Odyssee der Verführungen
Der 10-jährige Trojanische Krieg war gerade zuende. Odysseus hatte ihn mit einer List für die Griechen entschieden und die eitlen Trojaner mit einem geschenkten Gaul getäuscht. Er war nicht nur der strahlende Held, sondern vor allem froh, den Kriegsschauplatz endlich verlassen und zu seiner geliebten Frau Penelope auf die Insel Ithaka zurückkehren zu können. Dummerweise stieg ihm der Siegestaumel so sehr zu Kopf, dass er damit prahlte, der Sieg sei vor allem sein Verdienst – ohne jede Hilfe der Götter. Die waren darüber wenig amüsiert und belegten den Narziss mit einem Bann.
Was folgte, ist das, was man heute eine „Odyssee“ nennt: Odysseus musste über die Meere segeln ohne je anzukommen. Stattdessen begegnete er allerlei Kreaturen und Killern, die Menschen in Schweine verwandelten und Männer mit ihren Gesängen gegen gewaltige Klippen lockten. Er bezwang einäugige Monster, gigantische Unholde und schließlich auch bildschöne wie wollüstige Nymphen, die sich mit antikem FKK gerne mal einen Helden angelten.
Kalypso war so ein antikes Luder. Die Tochter des Atlas hauste auf ihrer kleinen Insel Ogygia und verliebte sich unsterblich in diesen von den Göttern gebeutelten aber siegreichen Helden. Sieben Jahre lang gewährte sie dem Schiffbrüchigen auf ihrem Eiland Unterschlupf, umgarnte und verführte ihn nach allen Regeln der Kunst – jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Odysseus wollte nur heim zu seiner Penelope.
Niemals das Ziel aus den Augen verlieren
Es ist kaum vorstellbar, wie viel Standhaftigkeit Odysseus nach zehn Jahren im Krieg und ebenso entbehrungsreichen Jahren auf See und schließlich sieben Jahren auf einer einsamen Insel im Angesicht einer leidenschaftlichen Nymphe aufbringen musste, um diesem Angebot zu widerstehen. Dennoch ließ Kalypso nicht locker: Sie machte ihm ein letztes Angebot und bot ihm ihre ewige Liebe, dazu ewige Jugend – ja sogar Unsterblichkeit, wenn er nur bei ihr bliebe.
Doch hier kommt die entscheidende Stelle, die uns Homer mit seinem Epos lehrt:
- Odysseus hatte die Wahl zwischen einer Dauerkarte auf Paradise Beach, bezirzt von Miss Playmate 1200 v.Chr. plus Dreingaben wie ewiger Zuneigung, ewiger Schönheit und Unsterblichkeit.
- Oder einer gefährlichen Rückreise über stürmische See, begleitet von der Ungewissheit, ob seine Frau nicht schon längst einen anderen Freier geehelicht hat – und der Sterblichkeit.
Wie hätten Sie entschieden? Genau: Odysseus wählt das Zweite. Dass der smarte Grieche im Gegensatz zu zahlreichen anderen Helden besonders weitsichtig war, beweist er hier aufs Neue: Er durchschaut Kalypsos verlockendes Angebot. Sicher, sie bietet ihm all das, was zahlreiche Menschen bis heute anstreben. Doch sie verbirgt ebenso geschickt die Kehrseiten:
- Odysseus wäre ewig gebunden an eine Frau, die zwar lecker aussieht, die er aber weniger liebt als seine Penelope.
- Zudem weiß er: Kehrt er heim nach Ithaka, wäre er ein weiterer Held. Umjubelt von den Massen, gefeiert von seinem Volk. Jemand, auf den man Lieder singt und der so ebenfalls unsterblich wird – nur eben in den Herzen und Geschichten der Menschen.
- Auf Ogygia dagegen würde niemand mehr von ihm Notiz nehmen. Er wäre bald ein Niemand und vergessen. Tschüss Held – hallo Mister Hefner anno 1200 v.Chr.
Die Geschichte lehrt uns zweierlei
- Wenn Sie vorhaben, unsterblich zu werden, sollten Sie manch verführerisches Angebot genau prüfen – und nicht nur die Vorteile sehen.
- Seinen Zielen und seinem Heim treu zu bleiben, bringt Sie dem wahren Glück womöglich viel näher.
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