Gestammelte Werke: Viel reden, nichts sagen
Wohl keine Stammelrede ist legendärer als die des damaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber über den Bau des Transrapids in München (was dann auch nicht kam). Hier der O-Ton (Achtung: Fremdschäm-Gefahr):
Wenn Sie … vom Hauptbahnhof in München … mit zehn Minuten … ohne, dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen … am … am Hauptbahnhof in München starten Sie Ihren Flug. Zehn Minuten … Schauen Sie sich mal die großen Flughäfen an, wenn Sie in Heathrow in London oder sonst wo, meine sehr … äh, Charles de Gaulle in Frankreich oder in … in … in Rom. Wenn Sie sich mal die Entfernungen ansehen, wenn Sie Frankfurt sich ansehen, dann werden Sie feststellen, dass zehn Minuten … Sie jederzeit locker in Frankfurt brauchen, um ihr Gate zu finden. Wenn Sie vom Flug … vom … vom Hauptbahnhof starten – Sie steigen in den Hauptbahnhof ein, Sie fahren mit dem Transrapid in zehn Minuten an den Flughafen in … an den Flughafen Franz Josef Strauß. Dann starten Sie praktisch hier am Hauptbahnhof in München. Das bedeutet natürlich, dass der Hauptbahnhof … im Grunde genommen näher an Bayern … an die bayerischen Städte heranwächst, weil das ja klar ist, weil auf dem Hauptbahnhof viele Linien aus Bayern zusammenlaufen.
Ungefähr so mag sich mancher Callcenter-Agent fühlen, wenn ihm ein Kunde sein Problem erklärt oder wir uns bei der nächsten Projektpräsentation des geschätzten Kollegen.
Zuhören kann auch wehtun.
Was tun?
Spontan fallen den meisten wohl diese drei klassischen Lösungen ein:
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Unterbrechen
Sie fallen demjenigen ins Wort, und machen dem Unfug per Frage, aber wenig subtil ein Ende: „Was genau wollen Sie mir/uns damit jetzt eigentlich sagen?“
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Ironie
Manche reagieren auch mit Sarkasmus und fragen im ironischen Unterton: „Das habe ich leider immer noch nicht verstanden. Könnten Sie das bitte in voller Länge wiederholen?“ Der Haken: Der Schuss geht in voller Länge nach hinten los, wenn Ihr Gegenüber Ironie nicht versteht.
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Aussitzen
Und stumm weiterleiden.
Die ersten beiden Varianten können zielführend sein, belasten aber die Beziehung und Ihr Image erheblich.
Die letzte Alternative belastet vor allem Sie selbst und Ihre Nerven.
Zum Glück gibt es noch einen anderen Weg…
Richtig unterbrechen: Mit der freundlichen Bitte um Klartext
Zunächst einmal gilt es zu unterscheiden, welchen Typ Mensch man vor sich (oder am Telefon) hat:
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Einen Vielredner?
Also jemanden, der sich einfach nur gerne erzählen hört und deshalb nie zum Punkt kommt.
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Einen Wirrkopf?
Also jemanden, der laut nachdenkt und einfach nur unkonkretes und kompliziertes Zeug redet, weil er selbst noch nicht genau weiß, was er oder sie sagen will.
Typ 1 nimmt Ihnen tendenziell übel, dass Sie ihm seine Airtime klauen.
Typ 2 ist für verbale Hilfestellungen hingegen oft dankbar – vorausgesetzt, er verliert dabei nicht sein Gesicht.
Und genau das ist die Kunst: den Redefluss zu unterbrechen, ohne Ihr Gegenüber bloßzustellen, besser: ihn dabei noch glänzen lassen.
Zum Beispiel so:
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Verunsichern
Narzisstische Vielredner lassen sich meist schon durch gezielte Verunsicherung ausbremsen, vor allem nonverbal: Schauen Sie ihm kritisch fragend in die Augen, ziehen Sie die Augenbrauen hoch oder in besonders hartnäckigen Fällen: Zücken Sie Ihr Smartphone und beschäftigen Sie sich damit.
Die meisten Permapräsenter kommen dadurch ins Stocken, machen eine Pause – und genau die lässt sich nutzen: mit Lob. „Das war soweit schon mal sehr informativ. Ich halte also fest, dass…“
Durch die wiederholende Zusammenfassung zeigen Sie, was angekommen ist und bringt den Redeschwall selbst auf den Punkt, seinen Punkt. Wichtig ist, sich dabei jeden sarkastischen Unterton zu verkneifen, sondern unbedingt konstruktiv zu wirken. Der Vielredner soll immer noch wie der Held und Impulsgeber aussehen. -
Fragen
In Meetings lassen sich Vielredner und Stammler auch dadurch stoppen, indem Sie einen Arm heben und damit eine Frage oder Anmerkung signalisieren. Selbst wenn derjenige darauf nicht sofort reagiert, steht er doch jetzt unter besonderer Beobachtung und Zeitdruck – und kommt damit eher zum Punkt. Das war das Ziel.
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Beschuldigen
Am Telefon können Sie auch auf die Verbindung verweisen: „Entschuldigung, die Verbindung ist gerade schlecht, einen Moment bitte…“ Natürlich beschuldigen Sie nie den Gesprächspartner dafür, sondern monieren nur die eigene schlechte Technik. Aber die Unterbrechung wirkt nicht so, als sei sie auf den Inhalt bezogen.
Gut so: Denn nachdem die Technik wie von Wunderhand wieder funktioniert, fassen Sie zusammen, was Sie verstanden haben: „Ich glaube, ich habe Ihr Problem verstanden, es ist…“
Wie gesagt: Mancher wird für derlei abkürzende Hilfe sogar dankbar sein. -
Ablenken
Die vierte Alternative ist etwas ungewöhnlich, benötigt Überwindung, besitzt aber enorme Durchschlagskraft: Provozieren Sie ein Ablenkungsmanöver.
Vergießen Sie beispielsweise aus Versehen Kaffee auf dem Konferenztisch, lassen Sie den Löffel oder die Akten laut unter den Tisch fallen oder versuchen Sie auf einer Konferenz oder beim Empfang den Kellner zu kontaktieren, Motto: „Einen Moment bitte, ich brauche jetzt etwas zu trinken – Sie auch?“ Hauptsache, es scheppert laut, lenkt ab und zieht die volle Aufmerksamkeit auf das Malheur.
Natürlich entschuldigen Sie sich formvollendet dafür – dennoch werden alle dankbar dafür sein. Und Sie oder ein anderer kann die Zwangspause und Gelegenheit nutzen, wie bei Punkt 1 Bisheriges zusammenzufassen und auf den Punkt zu bringen.
Zugegeben, am Ende läuft es doch meist darauf hinaus, den anderen abzuwürgen – aber eben wie zufällig und auf eigene Kosten. Kurzfristig stehen Sie da, wie jemand, der nachfragen muss oder eben ungeschickt war. Aber wie hat schon Charles de Gaulle sinngemäß gesagt:
Manchmal muss man die Schlacht verlieren, um den Krieg zu gewinnen.
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