalten. Bei diesem Austausch erwarten wir Gerechtigkeit. Bei gleichen Voraussetzungen (Einsatz) muss im Vergleich zu anderen die gleiche Belohnung herauskommen.

Die Theorie bezieht sich nicht nur auf den Job und Leistung. Sie gilt im übertragenen Sinne für alles, was eine Person in einer Tauschbeziehung als wichtig empfindet. Zum Beispiel:

Der Ertrag (Outcome) aus diesem Tauschgeschäft kann alles sein, was die Person als angemessene Gegenleistung empfindet:


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Gerechtigkeitsempfinden bei Kindern

Bisher ist unklar, ob das Gerechtigkeitsempfinden angeboren und genetisch bedingt ist. Fest steht aber: Der Gerechtigkeitssinn entwickelt sich in der Kindheit. Kinder lernen vor allem von den Eltern und orientieren sich an wichtigen Bezugspersonen. Sie vergleichen sich mit anderen, hinterfragen Entscheidungen und orientieren sich so, was gerecht ist und was nicht.

Dieser Prozess beginnt bereits in jungen Jahren. Eine Studie der Psychologen Jessica Sommerville und Marco Schmidt zeigte: Kinder haben bereits im Alter von 15 Monaten ein Empfinden für gerechtes Teilen und selbstloses Handeln. Schon mit 2-3 Jahren setzen sich Kinder dafür ein, dass jeder gleich viel erhält – besonders stark, wenn sie befürchten müssen, selbst weniger zu bekommen.

Mehr Gerechtigkeit für andere mit steigendem Alter

Je älter Kinder werden, desto stärker wird das Gerechtigkeitsempfinden auch für andere. Im Alter von 4-5 Jahren erkennen Kinder, wenn andere weniger haben und sind zunehmend bereit, freiwillig und aus eigenem Antrieb heraus selbst etwas abzugeben. Sie nehmen vorherrschende Ungerechtigkeit wahr und versuchen, diese zu beheben.

Einen Rückschritt macht diese Entwicklung im Alter von etwa 12-14 Jahren. Hier sind Kinder plötzlich wieder stärker auf den eigenen Vorteil bedacht und handeln egoistischer. Grund hierfür sind vermutlich die Pubertät und die damit verbundenen Veränderungen.

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Was tun bei Ungerechtigkeit?

Wenn Sie Ungerechtigkeit erleben oder selbst davon betroffen sind, bleibt die Frage: Was können Sie tun? Falsch ist es in jedem Fall, selbst mit unfairem Verhalten zu reagieren. Das führt nur in eine Abwärtsspirale und eskaliert den Konflikt. Besser sind diese drei Schritte:

  • Analysieren Sie die Situation

    Zunächst müssen Sie die Situation möglichst genau analysieren. Es ist leicht, sich ungerecht behandelt zu fühlen – doch nicht immer ist es die Wahrheit. Vielleicht kennen Sie nicht alle Fakten und eine Entscheidung ist gerechter, als Sie es glauben. Ihr Gerechtigkeitsempfinden sollte nicht vorschnell urteilen, bevor Sie sich ein umfangreiches Bild gemacht haben.

  • Suchen Sie das Gespräch

    Ein offenes Gespräch mit allen Beteiligten schafft Klarheit. Sie erhalten Informationen, können Gründe für das Handeln nachvollziehen und verschiedene Standpunkte erfahren. Dabei geht es nicht um Vorwürfe, sondern besseres Verständnis.

  • Schlagen Sie eine Lösung vor

    Liegt wirklich eine Ungerechtigkeit vor, sollten Sie nach einer Lösung suchen. Ist die Bezahlung wirklich ungerecht, kann eine Anpassung der Gehaltsstrukturen das Problem lösen. Es gilt aber auch: Nicht immer ist das möglich. Auch wenn es unfair ist, müssen Sie sich mit manchen Ungerechtigkeiten abfinden.


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