Bedeutung: Andere warten lassen
Umgangssprachlich gibt es zwei Bedeutungen von „warten lassen“:
- Jemanden warten lassen = intransitiv: Zeit verstreichen lassen
- Etwas warten lassen = transitiv: technische Geräte überprüfen
Uns geht es in diesem Artikel um Ersteres: Zum Beispiel einen Anruf am Telefon nicht sofort annehmen, eine neue E-Mail nicht unmittelbar bearbeiten und beantworten oder nicht gleich aufspringen, wenn wir gerufen werden.
Nach klassischen Knigge- und Benimmregeln empfinden die meisten ein solches Verhalten als grob unhöflich. Dahinter stecken allerdings noch weitere psychologische Effekte…
Warum wir andere nur ungern warten lassen
Angenommen, Sie sind gerade intensiv beschäftigt – so richtig vertieft in eine Aufgabe und im Flow. Dann klingelt das Telefon oder der Posteingang… Was machen Sie?
Nicht wenige unterbrechen ihre Arbeit, lassen alles stehen und liegen und reagieren – im Wortsinn. Wie ein Pawlowscher Hund. Aber warum?
- Angst, etwas zu verpassen
Gerade bei E-Mails oder Nachrichten aus sozialen Netzwerken wirkt der psychologische Effekt der FOMO – der „Fear Of Missing Out“, der Angst, etwas zu verpassen. Womöglich passiert gerade etwas ganz Großartiges – und wir sind nicht dabei! - Willkommene Abwechslung
Manchmal kommen wir mit einer Aufgabe partout nicht weiter oder die Konzentration lässt bereits merklich nach. Dann sehen wir in der Unterbrechung eine willkommene Ablenkung und Chance zum Prokrastinieren. - Multitasking Illusion
Manche meinen immer noch, sie könnten mehrere Dinge gleichzeitig erledigen. Doch Multitasking ist eine gefährliche Illusion. Studien zeigen: Es führt zu schlechteren Leistungen – der IQ sinkt dabei auf das Niveau eines 8-Jährigen.
Kurzum: Zum Unterbrechen gehören immer zwei – einer, der es versucht und einer, der sich unterbrechen lässt. Und mit Höflichkeit hat das nicht immer etwas zu tun. Dafür schadet es uns umso mehr…
Lesetipp: Die Psychologie der Warteschlange
Warum Sie andere auch mal warten lassen sollten
Wer auf alles nur reagiert, lässt sich de facto fremdsteuern. Und mal ehrlich: Ist die E-Mail wirklich so dringend? Wird der Anrufer es nicht nochmal versuchen, wenn es wirklich wichtig war? Tatsächlich sprechen einige gute Gründe dafür, andere Menschen auch mal warten zu lassen:
Sie setzen Prioritäten
Ihre Bedürfnisse sind genauso wichtig wie die der anderen. Natürlich sollen Sie auch weiterhin pünktlich sein oder Zusagen einhalten. Aber manchmal müssen Sie Grenzen setzen und Ihren Prioritäten treu bleiben: Ihre Aufgabe hat jetzt 100% Vorrang!
Sie reduzieren Stress
Ständige Erreichbarkeit ist einer der größten Stressfaktoren im Job und Privatleben. Sie sorgt dafür, dass wir kaum noch zur Ruhe finden und uns erholen. Andere können durchaus lernen, dass es Zeiten gibt, in denen wir nicht zu erreichen sind. Solche Sprechzeiten sind gerade für Selbstständige wichtig.
Sie steigern Leistungen
Wissen Sie, was Sie eine Unterbrechung kostet? Wissenschaftler haben herausgefunden, dass es bis zu 11 Minuten dauert, bis Sie in die alte Aufgabe zurückgefunden haben. Wer erstmal erledigt und zuende bringt, was er oder sie angefangen hat, steigert seine Produktivität erheblich (siehe auch: Batching).
Sie lassen sich nicht ausnutzen
Hilfsbereitschaft ist nobel. Doch wer anderen seine Hilfe immer und allzu leicht zukommenlässt, riskiert, ausgenutzt zu werden. Mehr noch: Betroffene sinken im Ansehen und verlieren Respekt, Motto: „Mit dem kann man es ja machen!“
Warten lassen ist Selbstschutz
Seine Reaktion hinauszuzögern und andere auch mal warten zu lassen, kann daher auch eine Form von Selbstschutz sein. Überdies ist es eine wirkungsvolle Machtstrategie und -demonstration, die manche Chef im Meeting gerne zeigen: Wer andere warten lassen kann, muss wichtig sein!
Bitte nicht falsch verstehen: Das ist kein Plädoyer für Arroganz, sondern eines für gesunden (!) Egoismus: In manchen Situationen cool zu bleiben und Gelassenheit zu beweisen, ist schließlich auch eine Tugend.
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